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08.10.2012

Ausstellung: 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie

 

Sehr geehrte Frau Dr. Baumann,

sehr geehrter Herr Dr. Struck,

meine Damen und Herren,

 

gern knüpfe ich an die Worte meines Vorredners an, die uns den Zugang zu dieser Ausstellung schon erleichtert haben. Das war hilfreich, denn beim ersten Blick auf die Einladung hatte sich ja doch ein gewisser ehrfürchtiger Schauder eingestellt.

 

Lassen sich 150 Jahre deutsche Geschichte in ein Gebäude zwängen? Und in zweieinhalb Wochen Ausstellungszeit? Aus museumspädagogischer Sicht mag das keine originelle Frage sein, aber ist es nicht so, dass die Gründerväter und -mütter der deutschen Arbeiterbewegung derart enorme Umwälzungen in Gang gebracht haben, dass man denkt: Die Spannung hält doch keine Schautafel aus?    

 

Dabei denke ich wenn ich auf die Gründerväter und -mütter anspiele nicht zuerst an diejenigen, die die Grundsteine für die heutige Parteiorganisation der SPD gelegt haben. Das wäre hier in Hamburg auch ein müßiger Gedanke, denn man weiß gar nicht so recht, welche Personen es waren und wann genau sie den ersten Vorsitzenden, Kassenwart und Schriftführer gewählt haben.

 

Auch deutschlandweit hat die SPD, wie es hier gleich zu Anfang auf einer Schautafel steht, kein exaktes Geburtsdatum. Ihre Entstehung lässt sich auf das Revolutionsjahr 1848 zurückführen.

 

Aber ein anderes Jubiläum fällt ebenfalls in den jetzigen Monat und passt haargenau zu der Ausstellung hier im Museum der Arbeit. Im Oktober 1887 nämlich erschien erstmals das Hamburger Echo, das zum Parteiorgan und Sprachrohr werden sollte. Vor 125 Jahren. Und gleich die erste erhalten gebliebene Ausgabe vermittelt einen Eindruck, unter welchen Verhältnissen in Hamburg damals gelebt, gearbeitet, nachgedacht und wann immer Zeit dafür blieb gelesen, geschrieben, Politik gemacht wurde.

 

Der Tuchweber Jacob Audorf senior schreibt dort, Zitat: Am Freitag arbeiteten wir, ich und meine Frau, oft bis spät in die Nacht. Zuweilen wurde es ein, zwei Uhr, damit ich meine Arbeit am Sonnabend früh abliefern und die Wohnung gereinigt werden konnte. Es wurde dann um 11 noch mal Kaffee getrunken, um uns bei der eintönigen Weberei des Schlafs zu erwehren.

 

Achtstundentag und 40-Stunden-Woche waren bestenfalls ferne Träume. Immerhin, bei solchen nächtlichen Kaffeepausen war dann Zeit, die Tagesereignisse zu erörtern, zum Beispiel im November 1848, dass man Robert Blum, den Führer der demokratischen Linken in der Frankfurter Nationalversammlung, hingerichtet hatte.

 

Beschreibung der revolutionären Situation im Jahr davor, aus der Feder eben dieses Robert Blum: Dass die schwarze Fahne des Stillstandes und des Rückschrittes wieder siegreich über ganz Deutschland weht, das ist wohl auch dem Blödesten nicht mehr zweifelhaft, wenn er sehen will.

 

Das durfte so nicht bleiben, dagegen lohnte es sich zu kämpfen. Vorwärts hieß das von Blum herausgegebene Volkstaschenbuch so wie später das reichsweite SPD-Parteiorgan und dieses Werk sollte der Arbeiter, Zitat: herausholen in stiller Feierstunde und durchblättern mit seiner rauhen, schwielenbedeckten Hand so wie es in der Hamburger Familie Audorf geschah. Fünf Kinder gab es, und einer der Söhne, der 1834 geborene Jacob Audorf junior, ist dann einer der erwähnten Gründerväter geworden.

 

Ganz konkret hat er 1863 in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Verein mit aus der Taufe gehoben, als einer von drei Hamburger Delegierten, deren Namen überliefert sind. Und, wie jener Artikel im Hamburger Echo beweist, gehörte er bereits der zweiten Generation der Arbeiterbewegung unserer Stadt an.

 

Nebenbei bemerkt, und auch deshalb bin ich so ausführlich darauf eingegangen, verdiente diese Familie, und verdiente besonders Jacob Audorf junior bei Gelegenheit eine eigene Ausstellung oder Biografie. Dem gelernten Schlosser und Mechaniker, außerdem Dichter, Redakteur, Satiriker, Politiker, unter dem Sozialistengesetz zeitweise ausgewiesen, ihm verdanken wir unter anderem den Text der Arbeiter-Marseilleise, die erstmals nach dem viel zu frühen Tod Ferdinand Lassals gesungen wurde und bis heute zu den berühmtesten Arbeiterliedern gehört.

 

Meine Damen und Herren,

sie sehen: 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie, das bedeutet auch: 150 Jahre Sozialdemokratie in Hamburg. Die Arbeiterbewegung unserer Stadt schaute nicht passiv zu, als es darum ging, die Ketten abzustreifen, die ja laut Karl Marx und Friedrich Engels das einzige waren, was die Arbeiterklasse zu verlieren hatte.

 

Und sie werde die Ketten abstreifen, auf Grund gesetzmäßiger Notwendigkeit, so hatten es Marx, der Journalist und Agitator, und sein kongenialer Partner verheißen. Dass es noch hundert und mehr Jahre dauern würde, und dass es mit der  angeblich gesetzmäßigen Notwendigkeit so eine Sache war dass sie die später erfolgten Spaltungen und Bruderkämpfe in der Arbeiterbewegung nicht verhindert hat darüber können wir heute mit einem anderen Erfahrungswissen urteilen als die Zeitgenossen der beiden Jacob Audorfs.

 

Journalisten, und das hieß: Agitatoren waren sie damals fast alle, die heute die Hall of Fame der SPD zieren (manche findet man nur noch in einem Seitenflügel, schrieb vor einigen Jahren der Vorwärts in einem historischen Rückblick, ohne Namen zu nennen). Diese Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung würdigt viele Namen und Gesichter.

 

Journalisten und Agitatoren: Marx brillierte als Redakteur der Rheinischen Zeitung und verfasste mit Engels 1848 das Kommunistische Manifest, das Bertrand Russell ein mitreißendes Stück politischer Literatur genannt hat. Über Marx´ ökonomische Theorie hat sich derselbe Autor eher spöttisch geäußert. Russell war ein aristokratischer Brite und veröffentliche 1896 die bis dahin klügste Geschichte der German Social Democracy.

Doch ich war bei den Journalisten und Agitatoren: Lassal, dessen Grabstelle man heute auf dem größten jüdischen Friedhof in Breslau wieder besuchen kann, nahm den Faden ebenso auf wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht, Kurt Eisner, Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg. Viele damalige Leitartikel und Polemiken klingen heute, als hätte der Verfasser oder die Verfasserin das Tintenfass lieber geworfen als den Umweg über das Papier zu nehmen.

 

Doch wie wir wissen und auch daran erinnert diese Ausstellung ist schon 1875 führenden deutschen Sozialisten der Umweg vernünftiger erschienen. Und dass man ihn gemeinsam beschreiten und sich zum langen Marsch, gegebenenfalls auch durch Parlamente, zusammentun sollte. Aus zwei Parteien, den Lassalanern und den Eisenachern, wurde in Gotha die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands.

 

Welcher direkte oder verschlungene Weg der neuen, grandiosen Bewegung den arbeitenden Massen zu einem Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verhelfen sollte, darüber ist in späteren Zeiten immer wieder intensiv, oft bitter gestritten worden. Das hat nicht erst mit dem Ringen um das Erfurter Programm 1891 begonnen und es hat auch mit der Verabschiedung des Godesberger Programms 1959 längst nicht geendet, obwohl beides richtungweisende Meilensteine gewesen sind.

 

Die Geschichte kennt keine letzten Antworten und das Hamburger Programm aus dem Jahr 2007, das unserer Stadt die Ehre aufgebürdet hat, den aktuellen Meilenstein zu setzen auch dieses ist keiner Weisheit letzter Schluss, sondern ein Druckwerk, das im Schweiße vieler Angesichter und ihrer Erkenntnisse entstanden ist. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität aber sind nicht von ungefähr erneut als zentrale Grundwerte festgeschrieben worden.

 

Meine Damen und Herren,

Worte, geschriebene oder gesprochene, sind noch keine Politik. Und aus historischen Siegen und Niederlagen, von denen die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie getränkt ist, ergeben sich nicht automatisch Handlungsmuster für den heutigen politischen Alltag. 

 

Eine Stadt gut zu regieren und als Hamburger Bürgermeister ist das jetzt meine Aufgabe und die meines Senats, so wie es die Aufgabe aller Vorgänger war und aller Nachfolger sein wird eine Stadt gut zu regieren, verlangt dennoch auch Demut angesichts der Gedanken und Taten, die  150 Jahre lang das Eintreten für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität geprägt haben.

 

Ich will an dieser Stelle gar nicht um den Brei herumreden. Diese Ausstellungseröffnung begleite ich als Bürgermeister, nicht als Parteipolitiker eine wichtige Aufgabentrennung , aber das muss mich nicht hindern zu sagen: Die lange republikanische Tradition unserer Stadt Hamburg und das hohe Maß an sozialem Zusammenhalt, an solidarischem Zusammenleben in einer weltoffenen international geprägten Stadt, sie wären ohne die Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung, von 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie nicht das, was sie sind.

  

Meine Damen und  Herren,

und natürlich hat auch die Hamburger Sozialdemokratie große Persönlichkeiten hervorgebracht: von Georg Wilhelm Hartmannn, 1875 mit Wilhelm Hasenclever erster Vorsitzender der SAP, später in Ungnade gefallen, über Adolph Schönfelder und Max Brauer, Paula Karpinski und Herbert Weichmann bis Paul Nevermann. Ich will mich auf diese inklusive Audorf - sieben Namen und auf die ersten hundert Jahre beschränken, erstens weil es unhanseatisch wäre, Lebende hier einzureihen.

 

Zweitens, weil Geschichte ja eigentlich nicht von großen Männern gemacht wird, oder Frauen, sondern dadurch entsteht, dass sich soziale Bewegungen Bahn brechen. Davon vor allem erzählt diese Ausstellung.

 

Ich bewundere und beneide alle, die diese 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie als Ausstellung konzipiert und auf die Schautafeln gebracht haben. Denn was für ein grandioses Thema ist das! Und welche Chance für alle Hamburgerinnen und Hamburger, hier im Museum der Arbeit ein großes Stück Zeitgeschichte ich sage es norddeutsch zu fassen zu kriegen.

 

150 Jahre Sozialdemokratie, darin spiegeln sich... nein, das sind 150 Jahre Deutschland. Oder gibt es irgend eine Epoche seit jenen Gründungstagen, in denen nicht Sozialdemokratinnen und ihre männlichen Mitstreiter aus den Ereignissen herausgeragt sind als Mitgestalter, oder zu gewissen Zeiten als diejenigen, die man als so genannte vaterlandslose Gesellen aus dem öffentlichen Leben verbannte.

 

Beziehungsweise aus dem, was namentlich in der Zeit zwischen 1933 und 45 in Deutschland an öffentlichem Leben noch übrig blieb.

 

Und heute? 2.650 Personen gefällt SPD Hamburg, bei Facebook, laut SPD-Homepage heute Mittag. Eine recht bescheidene Zahl, könnte man meinen, aber sie ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Die 2.650 sind ein Ausschnitt eines Ausschnitts der Gesellschaft, und die Frage nach der Zukunft der parlamentarischen Demokratie ist mit dieser Zahl weder so noch so beantwortet.

 

Aber die SPD hat in Hamburg über 10.000 Mitglieder und bei der letzten Wahl haben ihr 48,4 Prozent der Hamburger die Stimme gegeben. Das schönste Geschenk zum 150. Geburtstag.

 

Die große Zeit der engen, auch emotional engen Bindungen an politische und soziale Milieus ist trotzdem vorbei und wir wissen nicht wirklich, wie die künftige Entwicklung verlaufen wird.

 

Aber eine Landesorganisation, die, wie man über Hamburg hinaus weiß, auch tiefe Täler durchschritten hat, kann mit dem Zuspruch und dem Erfolg, den sie heute wieder hat, fürs erste zuversichtlich nach vorn blicken.

 

Und die deutsche Sozialdemokratie, sie kann den jetzigen und künftigen Veränderungen allemal sehr zuversichtlich entgegensehen, als Idee, aber auch als Partei. Denn sie kommt schließlich aus der Mitte der sozialen Bewegungen, die heute in großer Vielfalt und mit jeweils eigenem Profil in der Gesellschaft aktiv sind. Vielen von ihnen wohnt viel mehr Sozialdemokratisches inne als sie selbst ahnen, und manchmal wahrhaben wollen.

 

Meine Damen und Herren,

zum Schluss noch einmal Jacob Audorf. Auf der Walz´ ist er als Handwerksgeselle natürlich auch gewesen. Deutschland, Schweiz, Frankreich, England; später hat er in Russland gearbeitet. Und das waren sie ja fast zu allererst, die frühen Sozialdemokraten: international, auf die selbstverständliche Art, wie Handwerker sie gar nicht anders kannten.

 

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität enden nicht an Landesgrenzen. Ich glaube, dass auch das in dieser Ausstellung deutlich wird, die ich mit großem Vergnügen eröffne. 

 

Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.