Haspa-Hamburg Stiftung: Als Erster Bürgermeister sind Sie viel in Hamburg unterwegs und mit zahlreichen Themen konfrontiert. Was hat Sie in letzter Zeit besonders bewegt?
Olaf Scholz: Ganz aktuell beeindruckt mich die große Hilfsbereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger, wenn es darum geht, den Flüchtlingen zu helfen, die aus Syrien oder dem Irak nach Hamburg gekommen sind und die hier Schutz finden. Wir erleben hier bürgerschaftliches Engagement in seinem besten Sinne.
Haspa-Hamburg Stiftung: Nach den USA liegt Deutschland inzwischen auf Platz 2 der globalen Stiftungsrangliste. Sind wir alle Philanthropen oder gar Weltverbesserer? Was motiviert die Menschen Ihrer Einschätzung nach zum Stiften?
Olaf Scholz: Das, was zum Stiften bewegt, ist aus meiner Sicht oft der Wunsch, etwas in der Welt zu bewegen, Verantwortung gegenüber anderen zu übernehmen, konkrete Probleme anzupacken und der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Nächstenliebe, Solidarität, Humanismus oder der Wunsch nach einer besseren Welt was auch immer Triebfeder des Stiftens ist: Wir können auf das Stiftungswesen in Deutschland schon ein bisschen stolz sein.
Haspa-Hamburg Stiftung: Bereichern die Impulse, die von Stiftungen ausgehen unsere Gesellschaft, oder gehen durch die Diversifikation am Ende gar Mittel verloren?
Olaf Scholz: Die Stiftungen und die Impulse, die von ihnen ausgehen, bereichern unsere Gesellschaft. Das gilt auch für die Stiftungen, die nach dem Willen der Stifterin oder des Stifters in einer kleinen Nische unserer Gesellschaft tätig sind. So vielfältig die Tätigkeitsgebiete der Stiftungen sind, so vielfältig ist unsere Gesellschaft. Im Stifterwillen steckt auch ein freiheitlicher Impuls. Und die vielfältigen Zwecke der Stiftungen garantieren uns Pluralität.
Haspa-Hamburg Stiftung: Auch in Hamburg wirkten und wirken zahlreiche Mäzene und Stiftungen, sind sehr viele Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich aktiv. Gutes tun hat eine lange Tradition. Wer oder was hat Sie beeindruckt?
Olaf Scholz: Es ist schwer, einzelne hervorzuheben. Einige Stiftungen arbeiten schon seit vielen hundert Jahren in Hamburg. In unserer Stadt sind Stiftungen ansässig sind, die zu den größten Deutschlands gehören, die Körber-Stiftung zum Beispiel. Klar ist: Wohlstand in Hamburg war immer mit der großen Bereitschaft verbunden, diesen Wohlstand zu teilen und anderen zu helfen. Und dies offenbar unabhängig von der wirtschaftlichen Lage. Jedes Jahr werden in Hamburg mehr als 30 selbstständige Stiftungen und zahlreiche Treuhandstiftungen gegründet. Das ist genau so beeindruckend wie die Tatsache, dass so viele Hamburgerinnen und Hamburger in den Stiftungen aktiv sind.
Haspa-Hamburg Stiftung: Baut eine Stadt wie Hamburg eigentlich auf das Engagement und die Mittel seiner Stifter? Wo wären wohl besonders deutlich Lücken zu spüren, wenn diese Mittel plötzlich ausblieben?
Olaf Scholz: Wir können uns glücklich schätzen, dass es hier in Hamburg so viel Engagement gibt. Wir verstehen das Engagement der Stiftungen als Ansporn für unser eigenes Handeln. Und wir wissen, dass wir die Stiftungen insbesondere im sozialen Bereich und in den Bereichen Kultur und Sport schmerzlich vermissen würden, wenn sie sich zurückzögen.
Haspa-Hamburg Stiftung: Dieses Thema lässt sich auch von der anderen Seite betrachten: Auf welchem Gebiet könnten sich Stiftungen stärker engagieren? Wo fehlt es vielleicht jetzt oder in nächster Zukunft ganz besonders, ohne dass die öffentliche Hand entsprechend leisten könnte?
Olaf Scholz: Wir können und wollen den Stiftungen keine Vorgaben machen, und wir sollten auch keine Erwartungen in ihre Richtung formulieren. Das Schöne an Stiftungen ist ja gerade, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit dienen unabhängig von politischen Strömungen und dass es bei der Festlegung der Stiftungszwecke auf den Wunsch der Stifterin oder des Stifters ankommt und nicht auf den von Politikern. Hier ist eine gewisse Zurückhaltung der Politik geboten. Daran halten wir uns.
Haspa-Hamburg Stiftung: Sehr viele Stiftungen engagieren sich auf dem Bildungssektor im weitesten Sinne. Tut der Staat (oder die Länder) auf diesem Gebiet zu wenig? Ist eine im weitesten Sinne Privatisierung der Bildung überhaupt wünschenswert?
Olaf Scholz: Das Engagement von Stiftungen gerade im Bereich Bildung ist bemerkenswert und hilfreich. Es ist eine gute Ergänzung zu den Bildungsangeboten des Staates. Mit Privatisierung der Bildung hat das nichts zu tun. Bildung ist und bleibt ein öffentliches Gut.
Haspa-Hamburg Stiftung: Stichwort Bildung. Inwieweit wird das digitale Lernen künftig eine Rolle im Bildungswesen einnehmen?
Olaf Scholz: Digitalisierung spielt überall eine immer wichtigere Rolle, auch im Bildungswesen. Ein Beispiel sind die "Massive Open Online Courses" (MOOCs), frei zugängliche, meist kostenlose Seminare im Internet. Und genau so gilt das für andere Formen des digitalen Lernens und Lehrens sowie deren Einbindung in die Präsenzveranstaltungen der Universität. Wir haben bereits mit Spitzenvertretern der Hamburger Hochschullandschaft und Experten anderer Hochschulen gesprochen, um die Chancen des digitalen Lernens und Lehrens in Hamburg auszuloten. Ich bin überzeugt: Digitales Lernen wird mittelfristig im gesamten Bildungsbereich eine sehr große Rolle spielen.
Haspa-Hamburg Stiftung: Wie könnte Hamburg noch mehr Menschen dazu bringen, sich gesellschaftlich zu engagieren, finanziell oder aktiv im Ehrenamt?
Olaf Scholz: Die verantwortliche Hamburger Behörde für Justiz und Gleichstellung hat vor einigen Monaten eine Initiative zur Reform des Stiftungsrechts gestartet. Eine Liberalisierung des Stiftungsrechts macht Stiften noch attraktiver. Sehr wichtig ist aus meiner Sicht, dass eine Würdigung und Wertschätzung des Engagements der Stifterinnen und Stifter erfolgt. Das gilt auch für die vielen in Stiftungen tätigen Ehrenamtlichen. Der Senat würdigt die Neustifterinnen und Neustifter mit einem jährlichen Empfang und vergibt alle zwei Jahre den Hamburger Stiftungspreis.
Haspa-Hamburg Stiftung: Wie setzen Sie sich persönlich für Dinge ein, die Ihnen wichtig sind? Haben Sie überhaupt noch Zeit dafür?
Olaf Scholz: Einerseits ist meine Zeit knapp bemessen, was ehrenamtliches Engagement angeht. Andererseits ist es für mich als Erster Bürgermeister tägliche Aufgabe, mich für Dinge einzusetzen, die ich für sehr wichtig halte. Das betrifft alle Bereiche der Politik vom Wohnungsbau bis zur Frage, was wir tun müssen, damit bei jungen Leuten der Übergang von der Schule in den Beruf klappt.
Haspa-Hamburg Stiftung: Angenommen, Sie würden eine Stiftung gründen wollen, welcher Aufgabe würde sie sich widmen?
Olaf Scholz: Schwer zu sagen. Sicher würde sie damit zu tun haben, anderen zu helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Haspa-Hamburg Stiftung: Ein Ausblick in die Zukunft. Wo sehen Sie das Stiftungswesen unserer Stadt in 20 Jahren?
Olaf Scholz: Ich bin sicher: Hamburg bleibt auch in Zukunft Stiftungshauptstadt. Wie gesagt: Die Zahl der in Hamburg ansässigen rechtsfähigen Stiftungen steigt kontinuierlich um über 30 pro Jahr. Auch die Zahl der Treuhandstiftungen wächst stetig. Die Hamburger Stiftungen bilden eine solide breite Basis in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Ich bin überzeugt davon, dass das auch in Zukunft so sein wird, sei es in 20 oder in 100 Jahren.