"Digitale Mittler tragen gesellschaftliche Verantwortung" Gastbeitrag für die FAZ
Die Medienwelt hat sich fundamental verändert. Wo früher Inhalteanbieter in direktem Austausch mit ihrem Publikum standen, gewinnen zunehmend Dritte an Bedeutung: Neue digitale Mittler werden immer relevanter, wenn es darum geht, Inhalte zu finden und zu nutzen: Wer das Internet nutzt, ist meist auf diese sogenannten Intermediäre, angewiesen. Zu ihnen gehören Suchmaschinen wie Google, Soziale Netzwerke wie Facebook, Microblogging-Dienste wie Twitter, App-Plattformen wie der App Store von Apple und Plattformen für von Nutzerinnen und Nutzern eingestellte Videos wie YouTube. Über Suchfunktionen und Empfehlungen haben sie Einfluss darauf, auf welche Online-Inhalte Nutzerinnen und Nutzer aufmerksam werden. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Strukturierung der öffentlichen Kommunikation und werden immer marktstärker.
Dafür gibt es systematische Gründe: Eine Suchmaschine wird umso treffsicherer, je mehr Nutzerdaten sie erhält, und einem Sozialen Netzwerk, dem alle meine Freunde und Bekannte angehören, bleibe ich treu, auch wenn mich vielleicht manches daran stört. Proportional zur Größe wächst aber auch die Ambivalenz dieser Angebote. Fairer Wettbewerb, Datenschutz, Urheberrechte, Meinungsvielfalt, Persönlichkeitsrechte bei vielen gesellschaftlich wichtigen Themen stehen Intermediäre aktuell im Fokus und in der Kritik. Doch genauso wie es naiv wäre, den Unternehmen und ihren Versprechen, nichts Schlechtes zu wollen, blind zu vertrauen, wäre es falsch, sie pauschal als Gefährder der Grundrechte im Internet anzusehen.
Zunächst verbessern digitale Mittler die Möglichkeiten von Nutzerinnen und Nutzern, sich persönlich, kommunikativ, wirtschaftlich zu entfalten. Sie machen die Vielfalt der Angebote im Internet erst zugänglich, indem sie auswählen, zusammenstellen und präsentieren. Die dabei zu Grunde liegenden Algorithmen sind ein professioneller Weg, Relevanz zu ermitteln. Dabei stellen sie anders als der Journalismus weniger öffentliche Relevanz als vielmehr individuelle Relevanz für die Nutzerin oder den Nutzer in den Vordergrund. Aus dieser Aggregation individueller Relevanzentscheidungen kann aber wiederum gesellschaftliche Bedeutung entstehen.
Nutzerinnen und Nutzer können aber kaum erkennen, nach welchen Kriterien Relevanz bewertet wird. Im Hinblick auf klassische redaktionelle Medien wie eine Zeitung haben Leser gelernt, die jeweilige politische Ausrichtung zu erkennen und bei ihrer Bewertung des Gelesenen einzubeziehen. Bei Intermediären wäre eine solche Tendenz deutlich schwerer zu identifizieren weil ja eben nicht offensichtlich wäre, dass etwas weggelassen würde, und weil die zunehmende Personalisierung, Vergleichsmaßstäbe schwinden lässt. Hier haben wir medienpolitischen Handlungsbedarf.
Deshalb hat sich die Ende 2014 ins Leben gerufene Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz auch den Intermediären zugewendet. Eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und der Freien und Hansestadt Hamburg diskutierte über den Schutz des wirtschaftlichen und kommunikativen Wettbewerbs ebenso wie über den der Meinungsvielfalt. Das Ziel war es, Lösungen zu entwickeln, um einerseits möglichen Gefährdungen frühzeitig begegnen zu können und andererseits die berechtigten Interessen der Unternehmen zu wahren.
Ein Ergebnis der Debatte zwischen Ländern und Bund ist die gemeinsame Überzeugung, dass die Transparenz bei Intermediären erhöht werden muss. Schließlich wissen viele Nutzerinnen und Nutzer gar nicht, welche Kriterien hinter den Ergebnislisten und Empfehlungen stehen. Sie können folglich nicht beurteilen, ob sich Aggregation, Selektion und Präsentation allein an der Relevanz der Inhalte orientieren oder ob andere Interessen hineinspielen: Bevorzugt der Intermediär eigene Dienste oder Inhalte, um die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange im eigenen Angebot zu halten? Führt der Mittler sie systematisch auf Seiten, mit deren Anbieter er geschäftlich verbunden ist? Diskriminiert er aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen, ohne das im Angebot deutlich zu machen?
Wer hier mehr Transparenz fordert, der gibt den digitalen Mittlern damit zugleich die Gelegenheit, ihr meist implizites Versprechen, die Ergebnislisten und Empfehlungen allein an den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer auszurichten, explizit zu machen und sich daran dann auch messen lassen müssen. Das schafft Vertrauen. Mehr Offenheit ist zudem Ausdruck einer gesellschaftlichen Verantwortung, die damit einhergeht, dass Intermediäre gesellschaftlich wichtige Leistungen erbringen. Viele Intermediäre arbeiten zwar daran, die Transparenz ihrer Kriterien zu erhöhen, eine nutzerfreundliche Aufbereitung, wie sie etwa ein Impressum für Informationen über den Anbieter leistet, ist aber bislang nicht durchgängig gewährleistet.
Bund und Länder haben sich daher im April in einem Positionspapier gegenüber der Europäischen Kommission für eine europäische Regelung ausgesprochen, die Intermediäre dazu verpflichtet, die zentralen Kriterien der Aggregation, Selektion und Präsentation kenntlich zu machen; eine Offenlegung des Algorithmus ist damit ausdrücklich nicht gemeint. Es wäre aber kurzsichtig, pauschal jede Art von Rahmensetzung ausschließen zu wollen, wie es einige Mitgliedstaaten schon getan haben. Deshalb behalten es sich die Länder vor, ergänzende Regeln zum Schutz der Meinungsvielfalt und zur Wahrung gleicher Kommunikationschancen zu erlassen. Dazu können Vorgaben zur Erhöhung der Transparenz, aber auch zur Gewährleistung der Diskriminierungsfreiheit bei Anbietern gehören, die einen besonders hohen Einfluss darauf haben, auf welche meinungsrelevanten Inhalte die Nutzerinnen und Nutzer aufmerksam werden. Bei den Diskussionen über die Zukunft des Medienkonzentrationsrechts werden Intermediäre ebenfalls eine Rolle spielen.
Datenschutz und Urheberrecht sind nicht Gegenstände der Bund-Länder-Kommission, aber auch hier werfen die Geschäftsmodelle der digitalen Mittler Fragen der Nachjustierung des geltenden Rechts auf.
Die Anwendbarkeit des deutschen Datenschutzrechts auf die international agierenden Intermediäre beschäftigt aktuell die Gerichte. Zukünftig wird die europäische Datenschutzgrundverordnung einheitliche Standards setzen und das Marktortprinzip festlegen: Wer in Europa Waren oder Dienstleistungen anbietet und hierzu Daten von Personen verarbeitet, die sich in der Europäischen Union aufhalten, muss sich dann auch an die europäischen Datenschutzregeln halten.
Für das Urheberrecht gilt: Wer mit fremden Leistungen Geld verdient, soll für diese Leistungen auch bezahlen. Allerdings muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass umgekehrt auch Inhalteanbieter davon profitieren, wenn Nutzerinnen und Nutzer über Suchmaschinen oder Soziale Netzwerke auf ihre Angebote aufmerksam werden.
Das heiß debattierte Leistungsschutzrecht für Presseverleger wurde in Deutschland geschaffen, um einen Ausgleich der verschiedenen Interessen zu erreichen, der in vergleichbaren Medien- und Kreativbranchen längst selbstverständlich ist. Diese Absicht war und ist ausdrücklich sinnvoll. Allerdings müssen wir bislang feststellen, dass das Gesetz so, wie es konzipiert ist, noch keine sicherere Grundlage für einen solchen Ausgleich darstellt, sondern lediglich dazu führt, dass die Verweise auf Verlagsinhalte in den Suchmaschinen bisweilen verkürzt erscheinen. Wenn wir über die Einführung eines solchen Rechts auch auf europäischer Ebene diskutieren, sollten wir daher sehr genau prüfen, ob die in Deutschland gewählte Konzeption tragfähig ist oder ob wir mit Blick auf die hiesigen Erfahrungen über alternative Ausgestaltungen nachdenken sollten.
Alle diese Beispiele zeigen, dass sich Medienpolitik verändern muss: Die Rundfunkkommission der Länder als zentrales Abstimmungsgremium für die gesetzlichen Vorhaben muss ihren Fokus erweitern und zu einer echten Medienkommission werden, die alles das in den Blick nimmt, was für unsere gesellschaftliche Öffentlichkeit Bedeutung hat.
Auch die Art, wie wir regulieren, wird sich verändern müssen. Wir müssen zukünftig abstraktere und prinzipiengeleitete Vorgaben machen, deren Konkretisierung sich am Einzelfall entscheidet. Dafür braucht es auch andere Regulierungs- und Entscheidungsstrukturen. Rechtssicherheit und Flexibilität miteinander zu vereinbaren, gehört dabei zu den wichtigen Aufgaben.
Wir sollten auch vermehrt auf kluge Governance-Prozesse setzen, die die betroffenen Unternehmen und Verbände zu Partnern in der Regulierung machen. Diese Prozesse können insbesondere beim Erreichen zeitnaher Lösungen und bei deren Durchsetzung durchaus überlegen sein.
Bund und Länder sollten auch in Zukunft Formen des regelmäßigen Austauschs finden, um ihre Sichtweisen in Einklang zu bringen, die sich aus den verschiedenen Zuständigkeiten ergeben.
Und schließlich muss auch die Struktur der Medienaufsicht, die in Deutschland vierzehn Landesmedienanstalten obliegt, noch stärker als bisher auf die Herausforderungen eingestellt werden, die sich aus den digitalen Umbrüchen ergeben. Dies zeigt sich gerade bei der Frage einer zukünftigen Regulierung von Intermediären besonders deutlich.
All dies ist mit sehr grundsätzlichen Diskussionen verbunden, die wir aber jetzt führen müssen, um die verfassungsrechtlichen Vorgaben auch zukünftig erfüllen zu können. Wir stehen in der Verantwortung, eine demokratische Kommunikationsordnung zu schaffen, die auch in digitalen Medienwelten von Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt geprägt ist. Möglich ist das.
Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3. Juni 2016