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20.11.2016

Grußwort zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann

 

Lieber Wolf Biermann,
lieber Joachim Lux,
liebe Familie und Freunde,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir sind heute im Thalia-Theater zu Gast bei, ich zitiere aus dem Programm des Hauses: Geist und Macht, Kunst und Politik. Das muss heute niemanden einschüchtern, denn es ist jemand hier, der sich in diesem komplizierten Verhältnis auskennt und der gelernt hat, durch schlechte und bessre Zeiten, damit zu leben. Und der nach acht Jahrzehnten noch Töne hat.

Karl-Wolf Biermann wie der doppelte Vorname zu Stande gekommen ist, wissen inzwischen die Leser seiner Autobiografie Warte nicht auf bessre Zeiten. Die eng mit dem Dreißiger-Jahre-Hamburg verbundene Geschichte breitet der Autor da gleich zu Anfang aus. Und auf wenigen Seiten ist schon alles da: Schrecken und Hoffnung, die Terrorjustiz der gerade erst an die Macht gelangten Nazis, aber auch und besonders Opferbereitschaft und proletarischer Stolz derer in Hammerbrook und im Hafen, die wussten: Die und wir, das sind Welten, da geht gaanix zusamm´.  

Der Schuhmacher Karl Wolff gehörte zu den Angeklagten vor einem Sondergericht nach dem so genannten Altonaer Blutsonntag. Er wurde ohne Beweise zum Tode verurteilt und hingerichtet. Drei Jahre später ist er in Karl-Wolf Biermanns Namen nein, nicht wieder auferstanden oder so, an dergleichen glaubte man in Hammerbrook nicht. Aber Emma Biermann, die junge Mutter, hatte Karls Bruder, einem Genossen, in spontaner Freundschaft etwas versprochen und das hielt sie, als es zur Kindstaufe ging.

Taufe? Ja, doch. An dergleichen glaubte man in Hammerbrook zwar eher nicht, unter Kommunisten, aber man ahnte: Wenn der Junge nach den neuen Gesetzen ein Halbjude ist, dann könnte es ihm einmal nützen, auch ganz offiziell Halb-Arier zu sein. Dass es darum ging, wird auch der Pastor gewusst und verstanden haben.

Meine Damen und Herren,
den Verlauf jener Taufe schildert Wolf Biermann auf eine drastische, spöttisch-ernsthafte, liebevolle Weise, die ich gar nicht versuchen will, zusammenfassend nachzudichten. Von den anschließend noch folgenden 500 Seiten gleich ganz zu schweigen. Jedenfalls hatte ich gerade nach dieser Textstelle eine Idee davon, was den Erzähler dazu verleitet haben könnte, den Lesern seine Familiengeschichte als ein Stückchen Weltgeschichte anzubieten.

Das klingt ja ein bisschen gewagt, wo doch Deutschland nicht die Welt ist, wir Hamburger nicht Deutschland und Berlin, Hauptstadt der DDR, wahrscheinlich nicht der Nabel der Weltrevolution war. Aber Wolf Biermann sagt ja auch: ein Stückchen. Das mindestens stimmt, und wer später einmal wissen will, wie sich die Welt des 20. und frühen 21. Jahrhunderts gedreht hat, wie Geist und Macht, Kunst und Politik zusammen oder gegeneinander agiert haben, der  wird fündig in der Familiengeschichte Biermann-Dietrich-Löwenthal-Schimpf. Und in der Berg-und-Tal-Karriere ihres berühmt gewordenen Sprösslings.

Was die Karriere betrifft, kann man irgendwo mittendrin anfangen, zum Beispiel auch per Mausklick auf YouTube. Dort gibt es viele Stunden Wolf Biermann, in Konserve oder noch besser live, wie wir ihn gleich erleben werden. Ich will jetzt nicht darüber philosophieren, wer mithilfe der heutigen Verbreitungsmöglichkeiten gewonnen hätte, die Kulturbürokratie der DDR oder eher der Sänger. Den längeren Atem hatte ja nun auch vor dem Internet der Sänger.

Als vor vierzig Jahren und einer Woche, am 13. November 1976, in der Sporthalle in Köln ein Mann mit seiner kleinen Weißgerbergitarre die Bühne betrat, am Geburtstag seines in Auschwitz ermordeten Vaters, des Hamburger Werftarbeiters Dagobert Biermann, da war das keineswegs sicher. Die hassgeliebte DDR, schreibt Wolf Biermann rückblickend, war mir noch, trotz aller ihrer lebensbedrohlichen Krankheiten, eine verbissene Hoffnung. Aber sein Staat hatte den Stab über ihn gebrochen. Nur mit welcher Konsequenz, das wusste er noch nicht. Er sang seine Lieder, die er zu Hause zwischen Ahrenshoop und Zwickau seit mehr als zehn Jahren nicht mehr singen durfte, er las seine Gedichte, die dort keiner hören wollen durfte. Das Kölner Publikum es waren in der riesigen Halle gut 6.000 mehr, als das Thalia heute Abend fasst   lauschte viereinhalb Stunden lang gebannt der Botschaft: Wartet nicht auf beßre Zeiten dem Titelsong einer LP und sozusagen auch des Konzerts.

Das wurde in der Nacht zum 20. November, heute vor vierzig Jahren, spätabends in voller Länge von der ARD gesendet. In der DDR blieben viele Wohnzimmer lange erleuchtet: Endlich konnten die seine Lieder hören, für die sie geschrieben waren. Manche hörten sie zum ersten Mal. In Ihnen, lieber Wolf Biermann, muss gerade das sehr gemischte Gefühle ausgelöst haben. Denn was ist ein Künstler ohne die Kommunikation mit seinem Publikum?

Aber nicht nur diese Kommunikation war in der DDR gekappt, sondern gleich nach Köln auch die Verbindung zurück nach Hause. Einen Tag nach Ihrem 40. Geburtstag hörten Sie im Deutschlandfunk: Die zuständigen Behörden haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf den weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen.

Der Rest ist, wie man gern leichtfertig sagt, Geschichte: Die Proteste gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns waren laut und zahlreich wie nie zuvor in der Geschichte der DDR. Ein wesentlicher Teil der kulturellen Elite des Landes solidarisierte sich von Jurek Becker und Heiner Müller bis zu Christa Wolf und Manfred Krug. Zwölf namhafte Kulturschaffende unterschrieben die Petition, der sich fast hundert weitere anschlossen. Viele verließen das Land, die DDR verlor unersetzliche, weil großartige und kritische Literaten, Theaterleute, Musiker. Die Resolution gegen die Ausbürgerung Biermanns war so sehen es Viele der Anfang vom Ende der Deutschen Demokratischen Republik.

Manche, die es so gesehen und sich nicht solidarisiert haben, in der DDR und übrigens auch hier im Westen, haben sich später in ihrem klaren Klassenstandpunkt bestätigt gesehen. Machen wir uns nichts vor: Als es zu Ende ging mit dem DDR-Regime, bedrohte das auch manche diesseits der Grenze, die nun plötzlich nicht mehr da war. Nicht in ihrer Existenz, wohl aber in einer gewissen linksbiedermeierlichen Gemütlichkeit, die plötzlich ihre Gewissheiten verlor und wer mag das schon?  

Vieles von dem, was sich in der DDR hinter den Kulissen und IM-Tarnnamen abgespielt hat, kann man heute nachlesen, zum Beispiel in den Büchern Die Akte Kant von Karl Corino oder Abgehauen von Manfred Krug, deren heimlicher Protagonist eigentlich Wolf Biermann ist. Und jetzt natürlich in seinem eigenen Buch. Es sind keine nett zu lesenden Passagen.  

Aber, meine Damen und Herren,
es gab auch Freunde und es gab sie weltweit. Joan Baez war 1966 eine von ihnen. Dass sie Wolf Biermann in Ostberlin an die Hand nahm und dafür sorgte, dass er ihr Konzert in der Distel überhaupt besuchen durfte, dass sie ihm einen Song widmete und deshalb das komplette Konzert, anders als geplant, im DDR-Radio nicht gesendet wurde die Geschichte stand schon unmittelbar danach in der ZEIT und steht jetzt in deren digitalem Archiv. Ob die Sängerin ihr damaliges Versprechen wahr gemacht hat, einen Biermann-Song auf Englisch zu singen, lässt sich schwerer herauskriegen.

Aber was man finden kann im Internet, um darauf zurückzukommen, ist zum Beispiel die von Hedy West gesungene Version, abwechselnd auf Deutsch und Englisch, von Soldat!, eine fast fünfzig Jahre alte Aufnahme. Die erzeugt schon ein Gänsehaut-Gefühl, ähnlich wie das ebenfalls betagte Album von Eric Bentley, der jetzt hundert Jahre alt ist. Bentley On Biermann heißt die CD, und er hat darauf unter anderen die Ballad of William L. Moore gesungen, von dem Briefträger, der einsam gegen die Benachteiligung der Schwarzen in den USA anwanderte und eines Tages erschossen wurde.

Das, meine Damen und Herren,
war jetzt nur eine kleine Auswahl aus all dem, was einem zu Wolf Biermann einfällt vor und erst recht nach der Lektüre von Warte nicht auf bessre Zeiten. Zu diesem Künstler, politischen Menschen und nicht zuletzt Hamburger.

Was mich übrigens mit am meisten berührt hat, sind Ihre Sätze, lieber Wolf Biermann, auf Seite 39: Ich bin ein grau gewordenes Kind, das immer noch staunt. Sechseinhalb Jahre war ich damals. Und so alt blieb ich mein Leben lang.

Damals, das war der Sommer 1943, in Ihrer Geburtsstadt Hamburg, der Feuersturm, die Aktion Gomorrha, die ganze Teile Hamburgs wie Rothenburgsort und Ihr Viertel Hammerbrook praktisch ausgelöscht hat. Darüber heißt es in Ihren Worten, und man versteht sie: Drum nahmen wir die englischen Bomben / Wie Himmelsgeschenke hin. Es fehlt im Buch nicht der lakonische Hinweis: Es war nur so unpraktisch, dass sie uns auf den Kopf fielen. Emma, Ihre Mutter, entkam durch den Kanal, schwimmend, mit Ihnen auf dem Rücken.

So können Sie heute im Hause von Geist und Macht, Kunst und Politik über ebendiese, und über vieles mehr, alte und neue Lieder anstimmen. Im November 1976, bald nach Köln, sind Sie im überfüllten Congress Center Hamburg aufgetreten. Zitat: Sechseinhalb Stunden sang ich wie im Rausch. Mir kam es vor wie ein Schwanengesang der schwarzen Spottdrossel (…) aus dem Kirschenlied der Pariser Commune.

Ich freue mich, dass Ihr Auftritt in unserer Stadt damals ganz und gar kein Schwanengesang war und dass wir Sie heute gemeinsam mit Pamela Biermann und dem Zentralquartett erleben dürfen. Ob Sie wieder sechseinhalb Stunden singen werden, konnte oder wollte mir die Disponentin des Thalia Theaters nicht verraten. Wir sind bereit.

Vielen Dank im Voraus!

 

Es gilt das gesprochene Wort.