Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ist ihre SPD abgestürzt. Wie erklären Sie sich, dass ihre Partei bei vielen Ostdeutschen in Ungnade gefallen ist?
Die SPD stellt die Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern und den Ministerpräsidenten in Brandenburg und sie ist in allen ostdeutschen Ländern in der Regierung vertreten. Ihre These trägt also nicht ganz. Richtig ist: Die SPD gestaltet auch im Osten mit. Klar ist aber, dass wir uns natürlich dort, wo die Ergebnisse gerade mau sind, deutlich mehr Zustimmung wünschen – und daran arbeiten wir jetzt alle.
Die Deutschen plagen unter anderem viele Sorgen um unsere Wirtschaft. Wie beurteilen Sie die Lage und was muss Ihrer Meinung nach geschehen?
Vielleicht hilft ein Drauf-Blick auf die Lage: Deutschland ist eine der exportstärksten Nationen der Welt. Wir sind nur 84 Millionen von insgesamt acht Milliarden Menschen auf der Welt. Und trotzdem sind wir die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde. Das ist schon eine besondere Leistung. Dahinter steckt die Leistung jedes und jeder Einzelnen. Zur aktuellen Lage: Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Schwächephase, wegen der Folgen der Pandemie und des russischen Überfalls auf die Ukraine. Diese Folgen bekommen wir als Exportweltmeister gerade ganz besonders zu spüren. Gleichzeitig modernisieren wir unsere Industrie, auch um bald ohne fossile Energie auszukommen. Es ist daher wichtig, dass in Deutschland mehr in moderne Maschinen und Technologien investiert wird. Deshalb schlage ich einen Made-in-Germany-Bonus vor: eine Steuerprämie für Unternehmen, die in Deutschland investieren. Die Prämie ist zielgerichtet, wirksam und wird das Wachstum ankurbeln. Zugleich wollen wir weiter Bürokratie abbauen, damit Dinge schneller gehen – denn auch das hemmt unser Wachstum.
Auch die Energiewende stottert. E-Autos sind aktuell Ladenhüter. Selbst wenn eine breite Mehrheit den Umstieg von Fossil auf Erneuerbar weiterhin gut findet, hadern doch viele mit den hohen Energiepreisen, die das mit sich brachte ...
Kurz vorweg: Der Klimawandel ist ein Fakt. Deshalb müssen wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Meine Regierung hat endlich Schwung in den Ausbau von Windkraft und Sonnenenergie gebracht. Anders als vor drei Jahren können wir heute sagen: Wir werden es schaffen, dass 80 Prozent unseres Stroms im Jahr 2030 aus erneuerbaren Quellen stammt. Neben den eigentlichen Anlagen muss dafür auch das Übertragungsnetz stehen, damit die Energie, die vor allem im Norden und Osten erzeugt wird, überall dorthin kommt, wo sie gebraucht wird. Auch hier haben wir Tempo beim Ausbau gemacht. Und ich will die Entgelte dieses Netzes halbieren, auf 3 Cent die Kilowattstunde.
Und jetzt zu den E-Autos: Ja, der Umstieg fällt manchem nicht leicht, der am Verbrenner hängt. Als Staat haben wir die Rahmenbedingungen aber deutlich verbessert: Mehr und schnellere Ladesäulen werden gebaut, so dass niemand fürchten muss, sein Fahrzeug nicht schnell genug laden zu können. Letztlich entscheiden die Bürgerinnen und Bürger, welches Auto sie kaufen. Ein Auto ist für die allermeisten eine große Anschaffung, da sind viele verständlicherweise erstmal vorsichtig. Was mich positiv stimmt: Nach und nach kommen jetzt immer mehr Modelle auf den Markt, die nicht mehr ganz so teuer sind und Spaß machen. Und wenn der Nachbar ein schickes E-Auto hat, das man sich angucken kann, wird das auch andere überzeugen.
Die AfD behauptet, dass die Energiewende gar nicht nötig sei und unseren Wohlstand gefährde, und will sie komplett rückgängig machen. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel sagt sogar, sie wolle alle schon vorhandenen Windkraftwerke „niederreißen“. Was halten Sie davon?
Das ist Unsinn. Das Gegenteil ist richtig: Unser Wohlstand wäre ohne Energiewende massiv gefährdet. Bald werden zehn Milliarden Menschen auf der Welt leben. Sie allen wollen einen gewissen Lebensstandard haben. Sie wollen arbeiten, Auto fahren, ein Haus haben. Der Bedarf an Energie wird weiter steigen – und wenn man diese Energie aus Kohle, Gas und Öl erzeugen wollte, würden diese knappen Ressourcen immer teurer werden. Und auch der Klimawandel würde sich weiter beschleunigen mit all den negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt, mit Dürren, Überflutungen und Stürmen. Kurz: All das würde unserem Wohlstand massiv schaden. Deutschland ist ein führendes Industrieland und muss es bleiben. Deshalb müssen wir auch bei den erneuerbaren Energien technologisch an der Spitze bleiben.
Anderes Thema: BSW-Frontfrau Sarah Wagenknecht wirbt um Wähler, in dem sie einen Abzug der 37 000 in Deutschland stationierten US-Soldaten fordert. Was halten Sie von dieser Forderung?
Gar nichts. Die Welt um uns herum wird nicht gerade sicherer. Die Zusammenarbeit mit den USA ist wichtig. Das transatlantische Bündnis, die NATO, ist der Garant für unsere Sicherheit. Dafür müssen wir alle unseren Beitrag leisten. Deutschland gibt es jetzt zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. Innerhalb weniger Jahre haben wir die Ausgaben für unsere Verteidigung von 37 Milliarden Euro auf jetzt fast 80 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Das ist leider nötig in diesen Zeiten.
Der Krieg im Osten macht allen Deutschen Angst. Wie könnte man es schaffen, dass dort bald die Waffen schweigen?
Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, ist eine Zeitenwende. Mit dem Krieg hat Putin eine Verständigung aufgekündigt, die Willy Brandt und Helmut Schmidt in den siebziger Jahren erkämpft haben: Dass Grenzen in Europa nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen! Russland führt einen klassisch imperialistischen Feldzug, dem schon Hunderttausende zum Opfer gefallen sind. Deutschland ist der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa, und das werden wir bleiben. Gleichzeitig habe ich immer besonnen gehandelt und alles vermieden, was zu einer unkalkulierbaren Eskalation dieses Krieges hätte führen können. Jetzt muss es darum gehen, die Möglichkeit für Frieden für die Ukraine auszuloten: Einen gerechten Frieden, der sicherstellt, dass die Ukraine als souveräner Staat erhalten bleibt mit einem starken Militär und der Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Wichtig ist, dass nichts über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden wird. Genauso wichtig ist, dass das Töten dort endlich aufhört. Wir müssen alle Möglichkeiten ausloten. Deshalb habe ich auch sehr bewusst vor kurzem wieder mit dem russischen Präsidenten telefoniert und ihn aufgefordert, diesen unsinnigen Krieg abzubrechen.
Die Asyl-Misere regt ebenfalls fast alle Deutschen auf. Nur wenige trauen SPD, Grünen, FDP oder auch CDU/CSU eine Lösung zu. Mehr als 40 Prozent dagegen der AfD, die für eine drastische Einschränkung des Asylrechts eintritt und für eine „Remigration“ von Millionen von Ausländern. Wäre das die Lösung?
Ich bin gegen solche Sprücheklopfer und setze auf pragmatisches Handeln. Eine Lehre aus dem Nationalsozialismus ist: Deutschland bietet jenen Schutz, die politisch verfolgt werden. Deshalb steht das Asylrecht im Grundgesetz. Richtig ist gleichzeitig, dass wir die irreguläre Migration begrenzen müssen. Wer behauptet, er brauche Schutz, ihn aber gar nicht wirklich beanspruchen kann, muss in sein Heimatland zurückkehren. Und da wir haben konkret gehandelt: Die irreguläre Migration ist im abgelaufenen Jahr um 30 Prozent zurückgegangen. Und wir haben zugleich die Zahl der Rückführungen um 20 Prozent erhöht. Das ist ein guter Anfang, so wollen wir weitermachen. Was mir dabei aber auch wichtig ist: Deutschland braucht Zuwanderung, sonst riskieren wir unseren Wohlstand. In den nächsten Jahren gehen sechs Millionen Beschäftigte in Rente. Selbst wenn wir mit der Lupe in Deutschland suchen, werden wir hier nicht genügend Ersatz finden. Deshalb brauchen wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern. Da können wir uns aber aussuchen, wer zu uns kommen darf.
Wir feiern in diesem Jahr 35 Jahre Einheit. Auch wenn es viel zu feiern gibt, bleiben Wermutstropfen. Zum Beispiel, wie das auch ihr Ost-Beauftragter Carsten Schneider anprangert, dass immer noch viel zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen sind. Was tun?
Ich bin meinem Freund Carsten Schneider sehr dankbar, dass er hier immer wieder den Finger in die Wunde legt. Wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen, die Chancen von Frauen und Männern mit einer ostdeutschen Biografie zu verbessern – sei es im Staatsdienst oder in der privaten Wirtschaft.
Nach Jahren, in denen sich die Renten in Ost und West anglichen, geht es wieder auseinander. Im Osten kommen viele in Rente, die wegen Arbeitslosigkeit oder Niedriglohn in den Nachwendejahren nicht viel Rentenanspruch sammeln konnten. Sehen Sie Möglichkeiten, zu helfen?
Erst einmal bin ich sehr froh, dass wir es geschafft haben, dass die Rentenwerte in Ost und West jetzt gleich sind. Das war lange überfällig. Für jene, die trotz eines fleißigen Erwerbslebens eine zu niedrige Rente haben, gibt es die Grundrente. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich dafür sehr eingesetzt. Sie hilft gerade in den Fällen, in denen man viel gearbeitet, aber zu wenig verdient hat. Für die Zukunft muss es darum gehen, das Rentenniveau zu stabilisieren. Die bisherige Regelung, die die SPD durchgesetzt hatte, läuft nämlich am 30. Juni 2025 aus, also in knapp einem halben Jahr. Ich kämpfe dafür, die geltende Rentengarantie zu verlängern. Wichtig ist, dass allen bewusst wird: meine Mitbewerber stehen für ein Entweder-oder: Entweder die Ukraine unterstützen oder eine gute Gesundheitsversorgung und eine verlässliche Pflege. Entweder Investitionen in unsere Zukunft oder eine stabile Rente. Ich sage: Beides muss gehen.
In den drei Jahren an der Regierung sind sie in der Wählergunst deutlich abgestürzt. Wie ist denn ihre eigene Bilanz?
Es gab Licht und Schatten. Vor allem der viele Streit in der Koalition war nicht gut, da hätte ich vielleicht früher und lauter auch öffentlich auf den Tisch hauen müssen. Auf der Haben-Seite steht sicherlich, dass wir es geschafft haben, entschlossen auf den russischen Überfall auf die Ukraine zu reagieren, den Wegfall der Energielieferungen aus Russland rasch auszugleichen und die hohen Energiepreise abzumildern. Wir haben in Rekordzeit neue Gas-Terminals errichtet, neue Bezugsquellen erschlossen und mit viel Staatsgeld gegen die Krise angehalten. Auch das höhere Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren, die Anhebung des Mindestlohns und die Verbesserung der Rente bei Erwerbsminderung verbuche ich auf dem Positivkonto, hinzu kommt noch höheres Kindergeld und höherer Kinderzuschlag für erwerbstätige Eltern. Das ist doch nicht so schlecht.