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12.09.2009

"Beim Mindestlohn geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Würde"

Interview mit der Westfälischen Rundschau 


Herr Scholz, wann ist die Krise vorbei?

Olaf Scholz: Viele sagen, dass sich die deutsche Wirtschaft in diesem und im nächsten Jahr so weit berappeln, wird, dass wir wieder nach vorne gucken können.

Wie konnten die Deutschen die Krise denn so ignorieren?


Scholz: Deutsche nehmen die Krise weniger besorgt zur Kenntnis, weil wir in Deutschland mit allen Handlungsmöglichkeiten eines Sozialstaates reagiert haben. Andere Länder sind einen anderen Weg gegangen. Dort ist die Arbeitslosigkeit massiv angestiegen.

Viele stellen der Regierung ein gutes Zeugnis aus, setzen das allerdings synonym mit Angela Merkel...

Scholz: Die Regierung ist bei der Krisenbekämpfung ganz wesentlich den Ratschlägen von Frank-Walter Steinmeier gefolgt. Auch Peer Steinbrück und ich haben viel getan. Im Prinzip haben die letzten vier Jahre eine Fortsetzung der Regierungszeit von 1998 bedeutet. Wenn die SPD nicht an der Regierung beteiligt gewesen wären, hätte auch das Gegenteil passieren können. Die CDU-Vorsitzende würde als Kanzlerin einer schwarz-gelben Regierung das Gegenteil von dem machen, was die Wähler jetzt an ihr schätzen.

Wie werden sich die Arbeitslosenzahlen 2010 entwickeln? Steigen sie über 4,5 Millionen?

Scholz: Die Zahlen haben sich besser entwickelt, als alle Prognosen vorausgesagt haben. Das liegt daran, dass wir die Kurzarbeit eingeführt haben. Das liegt auch an dem Ausbau der Arbeitsvermittlung, wir kommen viel besser durch die Krise, als viele gedacht haben. Meine These ist, wir werden es in diesem Jahr schaffen unter vier Millionen zu bleiben und auch im nächsten Jahr deutlich unter den Prognosen bleiben.

Ist das Kurzarbeitergeld ein Erfolgsrezept?

Scholz: Ja, es ist gut. Das hat eine lange Tradition, ist aber noch nie so massiv wie jetzt eingesetzt worden. Wir haben darauf gesetzt, dass es für die Unternehmen, die davon ausgehen, dass sie ihre Mitarbeiter im nächsten Jahr wieder brauchen, klüger ist, ihre Arbeitnehmer nicht zu entlassen. Das ist aufgegangen. Ich bin sicher, in künftigen Lehrbüchern über die Frage, wie geht man mit einer Konjunkturkrisen um, wird unser Modell mit dem Ausbau der Kurzarbeit stehen, und zwar überall.

Sie wollen in der Krise die Altersteilzeit um fünf Jahre verlängern, ist das nötig?

Scholz: Es ist sinnvoll. Die Altersteilzeit hat sich bewährt. Sie hat bewirkt, dass die Menschen bis zur Rente in Arbeit bleiben, aber vor dem Rentenbeginn einmal halblang machen können. Mein Vorschlag ist, die Fortsetzung der Förderung der Altersteilzeit an einen konkreten Sachverhalt zu binden, nämlich die Übernahme von Auszubildenden. Das ist eine Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt, die nötig ist.

Muss der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung festgeschrieben werden?


Scholz: Der Beitrag ist jetzt gering, und das kann er auch im kommenden Jahr, wenn die Krise uns weiter beschäftigen wird, noch bleiben, weil der Bundeshaushalt der Bundesagentur ein Darlehen geben wird von wahrscheinlich 20 Milliarden Euro. Das ermöglicht uns in der Krise den Beitrag weder anzuheben, noch die Leistungen zu kürzen. Langfristig brauchen wir einen festen Beitragssatz, an dem wir in guten und schlechten Zeiten festhalten wollen.

Wo müsste denn ein solcher Beitrag liegen?


Scholz: Mir ist die Einigung auf einen konkreten Beitragssatz wichtiger, als die genaue Zahl.

Herr Steinmeier hat gesagt, Vollbeschäftigung sei möglich. Werden sie der Arbeitsminister sein, der das Ende der Massenarbeitslosigkeit meldet?

Scholz: Ich hätte nichts dagegen. Und um das zu erreichen müsste ich nicht mal so lange im Amt sein wie Norbert Blüm. Steinmeier hat einen sehr guten Plan gemacht. Er sagt, was man tun kann, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Beschäftigungspotenziale zu nutzen.

Aber es gibt auch Kritik...


Scholz: Alle, die in den Plan mal reingeguckt haben, haben gesagt, der ist gut. Insbesondere die Wirtschaft, Wissenschaft und auch viele Betriebsräte, also Leute, die sich auskennen. Da unterscheiden sich Steinmeier und Merkel: Er hat einen Plan, was getan werden muss.

Werden denn auch schlecht Qualifizierte an dem Aufschwung teilhaben können?

Scholz: Ja, wenn wir sie ausbilden. Die größte Gefahr ist, jetzt nichts zu tun. Dann droht uns ein Fachkräftemangel und die Arbeitslosigkeit vieler Millionen Bürger, die nicht die erforderlichen beruflichen Qualifikationen haben.

Haben sie Ideen, wie man dem begegnen kann?

Scholz: Das wichtigste ist die Berufsausbildung. Klar, wir brauchen mehr, die studieren. Da sind Studiengebühren ein ganz schlechter Einfall, um die Sache voranzutreiben. Aber wir brauchen auch unbedingt mehr Berufsausbildung. Damit das funktioniert, müssen wir viel ändern: Wir brauchen bessere Schulen. Wir müssen auch Schulabgängern ohne Abschluss immer wieder eine Chance geben. Auch die Leute, die nicht so gut sind, müssen eine Ausbildung bekommen.

Ein anders Stichwort sind die Minijobs, die prekären Arbeitsverhältnisse. Es kann ihnen nicht gefallen, dass viele Menschen von ihrer Arbeit ihre Familie nicht mehr ernähren können.

Scholz: Jeder, der einen ganzen Monat lang arbeitet, muss seinen Lebensunterhalt bestreiten können, ohne auf öffentliche Hilfe oder die Hilfe der Familie angewiesen zu sein. Das funktioniert derzeit nicht gut in Deutschland. Zwölf Prozent der Arbeitnehmer verdienen weniger als 7,50 Euro, das sind zu viele. Deswegen müssen wir mehr Mindestlöhne bekommen. Wir haben am Ende des Jahres fast vier Millionen Arbeitnehmer, die auf Basis des Entsendegesetzes geschützt sein werden. Weitere werden durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz dazukommen. Ich kann mir vorstellen, dass als nächste Branche die Fleischindustrie dran ist. Es geht dabei nicht nur um Geld sondern auch um Würde. Es verletzt die Würde, wenn man trotz harter Arbeit nicht alleine zurecht kommt.

Muss die befristete Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I verlängert werden?


Scholz: Wichtig ist, dass wer Arbeit sucht, eine gute Arbeitsvermittlung bekommt. Dazu brauchen wir gute Leute, die motiviert und gut ausgebildet sind - und die ihrerseits unbefristet beschäftigt sind. Allein um das in der Krise sicherzustellen, brauchen wir viel Geld. Die Bundesagentur erhält nächstes Jahr ein Darlehn von 20 Milliarden Euro.

Wollen Sie mit der Ausweitung des Schonvermögens für Hartz IV-Empfänger deren Stimmen gewinnen?

Scholz: Es wichtig, dass das, was jemand fürs Alter spart, geschützt bleibt. Mein Vorschlag ist, dass alles das, was man für eine Zusatzrente im Alter beiseite legt, nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird - und zwar ohne irgendwelche Höchstgrenzen. Aber natürlich muss es fürs Alter und nicht für die nächste größere Anschaffung sein.

Soll das Rentenalter weiter angehoben werden? Die Bundesbank spricht von 69.


Scholz: Das ist Quatsch. Wir haben seit zwanzig Jahren Reformen in der Rentenversicherung durchgeführt, deswegen haben wir jetzt wieder stabile Finanzen. Weltweit schätzen Experten unser System als stabil ein. Deswegen ist es richtig, dass wir den Rentnern garantiert haben, dass die Renten nicht gekürzt werden. Das können wir uns leisten.

Dann können sie doch eigentlich sagen: Die Rente ist sicher”, oder?


Scholz: Nachdem einer meiner Vorgänger diesen Satz gesagt hatte, folgten 20 Jahre lang fünf Rentenreformen. Dass so getan wurde, als sei nichts los, obwohl erkennbar Handlungsbedarf bestand, hat viel Vertrauen zerstört. Den Satz kann keiner mehr verwenden.

Das Gespräch führten Frank Fligge, Christoph Bauer und Marc-André Podgornik

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Westfälischen Rundschau.