Donald Trump ist zurück – als Präsident der Vereinigen Staaten. Haben Sie die Amtseinführung verfolgt?
Ich habe sie mir zusammen mit meinem Team angesehen. Mein Eindruck: Wir sollten kühlen Kopf bewahren und einem klaren Kurs folgen – das ist generell mein Anspruch und in den nächsten Jahren vielleicht noch mehr. Nicht jede Rede oder Pressekonferenz in Washington sollte uns in aufgeregte Debatten stürzen. Und gleichzeitig rate ich zu einem geraden Rücken - also kein falsches Anbiedern oder nach-dem-Mund-reden.
Was sind Ihre Erwartungen an den neuen US-Präsidenten?
Die transatlantischen Beziehungen sind für Deutschland und für Europa von größter Bedeutung. Wir dürfen nicht vergessen, wie wichtig die USA für den Aufbau der Demokratie in Westdeutschland waren. Und die NATO ist der Garant unserer Sicherheit. Deshalb brauchen wir stabile Beziehungen zu den USA. Seit seiner erneuten Wahl habe ich bereits zweimal mit Donald Trump telefoniert. Das waren sehr freundliche und gute Gespräche. Auch unsere Berater haben sich bereits mehrfach getroffen. Wir fangen mit der neuen Administration also nicht bei Null an.
Wird durch Trump Disruption zum Mittel der Politik?
Eher nicht. Und als Europäische Union können wir auch auf unsere eigene Stärke bauen. Als Gemeinschaft mit mehr als 400 Millionen Europäerinnen und Europäer haben wir ökonomisches Gewicht. Wir stehen als Europäer für die Regeln, auf die wir uns international schon lange miteinander verständigt haben. Eine Regel lautet: Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. Nach jüngsten Äußerungen aus den USA habe ich deutlich gemacht: Die gelten für alle.
Sie haben Trump in einem Statement recht energisch die Stirn geboten. Wird dieses Auftreten notwendig bleiben aus Ihrer Sicht? Macht das Europa nicht noch angreifbarer?
Die USA sind unser engster Verbündeter. Ein gutes transatlantisches Verhältnis wird immer Perspektive unserer Politik sein. Und wir können, wie bereits gesagt, selbstbewusst als Staaten der Europäischen Union agieren.
Zur Amtseinführung sind vor allem Rechtspopulisten aus Europa in die USA gereist. Wird Trump die EU spalten?
Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden darüber, wer regiert. Niemand sonst. Übrigens ist das beste Mittel gegen Populisten: Zuversicht und klare Kante. Wir beobachten ja gerade, dass die Unsicherheit über die Zukunft in den Gesellschaften des Westens wächst. Das hängt mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen zusammen. Von unsicheren Zeiten profitieren oft jene, die die Rückkehr in eine vermeintlich gute alte Zeit propagieren. Und die nach neuen Feindbildern suchen, im Inneren oder im Äußeren, die die Gesellschaft spalten. All das wäre ein fataler Irrweg. Wir müssen den Spaltern entgegentreten.
Die Rechtspopulisten sind auch in Deutschland erfolgreich. Im Sommer 2023 haben Sie gesagt, die AfD werde in absehbarer Zeit keine Rolle mehr spielen, jetzt liegt sie konstant vor der SPD in den Umfragen. Was tun gegen die AfD, gegen die Verführungen des Rechtspopulismus?
Diese Herausforderung gibt es nicht nur in Deutschland, auch in Finnland, Schweden, Norwegen, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Italien, Portugal und Frankreich sind extreme Rechte im Aufwind. Mal ganz abgesehen von Entwicklungen jenseits des Atlantiks. Viele sind verunsichert, welchen Platz sie in einer Welt haben werden, in der bald zehn Milliarden Menschen leben. Eine Welt, in der wir auch in Asien, Afrika und Südamerika einen wachsenden Wohlstand sehen werden. Wir müssen alles dafür tun, wirtschaftlich und technologisch weiter in der ersten Liga mitzuspielen. Das wird nicht mit Rezepten von vorgestern gelingen, sondern nur mit modernen Technologien.
Das ist eine positive Erzählung der Zukunft. Die AfD setzt eher auf ein negatives Narrativ. Wie begegnet man diesem im Alltag der Bürger?
Wir müssen für unseren Standpunkt werben. Es braucht das große und kleine Gespräch, jeden Tag.Mir gefallen die vielen Bürgergespräche überall in Deutschland – wie auch in diesen Wochen des Wahlkampfs wieder. Jeder, der eine Frage stellt, bekommt eine Antwort. Übrigens auch AfD-Anhänger.
Sie sehen sich also noch im Dialog mit AfD-Anhängern?
Ich antworte ihnen. Denn es geht darum, Stellung zu beziehen und zu erläutern. Ein Beispiel: Unser wirtschaftlicher Wohlstand wäre erheblich geringer, gäbe es nicht so viele Frauen und Männer aus anderen Ländern, die in Deutschland arbeiten. Fast ein Drittel der Bevölkerung hat Wurzeln in einem anderen Land. Ohne deren Fleiß wäre die deutsche Wirtschaft viel schwächer. Und so wird es auch in Zukunft sein. Es braucht also Zuwanderung. Gleichzeitig bin ich sehr klar: Wir müssen irreguläre Migration zurückdrängen. Da haben wir einiges erreicht in den vergangenen drei Jahren. Gegen viele Widerstände habe ich wichtige Regelungen durchgesetzt – mit Folgen: Die irreguläre Migration ist im vergangenen Jahr um 30 Prozent zurückgegangen, und die Rückführungen sind um ein Fünftel gestiegen. Können wir die Hände in den Schoß gelegen? Nein, aber der Anfang ist gemacht.
Sie haben Österreich erwähnt. Dort haben Parteien der politischen Mitte es nicht geschafft, sich zu einigen. Jetzt stehen die rechtskonservativen Populisten vor einem großen Erfolg. Trauen Sie Ihrem Konkurrenten Friedrich Merz zu, die Brandmauer der Union aufrechtzuerhalten?
Das will ich glauben. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Friedrich Merz ehrlich ist, wenn er sagt, dass er nicht mit der AfD zusammen regieren will. Gerade deshalb bedrückt mich die Entwicklung in Österreich so. Dort haben vor der Wahl ÖVP, Neos und SPÖ auch gesagt, sie würden nicht mit der Kickl-FPÖ regieren. Und nun deutet alles darauf hin, dass es bald eine von der FPÖ geführte Regierung.
Ein Wirtschaftsinstitut hat der SPD gerade attestiert, dass die Partei mit ihrem Wahlprogramm untere und mittlere Einkommen entlastet. Warum erst jetzt?
Nicht erst jetzt – wir setzen unseren Kurs konsequent fort. Ich habe schon als Finanzminister damit begonnen und als Kanzler fortgesetzt, dass wir stets einen Ausgleich der Inflation vornehmen. So haben wir seit 2021 erhebliche Steuersenkungen durchgesetzt, insbesondere für die Bezieher unterer und normaler Einkommen. Selbst nach dem Bruch der Koalition ist uns das nochmal gelungen – trotz anfänglicher Widerstände von Union und FDP.
Sie haben Christian Lindner dafür wieder ins Boot geholt.
Er ist dafür zurück ins Boot gekommen. Klar ist aber auch: Wir können die unteren und mittleren Einkommen noch darüber hinaus entlasten, wenn diejenigen, die am meisten verdienen, das oberste eine Prozent, einen Beitrag dazu leisten. Es geht also um Gerechtigkeit im Steuersystem. Und auch darüber stimmen die Bürgerinnen und Bürger am 23. Februar ab. Die SPD schlägt vor, dass das oberste Top-Prozent derer, die am meisten verdienen, für eine Entlastung von 95 Prozent der Steuerzahler einen Beitrag leistet. CDU und CSU schlagen dagegen milliardenschwere Steuersenkungen für eben die vor, die schon das Meiste verdienen. Und sie sagen nicht, woher das Geld kommen soll für all unsere Aufgaben. Darf ich es Ihnen verraten? Das geht zulasten aller anderen in Deutschland.
Sie setzen also darauf, dass die sehr Reichen SPD wählen, weil sie sich solidarisch mit den anderen verhalten wollen?
Schon ein Bundeskanzler zählt ja zu denjenigen, die mehr zahlen würden.
Sie werfen der Union vor, ihr Programm sei nicht gegenfinanziert. Es würden 100 Milliarden Euro fehlen. Aber konkrete Zahlen zu Ihren Vorschlägen fehlen auch noch. Wie hoch werden die Mehreinnahmen bei Bund und Ländern etwa aus der von Ihnen geforderten Vermögensteuer sein?
Wir habe sehr konkrete Vorschläge gemacht, wie wir die Investitionen in die Zukunft Deutschlands finanzieren, etwa mit einem Deutschlandfonds aus öffentlichen und privaten Mitteln. Und natürlich gehört dazu auch eine Reform der Schuldenbremse für Investitionen. Damit das ganz klar ist: Es geht nicht um deren Abschaffung, sondern um eine Reform. Aber wenn ich zu den G7-Treffen der wirtschaftsstarken Demokratien reise und mich mit Italien, Frankreich, Großbritannien, Kanada, den USA und Japan zusammensetze, gibt es kein Land, das weniger als 100 Prozent Staatsverschuldung hat. Deutschlands Schuldenstand sinkt gerade in Richtung der 60-Prozent-Marke im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Es gibt also Spielraum.
Worauf man hierzulande immer sehr stolz war.
Stimmt, zu Recht. Denn es gibt uns die Kraft, den Spielraum zu nutzen, um in Sicherheit, Infrastruktur und die Modernisierung unserer Wirtschaft zu investieren, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt dagegen ausspielen zu müssen. Kein Entweder-Oder!
Das Gegeneinander-Ausspielen ist ein gutes Stichwort. Im Europawahlkampf war die SPD sehr bemüht zu sagen: Wir spielen die Unterstützung für die Ukraine nicht gegen den sozialen Zusammenhalt aus. Jetzt sagt Ihr Generalsekretär im Streit um die drei Milliarden Euro für die Ukraine: „Wir können der Ukraine nichts geben, was wir unseren Rentnern oder den Kommunen wegnehmen müssten.“ Sie wiederum machen klar, dass Sie sich nur im Rahmen eines Überschreitungsbeschlusses bewegen, also bei einem Aufweichen der Schuldenbremse. Oder gibt es da von Ihrer Seite mittlerweile ein Entgegenkommen?
Meine Position ist klar: Wir können die Ukraine-Hilfe nur mit einem Überschreitensbeschluss aufstocken, alles andere wäre unseriös. Es geht nicht nur um die zusätzlichen drei Milliarden Euro im Haushalt – die Lücke beträgt jetzt schon mindestens 25 Milliarden Euro.
Erklären Sie das doch bitte.
Gern, denn genau diese Frage hat letztlich zum Bruch der Koalition geführt. Die Lücke im Haushalt 2025 beträgt wohl 25 Milliarden Euro, aktuell vielleicht sogar 26 Milliarden Euro. Knapp zehn Milliarden Euro werden, so lehrt es die Erfahrung, im Laufe des Haushaltsjahres nicht verausgabt, weil sich Projekte verzögern oder verschlagen. Bleibt ein „Handlungsbedarf“ von 15 bis 16 Milliarden Euro. Im November hatte ich vorgeschlagen, dass wir die Hilfen für die Ukraine gesondert finanzieren. Das wären 8,5 Milliarden Euro für die Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland sowie vier Milliarden Euro für Waffenlieferungen. Und ich habe vorgeschlagen, weitere drei Milliarden Euro für zusätzliche Waffenkäufe draufzuschlagen. Daraus ergab sich ein sogenannter Überschreitensbeschluss über 15,5 Milliarden Euro. Das ist wichtig! Damit es nicht zu Einsparungen zu Lasten von Städten und Gemeinden kommen musste oder zu Kürzungen bei der Rente. Die Regierung ist genau an dieser Frage zerbrochen – und die Lücke besteht fort bis heute. Die nächste Bundesregierung wird einen Haushalt 2025 beschließen müssen, der aufgeht. Deshalb wäre es grob fahrlässig, die bestehende Lücke weiter zu vergrößern, ohne zu sagen, woher das zusätzliche Geld kommen – oder zu wessen Lasten gespart werden soll.
Die Argumentation von Grünen, Union und FDP ist, dass es rund 10 Milliarden Euro gibt, die man am Ende im Haushalt nicht ausgibt.
Aber es bleibt dann, wie gesagt, schon jetzt noch die Lücke von etwa 15 Milliarden Euro. Deshalb gehört es zur Ehrlichkeit und Wahrheit dazu, dass wir den Bürgern und Bürgerinnen reinen Wein einschenken. Wo soll das Geld herkommen für die Unterstützung der Ukraine? Wo sollen 30 Milliarden Euro ab 2028 zusätzlich herkommen, wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr ausgegeben ist und wir weiterhin zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben müssen? Um diese Frage drücken sich meine Mitbewerber leider herum – und machen munter unseriöse Steuerversprechen. Wenn die Frage vor der Wahl nicht beantwortet wird, wird es nach der Wahl ein böses Erwachen geben.
Also Sie werden bei der Ukraine-Hilfen nicht weichen, das habe ich verstanden. Wenn jetzt Frau Baerbock und Herr Lindner vorlegen, wo genau sie sparen wollen, würden Sie dann noch mal reden?
Auf die Vorschläge bin ich gespannt.
Wo wir gerade beim Geld sind: Ihr Verteidigungsminister hat jetzt gesagt, dass man für die Verteidigung rund 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird aufbringen müssen. Hat er Recht?
Ich bin mit dem Verteidigungsminister völlig einig, dass die Prozentsätze nicht das Entscheidende sind. Wichtig ist, dass wir uns gut verteidigen können. In der Nato haben wir miteinander vereinbart, dass wir mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Nun läuft ein Diskussions-Prozess im Bündnis über Fähigkeiten und Ziele jedes Mitglieds. Und wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, werden wir besprechen, wie wir das bewältigen können. Aber vielleicht so viel zu Wahrheit und Klarheit: Wenn jemand vorschlägt, es seien 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung nötig…
…wie Herr Habeck das getan hat…
…muss er auch sagen, wie das finanziert werden soll. Das lässt sich nicht einfach aus der Portokasse bezahlen. Erhebliche Steuererhöhungen wären die Folge – darüber darf man nicht abstrakt philosophieren oder wolkig drüber hinwegreden.
Eine Ukraine-Friedenstruppe, wie sie Minister Pistorius erwähnt hat, wäre auch teuer. Und vielleicht macht man sich in Deutschland noch keine konkreten Vorstellungen, was das bedeuten würde.
Erstmal wäre es eine gute Nachricht, wenn der Krieg in der Ukraine zu Ende geht. Doch auch dann wären wir noch gefordert, um der Ukraine eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Es wird dann um Sicherheitsgarantien gehen, und auch darum, wie die Ukraine eine starke Armee unterhalten kann, die wir gemeinsam ausrüsten. Darüber werden wir in der nächsten Zeit mit unseren Verbündeten diskutieren. Aktuell verbieten sich aber solche Spekulationen. Nichts darf schließlich über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden. Und wir haben auch längst noch keinen Frieden.
Eine Zeit lang sah es so aus, als würde Ihre Partei Ihnen bei der Kanzlerkandidatur nicht folgen. Man hörte, dass viele Ihre eigene Fehleranalyse vermissen. Warum tun Sie sich damit eigentlich so schwer? Sie haben letzte Woche angedeutet, dass Sie vielleicht die Regierung hätten früher beenden müssen. Aber man hätte ja auch sagen können: Ich habe auch was falsch gemacht.
Niemand ist ohne Fehler. Auch ich nicht. Ja, es war kompliziert, die Koalition zusammenzuhalten. Zweimal musste ich sogar von meiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, um einen Kompromiss zwischen Grünen und FDP zu erzwingen. Das zeigt, wie schwierig die Lage war. Im Rückblick frage ich mich, ob ich die Regierung vielleicht früher hätte beenden sollen, als deutlich wurde, dass nicht bei allen der Wille vorhanden war, sich zu verständigen und konstruktiv zu sein.
Wenn das so frustrierend war, warum wollen Sie weitermachen?
Ich empfinde es als große Ehre, diesem Land zu dienen. Die Zeiten, in denen wir leben, sind sehr herausfordernd. Und ich bin überzeugt, dass ein sozialdemokratischer Kanzler am besten geeignet ist, Deutschland durch diese schwierige Zeit zu steuern. Gerade wenn es um die Frage geht, wie wir Frieden und Sicherheit in Europa gewährleisten, wie wir die ökonomische Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichern und wie wir für gute Löhne und seine stabile Rente sorgen.
Wie motivieren Sie sich morgens?
Ich bin sehr gerne im Wahlkampf unterwegs. Da gibt es unglaublich viele intensive Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern, das motiviert mich und spornt mich an.