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24.03.2009

Bürokratieabbau im Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Eröffnungsrede anlässlich des Forums "Bürokratieabbau im Zuständigkeitsbereich des BMAS   Was ist notwendig, was kann vereinfacht werden?"

 

Sehr geehrter Herr Dr. Breuer,
sehr geehrter Herr Dr. Ludewig,
sehr geehrter Herr Dr. Rische,
sehr geehrter Herr Weise,
verehrte Damen und Herren,

Bürokratie ist ein Wort, das bei jedem emotionale Reaktionen hervorruft. Bürokratie ist klar und eindeutig negativ besetzt. Es ist nur selbstverständlich, dass es geradezu zu einem Kampfbegriff geworden ist. Bürokratie ist grau, riecht nach Aktenstaub, hat den Geschmack von Willkür und fühlt sich kalt und leblos an ist düster wie Kafka.

Das nährt sich gewiss ein Stück aus Erfahrung viel mehr aber ist es ein Zerrbild aus Erzählungen: Bürokratie ist wie die böse Königin im Märchen. Von daher ruft jeder mit Verve: Bürokratieabbau tut Not!

Ich neige nicht zu solch eindeutigen Zuschreibungen. Diese pejorative Verve schießt vielleicht sogar über das Ziel hinaus. Denn: Wir leben nicht in einer Bürokratie, wir leben in einer parlamentarischen Demokratie. Ich will jetzt nicht in eine Debatte über den Bürokratiebegriff einsteigen, die dann vielleicht zwischen Max Weber und Niklas Luhmann oszilliert.

Ich will von Verwaltung sprechen: Eine Verwaltung, die nach demokratisch gesetzten Regeln handelt, macht die Umsetzung und Ausführung dieser Regeln nachvollziehbar, nachprüfbar und vergleichbar. Sie ist eben nicht willkürlich, sondern muss gefällte Entscheidungen begründen, rechtfertigen und im Zweifel auch vor Gericht verantworten können. Sie handelt in einem demokratisch gesetzten Rahmen mit festgesetzten Spielräumen eben als Exekutive: Ihre Zwecke und Mittel sind keine eigenen, sondern werden durch demokratische Aushandlungen bestimmt und kontrolliert.

Diese Bürokratie ist wenn man so will, als rationale Form legaler Herrschaft (Max Weber) Dienstleister in einer demokratischen Gesellschaft. Kontrolle der Einhaltung von Regeln etwa im Umwelt- oder Arbeitsrecht ist nicht bürokratische Fessel, sondern sichert gegen Eingriffe in die Freiheit und die Rechte anderer oder die Lebensgrundlage aller. Das garantiert den Bürgerinnen und Bürgern ihre Freiheit. Es sichert gleiche Rechte und Pflichten, also Gerechtigkeit. Es ist die Bedingung für Rechtsstaatlichkeit.

Es sollte im Eifer des Abbaus nicht vergessen werden, dass Bürokratie, dass Verwaltung nicht etwas grundsätzlich Schlechtes und Schädliches ist. Aber natürlich gibt es gute und schlechte Bürokratie. Es geht wie so oft um Mitte und Maß: So viel Staat, wie nötig. Daher fragt auch das Doppelmotto unseres Forums: Was ist notwendig und was kann einfacher werden?

Sehr geehrte Damen und Herren,

jetzt mögen vielleicht manche den Eindruck bekommen haben, das, was ich bisher gesagt habe, solle als Entschuldigung dafür dienen, dass im Bereich meines Ministeriums so wenig erreicht worden wäre. Im Gegenteil!

Es gibt Bereiche, in denen können wir Vereinfachungen erreichen, in denen können Aufwand und Kosten, die durch Verwaltung entstehen, deutlich vermindert werden. Das haben wir getan. In vielen Bereichen ist der Staat durch zahlreiche Maßnahmen der vorigen Bundesregierung schon sichtbar schlanker geworden. Auch diese Koalition hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt.

Und wir haben mit dieser Regierung durch Berechnung nach dem Standardkostenmodell besonders deutlich sichtbare Fortschritte gemacht. Der aktuelle Bericht der Bundesregierung zum Bürokratieabbau weist eine Entlastung für die Wirtschaft um Bürokratiekosten im Umfang von 7 Milliarden Euro aus. Etwa 2 Milliarden sind mit Maßnahmen in meinem Ministerium erreicht worden.

Das ist alles andere als ein Alibi-Beitrag. Fast 30 Prozent des Bürokratieabbaus der ganzen Bundesregierung findet bei uns statt: ein stolzer Wert! Auch das ist ein spürbarer Konjunkturimpuls in dieser schwierigen Zeit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

gerade eine Krise, wie wir sie derzeit erleben, macht zugleich Notwendigkeit und Grenzen von Bürokratieabbau klar. Wenn die wirtschaftliche Lage schwierig wird, ist jede Entlastung von Aufwand und Kosten ein wichtiger Impuls. Zugleich wenden sich in Zeiten der Unsicherheit viele Bürgerinnen und Bürger an den Staat, um Halt im Wandel zu finden.

Manchmal kommt aber auch scheinbar paradox beides zusammen: Durch eine Vereinfachung der Regeln für die Kurzarbeit sind wir als Staat in die Lage gekommen, schneller und stärker helfen zu können.

Eines ist denke ich in den letzten Monaten deutlich geworden: Wenn nun selbst Manager und Investmentbanker nach dem Staat rufen, dann ist wohl auch dem Letzten klar, dass die Zeiten des Mager-Staates vorbei sind. Ein Staat, von dem nur noch ein mageres Gerippe geblieben ist, hat nicht die Kraft, Halt zu geben oder wirksam Regeln zu setzen und durchzusetzen.

Das gelingt ihm nur, wenn er sich nicht aus den Geschehnissen heraushält, sondern wenn er selbstbewusst sein Mandat annimmt und dem Markt einen politischen und sozialen Rahmen gibt. Also, wenn wir Politik machen, wo Politik gefordert ist, und wenn wir den Staat so aufstellen, dass er als Instrument seiner Bürgerinnen und Bürger funktionieren kann. Wir müssen uns nicht davor scheuen, den Staat in diesen Fragen stark zu machen.

Wir brauchen keinen fetten oder aufgeblähten Staat, wohl aber einen, der handlungsfähig ist und der in der Lage ist, die Erwartungen seiner Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich Sicherheit und Unterstützung auch zu erfüllen.

Wir lassen niemanden am Wegesrand liegen. Wir helfen jedem, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Das muss die Grundphilosophie eines modernen Staates sein.

Das grundlegende Vertrauen in die Leistungsfähigkeit öffentlicher Institutionen ist gerade in der aktuellen Situation besonders wichtig. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass beherztes Handeln des Staates notwendig ist, um die Krise zu bewältigen.

Solches Vertrauen ist aber auch dauerhaft von großer Bedeutung nicht nur für den Staat selbst, sondern ebenso für die Sozialversicherungen. Unser Sozialstaat organisiert etwa mit der Rentenversicherung die Solidarität zwischen den Generationen. Millionen Bürgerinnen und Bürger haben fast ihr ganzes Leben damit zu tun, erst als Beitragszahler, später als Rentnerinnen und Rentner. Und jeder dieser vielen Millionen Versicherten will gerecht und gut behandelt sein, denn es geht um Entscheidungen, die für sein Leben eine große Rolle spielen.

Das geht nicht ohne Verwaltung und ohne geordnete Verfahren. Bürokratie sichert hier nicht nur das Funktionieren des Systems, sondern auch für jeden Einzelnen die Berücksichtigung besonderer persönlicher Umstände und Rechte.

Sehr geehrte Damen und Herren,

einer Deregulierung ohne Schranken steht die Verfassungsordnung als sozialer Rechtsstaat entgegen. Eine dauernde Überprüfung und Verbesserung der Strukturen, eine Modernisierung von Abläufen, auch tiefgreifende Veränderungen, wo Überkommenes überholt ist, ist genauso deutlich ein bleibender Auftrag. Flexibilität in den bekannten und tragfähigen Strukturen, eine stärkere Orientierung auf Vorsorge und Aktivierung bei bleibender Sicherheit darin sehe ich den Weg, auf dem wir diesem Auftrag nachkommen.

Das führt in manchen Bereichen zu weniger Bürokratie, es führt in anderen Bereichen zu einer neuen Ausrichtung: Etwa wenn wir bei der Arbeitsvermittlung umsteuern und den Schwerpunkt von der Antragsprüfung hin zu besserer Vermittlung verschieben.

Das Ziel ist klar. Der Weg ist dennoch nicht eindeutig vorgezeichnet. Dass wir das Ziel bei jedem Schritt im Auge haben, uns bei der Kartierung des Geländes zu unterstützen, das ist die Aufgabe und die Leistung des Normenkontrollrats. Dass es ihn gibt, ist das sichtbare Zeichen dafür, dass wir den Bürokratieabbau fest im Verfahren der Gesetzgebung verankert haben. Seit 2007 wird jedes neue Gesetz, aber auch schon bestehende, der Prüfung durch den Bürokratie-TÜV unterzogen.

Mit dem Nationalen Normenkontrollrat haben wir dazu ein unabhängiges Expertengremium eingesetzt, das Informationspflichten der Wirtschaft anhand des Standardkosten-Modells prüft. Seit Beginn dieses Jahres werden auch die Informationspflichten der Bürgerinnen und Bürger in vergleichbarer Weise durchgecheckt.

Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung brauchen das Mittun aller Ebenen, vom Bund angefangen bis zu den Kommunen. Und ich habe vorhin die Rente schon als Beispiel angeführt auch die Sozialversicherungsträger können einen wertvollen Beitrag leisten. Ich freue mich daher, dass sie sich am Programm der Bundesregierung beteiligen und uns bei unserem Vorhaben unterstützen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Ziel so hatte ich gesagt ist klar. Wir müssen den Weg beschreiben. Das will ich nicht vollkommen auf die folgenden Podiums- und Fachgespräche verschieben. Mit einigen konkreten Maßnahmen will ich ein paar Wegmarken aufzeigen, die mir wichtig sind.

Viel ist in den letzten Jahren von großen Herausforderungen durch revolutionäre, neue Informations- und Kommunikationstechnologie gesprochen worden. Viel weniger revolutionär, ja selbstverständlich hat die Informationstechnik Eingang in den Alltag gefunden. Und sie soll auch im Kontakt mit den Behörden ganz normal werden. Das ist ein großer Beitrag zur Vereinfachung von Verwaltungsverfahren.

Ich war vor Kurzem auf einem Schausteller-Kongress. Da gab es eine große Aufregung wegen der von uns vorgeschriebenen Sofortmeldung direkt bei der Einstellung einer Aushilfe. Ich bin überzeugt, dass das ein wirksames und unverzichtbares Instrument bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit ist. Und der Aufwand dafür ist nicht groß. Ich habe den Schaustellern darum versprochen: Auf dem Hamburger Dom zeige ich euch vor Ort, wie einfach und wie schnell das geht.

Durch die Umstellung auf elektronische Verfahren konnte die Belastung für die Wirtschaft aus Informationspflichten um rund 70 Prozent verringert werden allein im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wir haben uns bemüht, dieses Potenzial voll auszuschöpfen. Ob etwa auf untergesetzlicher Ebene noch weitere Vereinfachungen möglich sind, wird sicher heute noch Gegenstand der Diskussion sein.

Aber es braucht nicht immer    technische Lösungen. Manchmal können kleine Änderungen eine große Wirkung entfalten auch wenn diese vielleicht nicht mit einem Kostenmodell messbar ist. Ein schönes Beispiel sind die neugefassten Anträge auf Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II. An der Erhebung der inhaltlich notwendigen Daten hat sich nichts geändert. Aber verständlicher formuliert und kundenfreundlicher gestaltet sind sie nun einfacher auszufüllen und senken den Aufwand für die antragstellenden Bürgerinnen und Bürger spürbar ab.

Die Untersuchung des Statistischen Bundesamtes dazu zeigt deutlich, dass Bürgerinnen und Bürger an Bürokratieabbau mitunter andere Maßstäbe setzen als Unternehmen: Mit fast vier Stunden ist die zeitliche Belastung, die das Ausfüllen eines Antrags auf Arbeitslosengeld II braucht, erheblich. Doch zusätzlicher zeitlicher Aufwand durch Beratung und Hilfestellung bei der ARGE wird dennoch gern in Kauf genommen und geschätzt. Dass sich Zeit genommen wird, ist für die Bürgerinnen und Bürger ein Zeichen guter Verwaltung. Bei Berichtspflichten rechnen Unternehmen dagegen jede Minute in Euro und Cent auf.

Und noch etwas wird aus der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes deutlich: Wenn die Bürgerinnen und Bürger verstehen, was sie ausfüllen sollen, verstehen sie auch besser, wozu sie es ausfüllen. Die Kritik an Umfang und den abgefragten Daten war erstaunlich gering.

Die beiden genannten Beispiele verbinden sich in einem Projekt, das zwar heute nicht auf der Themenliste steht, das mir aber persönlich sehr wichtig ist. In Kürze wird mein Ministerium ein Online-Portal für Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen starten.  Bis 2012 soll das Angebot so ausgebaut sein, dass behinderte Bürgerinnen und Bürger von zuhause aus unbürokratisch alle Leistungen beantragen und die Bescheide der Träger empfangen können.

Zugang zu erleichtern und Hürden abzusenken, ist der bürgerrechtliche Blickwinkel beim Bürokratieabbau. Bürgerinnen und Bürger sollen ihre Rechte deutlich und engagiert wahrnehmen. Mein Bild von einem guten Staat ist nicht, dass der alles besser weiß und besser macht. Er muss Menschen befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu bewältigen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie die böse Königin, auch wenn man sie nicht mag, halt zum Märchen gehört, so haben sich viele Bürgerinnen und Bürger mit Umwegen und Irrwegen in der Bürokratie abgefunden. Sprichworte sind so ein Indiz dafür etwa: Wer Butter vom Amt will, muss Milch auf den Dienstweg schicken.

Verwaltung, Bürokratie sollte nicht fesseln und nicht buttern. Das Letztere können Molkereien ohnehin besser. Gute Verwaltung sollte Freiheiten sichern, Wachstum und Arbeit fördern, Solidarität organisieren. Das ist notwendig. Aber damit haben wir auch genug zu tun.

Und gute Verwaltung muss sich immer selbst hinterfragen: Was geht einfacher, was ist nicht mehr nötig, was kann besser werden? Das ist ein Lernprozess, der in den letzten Jahren schon gute Erfolge hervorgebracht hat. Die heutige Veranstaltung ist Teil dieses Prozesses, darum wünsche ich den Diskussionen heute pädagogischen Erfolg!