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23.05.2012

Handelsblatt-Interview: "Die Fiskalpakt-Folgen muss der Bund schultern"


Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz warnt davor, die deutsche Schuldenbremse durch den EU-Vertrag zu verschärfen. Euro-Bonds hält der SPD-Politiker derzeit nicht für sinnvoll - ebenso wenig einen Kuhhandel im Bundesrat. 


Herr Bürgermeister, die Regierung plant eine Paketlösung, um zentrale Vorhaben bis zur Sommerpause durch den Bundesrat zu bringen. Das reicht vom Abbau der kalten Progression über die Gebäudesanierung bis hin zum EU-Fiskalpakt. Was müsste Ihnen die Kanzlerin denn anbieten? 
Schlechte, nicht funktionierende Vorschläge werden nicht dadurch besser, dass sie kumuliert werden. Manche Vorhaben sind auch kontraproduktiv. So hat die Regierung noch die Flausen im Kopf, in Zeiten der Haushaltskonsolidierung die Steuern senken zu wollen. Das ist unlogisch und unrealistisch. Die Bundesregierung wird sich schon die Mühe geben müssen, Lösungen für jedes Einzelproblem zu finden. 
 
Nach unseren Informationen gibt es ein EU-Papier zu den Konsequenzen des Fiskalpaktes für mehr Haushaltsdisziplin, das die Bundesregierung bislang unter Verschluss hält.
Ein solches Papier darf den Bundesländern nicht vorenthalten werden. Dass es bisher nicht vorliegt, ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Schließlich drohen die Regeln der Schuldenbremse außer Kraft gesetzt zu werden. Und es stehen Verschiebungen bei der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern im Raum. Niemand darf vergessen: Der Föderalismus verlangt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.
 
Welche Folgen für die Länder befürchten Sie durch den Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin? 
Es geht um die Frage, ob die deutsche Schuldenbremse, die ich unverändert für sinnvoll halte, durch den EU-Vertrag verschärft wird. Bislang ist vorgesehen, dass die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürfen und bereits jetzt Haushalte aufstellen, die exakt auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Wenn wir im Bundesrat die Hand heben und die für den Fiskalpakt notwendige Zweidrittelmehrheit herstellen sollen, muss klargestellt sein, dass darüber hinaus keine weitergehenden Verpflichtungen entstehen. 
 
 
 
Und wenn die Länder ambitionierter sparen sollen?
Wir leisten mit der Schuldenbremse unseren Teil der Konsolidierung. Darüber hinausgehende Folgen muss der Vertragspartner der europäischen Staaten, also der Bund, selber schultern und in seinem Haushalt lösen. 
 
Thilo Sarrazin kann in seinem neuen Buch keinerlei Vorteile im Euro erkennen. Wie empfinden Sie den neuen Vorstoß des SPD-Mitglieds? 
Was für eine langweilige These. Es mag ja mal wieder, so wie jetzt, schlechte Stimmung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten geben. Aber niemand stellt die Grundentscheidung für Europa und für den Euro infrage. Das ist nahezu das Beste, was in den europäischen Beziehungen, passieren kann: Auch großer Krach und großer Stress führen nicht zur Trennung. 
 
Frankreichs neuer Präsident, der Sozialist Hollande, verlangt zur Bekämpfung der Schuldenkrise eine direkte Finanzierung von Krisenländern durch die Europäische Zentralbank. Können Sie sich da anschließen?
Der Kampf gegen die Eurokrise darf keiner Verschuldungsstrategie folgen. Wir wollen, dass eine Stabilitätskultur überall in Europa greift. Gleichzeitig muss es gelingen, Wachstumsprozesse nicht zu beeinträchtigen. Notwendige Impulse lassen sich finanzieren, ohne dass es zu zusätzlicher Verschuldung kommt, nämlich mit einer Finanztransaktionssteuer. Die will ja auch die Kanzlerin. 
 
Also muss die SPD die Zustimmung zum Fiskalpakt zwingend mit der Einführung einer Finanztransaktionssteuer verbinden? 
Die Fragen der SPD und der Länder sind samt und sonders noch nicht beantwortet worden. Da beginnt die Bundesregierung nun hoffentlich bald mit ernsthaften Gesprächen. Sie sollte übrigens die Ministerpräsidenten nicht vergessen. 
 
Zu dem Paket von Hollande gehören auch Eurobonds. Würde das den Krisenländern jetzt nicht signalisieren, dass sie in ihren Sparanstrengungen nachlassen können? 
Wir müssen uns in Europa darüber verständigen, dass die Hilfen zur Verteidigung und Stabilisierung unseres gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraums nicht sinnlos ausgegeben werden. Deshalb gibt es ja auch keine Zweifel an der Strategie des Fiskalpakts an sich. Jetzt geht es um Lösungen, wie sie jüngst Steinmeier, Steinbrück und Gabriel vorgestellt haben. Die Eurobonds sind dabei kein aktuelles Projekt. 
 
Sie haben die Idee der Euro-Bonds ja schon abgekupfert und Deutschland-Bonds gefordert, also gemeinsame Anleihen der Bundesländer, um für den einzelnen die Zinslast zu drücken. Das schafft doch keine ernsthaften Sparanreize.
Das ist etwas anderes. Das Neuverschuldungsverbot für die Bundesländer führt real dazu, dass der Bondmarkt der Länder schlicht zu klein wird, weil die Länder nur noch umschulden. Wir müssen also ohnehin eine Neuregelung des Solidarverbundes zwischen Bund und Ländern zustande bringen. Gemeinsame Anleihen könnten ein Weg sein. 
 
Damit werden aber Leistungsträger für die Misswirtschaft von anderen zur Kasse gebeten.
Konsolidierungsanstrengungen sind unabhängig davon in allen Ländern notwendig und werden früher oder später auch überall zu spüren sein. 
 
Hamburg ist wie auch die anderen Stadtstaaten quasi das das Griechenland der Republik. Trotzdem haben Sie gerade mit dem Ankauf von Anteilen an der Reederei Hapag-Lloyd und an Energienetzen knapp eine Milliarde an Steuergeldern ausgegeben. Sind das nicht die falschen Signale? 
Ein lockerer Spruch. Nur völlig falsch. Beim Länderfinanzausgleich gehört Hamburg zu den Geberländern. Und im Juni werden wir abschließend das Neuverschuldungsverbot ab 2020 in die Hamburger Verfassung übernehmen. Seit dem Regierungswechsel vor einem Jahr haben wir in der Haushaltspolitik umgesteuert. Anders als unter den CDU-Senaten ist das Ausgabenwachstum auf ein Prozent begrenzt. Das sind anstrengende Jahre der Konsolidierung bis 2020. 
 
Und die Beteiligungen?
Was Hapag-Lloyd betrifft, so hatte sich schon mein Vorgänger von der CDU mit 700 Millionen an der Reederei beteiligt. Unsere Beteiligungsgesellschaft hat nun zusätzliche Anteile erworben, um eine langfristige Entwicklung des Unternehmens am Standort Hamburg möglich zu machen. Das ist eine Investition mit entsprechendem Gegenwert, die  hoffentlich auch ordentliche Renditen abwirft. Bei den Verteilnetzen haben wir die Staatskasse nicht strapaziert und uns nur zu einem Viertel beteiligt, aber strategische Einflussmöglichkeiten gesichert. Es ist ein kalkulierbares wirtschaftliches Investment, das durch eine Garantiedividende abgesichert ist. 
 
Das hat Baden-Württembergs ehemalige Ministerpräsident Mappus beim EnBW-Deal auch behauptet.
Es gibt keine Parallelen. Von einer garantierten Dividende war dort zum Beispiel nicht die Rede. Bei uns handelt es sich um einen klugen, sehr sorgfältig geplanten Kauf. Und wir kaufen auch keine Atomkraftwerke. 
 
Nach den jüngsten Wahlsiegen sieht sich die SPD im Aufwind. SPD-Chef Gabriel ruft sogar schon nach Neuwahlen.
Ich bin ziemlich überzeugt, dass Union und FDP irgendwie versuchen werden, bis zum Ende der Legislaturperiode durchzuhalten. 
 
Im Willy-Brandt-Haus ist derzeit viel vom rot-grünen Projekt für die Bundestagswahl 2013 die Rede. Sie selbst haben noch vor kurzem gewarnt, dass Zwangsgemeinschaften hysterische Folgen haben. Der Kurs kann Ihnen also nicht gefallen?
Wir sind uns einig, dass SPD und Grüne unabhängige Parteien mit unterschiedlichen Zielsetzungen sind. Die Schnittmengen zu den Grünen sind größer als zu anderen Parteien. Das kann die Grundlage für eine jeweils eigenständige Mobilisierung sein. 
 
Das klingt zögerlich.
Ich habe vor der letzten Wahl in Hamburg immer deutlich gesagt, dass ich mir eine Kooperation mit den Grünen vorstellen kann. Die SPD hat dann die absolute Mehrheit erreicht. Das zeigt doch, dass man das Eigenständige betonen kann, ohne Bündnisoptionen wegzulassen.
 
An Ex-Umweltminister Röttgen wurde scharfe Kritik geübt, weil er sich für die Zukunft nicht festlegen wollte. Die SPD will sich allerdings auch nicht festlegen, wenn es um die Kür des Kanzlerkandidaten geht. Ist das nicht ein Fehler?
Wir haben uns ja festgelegt: Wir werden Anfang 2013 den Kanzlerkandidaten nominieren.
 
Glaubt man den jüngsten Umfragen wäre NRW-Ministerpräsidentin Kraft die beste SPD-Kanzlerkandidatin. Derzeit wäre sie sogar erfolgreicher als die Kanzlerin. Die SPD-Linke fordert nun schon ihre Nominierung. Wird Kraft bei ihrem Nein zur Kandidatur bleiben können?
Hannelore Kraft und ich haben gemeinsam: Wir halten unser Wort. Und deshalb machen wir unsere Arbeit, wo wir gewählt sind und wieder gewählt werden wollen.  
 
Damit scheuen sich die SPD-Politiker mit Wahlerfolgen, Verantwortung für die Bundespartei zu übernehmen. 
Nein. Wir halten, was wir vor der Wahl versprochen haben. Und das erwarten die Bürger auch von uns. 
 
Jüngst hat man Sie mit Hollande verglichen. Sie beide gelten als technokratische und pragmatische Fleißpolitiker. Ist das ein Erfolgsrezept?
Ich bekenne ich mich dazu, dass ich Pragmatismus in der Politik für unverzichtbar halte. Und viele Bürger sind irritiert über die wachsende Zahl jener, die nach dem großen Auftritt die Bühne verlassen und nicht tun, was sie dort angekündigt haben. Zu denen gehöre ich nicht.
 
Das Interview führte Heike Anger in Berlin