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29.09.2016

Grußwort: Eröffnung des 24. Filmfestes Hamburg 2016

 

Sehr geehrter Herr Wiederspiel,
sehr geehrte Frau Connelly,
sehr geehrter Herr McGregor,
sehr geehrte Mitglieder des Konsularischen Korps,
sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

das Filmfest Hamburg eröffnet heute mit einem beeindruckenden Film mit ganz hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern. Ich freue mich sehr, dass der  Regisseur und Hauptdarsteller Ewan McGregor ebenso wie die Hauptdarstellerin Jennifer Connelly anwesend sind. Ich begrüße Sie ganz herzlich hier in Hamburg. Es ist eine große Auszeichnung für uns und das Filmfest Hamburg, dass Ihr Film, nach der Weltpremiere in Toronto zur Deutschland-Premiere nach Hamburg kommt.

Albert Wiederspiel hat einen Eröffnungsfilm gewählt, der mit starken Bildern zeigt: Das Kino ist keine Idylle, sondern der Ort des rationalen und emotionalen Erkennens. Der Begriff des Idylls ist normalerweise mit ländlichem Leben verbunden, harmonisch verklärt; Amerikanisches Idyll ist eben das und zugleich dessen Negation, nämlich ein Zusammenbruch, ein Absturz.

Die Geschichte, die der amerikanische Autor Philip Roth 1997 in seinem gleichnamigen Roman erzählt und deren Verfilmung wir heute Abend sehen werden, ist die Geschichte von Verstörung und Verfall, auch von Liebe: antagonistische Kräfte, die im Großen in einer Nation und im Kleinen in der Familie wirken.

In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts angelegt, reflektiert der Film die Krise einer Familie in den USA und die Verstörung einer Nation durch den Vietnamkrieg. Ein Krieg, der in der Ferne geführt, sich auch als ganz nah erweist und nicht zu gewinnen ist. Auch nicht in der Bilderbuch-Familie von Seymour Levov, dort, wo die Tochter ihrerseits den Krieg erklärt.

Die  Familie, die hoffte, in der vierten Generation endlich den "amerikanischen Traum" zu leben, zerbricht, als sich die Tochter zu einer militanten Politaktivistin, einer Terroristin entwickelt und auch die Hoffnung der Familie, das große amerikanische Versprechen, durch Arbeit und Anstrengung alles erreichen und sich das Glück verdienen zu können. Am Ende steht existenziell erfahrenes Unglück.

Große Themen, die heute, fünfzig Jahre nach Vietnam und zwanzig Jahre nach Erscheinen des Romans, noch immer beeindrucken. Und auch, wenn es gelegentlich so wirkt, als seien die Themen in einer Zeitkapsel eingefangen und in den ästhetischen Bildern gebändigt, sind die Themen nicht weit weg:

Die deutsche Terroristin Susanne Albrecht stammt aus einer gutbürgerlichen Familie aus Hamburg. Sie missbrauchte das Vertrauen ihres Patenonkels Jürgen Ponto und brachte 1977 die RAF bis in sein Wohnzimmer, wo er durch fünf Schüsse getötet wurde. Noch Generationen später quälen die Erinnerungen die Angehörigen.

Und der Terrorismus ist mit anderen Ereignissen gegenwärtig: In unsere Vorstellungen schieben sich die 15 Jahre alten Bilder zweier einstürzender Türme und Bilder von schwärzlichen Flecken vor einer geometrischen Gebäudefassade. Erst das Wissen über den Kontext erschließt, was wir da tatsächlich sehen, und vervollständigt sich zu der Ahnung einer kaum fassbaren Grausamkeit: Es sind Bilder von Menschen, die am 11. September 2001 aus den Twin Towers des World Trade Centers in den Tod gesprungen sind.

Diese Ereignisse sind auch mit unserer Stadt verbunden. Der in Ägypten geborene Mohammed Atta, der im Flugzeug saß, das den Nordturm zerstörte, wohnte in Hamburg. Das war kein eingeschleuster Schläfer, sondern einer, der sein Studium mit einer Diplomarbeit über die Sanierung der Altstadt von Aleppo Aleppo! abschloss, ein zuverlässiger Mitarbeiter, der eigentlich in seine Heimat zurück wollte und sich dennoch radikalisierte. Genauso wie die anderen Täter, die in aus Hamburg.  

Seit 2001 haben die Verheerungen des Dschihadismus enorm zugenommen und viele Städte getroffen. Wir kennen die Namen der Orte von Freiheit und der Demokratie, die sich vom Terrorismus nicht einschüchtern lassen. Wir sind alle Amerikaner hatte die französische Tageszeitung Le Monde im September 2001 in Anlehnung an den berühmten Satz von Kennedy geschrieben. Wir sind Paris, London, Brüssel, Nizza antwortet heute die freie Welt auf den Terrorismus. Aber auch Istanbul, Daressalam oder Tunis und Mumbai verdienen diese Solidarität. Wir dürfen nicht vergessen: Der neue transnationale Terrorismus trifft vor allem Staaten außerhalb Europas und die Bürger muslimischen Glaubens. Am meisten betroffen sind die Länder Irak, Afghanistan, Nigeria, Indien und Pakistan. Familien, die gerne in Deutschland leben, zum Beispiel in Berlin, erleben erschrocken, dass sich ihre Kinder in den Dschihad aufmachen.

Und gerade hier im Kino, dem Ort der bewegten und bewegenden Bilder fällt auf, wie bild-gewaltig der neue Terrorismus ist. Wie sehr er sich der multimedialen Mittel und der geradezu filmischen Inszenierung bedient. Und er richtet sich zugleich gegen alle Bilder, die für alte und fremde Kulturen stehen. Ich habe vor ein paar Tagen mit Teju Cole darüber gesprochen. Er  beschreibt in seinem neuen Buch Vertraute Dinge, fremde Dinge den Ikonoklasmus als Gründlichkeit gepaart mit Raserei.  

Die terroristischen Taten sind für uns unfassbar. Unfassbar sind die Taten noch mehr, wenn wir die Täter kennen. Auf beides verweist der Film.  

Den interessierten Blick auf die Welt ermöglicht uns Jahr für Jahr das Filmfest Hamburg. Dem Filmfestival gelingt es, unseren Blick zu weiten. Das Kino lebt als medial vermittelte Wirklichkeit, als Verknüpfung von Erzählung und Analyse. Albert Wiederspiel und sein Team fühlen sich nicht nur cineastischer Ästhetik verpflichtet, sie sehen sich zugleich auch gesellschaftlich und politisch in der Verantwortung. Die Filme, die sie aus aller Welt zusammentragen es sind in diesem Jahr 165 Produktionen aus 53 Ländern sind dafür anschauliche Beispiele und Beweise.

Das Filmfest ist ein internationaler Schauplatz für Filme und Menschen, Ort der Begegnung für Besucher aus unterschiedlichen Ländern und fremden Kulturkreisen. Wer hierher kommt, sei es als Zuschauende, sei es als Regisseurin oder Regisseur, als Darsteller oder Produzentin, weiß, dass die Filme und die, die sie machen immer auch das Fremde darstellen. Zugleich ist der Film auch die Erfahrung, dass sich Annäherung, Gemeinsamkeit und Gemeinschaftlichkeit herstellen lassen: im Zeigen und im Zuschauen, in Begegnungen im Kino und in den Veranstaltungen außerhalb. Denn im Film, in seiner Bild- und Tonspur, ist der weit gefasste Blick eingefasst, der anregende Blick, mehr sehen zu können, als nur uns selbst oder das, was wir bereits kennen und das uns vertraut ist. In die DNA des Films ist eingeschrieben, was uns alle, gleich woher wir kommen, klüger machen kann: Wir müssen nur hinsehen wollen.

Das Filmfest Hamburg ist eine Quelle der Inspiration und der Aufklärung. Ich bin sicher, es wird ein Erfolg.

 

Und jetzt freue ich mich auf den hochinteressanten Eröffnungsfilm.                         

 

Vielen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort.