Interview mit der Schwäbischen Zeitung
SZ: Die Wirtschaft zieht wieder an. Die noch von ihnen initiierte Kurzarbeit ist ein Renner. Reicht die Verlängerung bis 2012?
Scholz: Es war richtig, die Kurzarbeit noch einmal zu verlängern, auch wenn sich diese Entscheidung zu lange hingezogen hat. Am Ende hat die Kurzarbeit einen wichtigen Beitrag geleistet, dass Deutschland besser durch die Krise gekommen ist. Deshalb muss sie so lange möglich sein, wie die Krise dauert. Wir haben eine hohe Flexibilität am deutschen Arbeitsmarkt. Dass ganze Belegschaften in der Krise die Regelarbeitszeit reduzieren, um Beschäftigung zu erhalten, das hat auch im Ausland Eindruck gemacht. Wir sollten dieses Instrument pflegen. Es muss in das Regelsystem überführt werden.
SZ: Ist die deutsche Wirtschaft schon aus dem Tal heraus?
Scholz: Die Zeichen mehren sich, doch die Krise ist noch nicht vorbei. Deshalb ist weiter entschlossenes Handeln nötig.
SZ: Schröder hat einst die Leiharbeit erleichtert. Leiharbeiter finden kaum reguläre Jobs, heißt es jetzt in einer neuen Studie. Muss Leiharbeit weiter eingeschränkt werden?
Scholz: Das Leiharbeitsrecht ist vor einigen Jahren geändert worden im weitgehenden Einvernehmen zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Staat. Kern war, dass Leiharbeiter den gleichen Lohn erhalten wie die regulär Beschäftigten. Eine Ausnahmebestimmung gab es für den Fall, dass die Leiharbeitsfirma selbst einen Tarifvertrag hat. Aber zu wenige haben damals bedacht, dass sich Mini-Arbeitgeberverbände mit Mini-Gewerkschaften Tarifverträge zurecht schnitzen, die schlechter sind als die normalen Arbeitsbedingungen. Deshalb ist der Mindestlohn so wichtig.
SZ: Müssen Leiharbeiter nach einiger Zeit denselben Lohn wie die fest Angestellten bekommen?
Scholz: Ja, das sollte man sicherstellen. Nach welcher Zeit genau derselbe Lohn gezahlt wird, das sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften am besten selbst vereinbaren. Auf jeden Fall aber würde dies Lohndumping verhindern.
SZ: Damit wären aber dann die Tarifverträge der Leiharbeitsfirmen ausgehebelt.
Scholz: Langfristig in einer Firma eingesetzte Leiharbeitnehmer sollen den gleichen Lohn erhalten wie ihre Kolleginnen und Kollegen.
SZ: Reicht die sogenannte Lex Schlecker?
Scholz: Nein, aber ein gesetzliches Verbot solcher Manöver wäre eine gute Sache. Wir müssen einen Mindestlohn bekommen. Mindestlöhne sind gut für den Arbeitsmarkt insgesamt. Sonst gibt es eine wachsende Zahl von Angestellten, die von ihrem Lohn nicht leben können. Das hat für alle Arbeitnehmer Auswirkungen.
SZ: Haben Sie eigentlich noch Hoffnung, dass in Deutschland irgendwann ein gesetzlicher Mindestlohn kommt?
Scholz: Ich bin ganz sicher, dass er kommt. In vielen Branchen haben sich ja Arbeitgeber dafür ausgesprochen und wir konnten deshalb viele Mindestlöhne durchsetzen. Die wichtigsten Schlachten sind also schon geschlagen. Aufzuhalten ist der Mindestlohn nicht mehr.
SZ: Stellen Sie auch bei Arbeitgebern einen Sinneswandel fest?
Scholz: Zunehmend: In den einzelnen Branchen wird das deutlich. Manche leiden darunter, dass der Wettbewerb über Löhne bereits zu einem echten Rekrutierungsproblem geführt hat. Lkw-Fahrer zu finden wird immer schwieriger. Auch die Altenpflege ist ein Beispiel für eine Branche, die dringend Leute braucht, aber gleichzeitig wegen geringer Löhne nicht ausreichend rekrutieren kann.
SZ: Die Regierung muss sparen. Der Riesenetat des Arbeitsministeriums steht auch zur Debatte. Ist da Luft drin?
Scholz: Nein. Und die Regierungsparteien hätten vor der Wahl mitteilen sollen, dass ihre Steuerversprechen nur dann Realität werden können, wenn Leistungen im Sozialbereich gekürzt werden. Es war eben falsch vorzugaukeln, es gebe Luft, Steuern zu senken. Niemand kann die Kürzungen bei den Ärmsten akzeptieren, während die unanständige Privilegierung von Hotelübernachtungen bei der Mehrwertsteuer unangetastet bleibt.
SZ. Gibt es denn Spielraum bei den Ermessensleistungen für Arbeitslose?
Scholz: Das ist doch alles nur heiße Luft. Wenn bei Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitssuchende gespart wird, dann gefährdet man die Zukunft von hundertausenden Bürgerinnen und Bürgern. Das ist unmoralisch und kann langfristig teurer sein.
SZ: Die Arbeitsmarktexperten der Regierung sagen als Beispiel, wenn sich einer dreimal erfolglos selbständig gemacht hat, muss das vierte Mal nicht finanziert werden.
Scholz: Das Sprücheklopfen in der Arbeitsmarktpolitik ist sehr verbreitet. Aber wir müssen so lange etwas unternehmen, bis einer Arbeit hat. Nur wer bereit ist, unter hohem Einsatz Arbeit zu schaffen und Arbeitssuchenden Fähigkeiten zu verschaffen, die Ihnen bei der Arbeitssuche helfen, kann die Arbeitslosigkeit reduzieren.