BILD am SONNTAG: Herr Minister, wie lange wollen Sie eigentlich arbeiten?
Olaf Scholz: Möglichst lange und besonders gern als Arbeitsminister.
BamS: Wir fragen, weil die Leute nicht mehr wissen, ob sie künftig wie bisher bis 65 oder bis 67, wie es die Regierung will, oder bis 69 arbeiten müssen, wie es die Bundesbank angeregt hat.
Scholz: Man tut unserem Rentensystem nichts Gutes, wenn man es wie die Bundesbank mit unsinnigen Vorschlägen in Verruf bringt. Wir haben allen Grund, stolz zu sein, dass Deutschlands Rentensystem überall im Ausland gelobt wird. Jüngst hat es die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder gesagt: Deutschland ist eines der wenigen Länder auf der Welt, das eine robuste Altersvorsorge hat und die Herausforderung durch die immer älter werdende Gesellschaft bewältigt hat.
BamS: Es bleibt aber doch richtig: Entweder werden die Renten in den kommenden Jahrzehnten kräftig gekürzt oder die Beiträge für die Alterssicherung steigen kräftig. Welche Antwort hat der Rentenminister?
Scholz: Wir haben bis heute darunter zu leiden, dass einer meiner Vorgänger an eine Bonner Litfaßsäule Die Rente ist sicher plakatiert hat, obwohl klar war, dass es einen riesigen Reformbedarf gab. Danach hat es mehrere Rentenreformen gegeben. Und zwar von allen Regierungen auch bei Blüm. Jetzt bestätigen viele Experten, dass die Rentenfinanzen in Deutschland stabil sind. Wir haben zum Beispiel 16 Milliarden Euro Rücklage. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat. Und das hat eine Menge mit Norbert Blüms Plakat-Aktion zu tun, die viel Vertrauen zerstört hat.
BamS: Sie versprechen tatsächlich stabile Rentenbeiträge und Rentenhöhen auf lange Frist?
Scholz: Nach unseren Berechnungen wird der Beitragssatz in den nächsten zehn Jahren nicht über 20 Prozent steigen. In den Jahren 2020 bis 2030 wird er 22 Prozent betragen. Das ist notwendig, weil es das schwierigste Jahrzehnt für die Rente ist. Denn dann ist das Verhältnis zwischen Einzahlern und Empfängern am ungünstigsten
BamS: Die geförderte Altersteilzeit läuft in diesem Jahr aus. Ersatzlos?
Scholz: Altersteilzeit ist ein Angebot für Menschen, die lange gearbeitet haben und vor der Rente einmal halblang machen möchten. Ich bin dafür, dieses Angebot der Bundesagentur noch einmal für fünf Jahre zu verlängern. Wir müssen aber gleichzeitig dafür sorgen, dass wir mit dem Instrument eine Beschäftigungsbrücke für junge Menschen bauen. Mir wäre deshalb wichtig, dass nur Unternehmen die Förderung in Anspruch nehmen können, die ein anderes drängendes Problem unserer Gesellschaft lösen: die Ausbildung und die Übernahme nach der Lehre.
BamS: Was meinen Sie konkret?
Scholz: Die Bundesagentur zahlt nur, wenn die Firma für jeden Mitarbeiter in Altersteilzeit einen Auszubildenden übernimmt.
Bams: Was soll das kosten?
Scholz: Bisher gibt die Bundesagentur für die Altersteilzeit für etwas mehr als hunderttausend Förderfälle etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr aus. Wenn die Förderung wie geplant dieses Jahr ausliefe, sänke der Betrag allmählich. Bei einer Verlängerung der Förderung zieht sich dieser Vorgang länger hin.
BamS: Soll das noch die Große Koalition beschließen oder erst die nächste Regierung?
Scholz: Ich habe einen Gesetzentwurf fertig in der Schublade liegen. Um den jungen Menschen zügig zu helfen, können wir das Gesetz jederzeit auf den Weg bringen, auch noch vor der Bundestagswahl.
BamS: Experten sagen, dass im Herbst die Zahl der Arbeitslosen deutlich ansteigen wird und dass man deshalb das Schicksal der Hartz-IV-Empfänger abmildern müsse. Welchen Handlungsbedarf sieht der Arbeitsminister?
Scholz: Wir müssen den Hartz-IV-Empfängern die Sicherheit geben, dass ihre Altersvorsorge unangetastet bleibt. Was als Altersvorsorge dient und zu einer unwiderruflichen Zusatzrente führt, soll unbegrenzt zum Schonvermögen gehören.
BamS: Sieht das die Union auch so?
Scholz: Viele erwecken den Eindruck, sogar das Programm klingt so. Deshalb erwarte ich eine Mehrheit für meinen sehr konkreten Vorschlag in der Koalition. Wenn alle wollen, geht es auch noch vor der Bundestagswahl.
BamS: Sie haben vergangene Woche den Sozialbericht vorgestellt, aus dem hervorgeht, dass jeder dritte erwirtschaftete Euro für Soziales ausgegeben wird. In diesem Jahr sind es sagenhafte 754 Milliarden Euro. Trotzdem glauben drei Viertel der Deutschen nicht, dass es gerecht in diesem Land zugeht. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Scholz: Es ist nicht gerecht, wenn manche seit Jahren vergeblich nach Arbeit suchen. Es ist nicht gerecht, wenn manche trotz harter Arbeit so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können. Und es verletzt das Gerechtigkeitsempfinden, was manche als Profit und mancher als Vorstandsgehalt kassiert. Aber das will ich auch sagen: Ein Land, das ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts für soziale Sicherung ausgibt, ist ein Sozialstaat. Wir müssen stets darüber diskutieren, wo es Verbesserungen geben sollte. Aber: Unseren Sozialstaat sollten wir nicht schlechtreden. Dass wir in einem Sozialstaat leben, zeichnet uns vor anderen Ländern aus. Das ist ein Bestandteil unserer nationalen Kultur.
BamS: Auf diesen Sozialstaat könnte nach eigener Auskunft die Ex-Milliardärin und Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz angewiesen sein. Gerecht?
Scholz: Ich wünsche jedem Menschen Glück und Wohlstand. Doch als Gesellschaft sind wir nicht dafür verantwortlich, dass unternehmerische Spekulation aufgeht. Wir müssen in der Lage sein, unser Leben durch Arbeit zu bewältigen. Das gilt für uns alle.
BamS: Frau Schickedanz sagt, dass sie mit 65 Jahren noch nicht einmal Rente bekommt.
Scholz: Für Menschen, die nicht in die Rentenkasse eingezahlt haben, gibt es die Grundsicherung. Da hat auch sie Anspruch darauf. Allerdings: Ihre Villa finanzieren wir nicht.
BamS: Der geschasste Porsche-Chef Wendelin Wiedeking bekommt 50 Millionen Euro Abfindung. Die meisten Arbeitnehmer, die in der Krise ihren Job verlieren, gehen leer aus.
Scholz: Ich glaube durchaus, dass Leistungsträger auch gut bezahlt werden sollten. Aber es gibt Summen, die sind unanständig hoch. Wir müssen diese Exzesse begrenzen. Die Koalition hat bereits einiges auf den Weg gebracht. Wir müssen aber noch mehr tun. Wir Sozialdemokraten wollen, dass die Möglichkeiten, Vorstandsvergütungen und -abfindungen oberhalb von einer Million Euro steuerlich geltend zu machen, deutlich begrenzt werden.
BamS: Sie sind Bundesarbeitsminister. Wie viel Malocher steckt in Ihnen?
Scholz: Ich arbeite hart. Aber als Rechtsanwalt waren meine wichtigsten Arbeitsmittel mein Diktiergerät und mein Verstand.
BamS: Wir fragen danach, weil es ja eine Erklärung dafür geben muss, dass nach allen Erkenntnissen der Umfrageinstitute mehr Facharbeiter die Union als die SPD wählen ...
Scholz: Am 27. September wird das nicht so sein. Denn die meisten ahnen: Bei einer Regierung aus Union und FDP ist der Sozialstaat in Gefahr.
BamS: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die SPD nach der Wahl regiert und Sie Arbeitsminister bleiben?
Scholz: Sehr hoch.
BamS: Weit über 50 Prozent?
Scholz: Aus Respekt vor den Wählern spekuliere ich nicht über Wahlergebnisse. Aber da Sie fragen: eher über 90 Prozent.
BamS: 80 Prozent der Deutschen erwarten, dass Merkel weiter Kanzlerin bleibt. Bei den SPD-Anhängern sind es sogar 84 Prozent. Da können Sie Ihr Wahlkampfbudget gleich bis zur nächsten Wahl aufs Festgeldkonto geben...
Scholz: Wenn die Wetten so stehen wie Sie sagen, kommt man mit kleinem Einsatz zu großen Gewinnen. Der Gewinn heißt dieses Mal: Steinmeier wird Kanzler!
BamS: Hohe Gewinne erzielt man nur bei ganz geringen Siegchancen. Erklären Sie uns, warum in der schärfsten Wirtschaftskrise der SPD die Wähler davonlaufen.
Scholz: Die Wähler entscheiden sich am 27. September. Wichtig ist, dass wir die, die der SPD offen gegenüberstehen, dann überzeugt haben. Das sind gar nicht so wenige. Und deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir bis zum Wahltag aufholen und dass sich das Ergebnis der beiden Volksparteien nicht groß unterscheiden wird.
BamS: Im August stehen drei Landtagswahlen, im September die Bundestagswahl an. Machen Sie Urlaub oder Wahlkampf?
Scholz: Ich mache Wahlkampf und fahre einschließlich eines Wochenendes nur vier Tage weg.
Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Bild am Sonntag.