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22.09.2008

Olaf Scholz betont im Bundesrat die Bedeutung des Arbeitnehmerentsendegesetzes und Mindestarbeitsbedingungengesetzes

In Deutschland spielt Arbeit für unsere kulturellen Vorstellungen und unser Selbstverständnis eine große Rolle. Wenn wir arbeiten, wollen wir die Arbeit gut machen. Wir tun es um der Sache selbst willen. Das ist ein sehr wichtiger Teil der Arbeitskultur unseres Landes und eine der Grundlagen unseres wirtschaftlichen Wohlstandes.

Das bedeutet aber auch, dass man die Ehre, die Arbeit verschafft, und das Ethos, das die Arbeit vermittelt, ernst nehmen muss. Ich bin fest davon überzeugt auch die Regierung ist davon fest überzeugt , dass nichts Schlimmeres die Ehre eines Arbeitnehmers verletzen kann, als wenn er einen ganzen Monat lang fünf Tage in der Woche arbeitet und am Ende des Monats auf öffentliche Unterstützung oder auf die Unterstützung von Verwandten und Familienangehörigen für seine ganztägige Arbeit angewiesen ist. Dies verletzt die Ehre unserer arbeitenden Bürgerinnen und Bürger. Dies wollen wir mit diesen Gesetzen ändern.

Meine Damen und Herren, Mindestlöhne gibt es fast überall auf der Welt. Auch Staaten mit nur wenigen sozialstaatlichen Regelungen verfügen über Mindestlohnregelungen. In den Vereinigten Staaten von Amerika gehört ein Mindestlohn seit Jahrzehnten zum Normalbild der wirtschaftlichen Verfassung. Auch im derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf spielt die Frage eine Rolle, ob dieser Mindestlohn nicht ein wenig nach oben angepasst werden muss. Heute beträgt er in den gesamten Vereinigten Staaten von Amerika 7,20 Dollar, in einigen Regionen sogar etwas mehr. Das ist mehr, als der eine oder andere in unserem Land für seine Arbeit pro Stunde bezahlt bekommt. Insofern spricht vieles dafür, dass wir uns den Staaten anschließen, die Mindestlöhne haben, und Regelungen finden, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor einem race to the bottom schützen. Darum geht es, wenn wir über Mindestlohnregelungen sprechen.

In der Debatte wird immer gesagt, solche Regelungen kosteten Arbeitsplätze. Dies ist eine der am wenigsten bewiesenen Behauptungen, die es gibt. Ich bin mir sehr sicher, dass all die Bücher, die dazu geschrieben worden sind, verstauben werden, sobald Deutschland ebenso wie viele andere Länder über Mindestlohnregelungen verfügt. Die Professoren und Politiker, die jetzt behaupten, dies werde Arbeitsplätze kosten, werden dann Vorträge mit gegenteiligem Inhalt halten und die Behauptung aufstellen, eine Mindestlohnregelung sei schon immer Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland gewesen. Man wird ihnen dann nur vergeblich widersprechen können, weil die Zeit mit der Erinnerung gnädig umgeht. Aber wichtig ist, dass wir es uns jetzt schon merken: Am Ende wird es so ausgehen.

Ein praktisches Beispiel, das man heranziehen und erörtern kann, wenn man über die Frage diskutieren will, ob Mindestlöhne Arbeitsplätze kosten, ist Großbritannien. Es ist deswegen ein praktisches Beispiel, weil es ein mit Deutschland vergleichbares Land ist und erst Ende des letzten Jahrhunderts, 1998/99, Mindestlöhne eingeführt hat. Daran kann man all die Thesen, die hier abstrakt aufgestellt werden, überprüfen. Bei einer Überprüfung stellt sich heraus, dass die in Großbritannien eingeführten Mindestlöhne keine Arbeitsplätze gekostet haben. Es ist wahrscheinlich eher umgekehrt.

Ich persönlich denke im Hinblick auf den Arbeitsmarkt sehr angebotsorientiert; ich glaube, dass sich ein Angebot qualifizierter Arbeit seine eigene Nachfrage schaffen kann. Aber zu diesem Angebot gehört es, dass sich diese Arbeit für diejenigen, die sie leisten, rentiert. Löhne anzubieten, die den Lebensunterhalt nicht sichern, beseitigt Beschäftigungschancen. Wahrscheinlich ist die britische Volkswirtschaft über mehrere Jahre hinweg nur klargekommen, weil sie trotz ihrer Mindestlöhne den Zuzug weiterer Arbeitskräfte zugelassen hat, die um Deutschland einen Bogen gemacht haben, weil bei uns zu wenig gezahlt wird. Sie haben in Großbritannien Arbeitsplätze angestrebt und bekommen und so Vollbeschäftigung mitgebracht. Insofern spricht ökonomisch vieles dafür, dass auch wir das tun.

Meine Damen und Herren, wir greifen Gesetze auf, die es schon lange gibt. Das Mindestarbeitsbedingungengesetz stammt aus dem Jahre 1952; es hat einen schönen Vorlauf für ein Gesetzgebungsvorhaben einer Großen Koalition. Es kam auf Antrag der SPD-Fraktion zustande, die damals im Deutschen Bundestag keine Mehrheit hatte, und wurde in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen der Mehrheit, der CDU und anderer Fraktionen, beschlossen. Das Einzige, was in diesem Gesetzgebungsverfahren wesentlich geändert wurde, war, dass der Arbeitsminister eine etwas zentralere Rolle bekommen hat, was in der aktuellen Debatte nicht jedem in gleichem Maße gefallen hat. Aber das, was damals stattfand, ist real. Es ist eine schöne Fortsetzung, dass wir das Gesetz an die heutige Zeit anpassen und es einsetzbar und handhabbar machen.

Im Übrigen sollte man sich nicht darüber beklagen, dass es über viele Jahrzehnte nicht angewandt wurde. Dafür gab es den guten Grund, dass große Teile unseres sozialen Zusammenlebens, der Arbeits- und Sozialbedingungen, durch Vereinbarungen geregelt waren, die die Tarifparteien miteinander getroffen hatten. Das war typisch für unser Land. Ein Weiteres, was aus dem Bewusstsein des einen oder anderen herausgerutscht ist, war ebenfalls typisch: Etliche Tarifverträge, die abgeschlossen worden waren, wurden für allgemeinverbindlich erklärt. Noch in den 70er und 80er Jahren war es eher als heute üblich, dass Flächentarifverträge auf Nichttarifangehörige erstreckt wurden.

In der Zwischenzeit ist der Tarifvertrag für die Regelung der sozialen Zusammenhänge weniger bedeutend geworden, weil manche über zwei, drei Jahrzehnte in Deutschland in jeder Talkshow erzählt haben, dass mit den Kompromissen Schluss sein müsse. Sie haben die Tarifautonomie kritisiert und die Sozialpartnerschaft in Verruf gebracht. Dadurch haben sie jetzt einen Zustand geschaffen, der dazu führt, dass dann, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Schutz brauchen, nicht mehr durch die Selbstregulierung der Tarifparteien geschützt werden, der Staat, der demokratische Gesetzgeber, diese Aufgabe wahrnimmt. Er ist dazu berufen, genauso wie in allen anderen Ländern. Einige haben also in den Wald hineingerufen und wundern sich heute, dass es aus ihm herausschallt.

Dies sollte man immer im Kopf haben, wenn wir über die vorgeschlagenen Regelungen diskutieren. Die Kritiker der Sozialpartnerschaft, die dieses Wort wird etwas inflationär verwandt, aber manchmal stimmt es neoliberalen Skeptiker unserer sozialen Marktwirtschaft haben die Mindestlohngesetzgebung, die wir heute haben, selbst produziert. Es ist schade, dass sie es nicht merken und sich schämen, sondern verlangen, dass diese Gesetzgebung unterbleiben solle.

Wir sind also weitergekommen und legen die Gesetze das Mindestarbeitsbedingungengesetz und das Arbeitnehmerentsendegesetz so an, dass man sie in Zukunft gut einsetzen kann. Dabei ist klar: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz ist nicht dazu da, die Arbeitsverhältnisse von Brokern zu regeln. Zwar treffen auf sie die Bedingungen, die wir in das Gesetz hineingeschrieben haben, wahrscheinlich zu: geringe Tarifbindung, keine Regelungen in Bezug auf die Gehaltsstrukturen. Aber ein Handlungsbedarf auf Grund einer sozialen Verwerfung ist an dieser Stelle nicht erkennbar. Trotz der aktuellen Turbulenzen muss man nicht damit rechnen, dass diese Leute unseren Schutz benötigen. Deshalb wundere ich mich über die eine oder andere aufgeregte Stellungnahme. Das Gesetz kommt dort zur Anwendung, wo es wirklich gebraucht wird. Jeder wird am Ende erkennen, dass man die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Branchen nicht alleine lassen kann, wenn kein Arbeitgeberverband und keine Gewerkschaft sie vor schlimmster Ausbeutung beschützt. Dies wollen wir mit diesem Gesetz zustande bringen.

Das Gleiche gilt für das Entsendegesetz. Es wurde zu Zeiten einer CDU/CSU-FDP-Bundesregierung beschlossen. Es hatte seinerzeit nur den kleinen Schönheitsfehler, dass es in dieser Zeit erst nicht zum Tragen gekommen ist, aber es hat existiert. Nach 1998 ist es weiterentwickelt worden, so dass mittlerweile drei Branchen davon umfasst werden: die Bauwirtschaft und seit Sommer letzten Jahres die Gebäudereiniger. Das ist ein wichtiger Zukunftsberuf, den wir vor einer Dumpingkonkurrenz bewahrt und geschützt haben. In ihm werden viele Leute an Kammern gut ausgebildet, dort gibt es Gesellen und Meister. All dies wäre in Gefahr geraten, wenn wir diese Branche nicht in das Entsendegesetz aufgenommen hätten. Seit dem Jahreswechsel gehören die Briefdienstleistungen dazu.

Es haben sich weitere acht Branchen gemeldet, über deren Aufnahme wir in der Koalition und im Deutschen Bundestag verhandeln werden. Bis zur abschließenden Behandlung im Bundesrat wird feststehen, welche aufgenommen werden.

Wie dies geschieht, ist vereinbart: Wir werden prüfen, wo mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind und wo Arbeitgeber und Gewerkschaften die Aufnahme beantragt haben. Dies wird jetzt Schritt für Schritt durchgeprüft. Ich gehe davon aus, dass für die meisten die Voraussetzungen wohl vorliegen. Nun ist politisches Rechnen immer etwas anderes als das Rechnen eines Mathematikers; trotzdem spricht manches dafür, dass sich im Ergebnis der Gespräche und des Gesetzgebungsverfahrens die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Mindestlöhne geschützt sind, verdoppeln wird. Das ist eine gute Botschaft. Wir haben verlässlich sicherzustellen, dass man mit eigener Anstrengung sein Leben meistern und seine Lebensverhältnisse gestalten kann, ohne auf fremde Hilfe, auf öffentliche Hilfe angewiesen zu sein.

Das Thema Zeitarbeit wird uns wahrscheinlich ein wenig beschäftigen. Deshalb ist es mir wichtig, dass man sich über die Fakten nichts Falsches erzählt.

Zur Wahrheit gehört: Die Tarifbindung ist in keiner Branche so hoch wie in der Zeitarbeit. Wahr ist auch, dass die zwei Arbeitgeberverbände, die beantragt haben, mit ihrem Mindestlohntarifvertrag, den sie zusammen mit den Gewerkschaften abgeschlossen haben, in das Entsendegesetz aufgenommen zu werden, mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer der Branche nach meinen Berechnungen über 60 % beschäftigen.

Es sind die seriösen Unternehmen, die sich um den Ruf der Zeitarbeit Gedanken machen. Sie erzählen mir und anderen, dass sie in ihren Büros Schwierigkeiten haben, Arbeitnehmer zu finden, weil diese sagen: In einer solchen Schmuddelbranche wollen wir nicht arbeiten. Sie sind besorgt darüber, dass der in dieser Republik in den letzten Jahrzehnten seltene Vorgang, dass sich Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Staat miteinander über ein Gesetzgebungsvorhaben verständigt und einvernehmlich gehandelt haben, völlig entwertet wird. Das ist die Wahrheit bei diesem Thema.

Die Reform der Zeitarbeit, der Leiharbeit, die heute alle zu Recht loben und die in der vorhergehenden Regierungskoalition zustande gebracht wurde, beruhte auf einem Kompromiss zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat. Wir haben die bis dahin geltenden Schutzregelungen abgeschafft und sie durch folgende gesetzliche Regelung ersetzt: Wer als Leiharbeiter in einem Unternehmen eingesetzt ist, erhält den gleichen Lohn wie die dort Beschäftigten, es sei denn, es existiert ein Tarifvertrag.

Schauen Sie sich die Pressearchive an: Die Kritik, die geäußert wurde, ging in die Richtung, damit sei die Leiharbeit kaputt, denn die Löhne seien zu hoch. Niemand ist damals auf die Idee gekommen, dass schnell gegründete Gewerkschaften, von denen man bis zu ihrer Faxmitteilung, dass sie jetzt existieren, noch nie gehört hat, und schnell gegründete Arbeitgeberverbände irgendwelche Tarifverträge abschließen meistens ebenfalls per Fax und damit Arbeitsbedingungen, die sich eigentlich als gesetzlicher Normalfall ergäben, deutlich unterschreiten. Das ist die Realität heute.

Vor diesem Missbrauch einer guten Gesetzgebung und eines Einvernehmens von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden will die Mehrheit der Zeitarbeitgeber ihre Branche beschützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich nach sorgfältiger Betrachtung aller Umstände viele hier im Hause finden werden, die sich mit den unseriösen Unternehmern dieser Branche gegen die seriöse Mehrheit der Unternehmer der Zeitarbeitsbranche verbünden wollen. Mein Appell ist jedenfalls, dass Sie das sorgfältig überprüfen und bedenken.

Meine Damen und Herren, das Gesetzgebungsverfahren beginnt jetzt. Es gibt interessante Anregungen aus den Ausschüssen, die zu prüfen sind. Soeben ist schon über die Frage gesprochen worden: Kann der Zoll mehr tun? Das sollte man sorgfältig miteinander erwägen. An anderer Stelle ist über die Sicherung der Urlaubskasse des Baugewerbes gesprochen worden. Auch das ist eine Frage, die wir miteinander besprechen sollten.

Über eines sollten wir uns klar sein: Der Entwurf der Bundesregierung, der heute einvernehmlich vorliegt und seinen Gang durch die Gesetzgebung beginnt, stimmt nach Auffassung aller vollständig mit unserer Verfassungs- und Rechtsordnung überein. Das Innenministerium, das Justizministerium und das zuständige Fachministerium sowie das Kanzleramt sind sich sicher: Dies ist ein verfassungskonformer Entwurf. Es ist richtig, dass wie schon immer in unserem Lande Mindestlohnregelungen schlechtere Regelungen verdrängen, so beim Mindesturlaub, bei der Höchstarbeitszeit, bei Arbeitsschutzvorschriften und bei für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen. Es geht also nicht um etwas Neues, sondern um eine striktere europarechtskonforme Fassung des Gesetzes. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass auch der Rechtsausschuss des Bundesrates an dieser Einschätzung keine Zweifel hat. Deshalb sollte dieses Argument jedenfalls in unserer Diskussion in der nächsten Zeit keine Rolle spielen.

Meine Damen und Herren, wir sind dabei, ein sehr wichtiges Gesetzgebungsvorhaben zu beginnen. Es hat etwas mit einer Kultur zu tun, die wahrscheinlich älter ist als die moderne Wirtschaftsverfassung. Der Stolz und die Ehre, die Arbeit vermitteln, gehören zur Kultur unseres Landes. Sie verteidigen wir, indem wir das Notwendige tun. Schönen Dank.