Rede in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags zum Thema "Konsequenzen aus den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen".
Meine Damen und Herren! Mir geht es wie Ihnen und vielen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland: Wir verfolgen atemlos, was alles an neuen Berichten bekannt wird. Jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt, Nachrichten hört oder im Fernsehen sieht, was berichtet wird, denkt man: Das kann und darf in unserem Land doch nicht sein. Aber es ist so.
Deshalb gehört, finde ich, zu den Feststellungen, die uns leiten sollten, eine klare Aussage: Niemand darf deshalb, weil wir über lange zurückliegende Vorfälle diskutieren, den Eindruck haben, es handele sich um ein Problem der Vergangenheit. Sexueller Missbrauch von Kindern in Schulen und Einrichtungen kirchlicher oder weltlicher Art findet auch heute statt, und wahrscheinlich in viel größerem Umfang, als jeder von uns es wahrhaben will. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns um diese Frage kümmern, und zwar nicht nur um gute Aufklärung der Vergangenheit, sondern auch um Handlungsstrategien, die jetzt notwendig sind. Ich glaube, wir sollten das, was jetzt neu herauskommt, zum Anlass nehmen, dafür zu sorgen, dass die Dunkelfeldforschung in Deutschland mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wird, und zu versuchen, herauszufinden, wie groß das Ausmaß des Missbrauchs ist, über das wir nichts wissen, weil niemand darüber redet. Das muss jetzt dringend geschehen.
Ich finde es gut, dass nach dem vielen Hin und Her, von dem wir gehört haben, jetzt in der Regierung Einigkeit über die Bildung eines gemeinsamen runden Tisches besteht. Dabei muss eines klar sein darin bin ich mir mit der Kollegin Künast einig : Ein runder Tisch ist kein Ersatz für eigenes Handeln und eigene Politik. Die Regierung ist jetzt nicht suspendiert und darf warten, was der runde Tisch macht; vielmehr muss sie jeden Tag handeln. Denn die Probleme sind drängend und können nicht auf spätere Zeiten vertagt werden.
Selbstverständlich ist es richtig, dass man versucht, möglichst viele einzubeziehen. Dass Sie die frühere Ministerin Bergmann als Beauftragte für diesen Prozess mit einbezogen haben, ist ein guter Schritt, und zwar deshalb, weil sie eine gute Ministerin war, von der wir alle wissen, dass sie gerade auf dem Feld der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs viele gesetzliche und staatliche Initiativen auf den Weg gebracht hat.
Ich glaube aber, dass man dabei nicht stehen bleiben sollte, und habe mir nun sehr sorgfältig angehört, was bei Ihren verschiedenen Bemühungen, miteinander klarzukommen, herausgekommen ist. Eine Frage scheint mir darüber aber vergessen worden sein, und deshalb stelle ich sie hier: Haben Sie auch an das Parlament gedacht? Selbstverständlich muss in diesem Kommunikationsprozess nicht nur die Regierung mit irgendwem in der Welt reden, sondern eben auch mit dem Parlament. Deshalb fordere ich Sie an dieser Stelle auf: Sorgen Sie dafür, dass auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages aller Fraktionen in diesem Parlament an diesem runden Tischen teilnehmen können!
Ich habe gesagt: Wir müssen heute handeln. Dies können und müssen wir durchaus in einer Kontinuität von Gesetzgebung und Problembewältigung tun, die in den letzten Jahren, gerade in den Regierungen von Rot- Grün und der Großen Koalition, stattgefunden haben. Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Da ist ganz schön viel passiert. Das Strafmaß ist massiv heraufgesetzt worden. Viele, die früher ganz harmlos davongekommen sind, können dies heute nicht mehr, weil sich eben der Strafrahmen verändert hat. Wir haben auch dafür gesorgt, dass diese Taten nicht mehr so einfach verjähren können, wie es in der Vergangenheit der Fall war, indem wir sowohl die zivilrechtliche als auch, was noch wichtiger ist, die strafrechtliche Verjährung erst zu einem Zeitpunkt beginnen lassen, an dem ein erwachsener Mensch darüber entscheiden kann, was er mit den schrecklichen Erlebnissen seiner Jugend in dieser Hinsicht machen will.
Aber wir lernen ja auch aus den jetzigen Berichten. Wir lernen, dass es sehr lange dauert, bis manche Debatten und manche Ereignisse öffentlich und breit diskutiert werden. Das ist in einer bestimmten Hinsicht sehr bemerkenswert; denn es hat ja in großen Wellen immer wieder neue Diskussionen über sexuellen Missbrauch gegeben, die auch zu Konsequenzen sowie dazu geführt haben, dass sich flächendeckend viele melden und sagen: Ich bin ein Opfer dieser Taten gewesen und will, dass das jetzt endlich in Ordnung gebracht wird. Aber immer wieder gibt es neue Wellen. Deshalb glaube ich, dass dies ein fortschreitender Prozess von Aufklärung, von Problembewusstsein ist, der in der Gesellschaft stattfindet, dass dieser Prozess aber bestimmt noch lange nicht abgeschlossen ist, und ich glaube auch, dass wir Handlungsinstrumente brauchen, die gerade für diese Straftaten eine andere Form von Verjährung möglich machen, als das heute schon der Fall ist.
Deshalb sollte bei dem, was wir jetzt diskutieren, geschaut werden, ob wir das wäre ein gewisser Systembruch zu dem Prinzip der Verjährung in diesem Zusammenhang eine regelhafte zwanzigjährige Verjährung auch für solche Straftaten möglich machen, die eigentlich schneller verjähren. Denn es muss möglich sein, dass sich jemand später noch ein Herz fasst und sagt: Ich will, dass das jetzt diskutiert wird. Auch muss für die Täter klar sein, dass sie nicht nur kurze Zeit abwarten müssen, bis Dinge nicht mehr verfolgt werden, die sie für harmlos halten, die für die Betroffenen aber eine schwere Demütigung darstellen, die sie möglicherweise ein ganzes Leben lang nicht vergessen. Deshalb sollten wir auch darüber diskutieren, speziell im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen, eine zwanzigjährige Verjährung regelhaft zu machen, die sicherstellt, dass alle Straftaten möglichst ans Tageslicht kommen und immer wieder neue Wellen dieses Prozesses dazu führen können, dass eines Tages die Dunkelziffer bei diesem Problem kleiner geworden und nicht mehr so groß ist wie heute. Schönen Dank.