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23.04.2017

"Es ist gut, dass es dieses Treffen gibt" Interview mit der "Welt am Sonntag"

"Es ist gut, dass es dieses Treffen gibt" Interview mit der "Welt am Sonntag"

 

"Welt am Sonntag": Sie können jetzt einen Mythos aufklären, der in vielen G-20-Diskussionen immer wieder auftaucht.

 

Olaf Scholz: Ich bin gespannt.

 

"Welt am Sonntag": Es heißt, Hamburg ist nur deswegen Austragungsort des weltgrößten Politikgipfels, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel  das als Gegenleistung für ihre Unterstützung bei der Olympia-Kandidatur verlangt hat. Gab es einen Deal?

 

Olaf Scholz: Es gibt keinen Deal. So etwas würde ich niemals machen. Die Bundeskanzlerin hat mich aus Motiven, die nur sie selbst kennt gefragt, ob Hamburg dazu bereit wäre. Es kann sein, dass sie die Hamburger Olympiabewerbung damit unterstützen wollte, denn das IOC hätte ja demnächst auch über unsere Bewerbung entschieden. Dann hätten wir mit der Elbphilharmonie, dem G-20-Gipfel und der Eröffnung des weltweit größten Röntgenlasers XFEL drei Weltereignisse gehabt, die mit Hamburg verbunden sind. Das wäre vermutlich ein guter Vorlauf gewesen. Aber so weit ist es ja nicht gekommen.

 

"Welt am Sonntag": Hätten Sie die Anfrage der Kanzlerin auch mit Nein beantworten können?

 

Olaf Scholz: Ich wüsste nicht, warum ich das hätte tun sollen. Und vergessen wir nicht: Die Bundesregierung hätte auch sagen können wir haben übrigens die Messehallen gebucht.

 

"Welt am Sonntag": Viele Hamburger blicken dem Gipfel mit Sorge entgegen. Was entgegnen Sie denen?

 

Olaf Scholz: Es ist gut, dass es dieses Treffen gibt. Das G-20-Format ist aus jenen Gesprächsrunden heraus entwickelt worden, die Helmut Schmidt in den 70er Jahren angestoßen hat. Als G5-, G6- oder G7-Treffen, wo diejenigen, die etwas auf der Welt bewegen können, über Fragen von globaler Bedeutung sprechen. Das war damals eine der wichtigsten Innovationen der Politik. Eine Reaktion auf den Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods, auf die Ölkrise, auf andere Brüche des internationalen Wirtschaftssystems. Das war unbedingt notwendig.

 

"Welt am Sonntag": Und hat sich mit der Zeit zu einem Ereignis entwickelt, das Millionen kostet und angesichts der Vielzahl der Teilnehmer und der gigantischen Sicherheitsmaßnahmen kaum noch beherrschbar ist.

 

Olaf Scholz: Das war schon zu Helmut Schmidts Zeiten kein kleines Treffen von sechs, sieben Personen, sondern eines, zu dem immer sehr viele Leute mitkommen. Später ist der Kreis der Teilnehmer dann bewusst erweitert worden, weil das Weltgeschehen nicht mehr allein von den klassischen westlichen Industrienationen dominiert wird. Und das führt zu Teilnehmerzahlen, die in Deutschland nur ganz wenige Städte bewältigen können. Hamburg gehört dazu. Und wir bekommen das auch hin.

 

"Welt am Sonntag": Wird es Ihnen schwer fallen, die Herren Erdogan, Trump, Putin mit aller hanseatischer Herzlichkeit in Hamburg willkommen zu heißen?

 

Olaf Scholz: In der Politik, und noch mehr in der internationalen Politik gilt die alte Bauernweisheit: Getanzt wird mit denen, die im Saal sind. Es ist nun mal notwendig mit denjenigen zu reden, die wirklich Einfluss auf das Weltgeschehen haben. Das hat durchaus Tradition. Schon zu Hansezeiten, auf den Reichstagen von Worms oder Nürnberg ging es für Hamburg und die anderen Hansestädte darum, mit Leuten klarzukommen, die einem nicht gerade wohlgesinnt waren. Das ist auch heute nicht anders.

 

"Welt am Sonntag": Persönliche Empfindungen gegenüber den Gästen spielen dann gar keine Rolle?

 

Olaf Scholz: Natürlich habe ich zu denjenigen, die ihre Staaten in Hamburg repräsentieren werden, eine persönliche Meinung. Es ist doch offensichtlich, dass sich die Politik mancher Regierungen in Inhalt und Stil zum Teil deutlich von der unsrigen unterscheidet. Trotzdem ist es unsere Pflicht, miteinander klar zu kommen, sich die Hand zu geben und sich miteinander zu arrangieren.

 

"Welt am Sonntag": Einer Ihrer Gäste, der türkische Präsident Erdogan hält zum Beispiel einen deutschen Journalisten, unseren Kollegen Deniz Yücel, ohne Gründe in Haft. Werden Sie das ansprechen?

 

Olaf Scholz: Die politischen Verhandlungen werden nicht vom Bürgermeister des Gastortes geführt, sondern von der Bundesregierung. Das ist die Ordnung auf solchen Konferenzen, die sollte keiner durcheinanderbringen. Trotzdem ist es natürlich möglich, so etwas zu thematisieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

 

"Welt am Sonntag": Gäbe es zum Beispiel etwas, was Sie US-Präsident Donald Trump gern sagen würden?

 

Olaf Scholz: Die transatlantische Partnerschaft ist sehr wichtig für die Entwicklung der Demokratie und des Westens gewesen. Sie hat auch weiterhin eine große Bedeutung. Die Grundlagen dieser Partnerschaft sind enge Kooperation und freier Welthandel. Davon profitieren Deutschland und die USA in besonderem Maße. Insofern hoffe ich auf Rationalität im politischen Handeln.

 

"Welt am Sonntag": Freihandel, Digitalisierung, Weltgesundheit, Klimaschutz, Entwicklungspolitik die Agenda dieses Gipfels ist quasi unerschöpflich ist ein Thema für Sie als Hamburger Bürgermeister besonders wichtig?

 

Olaf Scholz: Zwei Themen haben für uns in Hamburg eine besondere Bedeutung. Zum einen: Wie geht es weiter mit dem Welthandel und der Globalisierung? Da gibt es aus meiner Sicht Handlungsbedarf. Wir müssen sicherstellen, dass die Globalisierung nicht dazu beiträgt, dass demokratische Errungenschaften in Frage gestellt werden.

 

"Welt am Sonntag": Das heißt?

 

Olaf Scholz: Wir müssen uns in einer globalisierten Welt auch für die Arbeiter in den Textilfabriken in Bangladesch verantwortlich fühlen. Es darf uns nicht egal sein, wie es den Menschen dort geht. Auch das gehört zur Globalisierung dazu. Deshalb müssen wir darüber reden.

 

"Welt am Sonntag": Ihr zweites wichtiges Thema?

 

Olaf Scholz: Afrika. Der Kontinent braucht dringend einen wirtschaftlichen Aufschwung; das muss gerade uns Europäern ein Anliegen sein, als Nachbarn, aber auch als Teil einer Geschichte, die für uns mit einer besonderen Verantwortung verbunden ist.

 

"Welt am Sonntag": Wie könnte Hamburg, wie könnte der G-20-Gipfel in Hamburg dieser  Verantwortung gerecht werden?

 

Olaf Scholz: Es sollten Verabredungen getroffen werden, die eine bessere wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents ermöglichen; dazu müssen die G-20-Länder ihre Märkte für afrikanische Produkte öffnen. Und es sollte natürlich auch um Investitionen gehen. In Schulen, in die Wasserversorgung, in das Gesundheitswesen. Wir brauchen dringend, auch in unserem Interesse, einen Aufschwung in den afrikanischen Ländern, der sich selbst trägt.

 

"Welt am Sonntag": Derzeit macht Afrika vor allem mit einer neuen Hungersnot Schlagzeilen. Laut UN werden 20 Milliarden Dollar gebraucht, um die Menschen in den betroffenen Gebieten zu versorgen. Das müsste für die G20 zu schaffen sein, oder?

 

Olaf Scholz: Das würde ich mir sehr wünschen! Wir haben uns immer wieder geschworen, aus manchen Dingen zu lernen. Zum Beispiel, dass die aktuellen Fluchtbewegungen etwas damit zu tun haben, dass wir als internationale Gemeinschaft  den Flüchtlingen, die sich aus den Krisenregionen in Sicherheit gebracht hatten, nicht rechtzeitig und vor Ort geholfen haben, etwa in Libyen, in Jordanien oder in der Türkei.

 

"Welt am Sonntag": Welchen Beitrag kann die Stadt Hamburg zum Gelingen des G20-Gipfels beitragen?

 

Olaf Scholz: Ich wünsche mir vor allem Gelassenheit. Gerade, was die Sicherheitsvorkehrungen angeht, die solche Treffen zwangsläufig mit sich bringen. In New York zum Beispiel findet so etwas viel öfter statt. Bei uns gibt es das nicht so häufig, deshalb diskutieren wir das Thema auch sehr sorgfältig; aber wir sollten eben dennoch gelassen bleiben.

 

"Welt am Sonntag": Von Gelassenheit ist im Moment wenig zu spüren. Es brennen Polizeifahrzeuge, wichtige Gebäude werden scharf bewacht, es wird über Demonstrationsrouten gestritten.

 

Olaf Scholz: Die Sicherheitsfrage ist natürlich eine Herausforderung. Übrigens nicht wegen der Gipfelteilnehmer, sondern weil wir die vor Leuten schützen, die keine friedlichen Absichten haben. Ich habe großes Vertrauen, dass es der Hamburger Polizei in Zusammenarbeit mit den Polizeien der anderen Länder gelingen wird, die Sicherheit für alle zu gewährleisten. Für die Hamburgerinnen und Hamburger und für die Teilnehmer des Gipfels.

 

"Welt am Sonntag": Haben Sie Verständnis für Menschen, die sagen: An diesen Gipfel-Tagen verlasse ich Hamburg lieber?

 

Olaf Scholz: Das wird nicht nötig sein.

 

"Welt am Sonntag": Sicherheit ist ein Aspekt, das Demonstrationsrecht ein anderer beides hängt miteinander zusammen. Wo darf denn nun demonstriert werden? Nur weit weg vom Veranstaltungsort?

 

Olaf Scholz: Polizei und Versammlungsbehörde werden kluge und abgewogene Entscheidungen dazu treffen. Die Sicherheit der Gipfelteilnehmer steht im Vordergrund, aber es wird möglich sein, dass Meinungen zur Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs in der Stadt auch adressiert werden können.

 

"Welt am Sonntag": Auch in der Innenstadt?

 

Olaf Scholz: Wo das sein wird, entscheiden wie gesagt Polizei und Versammlungsbehörde. Es gibt Demonstrationen, die erkennbar einen friedlichen Ansatz haben und andere, die nur so tun. Die wird man auseinander halten können. Vielleicht muss man sich das wie einen mittelalterlichen Reichstag vorstellen, bei dem es auch an vielen Orten ein sehr unterschiedliches buntes Treiben gab.

 

"Welt am Sonntag": Das klingt ziemlich niedlich. In Wahrheit werden das die größten Demonstrationen in der Geschichte der Stadt.

 

Olaf Scholz: Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich selbst habe auch schon sehr große Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken erlebt. Es ist auch gar nicht schlimm, dass demonstriert wird, nur friedlich sollte es sein. Das darf man von jedem erwarten, der teilnimmt. Und das ist auch ein wichtiges Signal an weniger demokratisch verfasste Staaten: In einer Demokratie wird um die unterschiedlichen Meinungen friedlich gerungen. Man muss davor keine Angst haben.

 

"Welt am Sonntag": Ist die Frage der Verteilung der Gipfel-Kosten zwischen der Stadt und dem Bund für Sie zufriedenstellend geklärt?

 

Olaf Scholz: Ja. Es gibt eine Vereinbarung, die diese Frage fair regelt. Eigentlich sind nach dem Grundgesetz die Länder für die Polizei zuständig, nicht der Bund. Rein rechtlich gesehen hätte der Bund also gar nichts für die Sicherheit zahlen müssen.

 

"Welt am Sonntag": Sie haben vorhin schon ein schönes Sprichwort eingebracht, wir haben auch eines: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Warum also trägt der Bund nicht alle Kosten?

 

Olaf Scholz: Das ist doch auch so. Die Messehallen werden vom Bund angemietet, auch die gesamte Organisation ist dessen Sache. Berlin beteiligt sich zudem mit 50 Millionen Euro an den einmaligen sicherheitsbedingten Mehraufwendungen Hamburgs. Damit kommen wir zurecht.

 

"Welt am Sonntag": Sie haben kürzlich ein Buch mit dem Titel Hoffnungsland veröffentlicht. Wie kann Hamburg mit dem G-20-Gipfel zur Hoffnungsstadt werden?

 

Olaf Scholz: Deutschland gilt als einer der besten Orte zum Leben, das zeigen auch weltweite Umfragen immer wieder. Das ist ein großes Kompliment, aber angesichts von Globalisierung und Migration auch eine große Herausforderung, mit der man umgehen muss. Dabei ist es mein persönliches politisches Ziel, dass Hamburg eine der wenigen boomenden Metropolen sein soll, in der das Leben für die normalen Leute attraktiv und bezahlbar bleibt. Das zu schaffen, wäre eine gute Botschaft unserer Hoffnungsstadt.

 

Das Interview erschien am 23. April 2017 in der "Welt am Sonntag".