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29.06.2017

"Demokratie in Gefahr? Eine deutsch-französische Antwort" - Rede zum Barcamp "Vote & Vous"

"Demokratie in Gefahr? Eine deutsch-französische Antwort" - Rede zum Barcamp "Vote & Vous"

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem Sie das erste Mal wählen gegangen sind?

Teju Cole, ein amerikanischer Autor, der in Nigeria aufgewachsen ist und heute in New York lebt, beschreibt seinen ersten Wahlgang in einer kleinen Geschichte.

Das Wahllokal ist eine High School in Brooklyn. Gewählt wird mit antiquierten Hebeln und Knöpfen, die eine Wahlkarte lochen, das dauert ein wenig:  

Nach fünf Minuten war ich fertig und hatte das Gefühl, etwas Bedeutendes vollbracht und einen trotzigen Stolz endlich überwunden zu haben. Ich war jetzt Teil des Systems. Bis zu dem Tag hatte Cole, wie er schreibt, immer gute, rationale Gründe gehabt, zu keiner der Wahlen zu gehen. Sechzehn Jahre lang hatte er nicht gewählt.

Unmittelbar nach seinem Votum vollzieht sich, wie er es nennt, eine stille genetische Mutation.

Ich hatte ein Gefühl, das mir lange fragwürdig erschienen war und das ich deshalb gemieden hatte: das Gefühl eines gemeinsamen Anliegens.

Es ist das Gefühl der politischen Gemeinschaft. Einem kunterbunten Haufen, verbunden nur durch den Zufall der Staatsbürgerschaft. Ich gehörte nun auf neue Weise dazu.

Kurzfristig erschreckt er sich darüber, so etwas zu denken. Denn es erinnert ihn an die Sätze, die er von Politikern kennt und für hohle Phrasen gehalten hat. Aber er hat auch keine bessere Beschreibung.

Deshalb rekapituliert er noch einmal seine Haltung zur Politik: Nicht, weil seine Stimme alles verändern würde, habe er gewählt, denn er glaubt nicht an den großen Wandel. Was ihn umgestimmt hat, ist die Überzeugung, dass Partizipation wichtig ist. Und er ist sich nicht sicher, ob das eigentlich eher eine emotionale oder rationale Sache ist. Er ist wählen gegangen, weil er weiß, dass das Wählen ihn selber verändern wird.

Und genau das passiert. Selbstironisch kommentiert Teju Cole, nun sei seine  bisher makellose Bilanz durch Parteinahme verdorben.

Aber er entdeckt noch etwas anderes, ganz Unerwartetes. Denn es fühlt sich nicht nur anders an, sondern auch besser:  Genau das war die Krux, begriff ich: Ich hatte rein und auf dem hohen Ross der überlegenen Position sitzen bleiben wollen, und ich hatte das Beste zum Feind des Guten gemacht.

Die Stimme abzugeben und sich politisch zu engagieren, ist immer eine zugleich persönliche und öffentliche Deklaration. Hören wir noch einmal Teju Cole: (Zitat): Es heißt, verstanden zu haben: dass wir nicht deshalb partizipieren, weil alles gut ist, sondern gerade, weil es das nicht ist.

Wer sich politisch engagiert kennt das sehr gut: Dass es sich so viel besser anfühlt, sich für eine Sache einzusetzen und mit anderen, um die richtige Lösung zu ringen, als zu nörgeln und zu klagen.

Die Parteinahme für etwas kann verletzlich und angreifbar machen, weil man etwas zu verlieren hat. Aber es schafft eben auch starke und souveräne Persönlichkeiten.

Deshalb freue ich mich sehr über die großartige Initiative von Vote&Vous. Europa braucht Initiativen, die persönliches Engagement und Partizipation stärken. Es ist sehr gut, die deutsch-französische Zusammenarbeit an dieser Stelle zu intensivieren.

Wir haben hervorragende Institutionen, die das unterstützen. Etwa die Bundeszentrale für Politische Bildung, die seit Jahrzehnten über die Grundsätze der demokratischen Ordnung und alle aktuellen Themen umfassend informiert.

Immer wieder profitieren wir auch von dem großartigen Engagement des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Generation für Generation sehen wir, wie wichtig es ist, die Jugend für die Europäische Union zu begeistern.

Ich freue mich, dass Votes & Vous die Städtepartnerschaft zwischen Marseille und Hamburg zu einem Austausch über Partizipation nutzt. Das ist auch ein guter Impuls, um die politische Bildungsarbeit unserer Partnerländer und auf europäischer Ebene zusammen zu führen.

Die Geschichte von Teju Cole spielt übrigens am 4. November 2008, dem Tag, an dem der demokratische Senator aus Illinois, Barack Obama, US-Präsident wurde. Ich bin mir sicher, Frankreich hat in diesem Jahr viele solcher Geschichten geschrieben.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg!

Vielen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort.