arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

21.09.2008

"Der Markt kennt keine Grenze nach unten" - Interview mit der Welt am Sonntag

Welt am Sonntag: Herr Minister Scholz, von jedem Euro des Bundeshaushalts, den die Bürger aus Steuern zahlen, fließen kommendes Jahr 42 Cent an die Arbeitslosen und Rentner, aber nur 3,4 Cent für Bildung und Forschung. Ist das zukunftsweisend?

Scholz: Eine gute Frage. Wir steigern deshalb seit mehreren Jahren den Anteil der Forschungsausgaben und werden ihn so steigern, dass Bund, Länder und Wirtschaft bis 2010 auf drei Prozent des Bruttosozialproduktes kommen. Das ist die richtige Antwort. Eine falsche wäre es, den Arbeitslosen die Leistungen zu kürzen und sie bei der Stellensuche alleinzulassen.

Sie wurden diese Woche im Bundestag belächelt, weil Sie Vollbeschäftigung für möglich halten. Warum sind Sie so optimistisch?


Scholz: Es kann gut sein, dass wir dieses Jahr zeitweise unter drei Millionen Arbeitslose kommen. Das wäre ein großes Signal. Eine demokratische Marktwirtschaft verliert das Vertrauen ihrer Bürger, wenn sie nicht jedem das glaubwürdige Versprechen geben kann, innerhalb eines Jahres wieder eine Arbeit zu finden. Das ist meine Definition von Vollbeschäftigung.

Normalerweise ist sie bei drei bis vier Prozent Arbeitslosigkeit erreicht, wir haben nun 7,6 Prozent deutschlandweit. Was soll konkret gemacht werden?

Scholz: Wer keine Qualifikation hat, wird es immer schwer am Arbeitsmarkt haben. 500 000 Arbeitslose haben keinen Schulabschluss; die Hälfte der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss. Darum wollen wir jedem das Recht einräumen, seinen Schulabschluss nachzuholen. Und wir brauchen mehr Ausbildungsplätze.

Derzeit verlassen acht Prozent der Schüler die Schule ohne Abschluss.

Scholz: Wir müssen die Zahl der Schulabbrecher weiter reduzieren. Wir sind leider nicht gut aufgestellt, was die Vermittlung von Qualifikationen, aber auch von den Tugenden des Arbeitslebens angeht. Ein konkretes Projekt: Wir finanzieren zunächst modellhaft für tausend Schulen Berufseinstiegsbegleiter, die die Jugendlichen unterstützen.

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, würde lieber schon früher eingreifen, in der achten oder neunten Klasse.

Scholz: Wir mit ihm. Wenn die Länder uns lassen, würden wir das gern tun. Die Instrumente stehen zur Verfügung.

Wann wird der Arbeitslosenbeitrag von 3,3 auf 2, 8 Prozent gesenkt?


Scholz: Die Arbeitslosenversicherung ist keine Bank. Deshalb brauchen wir nicht mehr Geld, als wir für die Erfüllung der Aufgaben benötigen, aber auch nicht weniger. Ich bin vorsichtig. Im Oktober werden wir anhand der dann vorliegenden Zahlen entscheiden.

Wie wird sich die Finanzkrise auf den Arbeitsmarkt durchschlagen?

Scholz: Der Abbau der Arbeitslosigkeit dürfte auch 2009 weitergehen, wenn auch nicht in dem schnellen Tempo der letzten Zeit.

Was bedeutet es für die Bundestagswahl 2009, wenn in den Monaten zuvor die Zahl der Arbeitslosen erstmals wieder steigt?

Scholz: Das ist typisch deutsch! Immer dann, wenn es gut läuft, beschäftigt man sich damit, wann es endlich wieder schlecht wird. Wir sollten den Erfolg hart umkämpfter Reformen auf dem Arbeitsmarkt jetzt festhalten. Und das tun, was die Bürger in die Lage versetzt, mit den Herausforderungen ihres Lebens selbst fertig zu werden.

Was heißt das?

Scholz: Unsere Gesellschaft muss jedem das Versprechen geben, dass es möglich ist, seine Verhältnisse zu verbessern, wenn er sich anstrengt.

Und wie?

Scholz: Zum Beispiel, indem Meister und Gesellen direkt an die Universitäten gehen können. Dass wir die Talente unserer Bürger nicht nutzen, ist ein schwerer Fehler.

Was hindert Sie daran, die Zugangsvoraussetzungen zu ändern?

Scholz: Das müssen die Länder tun. Aber wir haben das Thema beim Bildungsgipfel von Bund und Ländern auf die Agenda gesetzt. Das kann dann hoffentlich den Ingenieurmangel verringern.

Die Wirtschaft braucht aber jetzt die neuen Ingenieure.

Scholz: Deshalb habe ich mit Innenminister Wolfgang Schäuble auch vorgeschlagen, dass die Unternehmen ab Januar 2009 überall in Europa nach geeigneten Hochschulabsolventen suchen können. Auch in den Beitrittsländern, die jetzt noch Zuzugsbeschränkungen haben. Sie können auch in den Ländern außerhalb Europas Spitzenkräfte anwerben. Anders als jetzt. Wir prüfen nur noch, ob es inländisch geeignete Bewerber gibt und normale Gehälter bezahlt werden. Und ab einem Einkommen von 63 000 Euro jährlich gibt es faktisch keine Beschränkung mehr. Die Ingenieure sind auch notwendig, damit viele Facharbeiter und Geringqualifizierte in ihrem Gefolge eine Chance haben.

Was halten Sie von der Handwerksforderung, auch Lehrlingen den Zuzug zu ermöglichen?

Scholz: Das ist gaga. Das werde ich in keinem Fall mitmachen. Derzeit besteht auf dem Ausbildungsmarkt die Möglichkeit, dass auch die heute noch nicht so Guten eine Chance bekommen. Und die müssen sie bekommen. Es gibt zahlreiche erfolgreiche Programme, in denen diese Jugendlichen nachqualifiziert werden und dann jahrzehntelang gute Arbeit leisten können.

Sie wollen auch die Privathaushalte vermehrt als Arbeitgeber gewinnen?

Scholz: Wir werden in Kürze ein Rundum-Paket dazu auf den Tisch legen: Dabei geht es um eine Zusammenfassung der bisherigen Regelungen zu haushaltsnaher sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Dienstleistungen in einer Vorschrift, also um Vereinfachung und mehr Transparenz. Außerdem wollen wir eine höhere steuerliche Förderung für Arbeitgeber, wenn sie Arbeitnehmer in Privathaushalten beschäftigen. Wir wollen erreichen, dass es sich nicht lohnt, auf Schwarzarbeit zu setzen. Zusätzlich werden wir die Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten steuerlich ausweiten und effizienter gestalten. Ich bin sicher: Dieser Beschäftigungssektor wird boomen. Die Familien sollen sich mit den Nachbarn darüber unterhalten können, wie einfach das geht.

Nächste Woche trifft sich die von Ihnen geleitete Arbeitsgruppe zum Mindestlohn. Wann wird er für die acht Branchen umgesetzt, die sich gemeldet haben?

Scholz: Im nächsten Jahr geht es los. Bis dahin sind die beiden Gesetze, die wir in der Regierung auf den Weg gebracht haben, wahrscheinlich durch die parlamentarischen Beratungen.

Wird es auch für die Zeitarbeit einen Mindestlohn geben?


Scholz: Zwei von drei Arbeitgeberverbänden haben dies beantragt, dort ist die Mehrheit der Arbeitnehmer in der Branche tätig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union oder die CDU-Vorsitzende sich mit der Minderheit verbünden will, die für das Schmuddel-Image der Branche verantwortlich ist.

Sie wollen flächendeckende Mindestlöhne. Ein Vater mit zwei Kindern und nicht arbeitender Frau müsste bei dem vorgeschlagenen Satz von 7,50 Euro pro Stunde trotzdem weiter vom Staat unterstützt werden, auch wenn er Vollzeit arbeitet. Was soll das also bringen?

Scholz: Unser Ziel ist, dass jeder seinen eigenen Lebensunterhalt ohne Arbeitslosengeld II bestreiten kann. Und wir erhöhen gerade den Kinderzuschlag und das Wohngeld, damit das auch Familien mit geringen Einkommen besser gelingt. Das wird über 200 000 Kinder aus der Hilfsbedürftigkeit herausholen. Einen Beweis dafür, dass Mindestlöhne Jobs vernichten, gibt es nicht.

Drei von vier Arbeitslosen haben mehrfache Vermittlungshemmnisse. Sie schaffen es nicht, 7,50 Euro zu erwirtschaften.

Scholz: Der Markt allein kennt keine Grenzen nach unten. Manche würden auch nur zwei Euro pro Stunde bezahlen. Überall in Europa gibt es Mindestlöhne. Wenn wir ihn haben, wird er später auf CDU- und FDP-Parteitagen gelobt werden. Darauf freue ich mich schon.

Kurt Beck hat Sie gefragt, ob Sie SPD-Vorsitzender werden wollen?

Scholz: Ich habe mich weder beworben noch das Amt angestrebt. Franz Müntefering wird erneut ein herausragender Vorsitzender der Sozialdemokraten sein.

Wird es nach dem Führungswechsel in der SPD schwieriger für Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Scholz: Der Wahlkampf sicher, die Arbeit in der Regierung nicht. Die Koalition arbeitet gut zusammen und wird ihre Arbeit bis zum Ende der Legislaturperiode ordentlich fortführen. Uns begegnet oft das Vorurteil, die Koalition sei sich einig und täte nur so, als ob sie streite. Es ist umgekehrt: Wir sind wirklich in vielen Fragen uneins, aber zur Zusammenarbeit in der Lage.


Gehört die Wiedereinführung der Vermögensteuer in das SPD-Wahlprogramm 2009?

Scholz: Die SPD sieht das so wie die meisten Bürger. Wenn in den USA eine Vermögensteuer erhoben werden kann, dann kann das auch in Deutschland funktionieren. Die Steuer käme den Ländern zugute. Die Zeit, in der es eine Mehrheit dafür im Bundesrat gibt, steht allerdings nicht unmittelbar bevor.



Das Gespräch führten Margaret Heckel und Martin Lutz