arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

19.09.2015

Grußwort: 6. Sozialkonferenz des Bundesverbandes der AWO

 

Sehr geehrter Herr Schmidt,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

herzlich Willkommen in Hamburg, ich freue mich, dass Sie Hamburg als Ort für die Sozialkonferenz ausgesucht haben. Hamburg ist ein guter Ort, um sich Gedanken zu Gleichstellungspolitik zu machen.

 

Nicht weit von hier ist die Hamburger Kunsthalle. Von März bis Mai 2015 hin an dem schönen Gebäude der in der Kunstwelt hochangesehenen Galerie der Gegenwart ein bemerkenswertes Plakat: Feministische Avantgarde war darauf zu lesen. Wer mit dem Auto vorbeikam, wer im Zug oder mit einer S-Bahn auf der Westseite in den Hauptbahnhof hinein- oder hinausfuhr oder zwischen Innen- und Außenalster spazieren ging, konnte es lesen. Musste es vielleicht sogar lesen, denn die Buchstaben waren groß und ziemlich rot: Feministische Avantgarde. 

 

Feministisch ein Begriff, der lange ein Schimpfwort war, der heute noch Frauen und Männer auf die Palme bringen kann in Hamburg findet das sogar Anerkennung in der Kunsthalle. 

 

Kein Sprayer, keine Demo, ein ganz offizielles Plakat wirbt für eine Ausstellung über die 1970er Jahre, in der Künstlerinnen sich mit Themen wie Gewalt, Sexualisierung, und Hausarbeit auseinandersetzen. Feministische Avantgarde, das hieß damals: politische Kunst von Frauen, die Themen aufgreifen, die nie vorher Gegenstand von Kunstwerken waren, eine frauenpolitische Ausrichtung und sehr viel Ironie. 

 

Und nun ist diese feministische Avantgarde hier in Hamburg im Museum gelandet.  Damit ist sie kunsthistorisch anerkannt und gleichzeitig überholt. In ungewohntem Schwarz-weiß konnte man Bilder eines Kampfes sehen, dessen Errungenschaften heute selbstverständlich sind. 

 

Meine Damen und Herren,

der Kampf um Gleichstellung hat zwei Seiten: Die negativ beeindruckende und die positiv beeindruckende. Zur negativ beeindruckenden, der schockierenden und beklemmenden Seite gehören die vielen schier unglaublichen Beispiele von Entrechtung, Diskriminierung und Herabsetzung. 

 

Aber es gibt auch immer die positiv beeindruckende Seite und die ist ermutigend und oft auch lustig: Die Geschichte des Widerstands, die geradezu ungebrochene Kraft, sich zur Wehr zu setzen, die vielen Beispiele der kreativen Unterwanderung von Klischees und die lange Liste der großen berühmten und der vielen weniger berühmten, aber ebenso aktiven Frauen. 

 

Was durften Frauen alles nicht tun: Fahrradfahren. Bergsteigen. Heiraten, wen sie wollen. Schwanger werden, wann sie es wollen. Wie lächerlich waren all die Begründungsversuche. Wie furchtbar waren die Zeiten, in denen uneheliche Mutterschaft den sozialen Tod bedeutete. Unfassbar, wie viele Jahrhunderte es gedauert hat, bis sexuelle und körperliche Selbstbestimmung zumindest medizinisch unterstützt werden konnten.

 

Die Frauenbewegung ist eine große Bürgerrechtsbewegung der letzten zwei Jahrhunderte und sie wird es auch weiterhin sein. Sie ist eine große soziale Bewegung und sie hat auch noch weiterhin zu tun. Und sie ist das Lehrbeispiel dafür, dass eine Bewegung vor allem dann die Geschichte verändert, wenn sich darin unzählige Bewegungen finden. 

 

Wenn wir so zurückschauen, dann ist das eine enorme Ermutigung. Der Blick zurück ist wie ein Blitzlicht auf die Zukunft. Wir können sehen, was sich alles verändert hat, wie viel erreicht wurde. Es ist eine Freude, an die Zukunft zu denken und zu wissen, hier, in Ihrem im Verband sitzen Frauen und Männer, die weiterhin für Gleichberechtigung streiten. Und zwar gemeinsam. Ist das nicht spannend? Das gehört zur positiv beeindruckenden Seite. Das ist eine ganz tolle Sache. 

 

Und immer wieder gibt es auch Situationen des backlash. Gleichberechtigung ist einer der Grundwerte unserer Verfassung und doch werden die, die sich dafür einsetzen, häufig geschmäht: Feministische Anliegen haben ein schlechtes Ansehen, Frauenstudien werden lächerlich gemacht und während Frauen und Männer für die Quote streiten, glauben andere, es bestehe die Gefahr, dass Leistung nicht anerkannt wird. 

 

Vermutlich haben viele von Ihnen solche Situationen persönlich erlebt. Viele von Ihnen sind gedanklich und emotional weiter als andere. Das ist schwer auszuhalten. Und doch ist das das große Kapital einer Bewegung: Ideen zu haben, wie es weiter geht. 

 

Und ist es nicht vielleicht sogar so, dass Sozialwissenschaftlerinnen, die später auf unsere Zeit zurück blicken, auf die Arbeit, die Sie jetzt machen, dass die von einer dritten Welle der Frauenbewegung sprechen werden? Von der Frauenbewegung, die neue Kommunikationsformen in Blogs und sozialen Netzwerken etabliert und generationsübergreifend Themen setzt. Die Frauenbewegung, die eine Genderbewegung ist und immer mehr Männer einbindet. Die fließende und vielfältige Identitäten ermöglicht. Die sich der großen Aufgabe widmet, international zu denken und Unterschiede nicht zu verwischen. 

 

Meine Damen und Herren,

Sie haben sich eine sehr wichtige und sehr große Aufgabe vorgenommen. Aber große Aufgaben gehören ja zur Tradition der AWO. 

 

Mangelernährung, Wohnungsnot und Angst vor dem Winter bedrohen 1919 tausende von Frauen, Männern und Kindern, als fünf Frauen aus dem Kreis der Sozialdemokratie einen Hilfsverein für Arbeiter und Arbeiterinnen gründeten. Zu den Gründungsmitgliedern der AWO gehörte eine Hamburgerin, Louise Schroeder.

 

Louise Schroeder aus Altona, Tochter einer Gemüseverkäuferin und eines Bauarbeiters, die das Glück hatte, einen Realschulabschluss zu machen, war Sozial- und Gleichstellungspolitikerin.

 

Sie war eine professionelle und sehr anerkannte Frau, heute sind Straßen und Schulen nach ihr benannt. Ich hatte selbst das Glück, bei der Benennung der Louise Schroeder Schule in Altona dabei zu sein. Und ich habe mich auch sehr gefreut, dass der Berliner Senat seit 1998 die Louise-Schroeder-Medaille an Frauen verleiht, die sich in ihrem Sinne verdient gemacht haben. 

 

Meine Damen und Herren, 

Sie haben sich Hamburg als Tagungsort für die 6. Sozialkonferenz ausgesucht und werden hier ein gleichstellungspolitisches Papier diskutieren, dass dann auch den Namen unserer Stadt trägt. Das freut mich und es passt sehr gut. Denn Hamburg hat eine starke Tradition der Frauenbewegung und eine große Geschichte vorausschauender Gleichstellungspolitik.

 

Hamburg war das erste Bundesland, dass Gleichstellung zu einem Aufgabengebiet der öffentlichen Verwaltung machte: 1979 haben wir die Leitstelle zur Gleichstellung eingerichtet. Die Aufgabe war direkt beim Bürgermeister angesiedelt, Sie können sich vorstellen, wie hoch die Wellen damals schlugen. 

 

Auch 1984 waren wir die ersten und haben eine Richtlinie zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst verabschiedet und dann 1991 das bundesweit erste Gleichstellungsgesetz im öffentlichen Dienst. 

 

Auch heute kann sich die Hamburger Frauenpolitik sehen lassen. Bekannt und weithin beachtet sind das Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm, das Hamburger Gremienbesetzungsgesetz und das 2015 neu erlassene Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst.

 

Hamburg setzt sich für Entgeltgleichheit von Frauen und Männern ein und fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben uns deshalb auch deutlich gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns Recht gegeben. Ganz nebenbei haben wir damit auch gezeigt, dass Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz ein wichtiges Gleichstellungspolitisches Instrument ist. 

 

Meine Damen und Herren,

die Arbeit der AWO zeigt, wie viele verschiedene Themen zur Gleichstellungspolitik gehören. Ganz besonders am Thema Gewalt gegen Frauen ist zu sehen, dass es nicht damit getan ist, das als Angelegenheit von Frauen zu sehen. 

 

Die Sozial- und Gleichstellungspolitik der AWO ist professionell geworden. Das bedeutet mehr Anerkennung, schafft neue Berufs- und Erwerbsmöglichkeiten und geht einher mit einer Systematisierung des Wissens. Gleichstellungspolitik ist ein internationales Thema und hat ein hohes Reflektionsniveau. 

 

Der Status als Bewegung ist dabei hier und da verloren gegangen. Dafür hat sich die Gruppe möglicher Unterstützer vergrößert. Denn in Gremien und Teams der AWO sitzen inzwischen auch viele Männer. Männer, die ihre Kräfte als Verbündete vielleicht noch nicht voll ausgeschöpft haben. 

 

Es gehört zu den großen gesellschaftlichen Aufgaben, Gleichstellungspolitik als Thema von Frauen und Männern zu fassen. Als gemeinsames Anliegen, das verschiedene Perspektiven zulässt, ja auch erforderlich macht. Es geht ja schließlich darum, dass Frauen und Männer ihre Handlungsspielräume erweitern. 

 

Frauen und Männer brauchen eine Politik für gerechte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Das ist ein sehr wichtiges Thema. Sie finden in mir einen großen Verbündeten für dieses Anliegen. 

 

Ich wünsche Ihnen eine schöne und erfolgreiche Zeit in Hamburg.

 

Vielen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort.