Herr Bundeskanzler, die Union hat ihre Forderungen für eine deutliche Verschärfung der Zuwanderungspolitik vorgelegt. Wo sind Sie gesprächsbereit, wo auf gar keinen Fall?
Zunächst einmal: Als Bundeskanzler habe ich Kontrollen an allen Landesgrenzen angeordnet. Mit dem Erfolg, dass die irreguläre Migration erheblich zurückgegangen ist. Damit gehen wir gleichwohl an die Grenzen dessen, was unsere Verfassung und die Europäischen Verträge erlauben. Das Grundgesetz muss immer der Maßstab allen Handelns sein. In Artikel 16 des Grundgesetzes steht das Grundrecht auf Asyl. CDU/CSU schlagen die faktische Abschaffung dieses Prinzips vor. Das ist verfassungswidrig und lässt sich auch nicht einfach per Dekret verfügen. Wo soll das enden, wenn Polizistinnen und Polizisten eine Anweisung erhielten, die nicht mit Recht und Gesetz vereinbar ist? Der Europäer Helmut Kohl hätte sicher auch nie die Nichtbeachtung europäischen Rechts gutgeheißen. Wenn europäische Regeln nicht funktionieren, muss man sie ändern. Deshalb haben wir ein neues gemeinsames europäisches Asylsystem durchgesetzt: Damit Verfahren schon an den Außengrenzen der EU stattfinden. Außerdem gilt damit, wenn wir Personen in ein anderes europäisches Land zurückschicken, weil sie dort ihr Verfahren weiterbetreiben müssen, dass künftig nicht erst eine Zustimmung aus diesen Ländern erfragt werden muss.
Auch an den deutschen Außengrenzen gibt es Grenzkontrollen. Gerade hier in einer grenzübergreifend vernetzten Region führt dies immer wieder zu Beschwerden.
Den Unmut kann ich aus saarländischer Sicht gut verstehen. Leider muss das sein.
Die Stimmung in der Automobil- und Stahlindustrie im Saarland ist schlecht. Sehen Sie sich und die Bundesregierung in einer Mitverantwortung dafür?
Wir müssen alles tun, um Industriearbeitsplätze in Deutschland zu sichern und zukunftsfähig zu machen. Deshalb fördern wir die Modernisierung der Stahlindustrie mit Milliardensummen. Für die Zukunft bauen wir ein Wasserstoff-Netz auf, damit klimaneutrales Gas verfügbar wird. Ich plädiere dafür, pragmatisch zu handeln: Bei der Frage, wann der Wechsel von natürlichem Gas zu Wasserstoff stattfindet genauso wie bei der Frage, dass wir, solange nicht ausreichend bezahlbarer grüner Wasserstoff verfügbar ist, auch blauen oder roten Wasserstoff nutzen können müssen. Wichtig ist auch eine gemeinsame europäische Strategie, um unsere Stahlindustrie vor Billig-Importen zu schützen. Dafür setze ich mich in Brüssel bereits ein. Damit unsere Energie bezahlbar bleibt, habe ich eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, insbesondere die Deckelung der Preise für die Strom-Autobahnen, sodass z.B. günstiger Offshore-Windstrom auch im Saarland angekommen noch günstig ist.
Sie wären also bereit, in der Stahlindustrie übergangsweise Wasserstoff zu nutzen, der mit Erdgas oder französischer Atomenergie hergestellt wird?
Klare Antwort: Ja. Wir müssen den Übergang pragmatisch gestalten. Es ist nicht entscheidend, ob von Tag eins an grüner Wasserstoff genutzt wird. Für diesen Pragmatismus werbe ich in Brüssel und in Deutschland.
Dann hatte Ihr Herausforderer Friedrich Merz mit seiner Problembeschreibung beim grünen Stahl also doch Recht…
Nein, denn er schließt ja daraus, man solle das lassen mit der Modernisierung der Stahlindustrie. Es gibt Politiker, die sich im Probleme beschreiben gefallen und begehen dann den schlimmsten Fehler für die Zukunft unsers Landes: Die Hände in den Schoß zu legen und alles so zu lassen, wie es ist. Jeder Stahlarbeiter weiß ganz genau, wenn wir die Stahlproduktion nicht klimaneutral umbauen, sind die Arbeitsplätze hier auf Dauer gefährdet. Die Stahlkunden, die Automobilindustrie zum Beispiel, werden bald sehr klare Bedingungen an die Qualität des Stahls stellen und verlangen, dass er klimaneutral hergestellt ist. Wer das dann nicht erfüllen kann, kriegt dann Probleme.
Sie haben einen Gesetzentwurf für eine Altschuldenlösung der Kommunen angekündigt, die Opposition spricht von Wahlkampfmanöver. Warum soll das, was drei Jahre lang nicht funktioniert hat, nun gut drei Wochen vor der Wahl klappen?
Den Vorschlag verfolge ich schon lange. Und ich habe den neuen Finanzminister aufgefordert, den Vorschlag in ein Gesetz zu fassen. Wichtig ist doch, dass die am höchsten verschuldeten Städte und Gemeinden wieder Luft zum Atmen erhalten. Bund und Land könnten die Schulden übernehmen, die Kommunen hätten wieder Kraft zum Investieren.
Eine der stärksten Stimmen für eine Reform der Schuldenbremse ist die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Eckpunkte?
Unsere Volkswirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die erhebliche Investitionen nötig machen, damit wir konkurrenzfähig bleiben. Deshalb sollten wir das tun, was viele Fachleute seit längerem raten: Die Schuldenbremse so reformieren, dass mehr investiert werden kann. Die Spielräume dafür sind vorhanden. Wenn ich mich mit den Staats- und Regierungschefs der wirtschaftsstarken Demokratien treffe, der G7, haben die alle eine Verschuldung von mehr als 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Deutschlands Verschuldung liegt knapp oberhalb von 60 Prozent, Tendenz fallend. Insofern ist eine Reform sinnvoll, um mehr investieren zu können. Letztlich geht es doch um die Frage, wie wir die nötigen Finanzmittel für unsere Sicherheit und für die Ukraine aufbringen, ohne dabei unsere Infrastruktur zu vernachlässigen, den sozialen Zusammenhalt zu gefährden, sowie Pflege, Gesundheitsversorgung und stabile Renten aufs Spiel zu setzen. Ich bin gegen ein Entweder-Oder. Ich sage: Beides muss gehen.
Eine Frage nicht an den Kanzler, sondern an das SPD-Mitglied Olaf Scholz: Wäre Anke Rehlinger eine gute SPD-Bundesvorsitzende?
Anke Rehlinger ist eine sehr gute Freundin und eine großartige Sozialdemokratin. Bei der letzten Landtagswahl im Saarland hat sie die absolute Mehrheit gewonnen, das ist nur sehr wenigen Politikerinnen und Politikern vergönnt. Als SPD-Vize spielt sie eine ganz zentrale Rolle in der Führung der Partei und unterstützt die Parteivorsitzenden. Wir geben zusammen alles, dass die SPD die Bundestagswahl gewinnt.