Sehr geehrter Herr Präsident Schäfer,
sehr geehrter Herr Präsident Kury,
sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Das Arbeitswesen der bürgerlichen Gesellschaft zerfällt nach der Natur seiner Besonderheit in verschiedene Zweige, schreibt Hegel in der Rechtsphilosophie. Man kann sich über diesen Satz freuen. Nicht nur, weil er einer der wenigen ist, die leicht verständlich sind. Sondern weil er der Auftakt zum Lob auf berufliche Zusammenschlüsse ist. Bei Hegel heißen berufliche Zusammenschlüsse Korporationen. Hinter dem altmodisch klingenden Begriff verbirgt sich eine Reihe höchst moderner Gedanken. Sie kennen das aus Ihrer Kammer:
Es geht erstens um die Professionalisierung von Berufsgruppen durch Selbstverwaltung, zweitens die Partizipation an der politischen Willensbildung durch die Formulierung von Interessen und drittens um die Sorge für das Gemeinwesen aus dem spezifisch professionellen Blick.
Ich zitiere Hegels bemerkenswerte Fassung dieser drei Elemente:
Indem solches an sich Gleiche der Besonderheit als Gemeinsames in der Genossenschaft zur Existenz kommt, faßt und betätigt der auf sein Besonderes gerichtete, selbstsüchtige Zweck zugleich sich als allgemeinen, und das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, nach seiner besonderen Geschicklichkeit, Mitglied der Korporation, (Rechtsphilosophie § 251).
Ich weiß, Sie sind als Juristinnen und Juristen mit komplexen Sprachgebilden vertraut, dennoch erlaube ich mir eine Übersetzung.
Das Hin und Her des Besonderen, Allgemeinen und Konkreten, das den Zuhörenden im Zitat verwirrt, entspricht nicht zufällig genau den Situationen, die in beruflichen Verbänden sehr häufig auftreten. Sie kennen die Diskussionen, es geht hin und her, der eine will das, die andere jenes, jemand erinnert an den Standort, eine andere an die internationale Bedeutung und dann muss man sich noch nach allen Regeln der rechtlich verfassten Gemeinschaft einigen.
Die Berufskammern sind diejenigen, die den demokratischen Dreisatz können:
Die Kammern sind das Handlungssystem, das den professionellen Rahmen stellt. Sie haben zweitens die Aufgabe, aus Einzelinteressen das Interesse der Berufsgruppe zu formen. Und sie müssen drittens aus der spezifischen Perspektive des Berufs durch Tätigkeiten und Einmischung den gesellschaftlichen Konsens stärken.
Man kann diese bemerkenswerte und für die Demokratie unverzichtbare Leistung sehr schön an der fast 140-jährigen Geschichte der anwaltlichen Selbstverwaltung sehen.
Zu den Verdiensten Ihres Verbandes gehören die hohe Professionalität und die Unabhängigkeit von Anwältinnen und Anwälten. Den Anwaltskammern ist es gelungen, das Wissen, die Kompetenz und die Erfahrung von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen über Generationen hinweg zu bündeln. Die Rechtsanwaltskammern haben sich zu einem wichtigen Organ des demokratischen Rechtsstaats entwickelt. Das gilt besonders für die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Repräsentantin aller Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland.
Meine Damen und Herren,
ich möchte an dieser Stelle dem scheidenden Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt Axel C. Filges, für seine Arbeit danken. Filges hat als Fachanwalt einer Großkanzlei die internationale Perspektive der BRAK enorm erweitert. Er ist ein großer Erneuerer. Zu seinen Verdiensten gehört unter anderem die Professionalisierung des Rechtsdialogs mit China. Man kann fragen, wen man will, alle sagen, Filges war ein ausgezeichneter Präsident. Diesem Urteil schließe ich mich sehr gerne an. Und da gibt es auch keine Revision.
Der neu gewählte Präsident, Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, bringt für das verantwortungsvolle Amt acht Jahre Erfahrung als Vizepräsident mit. Rechtsanwalt Schäfer hat schon mal durchblicken lassen, dass die doppelte Arbeit als Fachanwalt für Medizinrecht und Vertreter der Kammer ein Knochenjob ist. Aber wir wissen auch, dass ihn das nicht davon abhält, sich weiter ins Zeug zu legen. Denn für Rechtsanwalt Schäfer ist der Beruf des Anwalts einer der interessantesten überhaupt, weil man, wie er sagt, mit allen Problemen der Gesellschaft zu tun hat. Ich gratuliere zur Wahl und wünsche gutes Gelingen!
Meine Damen und Herren,
unsere Gesellschaft ist stabil, demokratisch und offen, weil wir ein hervorragendes Rechtssystem haben. Es gibt die Rahmenbedingungen der Verfassung und viele neue Anforderungen, die aus politischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen entstehen. Sie haben sich gestern mit den Herausforderungen des Datenschutzes beschäftigt.
Die grundrechtliche Struktur zum Datenschutz verdanken wir zu einem ganz erheblichen Teil den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Die systematische Speicherung von Daten berührt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Gesetzlich vorgesehene Speicherfristen für Daten des Telekommunikationsverkehrs sind deshalb zu Recht ein aufgeregt diskutiertes Thema.
Man kann nicht aus Angst einfach alles speichern. Ebenso falsch wäre es, die Strafverfolgung und damit die Sicherheitsstandards zu gefährden. In der Abwägung zwischen dem Schutz der Freiheit und dem Schutz von Leib und Leben hat die Bundesregierung ein neues restriktives Gesetz erarbeitet.
Es enthält klare Vorgaben zur Speicherpflicht und zu Höchstspeicherfristen, verlangt die Löschung sensibler Daten und schützt Kommunikationsformen, wie etwa private E-Mails.
Ich hoffe, dass dieses Gesetz und die damit arbeitende Praxis noch ist es ja nicht beschlossen am Ende so etwas wie einen Konsens erreichen.
Mindestens so wichtig sind private Datensammlungen. Für den Umgang mit Big Data werden wir weitere gesetzliche Vorgaben benötigen. Es muss klar sein, was mit den Daten geschieht, die sich durch Bewegung im Internet, Präsenz in sozialen Netzwerken und durch die Nutzung von Apps ansammeln.
Wir wissen, solche Daten können auch ein Wissensspeicher werden, der positiv nutzbar ist: etwa für intelligente Mobilitätskonzepte, für die Planung von Wohnraum, für Maßnahmen zum Umweltschutz und vieles andere mehr.
Und gerade deshalb brauchen wir vernünftige Regeln. Es ist gut, dass Sie sich an der Debatte beteiligen. In ihr geht es noch mal philosophisch gesprochen nicht so sehr um das an sich, sondern um das für sich.
Meine Damen und Herren,
die Hauptversammlung der BRAK hat Hamburg als Tagungsort gewählt; das ist eine gute Entscheidung. Hamburg ist eine internationale Metropole und hat als Rechtsstandort einen ausgezeichneten Ruf. Wir pflegen den Rechtsdialog mit China, haben herausragende und weltweit anerkannte Ausbildungsgänge und ein hoch professionelles Netz von Anwältinnen und Anwälten.
Die BRAK reflektiert in ihrer Form die föderale Struktur. Viele Fragen stellen sich in ländlichen Gebieten anders als in den Großstädten. Aber jeder Anwalt und jede Anwältin, jede Landeskammer und besonders die BRAK, die für alle Anwälte in Deutschland sprechen kann, repräsentieren den Rechtsstandort Deutschland.
Deutsches Recht ist weltweit anerkannt. Unsere Juristen werden gefragt, wenn es um die Gestaltung von Verfassungen geht, um modernes Steuerrecht oder um ein Katasterbuch. Deutschland hat eine hervorragende freiheitliche und demokratische Grundordnung und eine Gesellschaft, die das trägt.
Wir stehen für ein Ideal: Unser Land und vor allem unser Rechtssystem ist ein Zufluchtsort und Ort der Hoffnung geworden. Ein Ort der Hoffnung für die von Krieg, Terror und Gewalt Verfolgten. Auch viele Berufskolleginnen und -kollegen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak sind auf der Flucht.
Sie kennen die Bilder: Frauen, Männer und Kinder, die am Rande der vollständigen Erschöpfung sind und hier von tausenden Helferinnen und Helfern empfangen werden. Nach Hamburg sind in diesem Jahr allein 25.000 Schutzsuchende gekommen. In Deutschland werden es mehr 800.000 sein, jede Gemeinde, jedes Bundesland ist gefordert.
Deutschland ist stolz auf die offene Gesellschaft. Wir werden alle aufnehmen, die zu uns kommen und Schutz benötigen. Wir sind ein freies Land mit einem vorbildlichen Gemeinwesen und einer hervorragenden Rechtsordnung.
Das Grundrecht auf Asyl ist unverhandelbar. Auch wenn jetzt viele kommen.
Wir werden also Unterstützung leisten und gleichzeitig werden wir Anforderungen stellen: Die demokratische, säkulare und tolerante Gesellschaft, die die Flüchtlinge freundlich aufnimmt, wird sich verändern, aber sie wird auch weiterhin demokratisch, säkular und tolerant sein!
Meine Damen und Herren,
Institutionen sind so gut wie die Personen, die sie tragen. Wir erleben in Deutschland gerade, was das heißt. Überall im Land nehmen Bürgerinnen und Bürger die große Aufgabe an, die vor uns liegt. Überall arbeiten staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen auf Hochtouren, zeigen, was es heißt, dass soziale und demokratische Institutionen von Bürgern getragen werden.
Auch Wirtschaftsunternehmen zeigen Solidarität, schicken unbürokratisch mal hier eine Palette mit Hygieneartikeln, mal da 2.500 Kartons, die zur Verteilung von Kleidung gebraucht werden. Und bei der hamburgischen Wirtschaft, der Handelskammer und der Handwerkskammer steht die berufliche Integration von Flüchtlingen ganz oben auf der Tagesordnung.
Wie sehr die Aufnahme, Unterstützung und Integration von Flüchtlingen unser Land zusammenführt, ein integrierendes Projekt wird, zeigt eine Deutschlandkarte, die tagesschau.de täglich aktualisiert. Auch Stiftung Warentest ist dabei, sie liefert Anleitungen zum Helfen. Besondere Voraussetzungen? Eine aufrechte Haltung, sonst keine.
Meine Damen und Herren,
ich habe am Anfang Hegel zitiert, weil man von einem konservativen Knochen vielleicht gar nicht erwartet, dass er einer der Vordenker der Zivilgesellschaft ist. Aber seine Aufgabenbeschreibung für die Korporationen hat in der Diskussion um die richtige Haltung in der Flüchtlingskrise eine besondere Aktualität.
Hegel meint, es gelänge den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kammern, den Bourgeois zum Citoyen zu machen. Das heißt, sie schaffen es, den Bürger, der sich nur um seine Bedürfnisse sorgt, in den Staatsbürger zu verwandeln. Gemeint ist die professionelle Verantwortung für das Gemeinwesen. Denn es sind ja nicht die magischen Formeln, die die notwendige Verwirklichung der Einheit des Allgemeinen und des Besonderen schaffen, sondern die tätige Verantwortung im Rahmen des Berufs.
Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist diese professionelle Verantwortung nicht einfach. Denn sie haben nicht nur, wie Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer es so schön formuliert hat, mit allen Problemen der Gesellschaft zu tun. Sie haben auch noch eine besondere Verantwortung für das Rechtssystem. Aber Sie wissen auch, die Stärke des Rechts zeigt sich, wenn es gefordert wird.
Der demokratische Rechtsstaat wird in der Krise gefordert und wird sich beweisen.
Es ist gut zu wissen, dass Sie dabei sind und dabei klar auf der Seite des Rechts stehen.
Vielen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.