Herr Minister, hat die Kanzlerin recht mit der Forderung, Deutschland müsse Bildungsrepublik werden?
Wir müssen für mehr und bessere Bildungsabschlüsse sorgen. Bildung ist für dieses Land von einer Bedeutung, die man gar nicht überschätzen kann. Bessere Bildung ist der Schlüssel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut. Deshalb muss Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik immer auch Bildungspolitik sein.
Frau Merkel ruft zur nationalen Kraftanstrengung auf, SPD-Chef Kurt Beck verweist auf die Zuständigkeit der Länder für die Bildungspolitik. Ist das alles, was die SPD zur Bildungsoffensive zu sagen hat?
Es war die SPD, die gegen den Widerstand der unionsregierten Länder in den bisherigen zehn Jahren ihrer Regierungsbeteiligung für eine Trendwende in der Bildungspolitik hin zu mehr Ganztagsschulen und Kinderbetreuung in Deutschland gesorgt hat. Die frühkindliche Betreuung hat sich stark verbessert und wird noch besser werden, wenn es ab 2013 ein Recht auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr gibt. Gemeinsame Kraftanstrengungen von Bund und Ländern in Sachen Bildung sind wirklich nötig. Dabei darf der Bund sich aber nicht auf Vorschläge gegenüber den Ländern beschränken, sondern muss seinen Beitrag leisten, wo er handeln kann.
Wo?
Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und mangelnder Bildung. 500 000 Arbeitslose haben keinen Schulabschluss, die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen hat keine Berufsausbildung. Da kann der Bund ansetzen.
Das heißt, der Bund muss reparieren, wo die Länder versagt haben?
Richtig ist: Wir sind auf eine gute Bildungspolitik der Länder angewiesen. Wenn acht Prozent der Jugendlichen jedes Jahr die Schule abbrechen, dann kann an dieser Bildungspolitik etwas nicht stimmen. Wir reden hier von einem ausgewachsenen Governance-Problem.
Was erwarten sie nun von der Kanzlerin?
Den Worten müssen Taten folgen. Wir brauchen das Signal, dass jeder, der sich anstrengt, sein Leben verbessern kann. Dafür kann der Bund im Einzelnen eine Menge tun. Wir können gemeinsam mit der Wirtschaft für mehr Ausbildungsplätze sorgen. Für junge Menschen, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz warten, haben wir den Ausbildungsbonus entwickelt. Grundsätzlich gilt es, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen. Wir haben es jetzt in der Hand, zu verhindern, dass wir es 2015 mit Fachkräftemangel und einer hohen Arbeitslosigkeit zu tun bekommen. Zwei Dinge sollten wir sofort machen: Unsere Universitäten für Berufstätige öffnen, die eine Lehre gemacht und drei Jahre Berufspraxis haben. Und die Meisterprüfung sollte zum Studium berechtigen. Wahrscheinlich können wir so unseren Ingenieurmangel schnell beheben.
Sie wollen auch einen Anspruch schaffen, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Was begeistert Sie so an dieser Idee?
Es muss die Botschaft geben, dass eigene Anstrengung zu einem besseren Leben führt. Das Recht, den Hauptschulabschluss nachholen zu können, wäre ein Zeichen an alle, die sich anstrengen wollen.
Müssen Arbeitslose mit Sanktionen rechnen, wenn sie den Hauptschulabschluss nicht nachholen wollen?
Wir wollen motivieren, nicht sanktionieren. Aber klar: Wie bei allen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gibt es die Mitwirkungspflicht. Wer also einen praktischen Kurs besuchen soll, an dessen Ende der Hauptschulabschluss steht, kann sich dem nicht einfach verweigern.
Wie groß wird das Interesse sein, den Hauptschulabschluss nachzuholen?
Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren zwischen 50000 und 250000 Bürgerinnen und Bürger, also im besten Fall die Hälfte der Langzeitarbeitslosen, von dem Angebot Gebrauch machen. Wir wollen die Schulphase im Rahmen von berufsfördernden Maßnahmen organisieren, die Kosten werden überschaubar sein.
Was entgegnen Sie denen, die sagen, man solle lieber den Schulen mehr Geld geben, statt hinterher das Arbeitsamt zur Reparaturschule zu machen?
Mehr Geld für die Schulen ist nötig, aber das sehe ich nicht als Alternative. Die Länder müssen ihrer Verantwortung im Bildungsbereich besser nachkommen, und wir müssen unsere Möglichkeiten besser nutzen. Ich will den Rechtsanspruch für Arbeitslose, den Hauptschulabschluss nachzuholen, durchsetzen, weil ich für die Verbesserung von Arbeitsmarktchancen verantwortlich bin. Eigentlich finde ich, es sollte in der Verfassung stehen, dass jeder jederzeit jeden allgemeinen Bildungsabschluss nachholen kann. Das wäre in einer nationalen Bildungsstrategie konsequent und ein Befreiungsschlag für alle, die im Leben weiterkommen wollen und im Moment noch an den Grenzen unseres undurchlässigen Systems scheitern. Vielleicht gelingt es, mit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme eine Debatte auszulösen.
Die Union bereitet sich auf einen Bundestagswahlkampf mit der Botschaft: "Mehr Netto in der Tasche" vor. Wie will die SPD gegen einen Gegner bestehen, der den Menschen verspricht, sie angesichts steigender Preise zu entlasten?
Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht so dumm, dass sie nicht erkennen, wer ihre Stimme kaufen will. Sehen Sie nach Amerika, wo George W. Bush den Haushalt ruiniert hat und Barack Obama ihn wird sanieren müssen. Wir Sozialdemokraten stehen dazu: Das Schuldenmachen muss spätestens 201 1 eine Ende haben und danach durch eine Schuldenbremse wirksam eingedämmt werden. Niemand glaubt unseriösen Versprechungen, dass man den Haushalt konsolidieren und gleichzeitig Milliarden verteilen kann. Wir sagen deshalb: Kommt der Etat 201 1 ohne neue Schulden aus, dann werden wir die unteren Einkommen dort entlasten, wo es nötig ist: Bei den Sozialabgaben. Und zwar, indem wir Steuermittel einsetzen, um die Beiträge zu senken.
Auch in der SPD gibt es viele, die sagen, man könne die Begrenzung der Pendlerpauschale angesichts massiv steigender Benzinpreise niemandem mehr erklären.
Die Kürzung der Pendlerpauschale ist ein notwendiger Beitrag zur Haushaltskonsohdierung. Jeder, der die Koalitionsentscheidung rückgängig machen will, muss sagen, an welcher Stelle die Milliarden eingespart werden sollen. Solche Vorschläge höre ich jedoch nirgendwo.
Im Zentrum Ihrer Politik als Arbeitsminister steht der Mindestlohn. Wann werden Sie praktische Erfolge vermelden können?
Die Entwürfe für das Entsende- und das Mindestarbeitsbedingungengesetz sollen noch im Juli im Kabinett beraten werden. Das ist fest verabredet. Im Herbst werden wir diese Gesetze dann noch um die Branchen ergänzen, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften Mindestlohnregelungen beantragt haben und die die Bedingungen erfüllen, die wir in der Koalition für die Aufnahme in das Entsendegesetz vereinbart haben. Ab 2009 können wir dann mehr Mindestlöhne verbindlich machen.
Wie vielen Menschen wird die SPD zu einem Mindestlohn verholfen haben, wenn der Bundestagswahlkampf beginnt?
Im Augenblick sind es rund 1,5 Millionen. Wir können diese Zahl verdoppeln.
Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.