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07.09.2012

Grußwort zur Verleihung des Körber-Preises für die Europäische Wissenschaft

 

Sehr geehrter Herr Wriedt,

sehr geehrter Herr Prof. Mann,

sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrte Mitglieder des konsularischen Korps,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ein Mann namens Newton hat einmal gesagt: Ich ertrage Unordnung nicht. Ich bin eigentlich nur aus Ordnungsliebe Physiker geworden. Um die scheinbare Unordnung in der Natur auf eine höhere Ordnung zurückzuführen.

 

Einige werden es sicher gemerkt haben: Dieser Newton war nicht Sir Isaac Newton, der geniale Physiker, sondern nur jemand, der sich für ihn hält, in Friedrich Dürrenmatts berühmter Theatergroteske Die Physiker.

 

Dürrenmatts Stück ist vor 50 Jahren herausgekommen. Aber ich vermute, die Motivation, die der fiktive Newton mit einer Spur Ironie benannt hat, ist unverändert aktuell.

 

Von der scheinbaren Unordnung in der Natur zu einer höheren Ordnung zu kommen auf diesen Weg machen sich seit Jahrtausenden ganz unterschiedliche Disziplinen. Die Physik natürlich, die Chemie, die Astronomie, sogar und erst recht die Theologie.

 

Unterm Strich treibt die Suche nach übergeordneten Prinzipien jedes Streben nach Erkenntnis an, und sei der Gegenstand, um den es geht, noch so speziell.

 

Auch der heutige Preisträger arbeitet grenzüberschreitend, nämlich interdisziplinär. Geehrt werden Sie, Herr Prof. Mann, für Ihre bahnbrechenden Arbeiten zum Proteom, der Gesamtheit aller Eiweiße eines Lebewesens.

 

Ihre Entwicklung von Verfahren zur Analyse von Proteinen mit Hilfe der Massenspektroskopie gilt als eine der innovativsten methodischen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre.

 

Dabei setzen Sie eine Wissenschafts- und Erkenntnistradition in der Grundlagenforschung fort, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreicht.

 

Als Massenspektrometrie werden Verfahren zum Messen der Masse von Atomen oder Molekülen bezeichnet. Sie basiert auf der 200 Jahre alten Hypothese des britischen Chemikers William Prout, der vermutete, dass Atome eine bestimmte Masse, ein Atomgewicht besitzen.

 

1913 publizierte Sir Joseph Jon Thomson eine Methode, um mit Hilfe eines Massenspektroskops Fotoplatten zu belichten und so qualitative und quantitative Untersuchungen an Gasen in einer Röhre durchzuführen.

 

Der britische Chemiker und Physiker Francis William Aston baute dann 1919 das erste funktionierende Massenspektrometer. 1922 erhielt er den Nobelpreis für Chemie.

 

So wie aus den Theorien und Entwicklungen von Sir Joseph Jon Thomson sein Schüler Francis William Aston das Massenspektrometer entwickelte, so griffen Sie, Herr Prof. Mann, auf die Experimente Ihres Doktorvaters John Fenn von der Yale University zurück.

 

Fenn hatte entdeckt, dass man Proteine, also Eiweißstoffe, elektrisch aufladen kann, wenn man sie in Wasser auflöst, die Lösung durch eine mit Hochspannung geladene Kanüle leitet und anschließend als Wolke versprüht.

 

Für dieses sogenannte Elektrospray-Verfahren erhielt Fenn 2002 den Chemie-Nobelpreis. Sie haben das Elektrospray-Verfahren nach Ihrer Promotion verfeinert und es für die Untersuchung von Proteinen in Massenspektrometern nutzbar gemacht.

 

Und zwar mit außergewöhnlich einfallsreichen und erfolgreichen Methoden, die der modernen molekularen Biologie, der Biotechnologie und Bioinformatik zahlreiche neue und originelle experimentelle Ansätze eröffnet haben.

 

Durch das von Ihnen entwickelte Nanoelektrospray-Verfahren ist es heutzutage möglich, bereits aus Proben in einer Menge von wenigen Milliardstel Gramm Proteinfragmente zu identifizieren und zu analysieren.

 

Daraus gingen wegweisende Erkenntnisse hervor, beispielsweise in der Diagnose von Erkrankungen und neuen Behandlungsmöglichkeiten.

 

Der Name Matthias Mann steht in der Wissenschaftswelt für eine der bedeutendsten und weltweit führenden Kapazitäten unter jenen Forschern, die diese Technologie begründet haben. So wie jede Station Ihres wissenschaftlichen Werdegangs mit der Entwicklung und Anwendung wegweisender Techniken verbunden war.

 

Was keineswegs nur in Insider-Zirkeln wahrgenommen wird. Ihre bisher gut 460 Publikationen wurden mehr als 70.000 Mal in internationalen Veröffentlichungen zitiert nahezu ein Weltrekord und eine fachliche Anerkennung, die Ihren Rang unterstreicht.

 

Ihr nächstes großes Ziel, heißt es, ist die vollständige Erfassung des menschlichen Proteoms, der Gesamtheit aller Eiweiße menschlicher Zellen.

 

Auch das ist kein Selbstzweck. Im Gegenteil: Ihre Erkenntnisse könnten dazu führen, dass

 

  • Mediziner bald schnell und äußerst genau testen können, ob eine Gewebeprobe bereits Krebszellen enthält.

 

  • Mediziner könnten durch die Analyse der Zellproteine auch feststellen, wie hoch das Krebsrisiko eines Patienten überhaupt ist.

 

  • Und als Drittes könnte die Wirkung von Medikamenten auf der Grundlage Ihrer Methoden vorausgesagt werden, möglicherweise genauer und eindeutiger als mit den Gen-Analysen, die bisher dafür genutzt werden.

 

Meine Damen und Herren,

 

Friedrich Dürrenmatt lässt den besagten Newton zu einem Kollegen sagen: Sie sind ein Genie und als solches Allgemeingut. Sie drangen in neue Gebiete der Physik vor. Aber Sie haben die Wissenschaft nicht gepachtet. Sie haben die Pflicht, die Türe auch uns aufzuschließen, den Nicht-Genialen.

 

Die Zusammenarbeit der Disziplinen bis hin zur Einbindung der Nicht-Genialen ist auch eine Aufgabe der Wissenschaftspolitik. Sie hat für den Hamburger Senat einen hohen Stellenwert und ist ausgerichtet an neuen Entwicklungsperspektiven einerseits für die Hochschulen und andererseits für die Forschungseinrichtungen außerhalb der Universität.

 

Hamburgs Universität ist die fünftgrößte Deutschlands. Unsere Stadt hat insgesamt 20 Hochschulen sowie zahlreiche außeruniversitäre Institute mit gut 85.000 Studierenden. In wenigen anderen Städten ist die Auswahl an qualifizierten Arbeitskräften so groß wie in Hamburg.

 

Hamburgs Hochschulen haben in den vergangenen Jahren unter schwierigen Bedingungen viel geleistet. Damit die Wissenschaftseinrichtungen mit ihren unterschiedlichen fachlichen Profilen ihre Stärken ausbauen können, steigen die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung stärker als der Gesamthaushalt bis ins Jahr 2020 von 870 Millionen auf etwa eine Milliarde Euro.

 

Zu den erfolgreichsten Projekten des Wissenschaftsstandorts Hamburg zählt der KlimaCampus mit dem Exzellenzcluster CLISAP, was für Integrierte Klimasystem-Analyse und Vorhersage steht. Forscher aus unterschiedlichen Fachrichtungen analysieren hier Klimaveränderungen, um aussagekräftige Prognosen für die Zukunft zu entwickeln.

 

Hervorragende Arbeit liefert auch der Forschungscluster The Hamburg Centre for Ultrafast Imaging (CUI), ein Verbund Hamburger Wissenschaftler aus den Fachbereichen Physik und Chemie der Universität Hamburg mit dem DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und dem Center for Free-Electron Laser Science (CFEL).

 

Hamburg bietet mit besten Röntgen- und Elektronenbeschleunigern und international ausgewiesenen Experten auf den jeweiligen Forschungsgebieten ein ideales Umfeld für diese zukunftsweisende Forschung.

 

Wissenschaftspolitik, die über den Tag hinaus denkt, geht Hand in Hand mit einer Bildungspolitik, die von Anfang an möglichst optimale Rahmenbedingungen schafft, damit Bildungs- und Berufswege gelingen. Niemand soll auf seinem individuellen Bildungsweg ins Stolpern geraten oder zurückbleiben. Dafür räumen wir Steine aus dem Weg und bauen Brücken.

 

Das beginnt beim Ausbau der Kita-Angebote, geht über schulische Ganztagsbetreuung und Begabtenförderung und das aktive Herangehen an Schulabbrecher bis hin zur Abschaffung der Studiengebühren. Wir brauchen gut ausgebildeten Nachwuchs, auf allen Ebenen und in allen Bereichen.

 

Diese Investition in die Köpfe lohnt sich. Sie ist eine Investition in die Zukunft, die verantwortliche Politik als Aufgabe ernst nehmen muss.

 

Hamburgs traditionsreiche Stiftungen begleiten diese bildungs- und wissenschaftspolitischen Anstrengungen, und die Körber-Stiftung nimmt dabei in unserer Stadt eine ganz besondere Stellung ein.

 

Der jährliche Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft an herausragende Wissenschaftler ist nur eine der zahlreichen verdienstvollen Aktivitäten der Stiftung, deren Bedeutung weit über Hamburgs Grenzen hinaus reicht.

 

Meine Damen und Herren,

 

ich möchte noch ein letztes Mal auf Friedrich Dürrenmatt zurückkommen. Er hat sein Stück wenige Monate nach Erscheinen mit Anmerkungen versehen. Eine davon lautet: Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen. Und seine andere Anmerkung: Was alle angeht, können nur alle lösen.

 

Mit Ihren Entwicklungen in Teams aus Physikern, Chemikern, Biologen und Ingenieuren legen Sie, Herr Prof. Mann, eindrucksvoll dar, wie wichtig interdisziplinäres Arbeiten für innovative Entdeckungen und die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Methoden ist.

 

Zusammenarbeit weckt Kreativität. Für die Früchte Ihrer Kreativität erhalten Sie heute den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft.

 

Die Gemeinschaftsaufgabe, die Gesellschaft nutzbringend zu gestalten, braucht Köpfe wie Sie. Möglicherweise im Sinn einer höheren Ordnung, ganz gewiss aber zum Nutzen für uns alle.

 

Ich danke der Körber-Stiftung für Ihre Unterstützung wegweisender Wissenschaftler und ich danke Forschern wie Ihnen, Herr Prof. Mann, für Ihre Arbeit, die buchstäblich neue Perspektiven eröffnet.

 

Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.