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26.11.2003

Ansprache anläßlich der Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises

Liebe Familie von Regine Hildebrandt!

liebe Freundinnen und Freunde von Regine!

liebe Genossinnen und Genossen!

 

Vor einem Jahr haben wir zum ersten Mal den Regine-Hildebrandt-Preis verliehen im Gedenken an eine großartige Frau und als Ermutigung, in ihrem Sinne weiterzuarbeiten.

Vielleicht ist das heute der richtige Zeitpunkt, einen Augenblick innezuhalten und sich zu fragen, ob etwas über den Tag hinaus geblieben ist und weiterwirkt.

Das betrifft zunächst die Preisträgerinnen des letzten Jahres. Ich freue mich, dass Frau Eichhorn und Frau Stolzenwald von der Fraueninitiative Gleich und Berechtigt in Lauchhammer heute hier sind und sozusagen den Staffelstab übergeben.

Ich habe mir erzählen lassen, was diese Frauen mit dem Preis alles bewirkt haben.

In den 10 Jahren ihrer Tätigkeit haben sie gelernt, mit knappen Finanzen umzugehen und sparsam zu wirtschaften.

Folglich haben sie bisher erst einen Teil des Preisgeldes ausgegeben für die Kofinanzierung von 2 Mitarbeiterinnen im Rahmen des Programms Arbeit statt Sozialhilfe, sowie für die Einrichtung des Frauen- und Kinderschutzhauses.

Der Rest bleibt als eiserne Reserve, denn die öffentlichen Fördermittel werden knapper und auch Spenden sind immer schwieriger zu bekommen.


In unserer Zeit der schnellen Abfolge von Ereignissen und des kurzen Gedächtnisses ist es eher ungewöhnlich, wenn ein Mensch über seinen Tod hinaus nicht nur in Erinnerung bleibt, sondern als Vorbild oder Beispiel lebendig.

Die vielen sozialen Einrichtungen, Schulen, Altenheime etc., in neuen wie alten Bundesländern die die Familie darum gebeten haben, den Namen Regine Hildebrandt führen zu dürfen, begründen das damit, dass sie im Sinne von Regine Hildebrandt arbeiten und das auch weiterhin tun wollen.

Nicht immer gelingt es aber, mit Regine Hildebrandt Schritt zu halten.

Die Schulklasse beispielsweise, die sich für dieses Jahr vorgenommen hatte, auf einer Landkarte Brandenburgs alle Orte mit farbigen Nadeln zu kennzeichnen, in denen Regine Hildebrandt mindestens einmal war, musste bei näheren Recherchen einsehen, dass das unmöglich war, weil es nicht sehr viele Orte gab, in denen sie nicht war.

Es gibt auch Setzlinge, die Regine gepflanzt hat und die erst jetzt zu voller Blüte reifen:

Nach der Wende kämpfte Regine Hildebrandt mit Vehemenz um den Erhalt der Polikliniken, die sie für ein sehr brauchbares Instrument der gesundheitlichen Versorgung hielt. Damals wurden diese Bemühungen von etlichen aus den alten Bundesländern mit Misstrauen beobachtet, weil sie das ganze für ein DDR-Überbleibsel für sozialistische Medizin hielten.

Regine hat sich durchgesetzt, es gibt die Polikliniken in Brandenburg heute unter dem Namen Gesundheitszentren.

Die Erfolgsgeschichte geht aber noch weiter. Unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, hat die Idee im Rahmen der Gesundheitsreform aufgegriffen und als Erfolgsmodell der integrierten Versorgung bundesweit propagiert: Damit wird ein Stück Ostdeutschland, von dem wir lernen können, in den Westen exportiert. (O-Ton Ulla Schmidt)

Es gibt anderseits auch Aussagen über Regine Hildebrandt, die mir fragwürdig erscheinen. Da lese ich gelegentlich, Regine Hildebrandt und Manfred Stolpe hätten in Brandenburg bei den Menschen den Glauben gezüchtet, der Staat könne sich um alles und jeden kümmern. Nun müsse aber Schluss sein mit dieser Vollkasko-Mentalität.

Wer Regine Hildebrandt kennt, weiß, dass sie so nicht war. Sie hat die Leute auf der einen Seite auf den Weg gebracht, selber etwas zu tun, wie kaum eine andere Politikerin oder ein anderer Politiker und auf der anderen Seite dafür gekämpft, dass die politischen Umstände die Leute nicht zu sehr den Mut verlieren ließen. Eines ihrer Bücher hieß Wer sich nicht bewegt, hat schon verloren und nicht Wer nicht bewegt wird ..


Heute würde man vielleicht sagen: Fördern und fordern.


Hartnäckig sagte sie den Leuten immer wieder: Ihr könnt viel mehr verändern, viel mehr schaffen, als ihr denkt, ihr müsst nur anfangen. Tut etwas ihr habt nichts zu verlieren, es ist euer Leben.

Aber sie wusste gleichzeitig, dass dieser Appell an die Köpfe, an den Verstand nicht ausreichte, dass Tatenlosigkeit oft wirklich ein Bann ist, in den die geschlagen sind, denen es an Selbstvertrauen fehlt und dass nichts mehr die Tatkraft der Leute lähmt, als das Gefühl der eigenen Wirkungslosigkeit.

Und ihr war klar, dass das ewige Lamentieren und Jammern der Leute als Unsicherheit zu verstehen ist, in der eigenen Welt zum eigenen Segen und zum Segen anderer zu wirken.

Weil sie dieses Klagen nicht einfach beiseite geschoben hat, wie viele andere, sondern es ernst nahm, konnte sie auch den Leuten ihr Lamentieren als Tatenlosigkeit vor Augen führen und Einsichten bewirken, die oft zu Tatkraft wurden.

Jeder kann etwas verändern und am besten fängt er oder sie damit im kleinen engeren überschaubaren Bereich an. Also nicht man müsste mal .. oder besser noch die Politik müsste, sondern Ich werde morgen früh .
 
Sie hat den Leuten nicht nach dem Munde geredet, sondern sie hatte die Gabe, ihnen das Vertrauen, die Zuneigung, ja fast Liebe entgegenzubringen, die sie brauchten, um selber tätig zu werden; sie hatte mit anderen Worten, die Gabe Selbstvertrauen zu geben.
 
Regine Hildebrandt kämpfte dafür, dass der Mut, den sie den Leuten machte, ihnen nicht durch Bürokratie oder Politik wieder genommen wurde: Immer wieder hat sie versucht, das wuchernde bürokratische Geflecht klein zuhalten, um agierfreudigen, mitdenkenden Menschen Bewegungsfreiheit zu verschaffen.

Und wo aus ihrer Sicht tatsächlich die Grenze des Zumutbaren erreicht war, hat sie mit Entschlossenheit für die Benachteiligten gekämpft. Da war sie ganz realistisch: Ohne Entschiedenheit und sachbezogen-hartnäckigen Kampf würde keine Forderung aus dem Osten für den Osten gehört, geschweige denn erfüllt und durchgesetzt werden.

Das ist übrigens auch heute noch so: Beispiel ABM. Manche haben ja in den letzten Tagen tatsächlich das Märchen geglaubt von Edmund Stoiber, dem neuen Robin Hood der sozial Schwachen. Ich frage: Was für ein Robin Hood soll das sein, der in Ostdeutschland alle ABM-Maßnahmen streichen will?

Jeder von uns weiß, um wie viel besser man rüberkommt, wenn man von seiner Sache selbst überzeugt ist. Wer nach einer Erklärung für die faszinierende Wirkung sucht, die Regine Hildebrandt bei den Menschen erreicht hat, findet hier einen wesentlichen Schlüssel.

Sie war wirklich davon überzeugt, dass es uns möglich ist, das zu verändern, was uns stört. Das war das eigentlich Erstaunliche an ihr: Sie war tatsächlich von dieser ganz realen, fassbaren und nicht nur abstrakten Möglichkeit überzeugt.

Diese klare und schlichte Überzeugung, dass jeder angehen und verändern kann, was ihn stört und zwar am besten zusammen mit anderen ließ sie so überzeugend sein.

In einem Interview hat sie einmal auf die Frage, ob sie auf die Menschen oder auf ein Wunder hoffe, geantwortet: Wenn denn ein Wunder nötig ist, müssen es die Menschen vollbringen.

Die Leute glaubten ihr, weil sie authentisch war: sie lebte das, was sie dachte und redete: nie den Leuten nach dem Munde und deswegen in den Kopf und ins Herz.

Diese Fähigkeit würden sich ja viele wünschen, aber sie ist nicht in Rethorikseminaren erlernbar, weil es dabei nicht um Technik geht, weder um Sprechtechnik, noch um Sozialtechnik.


Man muss schon so sein!