Ausstellungseröffnung in der Rathausdiele: Besuchsprogramm des Senats für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
Sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Frau Belorussowa,
sehr geehrter Herr Czechak,
sehr geehrte Vertreter des Konsularischen Korps,
sehr geehrte Freunde und Förderer des Freundeskreises KZ-Gedenkstätte Neuengamme,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Gedenken an die Schrecken der großen Kriege in Europa ist das Jahr 2014 ein besonderes: Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, und in wenigen Tagen jährt sich der deutsche Überfall auf unsere polnischen Nachbarn und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal.
Am 1. September 1939 begann das furchtbarste Kapitel unserer Geschichte. Der Zweite Weltkrieg kostete weltweit 45 Millionen Männer, Frauen und Kinder das Leben. Unter deutscher Besatzungsherrschaft wurden in ganz Europa mehrere Millionen Jüdinnen und Juden ermordet, ebenso Hunderttausende Roma und Sinti.
Noch mehr Millionen weitere Bewohner des Deutschen Reichs und der von Deutschland besetzten Gebiete, Verschleppte, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden nicht unmittelbar physisch getötet, aber man nahm ihnen ihr freies Leben und zwang sie zur Arbeit für die verbrecherischen Ziele des Nationalsozialismus.
Als Ersatz für die deutschen Arbeiter, die sich mit der Wehrmacht und der Waffen-SS im Kriegseinsatz befanden, wurden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit Gewalt und unter Todesdrohung dazu gezwungen, schwerste Arbeiten zu verrichten, untergebracht in Barackenlagern, bei minimaler Verpflegung, körperlich malträtiert und gesundheitlich kaum versorgt. Auch Kinder und Jugendliche waren darunter, die verschleppt und vor allem in der Landwirtschaft und der Industrie, insbesondere der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden. Mit großer Selbstverständlichkeit forderten daneben öffentliche und sogar kirchliche Einrichtungen, kleine Betriebe und auch Privatpersonen Arbeitskräfte für ihre Belange an und bekamen sie geliefert.
Diese Sklaverei mitten im 20. Jahrhundert mutet heute unfassbar an. Umso größer war das schlechte Gewissen, oder sollten wir eher sagen: die Verdrängung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren nach dem Krieg?
Eine ehrliche und konsequente Beschäftigung mit der Geschichte ließ nach 1945 lange auf sich warten. In offiziellen Firmenchroniken etwa tauchten die unrühmlichen Machenschaften der früheren Inhaber selten auf; kaum jemand bekannte sich zu seiner Schuld gegenüber den Tausenden Opfern, von denen viele ihre Arbeitseinsätze nicht überlebten.
Erst kurz vor der Jahrtausendwende lenkten Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter in den USA gegen deutsche Unternehmen, die sie ausgebeutet hatten, das Augenmerk der internationalen Öffentlichkeit auf das Thema Jahrzehnte nach Kriegsende.
Im August 2000 schließlich hat die deutsche Bundesregierung die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft gegründet, mit Unterstützung der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, getragen von mehr als 6.000 Unternehmen, um das Unrecht anzuerkennen und den Überlebenden der Zwangsarbeit finanziell zu helfen. In den folgenden sieben Jahren erhielten weltweit mehr als 1,6 Millionen ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Beträge zwischen 2.000 und 8.000 Euro, insgesamt ungefähr 4,5 Milliarden, die je zur Hälfte durch den Staat und die Wirtschaft aufgebracht wurden.
Meine Damen und Herren,
was im Deutschen Reich passierte, geschah ebenso in Hamburg. Auch bei uns wurden ausländische Arbeitskräfte zur Zwangsarbeit eingesetzt: Im Laufe der Kriegsjahre mussten insgesamt annähernd 500.000 Männer, Frauen und Kinder in Hamburg vor allem für die Kriegsmaschinerie schwere und schwerste Dienste verrichten. Eine Auswertung von Statistiken des Landesarbeitsamtes und der damaligen Gauwirtschaftskammer listet 928 Hamburger Unternehmen aller Wirtschaftszweige auf, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einsetzten. In manchen Betrieben lag deren Anteil bei bis zu 70 Prozent.
Die ausländischen Arbeitskräfte wurden in fast genau 1.300 Lagern im Stadtgebiet untergebracht, verwaltet von der Deutschen Arbeitsfront oder von den Betrieben selbst. Das Essen war schlecht und erbärmlich wenig besonders für die osteuropäischen Arbeitskräfte; ständiger Hunger und Unterernährung waren die Folge.
Bei sogenannter Arbeitsbummelei, bei Fluchtversuchen oder Diebstahl wurde die Gestapo eingeschaltet. Wurde ein Verhalten als Rebellion oder Sabotage ausgelegt, konnten die Beschuldigten in die Konzentrationslager überstellt oder durch die Gestapo erschossen werden.
Besonders schlimmen Bedingungen waren die Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme und seiner 87 Außenlager in Hamburg und Norddeutschland ausgesetzt. Der Arbeitseinsatz dort nahm keinerlei Rücksicht auf ihr Leben der Tod der KZ-Häftlinge wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern war einkalkuliert. Die SS bezeichnete dies selbst als Vernichtung durch Arbeit.
Jene, die diese Schrecken trotz allem überlebten, blieben beschädigt an Körper und Seele. Vielen von ihnen lag der Wunsch, das Land ihrer Peiniger jemals wiederzusehen, verständlicherweise fern.
Dabei sollte es aus Hamburger Sicht aber möglichst nicht bleiben: Ende des Jahres 2000 beschlossen Bürgerschaft und Senat, ein Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einzurichten. Grundlage war und ist die Überzeugung, dass ich zitiere den Beschluss den Millionen Menschen, die während des zweiten Weltkrieges in Deutschland (...) Zwangsarbeit haben leisten müssen, schweres Unrecht zugefügt worden ist.
Das Besuchsprogramm richtete sich an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Ostmittel- und Osteuropa, die ohne Einladung aus Deutschland aus materiellen und organisatorischen Gründen keine Möglichkeit hatten, eine Reise nach Hamburg zu unternehmen. Mit dem Besuchsprogramm wurde der Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme e. V. beauftragt, der schon von ihm selbst eingeladene Gruppen ehemaliger KZ-Häftlinge begleitet und dadurch Erfahrungen gesammelt hatte. Kooperationspartner des Hamburger Besuchsprogramms waren unter anderem die Partnerorganisationen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft in den jeweiligen Ländern.
Die Stadt Hamburg bekannte sich damit zu ihrer Verantwortung und ermöglichte den NS-Opfern einerseits, die Orte ihres damaligen Leidens noch einmal aufzusuchen, mit Schulklassen und anderen Gruppen zusammenzutreffen und über ihre Erfahrungen zu berichten. Andererseits gehörte auch die Gelegenheit dazu, das neue, demokratische, rechtsstaatliche Deutschland unserer Zeit kennenzulernen, das sich seiner historischen Verantwortung stellt.
Jede der 26 Gruppen zwischen 2001 und 2013 wurde hier im Rathaus offiziell von Vertretern des Senats oder der Bürgerschaft willkommen geheißen. Gewürdigt wurden damit auch stets der Mut und die Größe, sich noch einmal der eigenen Leidensgeschichte im Land der Täter zu stellen.
Ich hätte nicht geglaubt, noch einmal hierher zu kommen der Titel der Ausstellung zitiert eine Stimme unter vielen. Rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Polen, Russland und der Tschechischen Republik, aus Lettland und Litauen, aus Belarus und aus der Ukraine haben das Programm als Möglichkeit des Gedenkens und der Versöhnung genutzt. Darüber haben wir uns sehr gefreut. Das Besuchsprogramm und das Ausmaß der Zwangsarbeit in Hamburg zwischen 1939 und 45 dokumentiert die heute, aus Anlass des 75. Jahrestags des Kriegsbeginns, eröffnete Ausstellung.
Frau Belorussowa und Herrn Czechak, die heute als ehemalige Verfolgte und Zwangsarbeiter stellvertretend unsere Gäste sind, begrüße ich ganz besonders ausdrücklich. Sie sind nicht zum ersten Mal in Hamburg, aber ich kann mir vorstellen, dass dieser Besuch in einer Stadt, die nicht gut zu Ihnen war, Sie aufs Neue sehr bewegt. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie sich bestätigt sehen: dass es richtig war herzukommen; dass Sie Hamburg so erleben, dass Sie sich mit guten Gedanken an Ihren Besuch erinnern können.
Meine Damen und Herren,
da es inzwischen nur noch wenige lebende Opfer der nationalsozialistischen Zwangsarbeit gibt, ist das Hamburger Besuchsprogramm im vergangenen Herbst zu Ende gegangen.
Trotzdem bleibt das Thema aktuell, auch Jahrzehnte nach Kriegsende. Wie die psychologische und soziologische Forschung inzwischen weiß, werden unbewältigte Kriegstraumata an die nachfolgenden Generationen weitergegeben; sie belasten viele Familien bis heute. Inzwischen sind etliche Publikationen über die Problematik der Kriegskinder und sogar Kriegsenkel erschienen, und die starke Resonanz, die das Thema auf Tagungen und bei Informationsveranstaltungen erfährt, zeigt, dass die Schrecken des Zweiten Weltkriegs in vielen Biografien erschreckend lebendig geblieben sind.
Wichtig ist aber auch, das Thema der Ausstellung an Jüngere und an nachfolgende Generationen zu überliefern und verständlich zu halten, was damals getan wurde und geschehen ist, und wie unsere Stadt später versucht hat, damit umzugehen und sich zu ihrer Verantwortung zu bekennen. Es freut mich, dass eine parallel erarbeitete pädagogische Handreichung künftig im Geschichtsunterricht unserer Schulen eingesetzt wird. Auch der gelungene Ausstellungskatalog wird zu dem Ziel beitragen, dass, wenn auch die Zeit vergeht, die Vergangenheit dennoch nicht vergessen wird.
Auch deswegen wünsche ich dieser Ausstellung viele aufgeschlossene Besucherinnen und Besucher hier im Rathaus und auf ihren weiteren Stationen, zum Beispiel in den Bezirken. Auch dem Begleitprogramm, der heute beginnenden, sachverständig besetzten Veranstaltungsreihe in der Katholischen Akademie wünsche ich das verdiente Interesse. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mag uns oft erschrecken, aber sie kann zugleich heilsam sein. Und sie soll uns darin bestärken, gegen jede Form von Rassismus und Totalitarismus einzutreten.
Im Namen des Senats danke ich herzlich allen, die zum Gelingen dieser Ausstellung beigetragen haben, namentlich dem Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme und seiner Mitarbeiterin Katharina Hertz-Eichenrode sowie allen, die in ehrenamtlicher Arbeit das Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter über all die Jahre zu solch einem Erfolg geführt haben, sowie den Dolmetscherinnen und Dolmetschern, die die Gruppen begleiteten. Ferner den Firmen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, sowie ausdrücklich dem Beirat und der Hamburgischen Bürgerschaft für ihr langjähriges Engagement.
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.