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30.06.2008

Rede anlässlich des 6. Europa-Kolloquiums der Deutschen Rentenversicherung Bund

Es gilt das gesprochene Wort!   

Sehr geehrter Herr Dr. Rische,
sehr geehrte Frau Jehring,  

Alterssicherungs- und Invaliditätssicherung sind Themen, auf die wir überall in Europa Antworten finden müssen.   Neue Leitbilder leisten dabei eine unverzichtbare Unterstützung.   Denn erstens können Leitbilder Politik vermitteln und verständlich machen.   Zweitens helfen Leitbilder einer demokratischen Gesellschaft beim Herstellen des notwendigen Grundkonsenses.   Solche Leitbilder zu entwickeln ist ein fortlaufender gesellschaftlicher Prozess, bei dem sich persönliche Erfahrungen mit den manchmal ganz gegenläufigen Einschätzungen anderer treffen Interessenkonflikte eingeschlossen.  

Es hilft, von Zeit zu Zeit über den nationalen Tellerrand zu blicken.   Zwar stimmt: Die Themen dieses Kolloquiums fallen in den nationalen Regelungsbereich. Das soll auch so bleiben.   Aber richtig ist auch: Im Rahmen des Lissabonprozesses haben wir uns auch in der Sozialpolitik gemeinsame Ziele gesteckt.   Gleiches gilt im Übrigen für die Beschäftigungspolitik, die in einem ganz engen Zusammenhang steht zu den Themen, die heute und morgen auf Ihrer Agenda stehen.  

Doch zunächst zur Alterssicherung in Deutschland.  

Meine Damen und Herren,  
internationale Experten bestätigen es: Wir sind in Deutschland mit den Reformen der vergangenen Jahre die notwendigen Schritte für ein zukunftsfähiges Alterssicherungssystem gegangen. Manch andere Länder haben diese Schritte noch vor sich. Klar, es gibt arme Rentnerinnen und Rentner in unserem Land. In der Summe aber gilt: Es gab noch nie in der deutschen Geschichte eine Generation von Rentnern, denen es vergleichbar gut ging wie der jetzigen
: Materiell, was ihre körperliche Verfasstheit betrifft und hinsichtlich des Grades gesellschaftlicher Teilhabe.



Und wegen der Reformen der letzten Jahre ist es mittlerweile wieder so, dass dies nicht mit inakzeptablen Belastungen der nachfolgenden Generationen verbunden ist.   Deswegen eignet sich die Mär vom Generationenkrieg zwar für plakative Fernsehsendungen, nicht aber zur Beschreibung der Realität in Deutschland.  

Nur 2,3 Prozent der Rentnerinnen und Rentner sind auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen.   Das ist glücklicherweise ein sehr niedriger Wert im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen, aber auch im europäischen und internationalen Vergleich.   Die Alterssicherungspolitik kann ihren Anteil am Erfolg beanspruchen.

Vieles ist hier anzuführen: 
  • die Einführung der dynamischen Rente vor 50 Jahren,
  • die gelungene Integration der Ostrentner in das gesamtdeutsche Rentensystem,
  • der Auf- und Ausbau der betrieblichen und privaten Säule in der Alterssicherung
  • und die Einführung der Grundsicherung im Alter
- um nur die wichtigsten Meilensteine zu nennen.  

Mit der schrittweisen Anhebung der Altersgrenze für den Renteneintritt ab 2012 auf 67 Jahre im Jahre 2029 gehen wir diesen erfolgreichen Weg weiter.  Dabei behalten wir stets zwei Ziele fest im Blick:

Erstens, dass die gesetzliche Rentenversicherung das verlässliche Kernstück der Sicherung im Alter bleibt und zweitens, dass die aktiven Beitragszahler nicht überfordert werden.

Wie kaum ein anderes soziales Sicherungssystem ist die Alterssicherung auf das Vertrauen angewiesen, sich selbst im Alter auf dieses Solidarsystem verlassen zu können in den Jahrzehnten, in denen Beiträge gezahlt werden, genauso wie in den (oft) Jahrzehnten des Rentenbezuges.  

Und weil das so ist, sollten wir mit zwei Dingen aufhören:  
Erstens ist es falsch, von der gesetzlichen Rentenversicherung als Transfersystem zu sprechen, denn die Beitragszahler haben sich ihre Rente in Jahrzehnten selbst erarbeitet.  
Und zweitens: Wer Reformen für notwendig hält, muss irgendwann den Bürgerinnen und Bürgern auch mitteilen: Wir haben es geschafft. Die Rente mit 67 war der richtige Schritt. Wenn jetzt manche nach der Rente mit 70 rufen, schadet dass der Sache und zerstört Vertrauen in die Alterssicherung insgesamt.  

Um zukünftiger Altersarmut vorzubeugen, sollten wir aber in Zukunft zwei Gruppen sorgfältig beobachten, bei denen die Gefahr, dass sie im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein werden, überproportional groß ist: Zum einen sind das die Langzeitarbeitslosen, zum anderen die Soloselbstständigen.  

Eines ist klar, die Grundlage für ein ordentliches Auskommen im Alter wird während der Erwerbsphase gelegt. Wer zu wenig verdient, hat auch Probleme mit der Altersrente.   Deshalb hat unser Bestreben, mehr Mindestlöhne in Deutschland durchzusetzen, einen Bezug zur Alterssicherungspolitik.   In einem beitrags- und umlagefinanzierten System wie dem unsrigen hat die Höhe der Löhne, die gezahlt werden, einen ganz direkten Einfluss auf die Höhe der heutigen und kommenden Renten.  

Meine Damen und Herren,  
zur Alterssicherungspolitik gehört auch untrennbar dazu, Beschäftigungschancen zu erhöhen, damit möglichst alle tatsächlich bis zur Altersgrenze arbeiten können. Die Initiative 50plus wurde nicht zufällig gemeinsam mit der Rente mit 67 auf den Weg gebracht.  Die Erfolge sind bereits da: Ende letzten Jahres waren 52,5 Prozent der 55- bis 65-Jährigen in Beschäftigung im Vergleich zu 37,7 Prozent in 1998 ein beeindruckendes Plus.  

In vielen Unternehmen ist das allerdings noch nicht ausreichend spürbar.   Bei einer Betriebsbesichtigung ist es nicht so leicht, mit den über 60-Jährigen in der Produktion zu sprechen oft heißt es Fehlanzeige.   Zwar gibt es inzwischen ein paar Vorzeigebetriebe, die Preise und Auszeichnungen bekommen, weil sie so selten sind.   Was wir aber brauchen ist, dass die Beschäftigung Älterer Normalität wird. Und zwar nicht einiger weniger Älterer, sondern einer nennenswerten Zahl.   Denn erst das wird Realitäten verändern. Für die Älteren selbst, weil sie sich dann nicht mehr einsam im Betrieb fühlen müssen wie heute umgeben ausschließlich von Kollegen, die 15, 20, 30 Jahre jünger sind, mit allen Konsequenzen für die Gesprächsthemen, die Interessen, die Stärken und Schwächen im Arbeitsalltag.  

Zur Realität heute gehört, dass sich Ältere fragen, was sie falsch gemacht haben, weil sie anders als viele ihrer Nachbarn und Freunde noch immer arbeiten.   Auch für die Jüngeren ist es wichtig, ältere Kolleginnen und Kollegen zu haben. Zum einen, weil das dem Team gut tut. Das beweisen inzwischen zahlreiche Studien.   Ein anderer Punkt ist aber fast noch wichtiger: Wieso sollte ein heute 40-Jähriger uns glauben, dass er selbst bis 67 arbeiten kann und wird, wenn er im Betrieb keine Vorbilder hat, die ihm vor Augen führen, dass das geht und wie.  

Meine Damen und Herren,  
die über 45-Jährigen sind heute in Deutschland die am besten ausgebildete Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auf ihr Können und ihre Erfahrung kann unsere Arbeitswelt gar nicht verzichten.   Der Anteil derjenigen im erwerbsfähigen Alter wird in Deutschland ab 2012 spürbar zurückgehen. Aber nicht nur bei uns, denn diese Tendenz gibt es in fast allen europäischen Staaten. 2050 rechnen wir innerhalb der europäischen Union mit fast 48 Millionen weniger Bürgerinnen und Bürger im erwerbsfähigen Alter. Davon entfallen allein auf Deutschland rund 12 Millionen. Es ist daher auch eine vorrangige gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Aufgabe, allen, die arbeiten können, tatsächlich die Chance dafür zu geben.  

Wir verbessern aktuell die Rahmenbedingungen für berufstätige Frauen mit Kindern.   Elterngeld, verbesserte Kinderbetreuung und Ganztagsschulen all das erleichtert es insbesondere Frauen, Erwerbstätigkeit und Familienleben besser unter einen Hut zu bekommen.   Doch wir müssen alle Potenziale, heben, die wir in unserem Lande haben.  

Ich denke an Migrantinnen und Migranten, an Jugendliche, die oft als nicht ausbildungsgeeignet abgestempelt werden und über Jahre eine Schleife drehen, bevor sie endlich wenn überhaupt eine Ausbildung finden.   Ich denke an Langzeitarbeitslose, die mit gezielter Weiterbildung den beruflichen Einstieg oder Wiedereinstieg schaffen können.  

Ich bin fest überzeugt: Wenn wir es schaffen, die Qualifikationen derjenigen, die in Beschäftigung sind oder Beschäftigung suchen, zu steigern und für unsere Volkswirtschaft nutzbar zu machen, dann müssen wir uns über Fachkräftemangel keine Sorgen machen.   Die Alternative wäre aus meiner Sicht ein Horrorszenario: Gleichzeitiger Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit.   Doch so wird es nicht kommen, wenn wir heute das Richtige tun.  

Ein Weiterbildungssystem, das durch das gesamte Leben trägt das ist nur ein Stichwort.   Insbesondere bei der Weiterbildung steht Deutschland international nicht gut da. Auch hier besser zu werden, daran arbeiten wir.  

Meine Damen und Herren,  
Arbeit haben, das ist viel mehr als nur für seinen Lebensunterhalt sorgen. Arbeit ist DER Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe insgesamt.   Deswegen strengen wir uns besonders bei der Vermittlung von Arbeitsuchenden an, die es schwerer als andere haben, Ausbildung und Beschäftigung zu finden.   Damit alle die Chance auf Vermittlung haben, haben wir die Frühverrentungspraxis durch die Altersrente nach Arbeitslosigkeit für nach 1952 Geborene abgeschafft.  

Dazu kommt: Wir definieren in Deutschland Erwerbsunfähigkeit sehr streng.   Jeder der mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann, gilt in Deutschland als zumindest teilweise erwerbsfähig.   Das führt dazu, dass die passiven Leistungen bei Erwerbsminderung anders als in fast allen anderen europäischen Staaten niedriger sind als diejenigen bei Arbeitslosigkeit.  

Allerdings ist unter anderem deshalb die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland höher als anderswo.   So liegt in Deutschland der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der erwerbsfähigen Bevölkerung auf etwa gleicher Höhe wie die  Erwerbsminderungsquote jeweils etwa vier Prozent. Im Vergleich dazu lohnt ein Blick in die skandinavischen Staaten, wo über 10 Prozent der Bürger im erwerbsfähigen Alter als erwerbsgemindert gelten. In Irland und Großbritannien liegt diese Quote bei etwa acht Prozent.   Zählte man die Summe aus Langzeitarbeitslosen und Erwerbsgeminderten in Deutschland zusammen läge Deutschland demnach im internationalen Vergleich gleichauf mit zum Beispiel den skandinavischen Staaten.  

Das erklärt auch das Faktum, dass Deutschland bei den Ausgaben für Arbeitslosenleistungen über dem OECD Schnitt, bei den Gesamtausgaben für Arbeitslosigkeit und Erwerbsminderung jedoch (leicht) unter dem OECD Schnitt liegt.   Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat kürzlich den Paradigmenwechsel, den Deutschland mit der Reform der Erwerbsminderungsrente bereits 2001 vollzogen hat, ausdrücklich unterstützt.  

Gemeint ist der Umbau der auf passiven Leistungen aufgebauten Erwerbsminderungssysteme zu arbeitsmarktorientierten Unterstützungssystemen mit aktiver Vermittlung.   Wir werden an den Grundentscheidungen dieser Reform der Erwerbsminderungsrenten nicht rütteln.  

Vielen Dank fürs Zuhören!
Ihrer Tagung einen interessanten und erkenntnisreichen Verlauf!