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18.06.2003

Dokumentation über Verfolgung Hamburger Sozialdemokratinnen und -demokraten

(Bild)

Bei der Vorstellung des Gedenkbuches im Hamburger Kurt-Schumacher-Haus: Hans Saalfeld (ehem. DGB-Vorsitzender und Ex-Bürgerschaftspräsident), Olaf Scholz, Dr. Walter Tormien und Christel Oldenburg (AK Geschichte), Hans-Jochen Vogel (v. l.)

Christel Oldenburg:

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Genossinnen, liebe Genossen,

ich begrüße euch recht herzlich und freue mich, dass so viele zu unserer Veranstaltung gekommen sind, zur Vorstellung unseres Buches über Verfolgung und Widerstand Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
Dass so viele hier erschienen sind, liegt sicher auch an unserem Gast, den ich hiermit ganz herzlich begrüßen möchte: Hans-Jochen Vogel, wir freuen uns, dass du zu uns nach Hamburg gekommen bist. Auf Initiative Hans-Jochen Vogels hat der SPD-Bundesparteitag 1995 beschlossen, ein Buch zu erstellen ein Buch über verfolgte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Dieses Buch ist im Jahre 2000 erschienen, und es war unsere Vorlage. Danach haben wir gesagt: Wir möchten auch für den Landesverband Hamburg so ein Buch erstellen.

Heute ist es so weit. Hans-Jochen Vogel wird dieses Buch gleich vorstellen. Im Anschluss wird unser Landesvorsitzender Olaf Scholz zu uns sprechen.
Der Landesvorstand unter dem Vorsitz von Olaf Scholz hat im Jahre 2000 beschlossen, eine Arbeitsgruppe Geschichte einzusetzen - und zwar nach dem Motto: Traditionen können Ressourcen sein, wir müssen sie nur schöpfen. Der Arbeitskreis Geschichte hat sich dann gebildet, und wir haben verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. Der Schwerpunkt unserer Arbeit lag jedoch eindeutig im Bereich Verfolgung und Widerstand. Vor diesem Hintergrund  möchte ich euch dann im Anschluss an Olaf Scholz in kurzer Form noch etwas über die Arbeit unserer Gruppe sagen und darüber, wie dieses Buch Für Freiheit und Demokratie Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Verfolgung und Widerstand 1933 1945 entstanden ist.
 

Hans-Jochen Vogel:

Liebe Christel Oldenburg, lieber Olaf Scholz...

... und jetzt würde ich gern viele noch namentlich ansprechen - darf mich aber auf zwei konzentrieren: lieber Peter Schulz und lieber Klaus Arndt, der heute erfreulicherweise auch hier zugegen ist, und liebe Genossinnen und Genossen. Ich freue mich, wenn Genosse und Genossin mit dieser Selbstverständlichkeit auch bei dieser Gelegenheit verwendet wird. Man sollte gute Begriffe nicht deswegen wegwerfen, weil andere sie missbraucht haben. Und da darf ich auf eine Parallele hinweisen: Der Begriff Komitee ist doch auch ein ziemlich missbrauchter und eingefärbter, trotzdem kämen die deutschen Katholiken nicht auf den Gedanken, den Begriff Zentralkomitee der deutschen Katholiken aufzugeben. Also - wir sind da in bester Gesellschaft.
Ich bin eingeladen, hier und heute anlässlich der Präsentation des Buches "Für Freiheit und Demokratie" das Wort zu nehmen. Obwohl ich mir mit der Übernahme auswärtiger Termine wegen meiner gesundheitlichen Verhältnisse und meines nun doch schon etwas höheren Alters mehr Zurückhaltung auferlegen muss als früher, habe ich dieser Einladung dennoch aus zwei Gründen gern Folge geleistet. Einmal fühle ich mich Hamburg und der Hamburger Sozialdemokratie seit Jahrzehnten besonders verbunden. Das hat etwas mit Persönlichkeiten wie Max Brauer, Paul Nevermann sowie Herbert und Elsbeth Weichmann zu tun, um nur einige von den bereits Verstorbenen zu nennen. Mit allen stand ich zu Lebzeiten und insbesondere in der Zeit, in der sie als Bürgermeister oder Elsbeth Weichmann als Mitglied der Bürgerschaft amtierten, in lebhaftem Kontakt. So sehe ich mich beispielsweise noch heute nach über 42 Jahren als einer der zwei Oberbürgermeister, die 1961 anlässlich des Amtsantritts von Paul Nevermann neben Willy Brandt zu einer Kundgebung eingeladen waren am Rednerpult der Ernst-Merck-Halle stehen. Schwer zu glauben, dass das schon 42 Jahre her ist. Aber damals war der Münchner Oberbürgermeister mit seinen 35 Jahren auch ziemlich der Jüngste weit und breit.

Die Zusammenarbeit mit Helmut Schmidt, aus der sich eine andauernde freundschaftliche Beziehung entwickelt hat, ist ein weiterer, der zweite Grund dafür, dass mir Hamburg stets gegenwärtig geblieben ist. Natürlich ist mir auch bewusst, was August Bebel schon 1875 über Hamburg sagte, dass nämlich Berlin die Hauptstadt des deutschen Reiches, Hamburg aber die Hauptstadt des deutschen Sozialismus sei. Das entsprach, wie wir wissen, auch ziemlich lange der Realität.
Zum anderen gehöre ich zu der Generation, die zumindest die späten Jahre des NS-Gewaltregimes noch bewusst miterlebt hat. Gerade deshalb habe ich mich in all meinen politischen Funktionen und zuletzt als Mitbegründer der Vereinigung gegen Vergessen für Demokratie immer wieder dafür engagiert, die Erinnerung an jene Zeit wach zu halten und aus ihr die richtigen Folgerungen zu ziehen. Und das ist ja, wenn ich es richtig verstanden habe, auch ein wesentliches Motiv für die Erarbeitung des Buches, das heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Es gibt eine uralte Weisheit: Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wo er sich befindet und wohin ihn sein Weg führen wird. - Dieser Satz gilt für das einzelne Individuum, er gilt aber auch für Gemeinschaften und Parteien. Und er gilt in besonderem Maße für uns, für die sozialdemokratische Partei Deutschlands. Denn unsere Geschichte reicht weit zurück, sie hat vor ziemlich genau 140 Jahren an jenem 23. Mai 1863 begonnen, an den wir uns gerade in Berlin und Hamburg erinnert haben, an dem Ferdinand Lasalle an die Spitze des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins trat. Damit begann die Geschichte unserer Partei um Jahrzehnte früher als die Geschichte aller anderen Parteien in unserem Lande. Wir sind auch die einzige Partei, die seit 1891, also seit über 110 Jahren, ihren Namen unverändert und ohne jede Modifikation beibehalten konnte und beibehalten hat.
Möchten wir unsere Geschichte vergessen? Wenn wir uns einbilden würden, die deutsche Sozialdemokratie hätte jeweils erst mit unserem Beitritt angefangen, dann würden unsere Wurzeln verdorren. Dann liefen wir Gefahr, die Orientierung zu verlieren und der Beliebigkeit anheim zu fallen. Diese unsere Geschichte hat viele Facetten und sie umschließt viele wichtige Daten. Wollte ich auch nur die wichtigsten nennen, so würde sich zeigen, dass die deutsche Sozialdemokratie unserem Volk in den vergangenen 140 Jahren in vorbildlicher Weise gedient und das Ziel einer freiheitlichen, friedlichen, gerechten und demokratischen Gesellschaft nie aus den Augen verloren hat. Ja, wir dürfen wohl ohne Übertreibung feststellen, dass es ohne uns das meiste von dem, was sich ohne die bestehenden Defizite und Gefährdungen zu verkennen an Positivem auch über den Zustand unserer Gesellschaft wahrlich sagen lässt, ohne uns so kaum geben würde. Auf dem Weg dorthin gab es neben Erfolgen und großen Leistungen sicher auch Irrtümer, falsche Entscheidungen und Rückschläge.

Aber es gab in der Geschichte eine Konstante, nämlich den Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden und Demokratie, und es gab den Widerstand gegen Unterdrückung, gegen Unrecht, gegen Missachtung der Menschenwürde und gegen jede Art von Diktatur. Das, glaube ich, meinte Kurt Schumacher, als er einmal die Sozialdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg eines der saubersten Stücke der deutschen Geschichte nannte. Und darauf stützen sich wohl auch die beiden Sätze des im Wesentlichen von Willy Brandt verfassten Manifests, das auf dem Parteitag anlässlich der Vereinigung des westdeutschen und der ostdeutschen sozialdemokratischen Parteien am 27. September 1990 in Berlin verabschiedet wurde und die da gleich zu Beginn feststellen: Dreimal in der deutschen Geschichte wollten antidemokratische Gewalten die stabilste Stütze der deutschen Demokratie umreißen: 1878, 1933 und 1946. Dreimal ist es misslungen. Alle, die sich vorgenommen hatten, die SPD zu vernichten, sind selbst von der Geschichte eingeholt worden.
Eben dies hat in seiner historischen Rede vom 23. März 1933 Otto Wels auch  der NS-Gewaltherrschaft vorausgesagt. Der 23. März 1933, der sich vor wenigen Wochen zum siebzigsten Mal gejährt hat, war bekanntlich der Tag, an dem allein die 94 noch in Freiheit befindlichen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten - die Kommunisten waren schon ausgeschlossen - dem Ermächtigungsgesetz in namentlicher Abstimmung mit Nein begegneten. Ich habe dieses Ereignis deswegen vor Augen, nicht weil ich etwa schon hätte dabei sein können, sondern weil Josef Helder, der letzte Überlebende, der damals an dieser Abstimmung teilgenommen hat, in München ein guter Freund von mir war. Er ist vor zwei Jahren nach Vollendung seines 100. Lebensjahres verstorben.

Diesem 23. März 1933 gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der Sozialdemokratie, aber auch in der Geschichte unseres Volkes. Und nicht minder gebührt er der Rede, die Otto Wels bei dieser Gelegenheit als Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender hielt. Wir deutschen Sozialdemokraten, so sagte er, bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Und direkt zu Hitler, ihm ins Gesicht, fügte er hinzu: Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Und weiter: Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet, auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.
Otto Wels hat Recht behalten. Zwar konnte die Sozialdemokratie die Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft und die Katastrophe, in der sie endete, nicht verhindern. Viele Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen fielen zudem dem Terror der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer, weil sie Widerstand leisteten, anderen Verfolgten halfen oder einfach ihre Überzeugungen nicht preisgaben. Aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - in der Stunde Null - zeigte sich, dass die sozialdemokratischen Werte, auf die sich Wels bezogen hatte, dass die fortlebten und dass die Partei nach dem Ende der Schreckensherrschaft von neuem an die Arbeit ging, um unseren Volk eine bessere Zukunft zu geben.
Diese Konstante, diesen immer erneuten Kampf, verkörpern Tausende von Männern und Frauen, die seit 1863 für ihre Überzeugungen schwere Opfer gebracht haben. Das schon in der Zeit des Sozialistengesetzes, die ja fast ganz aus unserem Gedächtnis geschwunden ist, dann im Kampf gegen das NS-Gewaltregime und danach in der sowjetischen Besatzungszone und in der ehemaligen DDR. Sie alle haben ihre Freiheit und ihre Gesundheit, ihre ganze Person und auch die Wohlfahrt ihrer Familien aufs Spiel gesetzt, und nicht wenige haben ihr Leben geopfert, weil sie sich dem Zwang und dem Terror nicht beugen wollten und weil sie die Werte, für die die Sozialdemokratie stand, und die Gesellschaftsordnung, die sie erstrebten, nach ihren programmatischen Aussagen auch heute als andauernde Aufgabe immer aufs Neue erstrebt haben. Damals sprach man nicht in den Wendungen des Godesberger Programms, das erst seit 1959, damals sprach man von dem wohl verstanden demokratischen Sozialismus, den sie für wichtiger hielten als ihr eigenes Wohlergehen.
Es hat lange gedauert, bis der Parteitag im Jahre 1995 beschloss, diese Männer und Frauen durch ein öffentlich ausgelegtes bundesweites Gedenkbuch zu ehren. Und es hat dann noch einmal fünf Jahre in Anspruch genommen, das Buch so fertig zu stellen, wie es dann im September 2000 im Willy-Brandt-Haus in Berlin präsentiert wurde und dort am Eingang ausliegt. Dort sind zunächst einmal 505 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die besonders hart verfolgt wurden und nicht mehr am Leben sind - darunter übrigens rund 20, die hier in Hamburg aktiv waren - mit ihren Namen, ihren Lebenswegen, ihren Leistungen und ihrem Einsatz und mit dem, was sie dafür an Leiden auf sich genommen haben, festgehalten und so vor dem Vergessen bewahrt worden. Vor dem Vergessen, das Hans Jonas, der große Philosoph, zu Recht als den zweiten und endgültigen Tod des Menschen genannt hat.
Drei Viertel von diesen 505 waren Opfer des NS-Regimes, ein Viertel war Opfer des Stalinismus, darunter übrigens nicht wenige, die von beiden Regimes verfolgt wurden und zum Teil wieder in denselben Lagern saßen, aus denen sie 1945 als Überlebende frei gekommen waren und die ihre Überzeugungstreue und ihre unbeirrbare Standfestigkeit gegenüber der doppelten Verfolgung besonders beispielhaft unter Beweis stellten. Fast die Hälfte dieser 505 Männer und Frauen wurden ermordet oder haben sonst ihr Leben in Folge ihres Einsatzes für die Sozialdemokratie verloren, darunter überdurchschnittlich viele, weil sie nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Juden waren. Von denen, die überlebten, haben die meisten entscheidend zum Wiederaufstieg unserer Partei und zum Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens beigetragen. Ihre Erfahrungen sind auch in das Grundgesetz eingegangen, so vor allem in den ersten Artikeln des Grundgesetzes, in dem es heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Bei der Vorstellung dieses Gedenkbuches im Jahr 2000 äußerte ich die Hoffnung, dass die Gedenkarbeit fortgesetzt und künftig in den Landesverbänden, den Bezirken und den örtlichen Gliederungen noch verstärkt wird. Denn das, so betonte ich, seien wir nicht nur den Opfern, das seien wir auch unserer eigenen Glaubwürdigkeit und Selbstachtung schuldig. Der Hamburger SPD-Landesverband hat diese meine Hoffnungen in beispielhafter Weise erfüllt. Nach jahrelanger Arbeit legt er heute unter dem gut gewählten Titel "Für Freiheit und Demokratie" ein Buch vor, das nicht nur die Geschichte des sozialdemokratischen Widerstands in der Zeit des NS-Regimes anschaulich schildert, sondern die Namen von mehr als 1500 Männern und Frauen nennt. Diese Namen und diese Menschen werden damit vor dem Vergessen bewahrt, Menschen, die damals verfolgt wurden. Für 95 von ihnen sind detaillierte Lebensläufe erarbeitet worden. Das, verehrte Anwesende, ist eine Leistung, die meines Wissens bislang nur in Hamburg vollbracht wurde und die deshalb besonderen Respekt verdient.

Erfreulicherweise ist dabei auch der Widerstand aus dem Bereich der Sozialistischen Arbeiterpartei SAP und des ISK Internationaler Sozialistischer Kampfbund einbezogen worden. Die meisten Mitglieder dieser Gruppen, darunter Willy Brandt, der noch vor 1933 zur SAP übergetreten war, kehrten bekanntlich kurz vor Kriegsende oder bald danach zur SPD zurück und haben auf die weitere Entwicklung der Sozialdemokratie erheblichen Einfluss genommen. Willy  Brandt sowieso, aber beispielsweise auch Willi Eichler, der nach dem Tod von Leonard Nelson im ISK, im Internationalen Sozialistischen Kampfbund, eine wichtige Rolle spielte und der zu Recht als der eigentliche Vater des Godesberger Programms angesehen werden muss.
Bewegend sind die meisten der in dem Buch abgedruckten Lebensläufe. Lebensläufe von Männern und Frauen, die handelten, als andere schwiegen und sehr viele einem Führer zujubelten, der in gotteslästerlicher Weise Allwissenheit und Allmacht in Anspruch nahm und sich als Werkzeug der Vorsehung - so drückte er sich aus - als Werkzeug der Vorsehung feiern ließ. Denen ihr Leben genommen wurde durch Hinrichtung, durch Tod im KZ oder durch Kommandierung in ein Strafbatallion, die in der Realität für die meisten einem Todesurteil nahe kam. Oder weil sie, wie nicht wenige, jüdischer Abstammung waren. Oder die nur überlebten, weil sie rechtzeitig ins Ausland flüchteten. Wer diese Lebensläufe studiert, wird auch erkennen, dass die damaligen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen viel härtere Proben und Prüfungen zu bestehen hatten als sie uns Heutigen zugemutet werden. Mancher, der heute stöhnt und jammert, auch über die eigene Partei, wie das sozialdemokratisch selbstverständlich ist, möge das gelegentlich bedenken. Und er möge auch bedenken, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die meisten von denen, die überlebten, sogleich nach Kriegsende für den moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau ihrer Vaterstadt, ihres Vaterlandes und ihres Landes engagiert haben.

Einen Lebenslauf möchte ich besonders hervorheben und das ist der von Karl Meitmann. 1891 geboren, 1909 in die SPD eingetreten, arbeitete Karl Meitmann vor dem Ersten Weltkrieg als kaufmännischer Angestellter bei der Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumvereine in Hamburg. Nach dem Krieg, den er jahrelang als Soldat erlebte, stieg er in wenigen Jahren zum Landesvorsitzenden auf, 1931 wurde er auch in die Bürgerschaft gewählt, während der Herrschaft des Gewaltregimes verfolgt, mehrfach verhaftet und in der Haft schwer misshandelt. 1945 war er sogleich wieder zur Stelle und wirkte maßgeblich am Wiederaufbau der Hamburger SPD  mit, deren Landesvorsitz er  bis 1952 inne hatte. Erneut gehörte er der Bürgerschaft und von 1949 bis 1961 dem Deutschen Bundestag an.
Karl Meitmann verkörperte auf seine Weise die unbeirrbare Standfestigkeit, die Beharrlichkeit und die Bereitschaft vieler damaliger Hamburger Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen, sich auch unter schwierigen Bedingungen für die Grundwerte unserer Partei und für die Demokratie einzusetzen. In diesem Sinne war er ein Parteifunktionär. Ich weiß, es ist heutzutage üblich, auf Funktionäre und erst recht auf Parteifunktionäre herabzublicken und von ihnen mitunter sogar verächtlich zu reden und zu schreiben. Es mag schick sein und dem Zeitgeist entsprechen - vernünftig und gerecht ist es nicht. Zum einen, weil  Generalisierungen meist falsch sind, zum anderen, weil keine Partei und damit auch unser Gemeinwesen auf Männer und Frauen verzichten kann, die zur  Übernahme von Verantwortung bereit sind. Unsere politische Gemeinschaft kann auf diese Menschen nicht verzichten. Gerade heute brauchen wir, so meine ich, nicht weniger, wir brauchen mehr Funktionäre, die ihren Dienst Ernst nehmen und sich der Bezeichnung ebenso wenig schämen wie Karl Meitmann das getan hat.
Aber ebenso möchte ich auch den im September 2001 verstorbenen Heinz Gärtner erwähnen, den Hamburger SPD-Landesgeschäftsführer, der noch viele andere Funktionen innehatte, und mir, der ich ihn noch persönlich kannte, vor allem deswegen in Erinnerung geblieben ist, weil er kurz vor seinem 85. Geburtstag, kurz vor seinem Tod, eine Schulabschlussarbeit aus dem Jahr 1931 veröffentlichte. Er war 15 Jahre alt, als er diese Arbeit schrieb und ihr den Titel gab: "Sozialismus und Faschismus". Ich glaube mir vorstellen zu können, was unserem Volke erspart geblieben wäre, wenn solche Gedankengänge, wie sie dieser 15-Jährige 1931 niedergeschrieben hat, auch unter den Eliten unseres Volkes und auch unter den intellektuellen Eliten verbreitet gewesen wären. Aber ich erinnere mich auch an andere noch persönlich, deren Lebensläufe hier im Buch zu finden sind, Peter Blachstein, Gerhard Brandes, Finanzsenator, der sich im Organisationskomitee für die Olympischen Spiele als Ländervertreter um die Finanzierung der Olympischen Spiele in München verdient gemacht hat. Max Brauer natürlich, Herbert Dau, oder Irma Keilhack und Paul Nevermann, den ich schon nannte.

Es bleibt mir übrig, all denen zu danken, die dieses großartige Buch möglich gemacht haben: der Hamburger SPD-Landesorganisation mit Olaf Scholz an der Spitze, dem Hamburger SPD-Arbeitskreis Geschichte und der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten - und vor allem dir, liebe Christel Oldenburg, und dir, lieber Walter Tormien, die ihr ja die Motoren dieses Unternehmens gewesen seid. Ein Wort des Dankes auch für die Spenderinnen und Spender, die zu Recht namentlich erwähnt werden. Spender soll man ja im Allgemeinen sowieso nicht geheim halten, wie wir wissen.

Liebe Genossinnen und Genossen,
es ist gut, dass wir heute die Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ehren, denen dieses Buch gewidmet ist und dass wir ihrer gedenken.  Aber das ist nicht genug. Sie haben uns nämlich ein Vermächtnis hinterlassen. Ein Vermächtnis, das uns verpflichtet, nicht nur heute für diese Stunde, sondern für alle Zukunft. Zwei Mahnungen enthält dieses Vermächtnis. Die eine fordert uns auf, an den Werten festzuhalten, für die sie gekämpft haben. Das heißt nicht, dass wir auf neue Entwicklungen oder Herausforderungen nicht neue Antworten geben müssten. Natürlich bedarf es substanzieller Reformen, die ja gegenwärtig auch auf dem Weg sind und die wir unter breiter und lebhafter Diskussion auf den Weg gebracht haben. Aber alles, was wir tun, muss sich daran messen lassen, ob es den Grundwerten standhält und ob es auch vor den Augen derer bestehen könnte, die heute geehrt werden.
Die andere Mahnung lautet: Lasst nicht zu, dass 58 Jahre nach Ende der NS-Gewaltherrschaft noch immer in unserem Lande, wohl auch in dieser Stadt, Minderheiten diskriminiert, deren Angehörige als Sündenböcke verteufelt und gegen sie zuerst verbale und dann auch körperliche Gewalt propagiert und angewandt werden. Dass mitten unter uns Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder einfach weil sie anders erscheinen, beleidigt, verfolgt oder zusammengeschlagen und dass jüdische Friedhöfe geschändet werden - im letzten Jahr 22 an der Zahl. Auf das Verhältnis der Zahl der jüdischen und der nicht jüdischen Friedhöfe bezogen, würde das bedeuten, dass 2500 nicht jüdische Friedhöfe jedes Jahr geschändet würden. Ein Umstand, der mich persönlich auch immer wieder bedrückt.

Lasst nicht zu, dass Agitatoren abermals an das appellieren, was Kurt Schumacher in seiner großen Reichstagsrede gegen die Nationalsozialisten schon im Frühjahr 1932 den inneren Schweinhund im Menschen genannt hat. Ihre Parolen und ihre Politik, so sagte er mit Blick zur NS-Reichstagsfraktion, die wie üblich in Uniform erschienen war, ihre Politik, ihre Agitation ist ein ununterbrochener Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. Und manches, was ich hier jetzt eben aufzählte und erwähnte, das hat mit der Versuchung zu tun, die im Menschen angelegt ist: sich selbst im eigenen Selbstwertgefühl zu stärken, indem man auf den, der schwächer ist, der schon am Boden liegt, einredet oder notfalls auch einschlägt. Verschließt nicht, so lautet diese Mahnung, eure Ohren, wenn am Arbeitsplatz, am Stammtisch oder sonst schlimme Sprüche gedroschen werden, sondern nehmt euch an uns ein Beispiel. Widersteht, widersprecht und bringt euch ein, um neuem Unheil vorzubeugen. Was diesen damals widerfuhr, darf nicht ein weiteres Mal geschehen. Darum müssen wir der Gleichgültigkeit und dem Vergessen wehren. Nie wieder, nicht noch einmal - das muss der Appell sein, der von diesem Gedenkbuch immer aufs Neue ausgeht.

In diesem Sinne verneige ich mich vor denen, die in das Gedenkbuch aufgenommen wurden und zugleich vor allen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die - zu welcher Zeit auch immer - für Freiheit und Demokratie, für Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität gekämpft haben. Ihr Vorbild soll uns immer aufs Neue anspornen. Vielen Dank.
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Olaf Scholz:

Lieber Hans-Jochen Vogel, liebe Genossinnen und Genossen,

das Gedenkbuch ist vorgestellt. Die Arbeit, die damit verbunden war, ist  dargestellt und gewürdigt worden. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, dieses Werk fertig zu stellen und zu veröffentlichen. Denn für eine solche Aufarbeitung der Vergangenheit sind ja in erster Linie diejenigen unverzichtbar, die sich erinnern, die aus eigener Erfahrung berichten können.
Eigentlich ist es traurig, dass wir erst so spät dazu gekommen sind, dieses Buch fertig zu stellen. Um so wichtiger, dass es am Ende eines langen Arbeitsprozesses schließlich doch geklappt hat. Ich möchte mich bei denjenigen sehr bedanken, die daran mitgewirkt haben. Sie haben sich einen Verdienst erworben um die sozialdemokratische Partei hier in Hamburg, aber auch um diejenigen, die für die Demokratie gekämpft haben und heute noch kämpfen, die sich erinnern und die anschauen wollen was andere getan haben.
Wenn man in dem Buch liest, stellt man eines fest: Die meisten, die dort - ich finde, das Wort ist angemessen - als Helden dargestellt werden, sind nicht freiwillig Helden geworden. Sie hatten nicht vor, in ihrem Leben ganz Mutige zu sein. Sie sind vielmehr mutig und Helden geworden, weil das in einer bestimmten Situation für sie unvermeidbar gewesen ist. Sie sind mit Verhältnissen konfrontiert worden, die eine Gewaltherrschaft mit sich bringt. Und diese Verhältnisse, diese Erlebnisse in und mit der Diktatur haben es für sie notwendig gemacht eindeutig Position zu beziehen, bei der Sache zu bleiben, für das zu stehen, wofür sie angetreten sind. Und in diesem Moment haben viele das höchste  riskiert für Freiheit und Demokratie ihre Gesundheit, ihre Existenz, ihr Leben.
Das ist eine Sache, die ich sehr wichtig finde: Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass es häufig einfache Menschen waren, die widerstanden haben. Dass es Menschen waren, die - ohne dass sie nun besondere Großartigkeit mit sich brachten - sich entscheiden haben. Sie waren mutig, als es darauf ankam.

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich will im Zusammenhang mit diesem Buch an ein Ereignis zu erinnern, das  mir sehr wichtig ist. Wir alle vergessen schnell. Und Jahrestage sollen diesem Vergessen entgegen wirken. Sie sind ein Anlass, sich zu erinnern.
Es ist fast genau 70 Jahre her, dass am 16. Juni 1933 unsere Genossinnen und Genossen vom Hamburger Parteivorstand in den Räumen in der Fehlandstraße zusammenkamen, um über die Fortführung der Parteiarbeit unter der Nazi-Herrschaft zu beraten. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 hatten die Gegner des NS-Regimes die Brutalität der Machthaber schon zu spüren bekommen. Zahlreiche Sozialdemokraten - und natürlich auch Kommunisten und andere - waren schon verhaftet worden. Die sozialdemokratische Zeitung Hamburger Echo war bereits von den Machthabern verboten worden. Aufgrund der so genannten Säuberung von politisch unzuverlässigen Elementen hatten viele Genossinnen und Genossen ihren Arbeitsplatz verloren - vor allem sozialdemokratische Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Die großen sozialdemokratischen Wirtschaftsunternehmen wie die Volksfürsorge, die Großeinkaufsgesellschaft und der Zentralverband deutscher Konsumvereine standen unter nationalsozialistischer Führung. Es durften keine SPD-Fahnen aus Fenstern gehängt, es durften keine Plakate mehr geklebt, es durfte nicht mehr demonstriert werden. Die SPD sollte als politische Kraft auch dadurch entwertet werden, dass sie keine politischen Versammlungen mehr abhalten durfte. Die Versammlung am 16. Juni hatte die SPD unter einem Vorwand angemeldet: Sie wollte offiziell - über die Zukunft des Hamburger Echo diskutieren. Tatsächlich wollten sich die Sozialdemokraten auf die politische Arbeit in der Illegalität einstellen.
Nach der Machtübernahme hatten Parteiführung und Fraktion gedacht, der ganze Nazispuk werde sich bald wieder geben. Sie setzten aus vielen Erwägungen - auch sehr vielen richtigen - auf einen strikten Legalitätskurs. Manche glaubten sogar, dass man auf die eine oder andere Weise die Bedingungen verändern und verbessern könnte. Mitglieder des Reichsbanners hingegen und andere hatten schon früher begonnen, Widerstand zu leisten. Angesichts dieser nicht einheitlichen Linie war natürlich vieles miteinander zu beraten. Nach dem systematischen Terror, nach Einschüchterung und nach der Gleichschaltung des öffentlichen Lebens, der Presse, des Rundfunks und der Kultur bis hin zum gesamten Vereinswesen war allen Sozialdemokraten klar: Die Zeit der Illegalität unter dem bismarckschen Sozialisten-Gesetz wird sich nicht wiederholen. Wer sich gegen die Nazis stellte, wer sich auch jetzt weiterhin offen zu seiner anti-nationalsozialistischen Gesinnung stand, der riskierte Gesundheit, berufliche Existenz und sein Leben.
 
An jenem 16. Juni, heute vor fast genau 70 Jahren, drangen um 22.30 Uhr Polizisten in die Räume der SPD ein und verhafteten rund 30 Personen der Hamburger SPD-Führungsspitze. Der Reichstagsabgeordnete Gustav Dahrendorf war darunter, der Vorsitzende der Hamburger SPD Karl Meitmann, die Bürgerschaftsmitglieder Adolf Schönfelder, Hans Podeyn, Walter Schmedemann und Grete Zabe. Sie alle wurden mehrere Wochen gefangen gehalten und zum Teil schwer misshandelt. Erst Ende August des Jahres 1933 kam der letzte wieder frei.
Die Polizisten beschlagnahmen Material und Flugblätter des SPD-Parteivorstandes, das sie als hochverräterisch einstuften. Sechs Tage später, am 22. Juni 1933, erließ der Nazi-Innenminister Frick mit dem Hinweis auf die Verhaftungen in Hamburg ein reichsweites Betätigungsverbot gegen die SPD. Der Terror wurde per Gesetz abgesegnet. Von diesem Tag an konnte jeder Sozialdemokrat, der einen Flugblatttext verfasste, verbotene Bücher oder Schriften weitergab oder der sich lediglich mit Genossinnen und Genossen traf, sofort ins Konzentrationslager gesteckt werden - weil er sich für die SPD, weil er sich für demokratische Ziele eingesetzt hatte. Aber, und das ist das woran wir heute erinnern, wenn wir dieses Buch miteinander betrachten, Tausende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fassten und behielten trotz allem  Mut. Sie fanden sich in kleinen Gruppen zusammen, hielten weiterhin Kontakt, versuchten, Menschen über das unmenschliche Regime aufzuklären.
Die Erinnerung an die Kämpfer gegen Gewalt und Diktatur und die, über die hier geschrieben wird, aber auch die Erinnerung an das Ereignis, das sich hier in Hamburg vor fast genau 70 Jahren zugetragen hat, macht eines deutlich: dass es wichtig ist, sich für die eigene Sache einzusetzen und dass es gut gewesen ist, dass so viele sich eingesetzt haben. Denn diesen Menschen verdanken wir, dass wir stolz sein können auf die Geschichte unserer Partei. Dass auch die Deutschen sagen können, dass es anständige Deutsche in der Zeit des Nationalsozialismus gab. Auch in dieser Hinsicht bin ich dankbar für das Buch und für die Arbeit, die hier geleistet worden ist.
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Christel Oldenburg:

Vielen Dank, Hans-Jochen Vogel, vielen Dank, Olaf Scholz für das Lob. Ich möchte jetzt kurz etwas zu unserem Arbeitskreis sagen. Viele von euch waren auch vor zwei Jahren dabei. Sie werden sich daran erinnern, dass wir hier den 85. Geburtstag von Heinz Gärtner gefeiert haben. Damals war unser Arbeitskreis gerade vier Monate alt. Im November 2000 hatten sich erstmals Mitglieder getroffen, die sich für die Geschichte und besonders für die Geschichte der SPD interessieren. Wir wollten darüber beraten, welche Arbeitsschwerpunkte wir uns setzen wollten. Es war Heinz Gärtner, der mahnte, endlich das Thema Verfolgung und Widerstand Hamburger Sozialdemokraten anzupacken. Er musste uns nicht lange überzeugen. Die meisten Zeitzeugen, die Auskunft über ihre Erlebnisse und Erfahrungen während der NS-Diktatur hätten geben können, waren schon verstorben. Viele Unterlagen - die Anklageschriften, Gerichtsurteile oder Briefe aus dem Gefängnis - waren über die Jahre oftmals achtlos weggeworfen worden. Es war von Anfang an ein nachholendes Projekt, eine Arbeit, die längst hätte erledigt sein müssen, als wir die ersten Überlegungen anstellten.
Bereits 1965 hatte Erich Müth, langjähriger Direktor der staatlichen Pressestelle, gefordert: Schreibt endlich die Geschichte des Hamburger Widerstandes.  Seit dieser Zeit sind einige kleinere gute und wichtige Publikationen erschienen. Eine umfassende Geschichte des Hamburger Widerstands fehlt bis heute. Wir wussten: Wollten wir für unsere Genossinnen und Genossen, die während der NS-Diktatur schwere Opfer auf sich nahmen, noch etwas erreichen, mussten wir schnell sein, Zeitzeugen interviewen, Quellenmaterial sichern und sichten. Aber wir wussten auch: Forschungsarbeit kostet vor allen Dingen Zeit und Geld. Von beiden hatten wir wenig. Und so war es wiederum Heinz Gärtner, der uns half. Statt Geburtstagsgeschenke wünschte er sich zu seinem 85. Spenden für unser Projekt.
Damals ist eine erkleckliche Summe zusammengekommen, und so standen wir plötzlich in der Pflicht, auch in absehbarer Zeit etwas vorlegen zu müssen. Nun weiß jeder, der Politik macht, dass es noch relativ einfach ist, Ideen zu entwickeln, aber es ist schon sehr viel schwieriger, diese Ideen auch in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich glaube, in den Monaten nach Heinz Gärtners  Geburtstag ist uns erst richtig klar geworden, wie viel Arbeit vor uns lag. Literaturlisten anlegen, Literatur auswerten, in verschiedenen Archiven nach Quellen forschen, wiederum sichten und auswerten, erst einmal Grundlagen schaffen. Dann kamen die methodischen Diskussionen: Wie schaffen wir es, möglichst viele Namen von Verfolgten zu sichern? - Uns ist schnell klar geworden, dass wir nur einen Teil der Namen würden herausfinden können. In der Mitgliederkartei der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten fehlten natürlich alle Sozialdemokraten, die von Nazis ermordet worden sind. Es fehlten auch alle, die nach 1933 Hamburg verlassen mussten oder aufgrund der Bombenangriffe Hamburg verlassen haben. Man nannte sie dann die Buten-Hamburger.  Es gab die, die nach 1945 nicht nach Hamburg zurückgekehrt sind und auch diejenigen, die nicht in die Hamburger SPD zurückgekehrt sind.
Wir haben lange und ausführlich über Begriffsbestimmungen diskutiert:  Wer ist Verfolgter? Nur derjenige, der Haft erleiden musste oder auch derjenige, der aufgrund seiner SPD-Mitgliedschaft seinen Arbeitsplatz verloren hatte und weder Arbeitslosenunterstützung erhielt noch in Arbeit vermittelt wurde. Wir haben uns schließlich die Aussage von Paul Nevermann und anderer zu eigen gemacht, die berichteten, dass sie einige Tage oder Wochen Haft in Folge der Gewitteraktion 1944 als nicht so schlimm empfunden haben wie den oft jahrelangen täglichen Druck, sich aufgrund von Arbeitslosigkeit irgendwie durchschlagen zu müssen. Wir haben alle diese Fälle aufgenommen - auch um zu dokumentieren, wie systematisch und umfangreich die Nazis ihre Gegner verfolgten.
Dann kam die Frage: Wer ist in diesem Zusammenhang eigentlich ein Hamburger Verfolgter? Nur Sozialdemokraten, die zwischen 1933 und 1945 hier gelebt haben? Oder auch Sozialdemokraten, die erst nach 1945 ihren Lebensmittelpunkt in Hamburg fanden? Auch hier haben wir den weiten Begriff gewählt. Ausschlaggebend war die Biografie Herbert Weichmanns. Der Emigrant und spätere Erste Bürgermeister verstand sich unzweifelhaft als Hamburger, obwohl er erst nach 1948 in Hamburg eine Heimat fand. Die Erfahrung der nationalsozialistischen Verfolgung leitete maßgeblich sein politisches Wirken in allen seinen Ämtern. Wer will heute bestreiten, dass Herbert Weichmann ein Hamburger war?
Uns fiel auf, dass viele Frauen die Widerstandsarbeit ihrer Männer unterstützt haben, aber selbst nicht Parteimitglied waren. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen hat in den 80er Jahren eine kleine Broschüre über Sozialdemokratinnen im Widerstand herausgebracht. Auf die konnten wir zurückgreifen. Aber es gab noch sehr viel mehr Frauen, die viel getan haben. Wie wollten wir das dokumentieren? Wie sollten wir mit diesem Problem umgehen? Manchmal glaubten wir, Lösungen gefunden zu haben, um sie beim nächsten Treffen wieder zu verwerfen, weil neue Aspekte aufgetaucht waren. Wir haben versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu arbeiten. Bestes Wissen, wissenschaftliches Arbeiten, sorgfältige Recherche, Prüfung jedes Einzelschicksals und Schreiben der kurzen Lebensbilder, aber auch keine falsche Solidarität oder Verschweigen von Fakten, die möglicherweise nicht in das Bild einer gradlinig verlaufenden Biografie passten.
Aber natürlich ging es bei unserer Arbeit nicht um reine Wissenschaft. Das tut es meines Erachtens nie bei historischen Projekten. Sondern es geht auch darum, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Aufgabe und auch die Pflicht haben, dafür zu sorgen, dass unsere Genossinnen und Genossen, die für die Werte und Ziele der Sozialdemokratie stehen - Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenwürde - dass diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen,

im Buch "Freiheit und Demokratie" finden sich insgesamt 95 Kurzbiografien, mit denen wir versucht haben, Verfolgte aus der Anonymität zu reißen und ihre Geschichte zu erzählen. Das werdet ihr alles nachlesen können. Aber ich möchte auch einige Mitglieder des Arbeitskreises und der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten vorstellen, die maßgeblich an diesem Projekt mitgearbeitet haben. Dort ist an erster Stelle zu nennen Dr. Walter Tormin. Die Grundlage all unserer methodischen und inhaltlichen Überlegungen hat er geschaffen. Seiner kontinuierlichen über zwei Jahre andauernden Arbeit haben wir viel zu verdanken. In mühsamer Kleinarbeit hat er die ehemalige Mitgliederkartei der AVS und zahlreiche weiteren Unterlagen ausgewertet und so eine Liste mit über 1500 Namen und biografischen Angaben zusammengetragen. Walter Tormien konnte nicht auf eine bereits vorhandene Sammlung biografischer Daten zurückgreifen. Wer jemals versucht hat, das genaue Geburts- oder Todesdatum eines möglicherweise vor Jahrzehnten verstorbenen Menschen zu ermitteln, weiß, mit welchem Aufwand diese Arbeit verbunden ist.
Dr. Holger Martens hat in zweijähriger Recherche den größten Teil des Quellenmaterials für die Biografien zusammengetragen und hat selbst viele Biografien verfasst. Seiner beharrlichen Arbeit haben wir es zu verdanken, dass wir auch Biografien von nicht prominenten Verfolgten der unteren und mittleren Partei Ihnen hier präsentieren können. Dank also auch an ihn. Dank an die Angehörigen von Verfolgten, die im Arbeitskreis Geschichte mitgewirkt haben, an Gesa Schneider, an Helga Röpert und Hans Saalfeld, die Ehemann, Vater und weitere Verwandte durch den nationalsozialistischen Terror verloren haben. Sie haben Erinnerungen aufgeschrieben, Unterlagen herausgesucht, Listen abgetippt und viel für unser Projekt geworben. Sehr geholfen haben uns auch die Autoren, die Beiträge geliefert haben, wir mussten sie nicht lange bitten. Als wir darüber beraten haben, wie wir das Buch gestalten wollen, da hat uns Nicole Darwitz mit vielen guten Vorschlägen geholfen. Und schließlich ist es Herrn Zagst von Books on Demand, der unser Buch verlegt hat, gelungen, das Buch schon eine Woche vor dem vereinbarten Termin zu liefern. Wer sich in der Branche etwas auskennt, der weiß, dass das wirklich eine große Leistung ist. Dank auch natürlich an Sylvia Mittelstädt von der Landesorganisation, die das Projekt aus dem Kurt-Schumacher-Haus hervorragend organisatorisch begleitet hat. Sie war immer zur Stelle, hat nicht nur mit-, sondern vorausgedacht und uns Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt, die wir noch gar nicht im Blick hatten.
Nun ist das Buch fertig. Und als wir uns am letzten Mittwoch in unserer Redaktionsgruppe noch einmal trafen, kam schon ein bisschen Wehmut auf. Schon Nicole Darwitz, unsere Layouterin, hatte bei der Abgabe der Seiten an den Verlag gesagt, jetzt ist es vorbei, jetzt bin ich sogar ein bisschen traurig. Walter Tormien erzählte - ich glaube, ich darf das jetzt sagen - sein Sohn habe ihn gefragt, was er denn jetzt eigentlich machen wolle, wo das Buch doch fertig ist. Und Hans Saalfeld berichtete, dass er jahrelang so manche Nacht in Antragskommissionen verbracht habe, was sich wohl nicht so recht gelohnt habe -  aber dieses Buch, das sei doch nun mal etwas Handfestes. Ich gestehe, ich hoffe auch - und jetzt bitte ich Olaf Scholz, mal kurz wegzuhören - dass die Erkenntnisse aus unserem Buch etwas länger Bestand haben als so mancher  Leitantrag. Wir haben in der Gruppe gut zusammengearbeitet - jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder nach seinen Fähigkeiten. Aber wir waren gemeinsam bestrebt, das Projekt zu einem guten Abschluss zu führen. Wir haben in diesen zweieinhalb Jahren nicht nur viel über Verfolgung und Widerstand gelernt, sondern auch viel voneinander. Das Buch "Für Freiheit und Demokratie" ist insofern eine echte Gemeinschaftsarbeit.
Die Hamburger SPD, in fast allen ihren Gliederungen, zahlreiche einzelne SPD-Mitglieder und Angehörige von Verfolgten, waren am Zustandekommen des Buches beteiligt - sei es durch Spenden, sei es dadurch, dass sie Informationen geliefert haben, sei es dadurch, dass sie uns ermutigt und angespornt haben. Der Arbeitskreis Geschichte und die Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten dankt euch allen für diese Unterstützung. Ihr habt dem Projekt erst in die Wirklichkeit geholfen. Das Ergebnis liegt vor. Jetzt ist es an euch, unsere Arbeit zu beurteilen. Ich danke euch.