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31.07.2016

Im Gespräch mit Kapitän Jürgen Schwandt in der Hamburger Morgenpost

 

Jürgen Schwandt: Das ist ja schön, dass wir uns mal kennenlernen! Wo kommen Sie eigentlich her, sind Sie in Hamburg geboren?

 

Olaf Scholz: Nein, aber ich bin hier aufgewachsen, wohne seit frühester Kindheit in Hamburg. In der Christianskirche in Altona wurde ich getauft. Und den Fischmarkt hier, den kenn’ ich noch, als da die Kutter lagen.

Jürgen Schwandt: Ich will mal mit der christlichen Seefahrt anfangen. Die deutschen Reeder. Als ich das letzte Mal auf einem deutschen Containerschiff gefahren bin, das war vor zwei Jahren, da war der Kapitän aus der Ukraine, der Erste Offizier auch, der Rest der Besatzung kam aus Kiribati und von den Philippinen. Und unser Wirtschaftssenator Horch hat kräftig mitgearbeitet und die Schiffsbesetzungsverordnung geändert. Jetzt müssen nur noch zwei Europäer mitfahren und von denen dürfen die Reeder die Lohnsteuer einbehalten. Sagen Sie mal, ist das nicht höchste Zeit, den deutschen Reedern die Subventionen zu streichen?

 

Olaf Scholz: Na ja, unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Dass die Reeder die Lohnsteuer einbehalten dürfen, soll es für sie ja gerade attraktiver machen, deutsche Seeleute zu beschäftigen. Und ein paar weitere Schiffe fahren nun wieder unter deutscher Flagge.

 

Jürgen Schwandt: Ich war ja lange SPD-Mitglied, ich bin immer noch Sozialdemokrat, ich wähl euch immer noch. Nun will ich mal aus der Froschperspektive ein paar Anmerkungen zur SPD machen.

 

Olaf Scholz: Nur zu!

Jürgen Schwandt: Die SPD muss mal wieder das S in ihrem Namen in den Vordergrund stellen. Es kann doch nicht sein, dass vier Millionen Menschen nicht von ihrem Lohn leben können. Wir zahlen den Unternehmen die Löhne und die streichen die Gewinne ein. Die Leiharbeiter, die Werkverträge. Das ist doch nicht in Ordnung!

 

Olaf Scholz: Nein, das ist wirklich nicht in Ordnung. Für uns war und ist immer klar: Wer sich anstrengt im Leben, wer Vollzeit arbeitet, soll auch ein Einkommen haben, das mindestens für den Lebensunterhalt reicht. Der Mindestlohn war mir deshalb persönlich immer ein wichtiges Anliegen. Und ich bin froh, dass es ihn jetzt gibt. Die Einführung bedeutete für nicht wenige Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung!

Jürgen Schwandt: Ein Schritt in die richtige Richtung

 

Olaf Scholz: Bei der Leiharbeit ist in der Tat einiges aus dem Ruder gelaufen. In ganzen Branchen findet Missbrauch statt. Deshalb setzen wir uns für eine Stärkung der Rechte der Leiharbeitnehmer ein.

Jürgen Schwandt: Nun noch mal was zu Hamburg. Ich finde es toll,  wie hier die Flüchtlinge aufgenommen wurden. Aber ich engagiere mich auch bei Hinz & Kunzt für Obdachlose. Die werden jedes Frühjahr aus dem Winternotprogramm auf die Straßen gefegt, ohne Alternativen.

 

Olaf Scholz: Das Winternotprogramm bietet einer großen Zahl von obdachlosen Menschen Schutz vor Erfrierung. Und es gibt ein gutes Beratungsangebot für Wohnungslose.

Jürgen Schwandt: Der Wohnungsbau für Obdachlose wird doch seit Jahren vernachlässigt!

 

Olaf Scholz: Nun nicht mehr. Was den Wohnungsbau insgesamt angeht: Als ich Bürgermeister wurde, fehlten in der Stadt rund 40.000 Wohnungen. Als ich angekündigt habe, dass wir 6000 Wohnungen im Jahr bauen werden, haben manche nicht daran geglaubt. Mittlerweile genehmigen wir ungefähr 10.000 Wohnungen, darunter auch viele Sozialwohnungen. Und wir haben dafür gesorgt, dass etwa das städtische Unternehmen SAGA GWG ein bestimmtes Kontingent an Sozialwohnungen jährlich fertigstellt. Insgesamt werden es in Hamburg 3000 jedes Jahr sein. Und wir haben das Angebot für diejenigen ausgeweitet, die es auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer haben. Was Wohnungen für Obdachlose angeht: Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die tatsächlich in unserer Stadt leben. Es ist ja auch außerhalb von Hamburg bekannt, dass bei uns viel getan wird.

 

Jürgen Schwandt: Ich werde das beobachten! Und dann hätte ich noch eine Anmerkung zur Bundespolitik. Wir sind 82 Millionen Menschen und haben zwei Millionen Flüchtlinge. Eigentlich kein Problem. Aber die Bundespolitik hat die Leute alleingelassen, die Last auf die Bürger abgewälzt und zu spät gesehen, dass das Munition für die Rechten ist.

 

Olaf Scholz: Es ist so, dass der Bund dieses Problem lange unterschätzt hat. Aber jetzt werden überwiegend die richtigen Entscheidungen getroffen. Das Bundesamt für Migration hat weit über 1000 zusätzliche Mitarbeiter bekommen. Die Bürger, die vielen freiwilligen Helfer, haben Großartiges geleistet. Aber man muss auch mal sagen: Der öffentliche Dienst hat ebenfalls mit großem Einsatz gearbeitet. Ohne die wäre das auch nicht gelaufen.

Jürgen Schwandt: Ich werde auf Facebook zum Teil extrem aggressiv von den Rechten angegangen. Das geht bis hin zu Morddrohungen. In zwei Fällen ist sogar der Staatsschutz dran! Wie sehen Sie das, was da im Netz passiert?

 

Olaf Scholz: Das macht mir Sorgen. Da muss man immer wieder gegenhalten. Ich lasse niemanden damit durchkommen, dass er andere schlechtmacht, um sich selbst groß zu fühlen. Die SPD wurde von Leuten gegründet und unterstützt, denen es nicht so gut ging. Aber die haben nicht andere beschimpft, sondern unser demokratisches Gemeinwesen mitbegründet und sich dafür eingesetzt, dass es für alle besser wird.

Jürgen Schwandt: Ich schreibe ja immer wieder gegen die AfD. Halten Sie diese Partei für verfassungskonform?

 

Olaf Scholz: Ich werfe die nicht mit der NPD in einen Topf, obwohl natürlich in der AfD Leute sind, die etwa den Holocaust leugnen. Aber ich denke, die Bürger werden selbst merken, dass von denen nichts zu Themen wie Haushalt, Schule, Bundeswehr kommt. Immer nur Ressentiments. Mit denen ist kein Staat zu machen.

Jürgen Schwandt: Rechte Politiker, die einfache Lösungen versprechen, sind ja überall auf dem Vormarsch. Was tun Sie dagegen?

 

Olaf Scholz: Vernünftig mit den Menschen reden. Keine Wunder versprechen, sondern nur das ankündigen, was sich wirklich umsetzen lässt. Viel hängt auch damit zusammen, dass die Wohlstandsentwicklung in den westlichen Industrieländern längst nicht mehr so rasant voranschreitet wie bis Ende der 70er Jahre.

Jürgen Schwandt: Jetzt kommt ein Thema, da werden Sie den Teufel tun und nichts zu sagen. Es geht um die Kanzlerkandidatur. Aus der Froschperspektive sag ich Ihnen: Der Gabriel, der hat kein Profil. Aber Sie, Sie sind ein Politiker nach meinem Herzen. Keine Worthülsen. Sie würde ich gerne an der Spitze sehen!

 

Olaf Scholz: Vielen Dank! Ich finde allerdings, dass Sigmar Gabriel seine Sache ganz gut macht und auch einiges erreicht hat. Aber mal was anderes: Wann haben Sie denn mit der Seefahrt aufgehört?

Jürgen Schwandt: 1971. Wegen der Liebe wie alle Seefahrer.

 

Olaf Scholz: Die Liebe ist der beste Grund für alles.Ich freue mich sehr, dass wir uns kennengelernt haben.

 

Das komplette Gespräch mit Kapitän Schwandt erschien am 31. Juli 2016 in der Hamburger Morgenpost.