Sehr geehrter Herr von Notz,
sehr geehrte Frau Professorin Müller,
sehr geehrte Frau Dr. Lieblová,
sehr geehrter Herr Saathoff,
sehr geehrter Herr Lüttgenau,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
letztlich zerfällt Geschichte in Bilder, nicht in Geschichten. Jener Gedanke Walter Benjamins er wird hier greifbar. Denn die Wucht der Bilder dieser Ausstellung ist enorm.
Wir kennen alle diesen kurzen Moment des Innehaltens, wenn unsere Augen zur Kamera werden und wir direkt in die Gesichter der Gepeinigten blicken; wir kennen ihn alle, den Moment des inneren Entsetzens, wenn uns Photographien die vielen Orte der Menschenverachtung und Grausamkeit vergegenwärtigen; wir kennen unser ungläubiges Schweigen angesichts der zahllosen Dokumente, die die unerträgliche Perfektion der organisierten Barbarei bezeugen.
Doch unser Innehalten, unser Entsetzen und unser Schweigen beim Betrachten der Exponate bleiben diese Eindrücke nicht unverbunden. Denn diese Ausstellung zieht große Linien, erläutert so umfassend wie nie zuvor das Geschehen der Zwangs- und Sklavenarbeit während der Zeit des Nationalsozialismus im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten. Als Gesamtschau stellt sie Zusammenhänge her, deutet das Phänomen und es gelingt ihr, seiner ganzen Vielschichtigkeit gerecht zu werden.
So erfährt man als Besucher auch, was nicht abbildbar ist, was dem visuellen Eindruck verborgen bleibt, aber was für die Zeit der Kriegsgesellschaft damals prägend war und sich in dieser Ausstellung als Gliederungskategorie findet: die Gewöhnung an Ausgrenzung, die Radikalisierung, und permanente Verletzungen der Menschenwürde.
Eine zeithistorische Ausstellung braucht und benutzt solch abstrakte Kategorien, um das Geschehen zu ordnen.
Doch abgesehen von der Gesamtinterpretation ist es das besondere Verdienst der Ausstellungsmacher und Initiatoren, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, auch konkretes individuelles Erleben, subjektives Leid zu benennen, das, was millionenfach als Entwurzelung, Demütigung, Überlebenskampf oder Vernichtung erfahren wurde.
Das Konzept verbindet so zwei Ebenen: es bringt individuelles Schicksal einerseits und historische Deutung andererseits zusammen.
Aber es kommt noch eine weitere Ebene hinzu, eine politische, gesellschaftliche: Denn die Bilder und Dokumente, sie nötigen uns Antworten ab; einmal auf die Frage, wie gingen wir mit diesen Verbrechen um? Und zum zweiten, welchen Stellenwert hat das historische Geschehen für uns heute?
Die Ausstellung reflektiert beides. Erstens den Umgang mit den Verbrechen: Das jahrzehntelange Verdrängen und Verharmlosen von Zwangsarbeit und den Versuch, das Begleichen der Schuld unendlich hinauszuschieben. Erst das Ende des Ost-West-Konflikts und die Sammelklagen gegen deutsche Großunternehmen in den USA haben schließlich die Entschädigung von Millionen ehemaliger Zwangsarbeiter auf die internationale Agenda gesetzt.
Mit der Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft im Jahr 2000 haben die Bundesrepublik und die deutsche Wirtschaft schließlich ein Zeichen und zugleich Maßstäbe gesetzt; nicht nur weil Staat und Privat gemeinsam dafür sorgten, dass alle noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter noch etwas Geld als Anerkennung des Unrechts erhalten konnten.
Wegweisend ist die Stiftung EVZ auch deshalb, weil ein Teil des Stiftungsvermögens zukunftsorientiert verwendet werden soll. Mit diesem sogenannten Zukunftsfonds demonstrieren Staat und Wirtschaft eine gemeinsame Verantwortung, und zwar dafür, dass aus der Verstrickung in NS-Unrecht eine Pflicht erwächst, sich für Menschenrechte national und international einzusetzen. Seit dem Ende der Auszahlungen im Jahr 2007 hat sich die Stiftung EVZ diesem Ziel verschrieben und setzt es in klugen Förderprogrammen auch und gerade in den Herkunftsländern der ehemaligen Zwangsarbeiter mit großer Wirkung um.
Meine Damen und Herren,
die zweite, politische Frage, mit der wir hier konfrontiert werden, lautet: Welchen Stellenwert hat das Wissen um Zwangsarbeit und Sklaverei in einem totalitären System für unsere Gesellschaft heute?
Wir wollen dieses Wissen weitergeben. Wir wollen diesem Wissen Raum geben. Die Ausstellung als solche stellt das unter Beweis. Sie ist ein Bekenntnis: Wir zeigen damit, unser Blick zurück ist eine dauerhafte gesellschaftliche Aufgabe, nichts Abschließendes. Unser Blick in die Vergangenheit ist etwas höchst Gegenwärtiges und daher auch Erneuerbares. Indem wir offen und ungeschönt historische Zeugnisse ausstellen, stellen wir uns selbst ein Zeugnis aus als kritische und offene Gesellschaft. Dieser Anspruch wird auch durch die Schirmherrschaft des Bundespräsidenten über diese Ausstellung untermauert.
Raum geben - das ist auch ganz wörtlich gemeint. Als wir vor gut einem Jahr die Anfrage erhielten, ob wir diese Ausstellung, die ja auch viel Fläche braucht, in Hamburg zeigen wollen, haben wir keinen Moment gezögert.
Denn zum einen verfügt unsere Stadt mit dem Museum der Arbeit über einen authentischen Ort der Erinnerung eine ehemalige Gummi-Fabrik, zur NS-Zeit für Rüstungszwecke genutzt, auch unter Einsatz von Zwangsarbeit.
Zum anderen konnten wir anknüpfen an eigene Anstrengungen, uns dem Thema Zwangsarbeit in Hamburg zu stellen. Eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder vorwiegend aus Ostmittel- und Osteuropa waren hier eingesetzt, vor allem in der Rüstungsindustrie.
Verschiedene Ausstellungs- und Forschungsprojekte widmeten sich dem erheblichen Ausmaß von Zwangsarbeit in unserer Stadt.
Wir haben pädagogisches Material erarbeitet.
Und wir haben zwischen 2001 und 2013 ein Besuchsprogramm aufgelegt: Unserer Einladung, noch einmal den Ort ihrer Leidenszeit aufzusuchen, sind etwa 400 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gefolgt. Sie wurden offiziell willkommen geheißen, konnten mit Schulklassen und anderen Gruppen zusammentreffen und über ihre Erfahrungen berichten.
Ich bin dankbar dafür und für unsere Stadt auch ein wenig stolz: Hamburg zeigt heute ein anderes Gesicht als damals: weltoffen und mitfühlend. Wir sind Teil eines demokratischen und rechtsstaatlichen Deutschland, das seine Vergangenheit nicht ausblendet. Deshalb freue ich mich besonders, dass Sie, verehrte Frau Dr. Lieblova als Zeitzeugin heute Abend hier sind und zu uns sprechen werden.
Meine Damen und Herren,
Rund 120 Tausend Menschen haben diese Ausstellung hier seit ihrer Eröffnung vor fünf Jahren gesehen. Ich halte es für ein gutes, ermutigendes Zeichen, dass ihr bislang nicht nur in Berlin und Dortmund Raum gegeben wurde, sondern auch in Moskau, Warschau und Prag.
Diese Ausstellung geht allen unter die Haut. Ihr Raum zu geben aber, ist das Statement einer offenen Gesellschaft. Der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der Körber-Stiftung, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Stiftung Historische Museen Hamburg, dem Museum der Arbeit und allen, die daran mitwirkt haben und es in Zukunft tun werden, gilt mein herzlicher Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.