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11.09.2009

Grußwort von Olaf Scholz anlässlich des Iftar Essens von Zaman und Hamle e. V.

Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,

wir treffen uns heute am Jahrestag der Anschläge von New York.

Es gab nicht wenige, die damals den Kampf der Kulturen ausriefen. Unser Treffen ist der beste Anlass um festzustellen, dass es solch einen Kampf nicht gegeben hat und auch nicht geben darf.

Auf der großen Weltbühne hat sich genau wie hier heute Abend im Kleinen gezeigt, dass es darauf ankommt, Gemeinsames zu betonen und dass wir auf diesem Weg gegenseitigen Respekt und Verständnis finden können.

Eine solche Gemeinsamkeit ist übrigens auch die Tradition des Fastens und der Enthaltsamkeit. Sie verbindet alle Religionen und Kulturen.

Der gemeinsame Verzicht hilft, sich auf das Menschliche im Menschen zu besinnen und sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen egal in welchen Rollen man sonst im Alltag aufeinandertreffen mag.

Fasten übt unsere Selbstbeherrschung. Es ist die essenzielle Erfahrung, dass wir den Körper und damit unser Handeln durch den Geist lenken können. Es macht so bewusst, dass wir für unser Tun Verantwortung tragen.

Das macht uns letztlich als Menschen aus und verbindet uns.

Das Fastenbrechen ist deshalb eine Zeit der Gemeinsamkeit.

Und genau als solch eine Zeit der Gemeinsamkeit wird es heute schon zum fünften Mal hier in Hamburg von Hamle dem Verein Hamburger Kaufleute in Kooperation mit Zaman gelebt.

Es macht mich froh zu sehen, wie Sie hier in Altona mit gelassener Selbstverständlichkeit Ihre Traditionen pflegen und diesen Moment gleichzeitig nutzen, um Integration lebendig zu machen.

Der Islam ist längst Teil der deutschen Kultur geworden.

Nur so kann Integration funktionieren: Indem jeder seine eigene Identität bewahrt und dabei immer im Blick hat, den anderen daran teilhaben zu lassen. Indem wir uns unsere Traditionen und kulturellen Verhaltensmuster gegenseitig erklären und dabei immer auch zu verstehen suchen.

Dass ich heute wieder wie im letzten Jahr hier in der christlich geweihten St. Johanniskirche stehen und mit Ihnen sprechen kann, ist ein starkes Symbol für den Willen zur Gemeinsamkeit.

Es ist auch ein Zeichen der Toleranz und Offenheit Altonas und Hamburgs. Hier ist längst in den allermeisten Köpfen angekommen, dass Bürgerinnen und Bürger mit türkischem und anderem Migrationshintergrund ein unverzichtbarer Teil der deutschen Gesellschaft sind.
Schon heute haben in Deutschland rund ein Drittel der jungen Leute unter 25 einen Migrationshintergrund in einigen Städten und Regionen stellen sie sogar bis zur Hälfte ihrer Altersgruppe.

Bei aller Freude und das möchte ich nicht verhehlen auch einem Quäntchen Stolz, dass wir uns heute hier in meiner Nachbarschaft treffen: Bei diesen Zahlen wird auch klar, dass davon allein noch längst nicht alles gut wird.

Der Wille zur Integration und zum Betonen des Gemeinsamen ist unerlässlich.

Er muss aber auf fruchtbaren Boden treffen, um zum Ziel zu führen. Die einfache Botschaft ist: Wir müssen Chancen organisieren!

Die Analyse langweilt schon fast: Migranten sind heute noch viel zu oft die Verlierer auf dem Bildungsweg. Sie verlassen die Schule doppelt so häufig ohne Abschluss wie ihre Altersgenossen und auch wenn sie diese Hürde meistern, brauchen sie viel länger, um anschließend einen Ausbildungsplatz zu finden.

Alle Studien und Untersuchungen sagen uns auch ganz klar: Das liegt natürlich nicht an fehlendem Willen das liegt daran, dass jungen Leuten Chancen verweigert und Bildungswege verbaut werden.

Das dürfen wir nicht zulassen!

Zum einen weil es eine soziale und eine Bürgerrechtsfrage ist. Bildung ist Menschenrecht.

Ein sozialer Rechtsstaat, der seinen Namen verdient, muss dafür sorgen, dass jeder, der sich Mühe gibt, die Chance hat, sein Leben zu verbessern.

Zum anderen dürfen wir es aber auch nicht zulassen, weil wir es uns schlicht nicht leisten können! Wir brauchen alle diese Talente und Fähigkeiten und wir müssen sie ausbilden, wenn wir eine gute Zukunft in unserem Land wollen.

Der jetzt schon in einigen Branchen spürbare Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Viele Unternehmen werden sich dann um die gut ausgebildeten Berufsanfänger balgen müssen.

Gleichzeitig wird aber auch die Anzahl niedrig qualifizierter Jobs unweigerlich weiter abnehmen.

Ich erinnere mich noch an Zeiten, als hier in Hamburg morgens im Radio verkündet wurde, dass noch Arbeiter im Hafen gesucht werden. Das gibt es schon lange nicht mehr.

Die jungen Leute müssen heute sehr viel besser sein als ihre Mütter und Väter, um einen ordentlichen Job zu bekommen.

Das Ziel muss deshalb sein, dass jeder mit Anfang zwanzig mindestens eine Berufsausbildung im Tornister hat, um erfolgreich durchs Berufsleben zu gehen.

Uns alle, und übrigens gerade auch die vielen erfolgreichen mittelständischen Unternehmer in Hamburg und anderswo, trifft dabei eine große Verantwortung: Sie sind die Vorbilder, die zeigen, dass es klappen kann.

Wer nicht vorgelebt bekommt, dass es die Möglichkeit gibt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, der wird auch selbst nicht daran glauben können.

Helfen Sie mit, den jungen Menschen eine Perspektive zu geben und geben sie ihnen die Chance auf eine Ausbildung!

Wir dürfen auch die schlechteren Schülerinnen und Schüler nicht einfach beiseite schieben. Nur weil man während der letzten Schuljahre nicht ganz so gute Noten eingefahren hat, heißt das noch lange nicht, dass man nichts kann.

Das wissen viele von uns doch aus eigener Erfahrung. Wie oft mussten wir von den Älteren hören: Aus Dir wird nichts mehr, Junge!, weil wir mit 15 oder 16 noch andere Dinge im Kopf hatten, als Englischvokabeln zu pauken. Und? Aus uns ist dann ja doch noch ganz ordentlich was geworden.

 
Meine Damen und Herren,

wir unterstützen dieses Engagement von Ausbildungsbetrieben nach Kräften.

Zum Beispiel mit dem Ausbildungsbonus für Betriebe, die jungen Leuten eine Chance geben, die schon länger nach einer Stelle suchen. Jetzt in der Krise können davon auch Betriebe profitieren, die Auszubildenden aus insolventen Betrieben die Möglichkeit geben, ihre Lehre zu beenden.


Wir helfen außerdem, wo es nötig wird, mit Hilfen während der laufenden Ausbildungen: Jugendlichen mit besonderen Schwierigkeiten wird so geholfen, noch vorhandene Sprach- und andere Bildungslücken auszugleichen.

Nutzen Sie diese Möglichkeiten! Informieren Sie sich bei den Arbeitsagenturen und fordern Sie Ihre Rechte ein!


Meine Damen und Herren,

Nachsorge ist gut. Besser ist es aber natürlich, schon viel früher anzusetzen.

Deswegen brauchen wir z. B. dringend eine Sprachförderung, die schon vor der Schule einsetzt. Wir brauchen flächendeckende Betreuungsmöglichkeiten für die ganz Kleinen genauso wie während der Schulzeit. Und zwar solche, die nicht nur verwahren, sondern die Kinder individuell fördern. Und solche, deren Besuch nicht vom Geldbeutel abhängt, sondern die ohne Gebühren für jeden selbstverständlich zugänglich sind.

Einer der größten Stolpersteine auf dem Weg in den Beruf ist heute der Übergang von der Schule in die weitere Ausbildung. Wir haben deswegen an eintausend Schulen bundesweit ein Modellprogramm gestartet, in dem Berufseinstiegsbegleiter Jugendlichen mit besonderen Schwierigkeiten zur Seite stehen. Und die ihnen Perspektiven und Möglichkeiten aufzeigen, damit sie die nächsten Schritte selbst- und zielsicher gehen können.

Und auch wenn jemand doch nicht gleich alles mitbringt, um als Azubi in seinem Wunschberuf anzufangen, helfen wir mit betrieblichen Einstiegsqualifizierungen, um mögliche Schwachpunkte zu überwinden und schon mal Arbeitsluft zu schnuppern.

Gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund hat sich das als stabile Brücke in die Ausbildung erwiesen.

All diese Anstrengungen machen deutlich: Ich will eine Kultur der zweiten und wenn nötig auch dritten oder vierten Chance. Nur weil der erste Anlauf nicht geklappt hat, darf keinem ins Gesicht gesagt werden Pech gehabt! Wir brauchen Dich nicht.

Der Wille zur Bildung muss zu jedem Zeitpunkt mit konkreten Angeboten beantwortet werden.


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte am Ende noch zwei Punkte ansprechen, die mir aus unterschiedlichen Gründen besonders am Herzen liegen.

Den einen, weil uns da viel gelungen ist, aber es kaum einer gemerkt hat. Da geht es um ein kluges und im besten Sinne des Wortes liberales Einwanderungsrecht.

Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland einen der offensten Arbeitsmärkte der Welt geschaffen. Wer an einer deutschen Auslandsschule gelernt oder an einer deutschen Uni studiert hat, der kann praktisch ohne Einschränkungen auch bei uns arbeiten.

Das gleiche gilt für besonders qualifizierte Arbeitnehmer ab einem bestimmten Jahreseinkommen, das wir zum Jahresbeginn übrigens deutlich gesenkt haben.

Und auch alle anderen Akademiker können zu uns kommen, unter der einzigen Voraussetzung, dass für ihre konkrete Stelle kein geeigneter Bewerber aus dem Inland zur Verfügung steht.

Und da kann dann natürlich auch immer die unmittelbare Familie mitkommen.

Beim zweiten Punkt geht es eigentlich um einen handfesten Skandal, wo noch viel zu tun bleibt was aber wiederum auch viel zu wenige wahrnehmen.

Denn wenn wir die Entscheidungen für einen offenen Arbeitsmarkt wirklich ernst nehmen und wenn wir kulturelle Vielfalt als die Chance nutzen wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die mitgebrachten Abschlüsse bei uns ihren Wert behalten.

Von den Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind rund 2,8 Millionen mit einem fertigen Berufsabschluss zu uns gekommen.

Sie wissen es nur zu gut: Heute ist es dennoch viel zu oft der Fall, dass eine türkische Ärztin in Deutschland im Einzelhandel oder ein russischer Ingenieur als Taxifahrer arbeiten muss.

Das ist frustrierend für die Betroffenen und eine Verschwendung von Potenzial, über die man sich kaum nachzudenken traut.

Die vorhandenen Anerkennungsverfahren sind wenn sie überhaupt vorhanden sind kompliziert und uneinheitlich. Die zuständigen Stellen gehen in die Hunderte und selbst wenn die Anerkennung z. B. in Hamburg gelingt, heißt das noch lange nicht, dass man damit auch in Bayern weiterkommt.

Ich habe daher im Sommer Eckpunkte für ein umfassendes Anerkennungsgesetz vorgelegt.

Denn mit Vorschlägen zu kosmetischen Veränderungen mit denen sich andere in letzter Zeit um konkrete Lösungen drücken wollten kommen wir beim derzeitigen Stand der Dinge nicht weit.

Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren.

Nach dem vorgelegten Plan wird zukünftig für alle Abschlüsse ein Anerkennungsverfahren zur Verfügung stehen, egal auf welche Berufe sie vorbereiten. Und die Anerkennung wird nach bundeseinheitlichen Standards erfolgen und dann auch überall gleichermaßen gelten.

Ich will, dass wir jedem zusichern können: Wer seine Unterlagen vorlegt, weiß binnen weniger Monate, ob seine Qualifikation voll anerkannt wird. Im besten Fall hat man dann die Bestätigung in der Hand, dass die eigene Ausbildung genauso viel zählt wie die der deutschen Kollegen.

Wenn man merken sollte, es reicht doch nicht zur vollen Anerkennung, darf das erst recht nicht mit einem Schulterzucken quittiert werden.

Dann muss die bisherige Ausbildung zumindest zum Teil anerkannt werden können. Im Anschluss daran werden ein Kurs, ein Lehrgang oder eine andere Maßnahme angeboten, mit denen die noch fehlende Qualifizierung nachgeholt wird um dann am Ende auf diesem Weg den vollwertigen Abschluss zu bekommen.

Dahinter dürfen wir nicht zurückbleiben. Das ist das Mindeste, was wir für die Zuwanderer in unserem Land und ihre Hoffnungen tun können.


Sehr geehrte Damen und Herren,

gerade das Leben hier in Altona zeigt mir jeden Tag, dass wir viel für ein gutes Zusammenleben geschafft haben in den letzten Jahren. Die wichtige Erkenntnis, dass kulturelle Vielfalt ein unschätzbarer Gewinn für unser Land ist menschlich wie wirtschaftlich setzt sich mehr und mehr durch.

Ich möchte Hamle, Zaman und Ihnen allen hier danken, dass Sie mit gutem Beispiel vorangehen und auf diesem Weg Partner sind, auf die man sich verlassen kann.

Denn das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Aber die Grundsätze, die uns auf dem gemeinsamen Weg leiten sollten, sind, denke ich, klar geworden:

Wer sich anstrengt, der muss die Chance haben, sein Potenzial zu entwickeln und seine Situation zu verbessern.

Es gilt, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, auf die heute noch viel zu viele stoßen, wenn sie ihr Talent und ihre Fähigkeiten ausbauen und einbringen wollen.

Ich freue mich auf unser gemeinsames Iftaressen und auf spannende und lebhafte Gespräche.

Herzlichen Dank!