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10.07.2015

Interview mit der Zeitung "Die Welt"

 

Die Welt: Olympiabewerbungsstadt, Weltkulturerbestadt Hamburg hat an Prestige und Attraktivität gewonnen. Fahren Sie überhaupt noch weg, oder verbringen Sie auch den Sommerurlaub an der Elbe?

Olaf Scholz: Die Tourismuszahlen in Hamburg entwickeln sich in beeindruckender Weise, trotzdem fahre ich weg.

Die Welt: Kommt Griechenland als Ziel infrage?

Olaf Scholz: Ja, aber für diesen Sommer habe ich mich schon anders entschieden.

Die Welt: Müssen die Deutschen bald wieder Geld wechseln, wenn sie nach Athen reisen?

Olaf Scholz: Ich hoffe nicht. Die gesamte Europäische Union möchte Griechenland im Euro halten und sucht nach einem Weg, um zu helfen.

Die Welt: Die Griechen haben in einem Referendum gegen das Prinzip Geld gegen Reformen gestimmt. Welche Form soll die Unterstützung jetzt annehmen?

 

Olaf Scholz: Die Euro-Länder haben einen Weg beschrieben, der von der griechischen Bevölkerung nicht angenommen worden ist. Das ist ein Problem. Klar ist, dass ein Unterschied besteht zu den Stabilisierungsmaßnahmen, die für Spanien, Portugal oder Irland notwendig waren. Diese Länder hatten stets die Fähigkeit, ihre Schulden zu bezahlen. Mit den Hilfsmaßnahmen wurde das Vertrauen in diese Fähigkeit wiederhergestellt. Griechenland braucht massive zusätzliche Unterstützung.

Die Welt: Über ein drittes Hilfspaket?

Olaf Scholz: Es gilt der kantsche Imperativ: Was man für sich selber will, muss man für alle anderen wollen. Wir setzen jetzt Maßstäbe für das Miteinander der Euro-Staaten. Und deshalb ist es gar nicht so schlecht, dass die Slowakei und die baltischen Staaten über die Frage mitdiskutieren, was denn jetzt das Richtige für Griechenland ist. Wir sehen, dass die Lebenssituation unglaublich vieler Bürgerinnen und Bürger in Griechenland sehr schwierig ist. Gleichzeitig sehen wir, wohin populistische Perspektiven führen. Sie beinhalten die Idee, dass man sich durch schlichtes Wollen aus den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie und den Vereinbarungen mit anderen herauswinden kann. Das ist ein Irrtum.

Die Welt: Sind Sie sicher, dass ein Grexit der schlechtere Weg wäre?

Olaf Scholz: Eindeutig ja. Ich verstehe vieles nicht, was man gegenwärtig so an Vorschlägen lesen kann. Mit einer Abwertung der Währung könnte man der griechischen Volkswirtschaft nicht helfen. Dafür ist die griechische Wirtschaft zu wenig exportorientiert. Der Vorteil des Euro für Griechenland ist, vereinfacht gesprochen: Jemand, der ein Restaurant in Athen betreibt oder eine Wäscherei in Thessaloniki, erwirtschaftet eine weltweit stabile Devise. Mit dem Euro kann er sich Güter aus aller Welt kaufen. Die griechische Regierung sollte ein Interesse daran haben, ihren Beitrag zu leisten, damit die übrigen Länder helfen können. Und das heißt: Es muss Reformen geben.

 

Die Welt: Ist die Regierung in Athen nach dem Abgang von Finanzminister Varoufakis vertrauenswürdiger geworden?

Olaf Scholz: Ich halte wenig von Astrologie, auch dann, wenn sie politische Kommunikationszusammenhänge betrifft. Getanzt wird mit denen, die im Saal sind. Und es ist immer gut, wenn Dinge, die man gesagt hat, auch gelten. Das gilt unter Kaufleuten wie zwischen den Vertretern von Staaten.

Die Welt: Ihr Parteichef Sigmar Gabriel wird in den eigenen Reihen kritisiert, weil er zu wenig Solidarität mit der Regierung in Athen zeige. Zu unrecht?

Olaf Scholz: Das ist ein Missverständnis. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine klare Haltung. Die Kanzlerin und der Vizekanzler suchen einen Weg zu helfen, der die europäischen Prinzipien nicht verletzt. Ob das klappt oder nicht, kann niemand vorhersagen. Es geht um Solidarität und um Klarheit. Die Kombination aus beidem ist die Aufgabe der Stunde.

Die Welt: Nehmen Sie Gabriel als Brückenbauer wahr?

Olaf Scholz: Was sonst?

Die Welt: Die Jusos sehen ihn eher als Sprengmeister.

Olaf Scholz: Ach was.

Die Welt: Ärmere Bundesländer wie Bremen oder das Saarland werden hin und wieder als deutsches Griechenland apostrophiert. Ein abwegiger Vergleich?

Olaf Scholz: Ja.

Die Welt: Warum?

Olaf Scholz: Weil das Länder sind, die eine gute Entwicklung nehmen. Trotzdem braucht es Solidarität. Das liegt auch am Strukturwandel, der dazu geführt hat, dass traditionelle Industrien Werften, Kohle und Stahl heute eine weniger bedeutende Rolle spielen als früher. Die Umstrukturierung hat hohe finanzielle Lasten mit sich gebracht, die sich bis heute auswirken.

Die Welt: Sind alle 16 Bundesländer überlebensfähig, wenn die Schuldenbremse greift?

Olaf Scholz: Ja. Und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen.

Die Welt: Wie lange wollen Sie noch über eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen verhandeln?

Olaf Scholz: Wir sind jetzt in einem Stadium, in dem wir uns in wenigen Stunden einigen könnten, es aber auch länger dauern kann. Ich halte es für notwendig, dass wir bis zum Herbst eine Verständigung mit dem Bund erzielen. Von der Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz am Freitag erhoffe ich mir, dass die Länder bei der Entwicklung einer gemeinsamen Position weiterkommen.

 

Die Welt: Ist es denkbar, den Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost in einen Soli für Flüchtlinge zu verwandeln?

Olaf Scholz: Das ist kein Konzept, das gegenwärtig jemand diskutiert. Wir suchen nach einem Finanzausgleich, der für lange Zeit tragfähig ist. Den nötigen Spielraum schaffen Mittel, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt. Über die Höhe wird gerade verhandelt.

Die Welt: Welche Hilfe vom Bund brauchen die Länder, um den Flüchtlingszustrom zu bewältigen?

Olaf Scholz: Die wachsende Zahl der Flüchtlinge ist eine sehr große Herausforderung, die wir aber lösen können, wenn wir alles richtig machen. Der Bund wird den Ländern und Gemeinden mehr helfen, als das bisher geplant war. Wir haben mit der Bundesregierung eine Verständigung für dieses Jahr getroffen und eine strukturelle Entlastung der Länder für die Zeit danach ins Auge gefasst.

Die Welt: Entlastung brächte, weitere Balkanstaaten Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Drittstaaten zu erklären

Olaf Scholz: Das ist eine völlig berechtigte Diskussion. Es ergibt auch Sinn, dass wir unterstellen: Länder, die eine Beitrittsperspektive für die Europäische Union haben, können nicht gleichzeitig Länder sein, aus denen viele Flüchtlinge kommen. Deswegen werden wir uns über solche Mechanismen Gedanken machen müssen. Die Anerkennungsquoten für Länder vom Balkan sind verschwindend gering. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass wir uns auf diejenigen konzentrieren, die die Fluchtgründe geltend machen können, die durch unsere Gesetze anerkannt werden.

 

Die Welt: In mehreren Bundesländern sind Unterkünfte, die für Flüchtlinge vorgesehen sind, in Brand gesteckt worden. Kippt die Stimmung in Deutschland?

Olaf Scholz: Bisher nicht und hoffentlich perspektivisch auch nicht. Die Anschläge sind schlimm, und ich bin froh darüber, dass die Empörung über solche Taten überall sehr groß ist. Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich mehr Flüchtlinge haben als Anfang der 90er-Jahre, bevor der damalige Asylkompromiss beschlossen wurde. Die Unterstützung der Bevölkerung für das, was wir tun, ist sehr groß. Jeder, der die Bilder aus den Bürgerkriegen sieht, hat Verständnis für die Situation der Flüchtlinge.

Die Welt: Als stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender werden Sie sich Gedanken machen, auf welche Themen die Sozialdemokraten setzen müssen, wenn sie eine Chance haben wollen, nach der nächsten Bundestagswahl den Kanzler zu stellen.

Olaf Scholz: Es geht nicht darum, auf Themen zu setzen. Das ist schon der falsche Ansatz. Das bedeutet ja, dass die Themen quasi von einer Marketingagentur ausgesucht werden

Die Welt: oder von den Wahlkampfmanagern der Parteien.

Olaf Scholz: Es geht darum, die richtigen Antworten zu finden auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen sie davon überzeugen, dass die SPD die Partei sein kann, die den Regierungschef in Deutschland stellt. Das hat auch etwas mit Vertrauen in unsere Fähigkeit zu tun, das Land zu führen. Wir müssen alles dafür tun, dass dieses Vertrauen berechtigt in uns investiert wird.

 

Die Welt: Gelingt das mit einem Kanzlerkandidaten Gabriel?

Olaf Scholz: Zum Beispiel.

Die Welt: Anders als in Hamburg wird es im Bund mit den Grünen kaum zu einer Regierungsmehrheit reichen. Welche Machtoptionen sehen Sie für die SPD?

Olaf Scholz: Die SPD muss den Ehrgeiz haben, stärkste Partei zu werden und aus dieser Perspektive heraus Verantwortung zu tragen. Immerhin: An den allermeisten Regierungen in Deutschland sind Sozialdemokraten beteiligt. Oft stellen sie den Regierungschef oder die Regierungschefin.

Die Welt: In Thüringen hat die SPD den Linkspolitiker Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten gewählt. Was bedeutet es für die Perspektiven von Rot-Rot-Grün im Bund, dass Sahra Wagenknecht die Linksfraktion führen wird?

Olaf Scholz: Das ist für Politik zu personalisiert gedacht. In der Sache: Die Partei Die Linke vertritt kein politisches Konzept, mit dem man Deutschland regieren kann.

 

Das Interview führten Manuel Bewarder und Jochen Gaugele.