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27.07.2009

"Ich glaube, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen."

Interview mit der Stuttgarter Zeitung

 

Uns erreichen diffuse Signale. Zwar zieht die Konjunktur an, andererseits ist von Kündigungen die Rede. Was steht uns bevor?

Wir haben es bisher geschafft, wesentlich besser abzuschneiden, als alle vorhergesagt haben. Das ist eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaftsleistung um sechs Prozent zurückgegangen ist. In anderen europäischen Ländern war ein drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen, bei uns nicht. Unser Mittel gegen die Krise ist die Kurzarbeit. 1,4 Millionen Menschen sind in Kurzarbeit, mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze sind gerettet. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitslosigkeit steigen wird, aber nicht so, wie dies der Rückgang der Wirtschaftsleistung andeutet. Um die Auswirkungen der Krise zu mildern, haben wir die Kurzarbeit nochmals ausgebaut und sichergestellt, dass Unternehmen, die sechs Monate davon Gebrauch machen, ab dem siebten Monat die Sozialversicherungsbeiträge voll ersetzt bekommen.

Manche rechnen mit fünf Millionen Arbeitslosen. Sie auch?

Einige scheinen großen Spaß daran zu haben, mit schlimmen Prognosen die Bürger zu verunsichern. Bisher sind wir wesentlich besser weggekommen, als alle Prognosen vorhersagten. Ich glaube, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen.

Was nutzt Kurzarbeit, wenn damit unrentable Strukturen konserviert werden?

Dann nutzt sie gar nichts. Und Unternehmen, die davon ausgehen, dass sie sich von ihren Beschäftigten trennen müssen, tun es besser gleich statt später. Denn die Kurzarbeit ist zwar erheblich verbilligt, aber umsonst ist sie nicht. Wer glaubt, strukturelle Anpassungen vornehmen zu müssen, kann sich nicht drücken.

Muss bei der Kurzarbeit noch mal über eine Ausweitung verhandelt werden?

Wir sind sehr weit gegangen. Trotzdem gilt: man muss immer vorbereitet sein auf weitere Entwicklungen. Und deshalb sage ich, es sind noch Pfeile im Köcher.

Raus damit!

Die hol ich raus, wenn ich sie brauch.

Trotz Krise klagen die Unternehmen über Fachkräftemangel. Zugleich sinkt die Bereitschaft auszubilden. Was ist zu tun?

Der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist bedrückend. Im letzten Jahr hatten wir 616000 Verträge. In diesem Jahr können es einige Zehntausend weniger werden. Übrigens ist das auch nicht klug: Denn trotz der schwierigen momentanen Lage ist klar, dass die Unternehmen sich bald um qualifizierte Arbeitskräfte balgen werden. Dem Problem werden sie nur dann wirksam begegnen, wenn sie jetzt in großer Menge ausbilden und dabei auch denen eine Chance geben, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz warten. Für die derzeitige Zurückhaltung habe ich keinerlei Verständnis.

Reichen Appelle, oder muss man doch über eine Ausbildungsplatzabgabe nachdenken?


Eine Ausbildungsplatzabgabe würde nicht helfen. Denn Geld zur Finanzierung außerbetrieblicher Ausbildung steht ausreichend zur Verfügung. Die Unternehmen müssen selbst einsehen, dass sie ausbilden müssen, wenn sie künftig nicht als Verlierer dastehen wollen. Das kann man nicht verordnen.

Was halten Sie von Vorschlägen, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen. Die Bundesbank sprach von 69 Jahren?

Das ist ein völlig unsinniger Vorschlag. Seit fast zwanzig Jahren versuchen wir, Einnahmen und Ausgaben der Rentenkasse auszubalancieren. Das haben wir nach dem übereinstimmenden Urteil aller internationalen Experten auch geschafft. Wir haben ein robustes Rentensicherungssystem, das die Herausforderung der demografischen Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten bewältigen wird. Aber das Vertrauen in dieses System, das nach den Reformen wieder wachsen muss, kann nicht entstehen, wenn immer wieder jemand mit einem wilden Vorschlag unterstellt, dass alles ganz schlimm sei. Das zarte Pflänzchen Vertrauen wird so zertrampelt. Das ist verantwortungslos.

Denken Sie nur an die Bundesbank oder auch an Ihren Parteifreund Peer Steinbrück, der Ihre Rentengarantie kritisierte?


Ich habe gerade ganz stark an die Bundesbank gedacht.

Hat die Altersteilzeit noch eine Zukunft?


Wir haben mit der Altersteilzeit gute Erfahrung gemacht. In diesem Jahr läuft aber die Möglichkeit aus, die Altersteilzeit zusätzlich mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu fördern, wenn dafür neue Arbeitnehmer eingestellt werden. Ich bin dafür, diese Möglichkeit zu verlängern, strikt gekoppelt an die Bereitschaft, Auszubildende zu übernehmen.

Gewerkschaften fordern eine Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld I. Kann sich die SPD dem verweigern?


Die Bundesagentur für Arbeit wird im nächsten Jahr voraussichtlich ein Darlehen des Bundes in Höhe von rund 20 Milliarden Euro in Anspruch nehmen müssen, weil die Rücklagen der BA in Höhe von 16 Milliarden Euro Ende des Jahres verbraucht sein werden. Das ist ein Riesenbetrag, eine Summe, die wir brauchen für aktive Arbeitsmarktpolitik, dafür, dass genügend Vermittler zur Verfügung stehen und die Unterstützung für Betroffene rasch und zielorientiert organisiert werden kann. Meine Priorität ist es, den Arbeitsplatzverlust zu vermeiden und Zeiten der Arbeitslosigkeit so kurz wie möglich zu halten. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs, wie sie jetzt diskutiert wird, hilft da nicht weiter.

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist Spielball der Politik. Wäre es nicht sinnvoll, den Beitrag zu fixieren?

Das ist in der Tat mein Vorschlag. Es ist zwar richtig, dass wir in der Krise den Beitragssatz von 2,8 Prozent nicht anheben, aber klar ist auch, dass wir eine langfristige Verständigung darüber brauchen, dass der Beitragssatz nicht von der Konjunktur abhängig sein darf. Denn das bedeutet, dass der Satz ausgerechnet dann erhöht werden müsste, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Das aber ist absurd. Wir brauchen also einen konstanten Beitrag, der in Zeiten der Krise mit einem Darlehen des Bundes aufgestockt werden kann. Im Aufschwung können dann Schulden zurückgezahlt und Rücklagen aufgebaut werden.

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Stuttgarter Zeitung.