Sehr geehrter Herr Siegers,
sehr geehrter Herr Westhagemann,
sehr geehrter Herr Professor Walter,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
auf der Einladungskarte zu diesem Zukunftsdialog sieht man eine Stadt, und zwei Seen, eigentlich gehören sie zu einem Fluss, mit vielen Segelbooten. Wer Hamburg kennt sogar wer Hamburg nicht kennt , weiß: Das ist die Alster. Und wer versucht hat, auf der Alster zu segeln oder zu rudern, kennt ihre überraschenden Böen.
Vor Überraschungen nicht sicher zu sein das ist es, was Zukunft ausmacht. Nicht allein, aber sehr wesentlich. Umso größer, und in der Tat auch nötig, sind die Anstrengungen, diese Zukunft zu gestalten und ihr einige ihrer Geheimnisse abzuluchsen.
Was die betrifft, hatte der Wissenschaftler Nikolai Kondratjew, geboren 1892 im russischen Zarenreich, eine Theorie zu zyklischen Wirtschaftsverläufen entwickelt, die er Die Langen Wellen der Konjunktur nannte. Sie würden von Innovationen, von umwälzenden neuen Technologien ausgelöst. In einer darauf folgenden Phase des Abschwungs gehe es dann um das Generieren der nächsten Welle.
Kondratjew selbst erlebte das Ausklingen der Zweiten industriellen Revolution noch mit und forschte in der Kernzeit der Dritten Elektrotechnik und Schwermaschinen , mittlerweile in der Sowjetunion. Früher oder später musste er mit deren anders lautender, allein zulässiger Doktrin in Widerspruch geraten. Dennoch hat die Theorie der Kondratjew-Zyklen sein eigenes gewaltsames Ende überlebt er wurde 1938 hingerichtet, 1987 aber rehabilitiert.
Was sagt uns die Theorie heute und warum beginne ich damit? Ich habe es eben angedeutet und als einer, der sich vom deterministischen Denken lange verabschiedet hat, wiederhole ich es: Die Zukunft wird uns noch mit manchen Volten überraschen. Eine davon ist übrigens die, dass jetzt von der Vierten industriellen Revolution gesprochen wird, Kurzformel 4.0, die weiterhin von der Informationstechnologie und der Digitalisierung getrieben wird, besonders aber, und das ist das Neue, die Fertigungstechnik informatisieren soll, Stichwort Internet der Dinge. Auch nach Kondratjew müssten wir uns am Anfang einer neuen Langen Welle befinden, allerdings wäre das bereits die mindestens fünfte, eher sechste.
Lassen wir also die Zahlenspiele und halten uns an das Offenkundige. Es gibt Zyklen und sie haben etwas mit technologischen Entwicklungsschüben, manchmal auch -sprüngen zu tun. Und die wiederum vollziehen sich nicht einfach so, sondern sie lassen sich anschieben, beeinflussen, zwar in Grenzen, aber doch in stärkerem Maße als etwa solche der Natur.
Elektrifizierung, das war auch in Hamburg das große Thema am Ende des 19. Jahrhunderts; schon damals wussten Vorausdenker übrigens auch dies, ich zitiere: bis wir dahin gelangen, an Stelle der in frühern geologischen Epochen aufgespeicherten Sonnenwärme (also der Kohle) vielleicht die Sonnenwärme unsrer Tage direkt P oder eine andere Kraft als Energiequelle verwenden zu können, wird wohl noch geraume Zeit vergehen. Das sagte 1891 ein deutscher Regierungsbeamter, der Staatssekretär v. Stephan, bei einem Elektrikerkongress.
Ihn trieb vor allem die Sorge um, die Kohlenbestände würden früher oder später zur Neige gehen. Demgegenüber forschte Stephan Arrhenius, ein schwedischer Zeitgenosse v. Stephans und Kondratjews, bereits über die mögliche Korrelation fossiler Verbrennung und klimatischer Veränderungen. Den blauen Himmel über dem Ruhrgebiet beschwor dann siebzig Jahre später Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1961 als Ziel herauf.
Manchmal könnte man verzagen angesichts der Fülle von Zielkonflikten, die sich aus all dem ergeben, zumal sich die friedliche Nutzung der Atomkraft, so genial sie erdacht war, doch nur als folgenreiche Zwischenlösung erwiesen hat. Statt zu verzagen, haben wir die Richtung verändert und sind dabei, heutige Fragen der Energieerzeugung und -verteilung, der so genannten Energiewende, mit der Modernisierung der industriellen Produktion, der urbanen Verkehrssysteme, der gesamten Stadt zu verknüpfen.
Meine Damen und Herren,
die Umbrüche, die wir gerade erleben, sind erst der Anfang. Um in einer Zukunft 4.0 zu bestehen, beziehungsweise im so-und-sovielten Kondratjew-Zyklus, unterstützt der Senat smarte Entwicklungen nach Kräften. Wir wollen in der gesamten Stadt ein Klima schaffen, damit sich Hamburg zu einem Laboratorium der digitalen Moderne entwickelt. Hamburg ist nicht die Welt allerdings ein Tor zu ihr, und die Stadt und die Metropolregion sind High-Tech-Standort und ihre Industrie setzt weltweit Maßstäbe. Ein bisschen darf ich über sie sprechen.
Mit einem Masterplan Industrie schaffen Senat, Handelskammer und Industrieverband in Hamburg die strategischen Rahmenbedingungen für die Sicherung und den Ausbau der Industrie in unserer Stadt. Das vielleicht bedeutendste Thema des Masterplans ist aus Sicht des Senates die Innovationspolitik.
Unsere Wettbewerbsvorteile liegen in der Fähigkeit, gute neue Produkte und Dienstleistungen hervorzubringen und diese möglichst ohne Verzögerungen im Markt zu platzieren. Auf vielfältige Weise unterstützen wir die Kreativen und die Mutigen.
Wir haben, als nur ein Beispiel, das Förderprogramm InnoRampUp eingeführt, das die Existenzgründungen und Unternehmen fördert, die auf neuen Ideen basieren. Wir wollen sukzessive ein Netz von F&I-Parks etablieren und planen Innovationsdarlehen einzuführen. Inzwischen konnte der Senat die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich drei Fraunhofer-Vorhaben in Hamburg etablieren. Hamburg soll zu einer Innovationshauptstadt in Europa werden.
Ein längst unverzichtbare Antriebsturbine sind die Erneuerbaren Energien und die damit verbundenen Technologien. Inzwischen decken diese anderen Kräfte im Sinne des Staatssekretärs v. Stephan , allen voran die Offshore-Windparks, einen stetig steigenden Anteil unseres Energieverbrauchs. Sie liefern an gut 340 Tagen im Jahr Strom verlässlich und gut prognostizierbar. Umspannwerke und Höchstspannungs-Gleichstrom-Technologie sorgen dafür, dass dieser Strom mit geringen Verlusten zum Festland transportiert werden kann. Sie wissen, wovon ich rede, denn allein fünf dieser Nordsee-Netzanbindungen hat Siemens realisiert. Sie sorgen dafür, dass mehr als 3,8 Gigawatt Leistung zur Versorgung von rund 2,5 Millionen Haushalten ins Netz eingespeist werden.
Allerdings ist der Transport über Land zu den Verbrauchern schwieriger als zunächst absehbar war, for countless reasons. Über viele davon haben wir miteinander diskutiert und auch Lösungen gefunden. Neuerdings haben Widerstände gegen die so genannten Stromautobahnen, insbesondere gegen SuedLink, zugenommen. Deshalb begrüßt es der Hamburger Senat, dass die Regierungsparteien in Berlin nun einen Weg gefunden haben, auf dem sich bisherige politische Widerstände gegen den Netzausbau hoffentlich umfahren lassen.
Das ist ein Schritt nach vorn, denn wir sehen mit Sorge, dass die Abschaltung norddeutscher Windkraftanlagen droht, wenn die betreffende Trasse bis 2022 nicht fertig gestellt wird. Es muss gelingen, die regenerativen Energien möglichst vollständig in den Markt zu integrieren. Das ist nur möglich mit einer intelligenten Vernetzung der Systeme.
Deshalb hat Hamburg zusammen mit Schleswig-Holstein die Bewerbung eines norddeutschen Konsortiums im Förderprogramm Schaufenster intelligente Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unterstützt und deshalb engagieren wir uns sich gemeinsam für das Projekt NEW 4.0 Norddeutsche Energiewende.
Zusammen mit 50 Partnern aus Hamburg und Schleswig-Holstein, darunter Siemens, soll gezeigt werden, wie der Strom aus Erneuerbaren Energien der schleswig-holsteinischen Küstenregion mit dem Verbrauch in der Metropolregion Hamburg besser synchronisiert werden kann. Im Zentrum steht dabei die flexible und intelligente Vernetzung von Erzeugern und Verbrauchern. Dazu gehören Power to Heat, Power to Steel und Power to Gas ebenso wie die Anpassung des Stromverbrauchs an die Erzeugung und die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien.
NEW 4.0 soll ein Schaufenster werden, in dem eine Region mit rund 5 Millionen Einwohnern zeigen kann, wie sie ab 2035 sicher und zuverlässig zu 100 Prozent mit regenerativer Energie versorgt wird. Bilanziell, versteht sich; real werden wir auch dann noch konventionelle Kraftwerke in der Region haben und nutzen.
Eine wichtige Rolle wird bei NEW 4.0 der Öffentliche Nahverkehr spielen. Wir wollen ihn so ausbauen, dass er deutlich weniger Emissionen verschiedener Art erzeugt. Elektromobilität, also im weiten Sinne die elektrischen S- und U-Bahnen, im engeren in erster Linie emissionsarme Busse leisten dazu schon heute einen wesentlichen Beitrag. Ab 2020 will die Freie und Hansestadt Hamburg nur noch emissionsfreie Linienbusse anschaffen. Die aktuell relevanten innovativen Antriebe wie Hybrid-, Plug-In-, Brennstoffzellenhybrid- und Batteriebusse mit Brennstoffzellen zur Verlängerung der Reichweite erprobt Hamburg schon jetzt auf der Innovationslinie 109. Ab 2016 werden auch Batteriebusse getestet.
Bei der Ladeinfrastruktur ebenso wie beim Thema Wasserstoff arbeitet Hamburg intensiv mit Siemens zusammen. Siemens gehört zu den drei großen Herstellern von Elektrolyseuren für die Erzeugung von Wasserstoff aus erneuerbarer Energie, zum Beispiel Windstrom. Aktuell plant die Hamburger Hochbahn den Neubau eines Busbetriebshofes für etwa 250 innovative Busse. Eines der Szenarien ist dabei das Produzieren und Bereitstellen des Wasserstoffes vor Ort mit eben solchen Elektrolyseuren.
Das ist sozusagen die Hardware. Aber wir brauchen auch die Software, denn mehr Bewohner in Hamburg, eine wachsende Wirtschaft und mehr Touristen bedeuten auch mehr Verkehr. Schon jetzt haben wir alle Baggerschaufeln voll zu tun, unser Straßennetz den wachsenden Anforderungen anzupassen.
Doch um den wachsenden Verkehr der Zukunft bewältigen zu können, brauchen wir darüber hinaus den verstärkten Einsatz von intelligenten Systemen und Anwendungen. Dazu bietet die rasante Fortentwicklung in den Bereichen der IT- und Kommunikationstechnik sowie der Fahrzeugtechnik neuartige Möglichkeiten. Deshalb kommt der Mobilität 4.0 jetzt lasse ich mal Kondratjew mittel- und langfristig eine Schlüsselrolle zu. Hamburg wird sich in einer Gemeinschaftsaktion von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik den damit verbundenen Herausforderungen stellen.
Viele Funktionen, wie die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit der Infrastruktur, werden heute schon auf Autobahnen getestet, müssen aber auf ihre Eignung für den urbanen Raum noch eingehend untersucht werden. Die Erkenntnisse aus Projekten wie SIM TD (Sichere Intelligente Mobilität Testfeld Deutschland und Urban) sind gute Grundlagen, auf denen wir aufbauen möchten. Dabei müssen wir unter der Vielzahl von Trends diejenigen identifizieren, die sich mit unseren Zielen decken. Auch die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir mit den SMART-Port-Projekten im Hafen sammeln, wollen wir nutzen.
Hamburg arbeitet dazu eng mit Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung sowie anderen Bundesländern und Kommunen zusammen. Als große Stadt kann Hamburg Testfeld und Kooperationspartner für Intelligente Transportsysteme werden.
Und gleichzeitig bedeutet natürlich eine gezielte Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik und Intelligenter Transportsysteme eine wirtschaftliche Wertschöpfung, Vorteile für den Wirtschafts- und Arbeitsstandort und die Verbesserung von Lebensqualität.
Als Industrie- und Wissenschaftsstandort mit hoher IT-Kompetenz werden wir selbstverständlich auch die Potentiale nutzen, die sich aus der Technologie des 3-D-Drucks ergeben. Die vielen verschiedenen Techniken [schmelzen, spritzen, addierend schichten], die sich unter dem Kürzel 3D versammeln, sind in der Medizin, der Luftfahrt, bei der Produktion von Ersatzteilen und auch für die Herstellung von Alltagsgegenständen interessant.
Der Hamburger Senat unterstützt die vielversprechende Entwicklung mit einer 3D-Initiative. Wir haben mit dem Laserzentrum Nord, dem Hamburger Logistik-Institut und dem Forschungscluster Digitale Dienste der Universität Hamburg forschungsstarke Experten auf dem Gebiet. Diese Expertise wird mit dem industriellen und wirtschaftlichen Know-how zusammengeführt. Die noch neue Querschnittstechnologie ist eine Chance, Hamburg erneut als Technologieführer zu profilieren und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.
Meine Damen und Herren,
der Hamburger Senat begreift die Digitalisierung als Chance und will deren Potenziale für Menschen und Unternehmen erschließen. Nicht alle Möglichkeiten werden auch genutzt werden. Niemand braucht ein so smartes Haus, dass eigenverantwortliches Öffnen und Schließen von Fenstern gar nicht mehr zulässig ist, weil dann das digitale Lüftungssystem tiltet.
Aber: Wir brauchen eine Kultur, die in neuen Möglichkeiten zunächst einmal Chancen und nicht ausschließlich Risiken entdeckt. Der Hamburger Senat teilt die Überzeugung, dass die neuen digitalen Möglichkeiten in der Lage sind, unsere Gesellschaft, unser Wirtschaftsleben und den urbanen Transport zu verbessern.
Hinzu kommt, dass Hamburg als zentraler Standort der Medien- und Digitalwirtschaft die Folgen der Digitalisierung in Wirtschaft und Öffentlichkeit ohnehin früher als andere zu spüren bekommen hat.
Wenn wir es richtig angehen, haben wir die Möglichkeit, unsere Städte mit Hilfe neuer Technologien noch lebenswerter und wirtschaftlich stärker zu machen. Und weil in Hamburg schon unglaublich viel passiert, wollen wir diese Prozesse bündeln und aufeinander abstimmen. Deshalb haben wir in der Senatskanzlei im Amt Medien eine Leitstelle für die Digitale Stadt eingerichtet. Sie soll dabei mithelfen, Innovationsräume für Unternehmen zu öffnen, in denen neue Angebote und Technologien ausprobiert und in Pilotprojekten zur Marktreife geführt werden können. Zugleich geht es auch darum, durch Technologie die Qualität der Services zu verbessern und Ressourcen effizienter zu nutzen. Sei es in der Verwaltung selbst, an den Schnittstellen der Verwaltung zu den Bürgerinnen und Bürgern, in der Wirtschaft, bei Verkehr, Wissenschaft, Forschung, Bildung und Lehre, der Energie- und Gesundheitsversorgung sowie anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Gerade im ganzheitlichen Betrachten dieser Themenbereiche und in vernetzten Lösungen liegt das Potential.
Von diesen Gedanken lassen wir uns leiten, wenn wir darüber nachdenken, wie wir Hamburg als digitale Stadt weiterentwickeln. Selbstverständlich brauchen wir dafür das Know-how privater Partner. Und wir brauchen Räume, in denen Unternehmen neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle in Pilotprojekten ausprobieren können. Diese Räume wollen wir öffnen und auch zum Zwecke der Wirtschaftsförderung nutzen.
Meine Damen und Herren,
der junge Bertolt Brecht lässt über seinem Stück vom Ozeanflieger einen Anflug von Pessimismus schweben, wenn er sagt, Zitat: Über der Geschwindigkeit unseres Aufbruchs / Vergaßen wir unseres Aufbruchs Ziel.
Lassen Sie uns unser Ziel beim beherzten Aufbruch in den nächsten Kondratjew-Zyklus ich meine, in die Digitalisierung vor Augen behalten. Ich wünsche Ihnen und uns allen gute Ideen und viele spannende Impulse.
Vielen Dank!