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05.01.2009

"Bangemachen gilt nicht"

Interview mit der Bild-Zeitung 

 

BILD: Herr Arbeitsminister, haben Sie angesichts der Wirtschaftslage Angst vor dem neuen Jahr? Experten prophezeien einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu vier Millionen...

Scholz: Bangemachen gilt nicht, schon gar nicht in der jetzigen Situation. Wir müssen alles tun, damit die Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht dramatisch steigt, wenn die Wirtschaft 2009 schrumpft und nicht wächst. Einsatz für Arbeit ist das Gebot der Stunde. Trotz der Krise sind bei der Bundesagentur für Arbeit 500 000 offene Stellen registriert. Fachleute schätzen, dass es 500 000 weitere offene Stellen gibt, die nicht registriert sind. Wenn wir es also hinkriegen, dass jeder, der eine Arbeit sucht, schneller als bisher auch Arbeit findet, wäre das schon ein großer Beitrag. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass die Zahl der Arbeitsvermittler zügig um viele Tausend erhöht wird 3000 sofort und weitere 5000 in den nächsten Jahren. Das ist ein klares Signal.

BILD: Das allein wird aber zur Krisenbekämpfung kaum reichen oder?


Scholz: Wir müssen unsere Handlungsmöglichkeiten jetzt konsequent und furchtlos nutzen. Ganz wichtig ist jetzt, dass wir zusammenhalten. Es darf doch nicht sein, dass Millionen, die jeden Tag fleißig arbeiten, ausbaden müssen, was einige mit ihrer Zockerei an den Börsen und mit Finanzspielen verursacht haben.

BILD: Klingt schön, aber was heißt das konkret?


Scholz: Ich habe die dringliche Botschaft an die Unternehmen: Entlasst eure Leute nicht! Ihr müsst euch wegen vorübergehender Auftragsmängel nicht von euren langjährigen Mitarbeitern trennen. Fachkräfte, die ihr demnächst wieder braucht, habt ihr schon im Betrieb. Behaltet sie auch in der Krise. Zum Beispiel mit Kurzarbeitergeld. Und es wäre gut, wenn nicht nur Großbetriebe, sondern gerade kleine und mittelständische Unternehmen auf diese Hilfen zurückgreifen würden.

BILD: Müssen schlecht qualifizierte Beschäftigte nicht trotzdem jetzt besonders um ihren Job bangen?

Scholz: Genau da will ich gegensteuern. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, ein Bündnis für berufliche Qualifizierung zu schließen. Denn eines ist klar: Im nächsten Jahrzehnt werden wir entweder genügend Fachkräfte haben und wenig Arbeitslosigkeit. Oder wir werden zu wenig Fachkräfte haben und gleichzeitig unter den schlecht Ausgebildeten viele Arbeitslose. Deshalb kann ich den Betrieben nur raten: Qualifiziert eure Beschäftigten jetzt. Der Staat hilft auch dabei.

BILD: Wie soll das funktionieren?

Scholz: Meine Vorstellung ist: Jeder Arbeitnehmer, der keine berufliche Qualifikation hat, sollte sie gerade in dieser Zeit bekommen, wo wegen der Wirtschaftskrise weniger zu tun ist. Der Staat würde die Unternehmen. unterstützen, die Ausbildungskosten mit übernehmen und einen Teil der Lohnkosten tragen. Auch sollten in dieser konjunkturellen Lage Arbeitnehmer ihre vorhandene aber veraltete Qualifikation auffrischen können. Wenn die Krise dann vorbei ist und es wieder richtig losgeht mit der Wirtschaft, würden die Unternehmen über besser ausgebildete Beschäftigte verfügen. Und die Beschäftigten hätten bessere berufliche Perspektiven.

BILD: Montag ist Koalitionsgipfel, was kommt dabei heraus? Ein großes Konjunkturpaket mit Steuersenkungen, Abgabensenkung und staatlichen Investitionen?

Scholz: Die Regierung wird handeln. Jetzt ist Führung gefragt. Der Vizekanzler hat deshalb einen Plan zur Stärkung der Binnenkonjunktur und zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes entwickelt. Für den Arbeitsmarkt heißt das: Qualifizieren statt Entlassen. Ganz in dem von mir vorgeschlagenen Sinn. Das ist ein sehr guter und ausgewogener Vorschlag, mit dem wir die Krise bekämpfen können.

BILD: Was ist mit einer Senkung der Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung wie zum Beispiel die Arbeitgeberverbände fordern?


Scholz: Wir haben den Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung mehrfach von 6,5 auf nunmehr 2,8 Prozent gesenkt. Das ist jedes Jahr eine Entlastung von 30 Milliarden Euro für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Momentan hat die Arbeitslosenversicherung 16 Milliarden Euro auf dem Konto. Das Geld brauchen wir jetzt, um damit über Kurzarbeitergeld und Qualifizierung Beschäftige zu schützen und Unternehmen zu helfen, in der Krise an ihren Mitarbeitern festzuhalten. Wir sollten aber das Signal aussenden, dass wir den Beitragssatz, falls die Krise länger dauert, stabil halten.

BILD: ...aber wenigstens den Rentenbeitrag könnten Sie senken...

Scholz: Im Juli werden die Renten trotz der Krise erhöht. Das ist ein gutes Zuversichtssignal. Damit auch alle sicher sein können, dass die Renten finanzierbar sind, dürfen die Rücklagen jetzt nicht angetastet werden. Das schafft nur Verunsicherung und wäre ein Stich ins Herz der Rentner. Ich werde deshalb die Rentenrücklagen mit allen Waffen, die ich habe, verteidigen.