Sehr geehrter Herr Baumann,
sehr geehrter Herr Lang,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Das Umdenken kam spät. Nicht zu spät, aber doch beschämend spät. Erst 2002 wurden die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht aufgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt galten auch Sie, sehr geehrter Herr Baumann, der Justiz als vorbestraft.
Wenn wir heute in Hamburg den Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz einweihen, dann bin ich auch erleichtert, dass es endlich soweit ist.
Sehr geehrter Herr Baumann,
Sie mussten lange auf diesen Moment warten. Danke, dass Sie in Ihrem Bemühen um diesen Gedenkort nicht nachgelassen haben und dass Sie heute hier sind.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ludwig Baumann war erst 19 Jahre alt, als ein Einberufungsbescheid sein Leben in Eimsbüttel auf den Kopf stellte. In Frankreich nahm er bald Kontakt zum Widerstand auf, ein Jahr später, 1942, machte er sich mit Kurt Oldenburg von Bordeaux aus auf den Weg ins unbesetzte Vichy-Frankreich. Weit kamen die beiden jungen Gefreiten nicht.
Am 30. Juni 1942 verurteilte das Gericht des Marinebefehlshabers Westfrankreich Ludwig Baumann und Kurt Oldenburg wegen sogenannter Fahnenflucht im Felde zum Tode. Zehn Monate lang war Baumann im Wehrmachtsgefängnis Torgau eingekerkert, täglich rechnete er mit seiner Hinrichtung. Dann wurde er begnadigt und in ein Strafbataillon strafversetzt.
Die Jahre nach dem Krieg in Hamburg müssen bitter gewesen sein. Folter und Ostfront hatten ihre Spuren hinterlassen. Aber was wohl noch schlimmer war: Die meisten NS-Militärrichter blieben in der Justiz und machten in der Bundesrepublik Karriere, während Ludwig Baumann sich als angeblicher Landesverräter beschimpfen und auch bedrohen lassen musste. Den Kampf für die Anerkennung der Opfer der NS-Militärjustiz machte er sich seither zur Lebensaufgabe ein Einsatz, für den Sie sich meines Respekts sicher sein können.
Sehr geehrter Herr Baumann,
ein Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz in Ihrer Geburtsstadt Hamburg war Ihnen in den vergangenen Jahren ein besonderes Anliegen. Heute können wir diesen Gedenkort einweihen und darüber freue ich mich mit Ihnen und allen Unterstützern.
Dass 70 Jahre bis zu dieser angemessenen Würdigung vergingen, bleibt eine beschämend lange Zeit. Aber nun ist der Gedenkort da.
Mit seiner Platzierung zwischen dem umstrittenen 76er-Denkmal und dem Fragment gebliebenen Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka setzt Hamburg an einer zentralen Stelle in der Stadt ein unmissverständliches Zeichen.
So unmissverständlich wie die Worte, die am 15. Mai 1997 im Bundestag in einer der Debatten zur Rehabilitierung und Entschädigung der Deserteure fielen. Es war Ihre Anregung, Herr Baumann, an den historischen Satz zu erinnern, er lautet: Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Das war nun endlich eine eindeutige Distanzierung, eine Absage an jede Rechtfertigung oder Relativierung deutscher Schuld.
Verleugnen und Rechtfertigen haben zweifellos im Nachkriegsdeutschland zu lange dominiert.
Wo sind die Deserteure? Wo sind die Eltern, sind die Freunde, die Brüder und Schwestern dieser erschossenen Deserteure, deren Leichen man auf die Schwelle des Friedens häufte?, fragte der Schriftsteller Heinrich Böll 1953. Mehr als 20.000 Todesurteile ließ die Wehrmachtsjustiz vollstrecken weit mehr als der berüchtigte Volksgerichtshof und alle Sondergerichte zusammen.
Hamburg spielte mit seinen zahlreichen Gerichten und Kriegsgerichten für die Wehrmachtsjustiz reichsweit eine wichtige Rolle. 227 der Opfer, die nach kriegsgerichtlichen Urteilen auf dem Schießplatz Höltigbaum in Rahlstedt und im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis hingerichtet wurden, sind bekannt. Der Künstler Volker Lang hat ihre Namen nun an diesem Gedenkort verewigt.
Sehr geehrter Herr Lang,
Ihr Gedenkort für die Deserteure ist transparent, offen und begehbar. Er stellt sich dem Betrachter nicht monumental entgegen, sondern eröffnet einen Raum, in dem man sich gedanklich und tatsächlich bewegen kann. Die Gründe, die zur Desertation führten, lassen sich durch Sätze aus dem Gedicht Deutschland 1944 nachvollziehen. Der Dichter Helmut Heißenbüttel, selbst als Soldat schwer verwundet, hat sie aus Zeitungen, Radio und öffentlichen Reden 1967 zu einer Textcollage zusammengesetzt.
Herr Lang, ich bedanke mich im Namen des Senats für die Gestaltung dieses für Hamburg sehr wichtigen Gedenkortes. Und ich bedanke mich bei allen Unterstützern und ganz besonders beim Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal, das seit 2010 mit Gedenkveranstaltungen, Gesprächen mit Zeitzeugen oder szenischen Lesungen für dieses Projekt geworben hat.
Wichtige Veranstaltungen führten auch die Evangelische Akademie, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Forschungsstelle für Zeitgeschichte und das Bildungswerk des DGB durch.
Beeindruckend waren die zahlreichen Eingaben durch Bürgerinnen und Bürger. Die Tochter von Willi Dittmann, der am 1. Februar 1945 wegen sogenannter Fahnenflucht hingerichtet worden war, berichtete von ihrem Vater. Der Widerstandskämpfer war nie rehabilitiert worden und seine Witwe musste die vier Kinder nach 1945 ohne die Unterstützung, die anderen Kriegsopfern gewährt wurde, durchbringen.
Im April 2012 wandten sich die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen der Ida-Ehre-Schule in einem bewegenden Schreiben an mich. Bereits einige Monate zuvor hatte ein Profilkurs der Schule Vorschläge zur Gestaltung des Gedenkens am Hamburger Dammtor vorgelegt. Beides waren wichtige Beiträge.
Auch die Bürgerschaft war sich einig. Im Juni 2012 plädierten alle damals vertretenen Fraktionen für einen Gedenkort.
Der Antrag wurde begleitet von einstimmigen Beschlüssen der Bezirksversammlungen Mitte, Nord und Wandsbek, die sich für einen Erinnerungsort für die Opfer der Wehrmachtsjustiz in Hamburg stark machten. Der Bezirk Wandsbek beschloss außerdem die Benennung von drei Straßen im Neubau-Viertel Jenfelder Au, auf dem Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne, nach zum Tode verurteilten Hamburger Deserteuren. Heute erinnert die Kurt-Oldenburg-Straße an den Weggefährten von Ludwig Baumann.
Sehr geehrte Damen und Herren,
über 100 Gedenkstätten, mehr als 200 Gedenktafeln, fast 5.000 Stolpersteine, die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Hamburg hat die Opfer des Nationalsozialismus nicht vergessen. Auch der neue Gedenkort am Dammtor soll keinen Schlusspunkt setzen. Deshalb gibt es bereits Aufträge für eine wissenschaftliche Dokumentation zur Wehrmachtsgerichtsbarkeit in Hamburg und ein durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur Forschungsprojekt zu Militärjustiz und Stadt im Krieg.
Sehr geehrter Herr Baumann,
Sie sehen, die von Ihnen angestoßene Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wehrmachtsjustiz wird weitergehen. Denn Hamburg hat umgedacht, und das unwiderruflich.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Es gilt das gesprochene Wort.