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04.08.2013

Gedenkveranstaltung 70 Jahre Operation Gomorrha

Gedenkveranstaltung 70 Jahre Operation Gomorrha

 

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrter Herr Reverend,

sehr geehrter Herr Weihbischof,

sehr geehrte Frau Hauptpastorin und Pröpstin,

sehr geehrter Herr Propst,

sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Konsularischen Korps,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Selig sind, die da Leid tragen.

Ergreifende Musik zum Trost der Lebenden, zu Bibeltexten gesetzt von einem, der lange vor den unvorstellbaren Tagen im Sommer 1943 gelebt und gewirkt hat, an deren Opfer wir heute denken. Lange bevor über die Stadt Hamburg hereinbrach, was ihrem Ehrenbürger Johannes Brahms so unvorstellbar gewesen sein muss wie es für die meisten von uns, die Nachgeborenen, unvorstellbar ist. 

 

Wir wissen, dass es strahlend blaue Sommertage waren, als die Stadt und ihre Bewohner ihr schwerstes Trauma erlitten. Dass am 24. Juli, einem Sonnabend, nach Feierabend auch in den dicht besiedelten Arbeitervierteln Hammerbrook, Rothenburgsort und Barmbek die Gedanken auf einen Sonntag in den Parks, an den Kanälen, in den Gartenlokalen gerichtet waren. Bevor dann, wie es immer wieder so hilflos wie wahrscheinlich treffend umschrieben wird, die Hölle losbrach, zuerst im Westen der Stadt. Out of the blue, sozusagen und buchstäblich.

 

Farbaufnahmen, wie sie vor zehn Jahren in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt waren, Trümmer und Rauchsäulen unter brennender Sonne, ließen eine vage Ahnung aufkommen, was ein erster, flüchtiger Gedanke Vieler gewesen sein muss: Das gibt es doch nicht. Nicht jetzt und hier. Lass es einen furchtbaren Albtraum sein.

 

Gleichzeitig lügen die Bilder. Denn natürlich geschah nichts out of the blue im Sommer 1943, nach fast vier Jahren Krieg. Nicht nach den vernichtenden Luftangriffen auf  Warschau, Belgrad, Rotterdam, London, Coventry und viele andere Städte durch die deutsche Luftwaffe. Unter ihnen auch und besonders: Stalingrad, bekannt als Ort einer vernichtenden Kesselschlacht, deren Ausgang die Kriegswende einläutete. Dort waren elf Monate zuvor, in der ersten Woche der deutschen Luftangriffe, ebenfalls -zigtausend Bewohner der Stadt getötet worden. 

 

Ab wann genau es einem wie großen Teil der Bevölkerung in Deutschland dämmerte, dass Tod und Vernichtung auf die eigene Heimat zurückfallen würden, darüber sind Historiker uneins. Hans Jürgen Massaquoi hörte am Abend des 29. Juli 1943 als 17-jähriger Hamburger vor einem Bunker in Barmbek dort war es zu der Stunde noch ruhig ein Gespräch mit an: Obwohl es als Hochverrat galt, wenn man nur einen leisen Zweifel am Sieg der Nazis äußerte, spekulierten die Männer am Eingang offen darüber, wie lange Deutschland die massive Zerstörung seiner Industriezentren noch aushalten könne. Ohne sich dadurch beirren zu lassen, dass ein Soldat dabei war, gab einer der Männer dem Hitler-Regime nur ´noch einen Monat, wenn überhaupt´. Niemand widersprach ihm.   

 

Tatsächlich sollten der Operation Gomorrha noch fast zwei Jahre Krieg, für die Hamburgerinnen und Hamburger fast zwei Jahre eines eigentümlichen Weiterlebens folgen. Und auch das gehört zur bitteren Wahrheit nicht wenige glaubten auch jetzt noch an den Führer und den Endsieg.

 

Vor den Bunkern sitzen Menschen mit Sack und Pack, schrieb später die in Hamburg lebende, schwedische Lehrerin Ragna Norström nach Hause. Das sind die Überängstlichen, die sich vorsichtshalber dort aufhalten. Dann gibt es noch die leeren Fenster mit den heimatlosen Katzen Irgendeine freundliche Seele stellt immer ein bisschen Essen für sie heraus. Ein Trupp KZ-Häftlinge marschiert mitten auf der Straße, ein SS-Mann vorweg, einer hinterher, mit der Pistole im Anschlag sozusagen. Vermutlich auf dem Weg, einen Blindgänger auszugraben. Man sieht sie scheu an, aber sie sehen nie zurück. Kartoffelpflanzen und Beifuß wachsen in den Ruinenhügeln. An den Litfaßsäulen diese schrecklichen roten Plakate, die herausposaunten, dass jemand im Morgengrauen hingerichtet worden ist.

 

Meine Damen und Herren,

die NSDAP und die von ihr gelenkte Presse hatten schon frühere, vereinzelte Bombenangriffe auf Hamburger Stadtteile als Terror, hingegen eigene Luftangriffe auf fremde Städte als unvermeidliche militärische Operationen hingestellt. Wie es so ist, mit Sicherheit auch heute in vielen Kampfzonen der Welt: In Krieg führenden Diktaturen und Gewaltherrschaften stirbt die Wahrheit zuerst. 

 

Die schweren Verwüstungen und die enorm hohe Zahl an Toten hätten Staat und Partei propagandistisch zur Bewährungsprobe der Volksgemeinschaft umgedeutet, die sie gemeinsam bestehen werde, schrieb vor einigen Jahren die Welt und mahnte: Derlei Pathos hat sich in Resten bis heute gehalten, wenn die ‚stille, duldende‘ Haltung der Bevölkerung gelobt wird und von einem Schicksalsschlag die Rede ist, als sei nicht der von Deutschland ausgehende Krieg die Ursache der Zerstörung gewesen. Zitatende.

 

Dass er das war, ist heute Konsens unter Historikern und in der Öffentlichkeit auch in Deutschland. Auch hat sich, in einem langen, für Viele schmerzlichen Prozess die Einsicht durchgesetzt, dass jedes Leid ebenso wie jedes Unrecht, jedes Verbrechen singulär ist und dass sich Opfer einer mathematischen und auch moralischen Aufrechnung entziehen. 

 

Wir wissen, dass es auch ein Theresienstädter Requiem gab und dass, fernab von Hamburg, die Todesfabriken des NS-Regimes auch während der feindlichen Aktion Gomorrha weiterliefen. Wir wissen andererseits, dass gerade Hamburgs Arbeiterquartiere im Osten der Stadt, die am radikalsten durch britische Bomben vernichtet wurden, nicht diejenigen waren, in denen Hitler seine rückhaltlosesten Anhänger und Parteigenossen hatte. Im Gegenteil: Das war das rote Hamburg! Die SA wagte sich dort meist nicht hinein, die Wahlergebnisse - so lange noch gewählt wurde - waren für die NSDAP verheerend. Die Männer waren an der Front, im Strafbataillon oder im KZ, bis auf die, die es ins Exil geschafft 

hatten. 

Wir wissen, was lange Zeit nicht erwähnt wurde, dass neben den Tausenden Einheimischer, darunter vielen Kindern, auch viele KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ums Leben kamen. Vielfach war es ihnen verboten, während der Bombenangriffe die Luftschutzbunker zu benutzen. Sie waren es auch, die nach den Angriffen überwiegend die Toten bargen und die Trümmer beseitigten.

 

Anderes wird heute, kann heute kontroverser diskutiert werden als vor vierzig oder noch vor zwanzig Jahren. Das ist gut, denn im zusammenwachsenden Europa sollten einstige Feinde, die jetzt Freunde sind, gemeinsam Antworten zumindest suchen auf Fragen wie solche: War die Vernichtung deutscher Städte Hamburgs, Dresdens, deren Oberbürgermeisterin noch zu uns sprechen wird, vieler anderer, war die unvermeidbar? Haben die einen für die anderen mitbüßen müssen? War das Gomorrha, im biblischen Sinn und mit Recht so genannt, als Schwefel und Feuer regneten vom Himmel herab als Strafaktion gegen diejenigen, unter denen keine zehn Gerechten zu finden waren? Und wer hatte nach den zehn Gerechten gesucht?

 

Oder anders: Hamburg war ein kriegswichtiges industrielles Zentrum. Und doch: Dürfen Tausende von Zivilpersonen ums Leben gebracht, darf ihr Tod in Kauf genommen werden, um als richtig erkannte militärische Ziele zu erreichen, an denen vorbei es nicht zur Freiheit und Menschenwürde geht?

 

 

Oder, wenn es 1943 dieses Kalkül gegeben hat: Rechtfertigte der Wunsch, die Bevölkerung in Deutschland ihrer politischen Führung zu entfremden, das Flächenbombardement von Wohngebieten? Hammerbrook und Rothenburgsort wurden vollständig, Barmbek weitgehend zerstört. Die extrem hohe Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung war zugegebener Maßen kein Kollateralschaden, sondern erklärtes Ziel. Zum einen sollten die Arbeitskräfte, die in den Rüstungsbetrieben arbeiteten, ausgeschaltet werden. Es sollte durch den Tod von Tausenden Hamburger Familien aber auch die Kriegsmoral der Deutschen untergraben und die Übermacht der Alliierten demonstriert werden.

 

Und dann wiederum wissen wir um die entsetzliche Zahl der Toten in den kämpfenden Truppen auch auf Seiten der Alliierten, die sich den Weg nach Deutschland mit riesigen Opfern gebahnt haben.  

 

Meine Damen und Herren,

es gibt mehr Fragen als Antworten, immer noch. Und die gehen nicht nur Historiker an. Erinnern ist keine einfache Kunst, ist das Motto des Ohlsdorfer Friedensfestes in diesen Tagen. Das ist wahr: Erinnerungskultur, Gedenkkultur, Erinnerungsarbeit sperrige Begriffe sind das für ein Gebäude, das in nunmehr siebzig Jahren langsam errichtet worden ist und doch immer wieder renoviert werden muss, damit wir alte Fragen neu stellen.

 

Sich zu erinnern ist und bleibt wichtig, um Erlebtes und Erlittenes zu erklären, ihm Sinn zu geben und es individuell oder kollektiv verarbeiten zu können. Eine gemeinsame Würdigung der Opfer unterstützt auch die Versöhnung ehemals verfeindeter Nationen. Hier und heute steht dafür Reverend Matthew Jones, der dankenswerter Weise die Anglican Church of St Thomas Becket repräsentiert.

 

Es gibt inzwischen eine zivilgesellschaftliche Entwicklung weg von der pauschalen Würdigung der Toten, hin zu einer differenzierten und Anteil nehmenden  Hinwendung zu den Opfern im Einzelnen. 

 

In Hamburg machen sich viele Einrichtungen und einzelne Personen Gedanken darum, wie sich die Erinnerungskultur künftig weiter entwickeln kann. Für mich bedeutet Erinnerung zum einen, und vielleicht habe ich das mit einigen meiner Fragen schon andeuten können: trotz des selbst erlittenen Leids Ursache und Wirkung nicht zu vertauschen. Das heißt, wir erinnern an Ursachen und Folgen, an die Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen, an das grenzenlose Leid, das sie in Europa und darüber hinaus bewirkt haben. 

 

Wir wollen aber einzeln und kollektiv auch um das Leid und die Opfer trauern, die der Krieg im eigenen Land zur Folge hatte.

 

In Hamburg ist die ausgebrannte Nikolai-Kirche damals Orientierungspunkt für die Britischen Bomber - als Mahnmal bestehen geblieben. Der Senat hat gemeinsam mit dem Bund die Mittel bereitgestellt, um sie erhalten zu können. In diesem Zusammenhang gilt unser aufrichtiger Dank Herrn Francke und den weiteren Mitgliedern des Förderkreises Mahnmal St. Nikolai, die sich um die wissenschaftliche Aufbereitung dieses schwierigen Themas verdient gemacht haben und nunmehr zum 1. September das Museum am Mahnmal St. Nikolai eröffnen werden.

 

Meine Damen und Herren,

zum Frieden das ist die unerbittliche Dialektik und das Dilemma des Pazifismus gehören immer zwei, mindestens. Den Frieden brechen kann einer.

 

Frieden ist kein garantierter Normalzustand, auch nicht in Europa, wie wir noch vor wenigen Jahren in Jugoslawien erkennen mussten. So bitter diese Erkenntnis ist, so wegweisend muss eine andere sein: Niemals in der Geschichte haben Demokratien gegeneinander Krieg geführt. Wenn sie diese Bezeichnung mit Recht tragen, können sie es gar nicht. Immanuel Kant, der das vor allem in der Kontrollfunktion der republikanischen Öffentlichkeit begründet sah, hat mit diesem Postulat bis heute Recht behalten.  

 

Noch gibt es Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges und des Feuersturms über Hamburg, die die Erinnerung wach halten. Ich grüße heute im Namen des Senats und der Bürgerschaft sehr herzlich die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, die vor 70 Jahren die Bombennächte in Hamburg erlitten haben und heute hier anwesend sind oder die Veranstaltung in den Medien verfolgen. Ich danke Ihnen, dass Sie nicht nur Ihren Kindern und Enkelkindern, sondern uns allen von ihren schlimmen Erlebnissen immer wieder berichtet und damit die Erinnerung wach gehalten haben.

 

Es ist an uns, diese Erinnerung weiterzutragen und ganz im Sinne Immanuel Kants die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die zivile und friedliche Konfliktlösung weiter gestärkt wird, damit sich ein solches Gräuel nicht in dieser, und in keiner anderen Form wiederholen kann.

 

Es gilt das gesprochene Wort.