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12.04.2012

Interview im stern: "Es macht nur ssssssssss"


Mehr Wohnungen, bessere Schulen, weniger Lärm: Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, über seine Zukunftsvision von Städten
 
stern. Herr Scholz, Hamburg wächst. Wie viele Einwohner kommen jeden Monat dazu?
Scholz: Im Durchschnitt sind es etwa 800. Dieses Jahr wird Hamburg wieder mehr als 1,8 Millionen Einwohner haben. Bald werden es 1,9 Millionen sein. Vielleicht noch mehr. 
 
stern: Wohl dem, der eine bezahlbare Wohnung hat!
Scholz: Wir haben Platz für alle.
 
stern: Aber nicht genug Wohnungen.
Scholz: Das ändern wir  nach und nach. In Berlin leben mit 3,5 Millionen fast doppelt so viele Menschen. Und Hamburg verfügt beinahe über dieselbe Fläche. Mit Verdichtung und entschlossenem Wohnungsbau können wir für alle bezahlbaren Wohnraum schaffen.
 
stern: Ist es ein gutes Gefühl, in einer wachsenden Stadt Bürgermeister zu sein?
Scholz: Ja, das ist ein besonderes Gefühl. Gerade, weil ich weiß, dass wir in einem Land, auf einem Kontinent leben, in dem und auf dem sich die Bevölkerungszahl reduziert. Das führt zu neuen Herausforderungen.
 
stern: Sie meinen: Das kostet viel Geld?
Scholz: Ich pflege das eigenwillige Hobby, mir die Regierungserklärungen der Kollegen Ministerpräsidenten durchzulesen, und da sehe ich bei fast allen, dass sie dazu übergehen wollen, die sogenannte demografische Rendite zu nutzen. Sie besteht darin, die Zahl der Lehrer langsamer sinken zu lassen als die Zahl der Schüler. Dann werden die Klassen automatisch kleiner und die Betreuung wird besser. Hamburg muss anders vorgehen. Wir haben den Ehrgeiz, die kleinsten Grundschulklassen in Deutschland zu haben: mit  höchstens 23 Schülern, in Gebieten mit weniger guten Bildungsvoraussetzungen sind es nicht mehr als 19. Und wir haben mehr Neuanmeldungen als im Vorjahr. Und ja, das kostet dann auch Geld, weil wir mehr Lehrer beschäftigen.
 
stern: Auch München, Stuttgart und einige andere Städte wachsen. Die Leute fliehen aus der Provinz. Sind das gute oder schlechte Nachrichten?
Scholz: Diese Veränderungen bleiben für beide Stadt und Land - nicht ohne Folgen,  die wir solidarisch meistern müssen. Zum Beispiel über den Länderfinanzausgleich, bei dem Hamburg zu den Zahlerländern gehört. Aber das gehört zur gelebten Solidarität.
 
stern: Gilt die Solidarität auch für den Solidaritätszuschlag? Ihre Par-teifreundin Hannelore Kraft aus NRW würde einen Teil des Geldes gern im eigenen Land halten.
Scholz: Der Solidarpakt West/Ost gilt bis zum Ende des Jahrzehnts. Dazu gehört auch der Soli. 
 
stern: Warum sind große Städte so anziehend?
Scholz: Menschen ziehen Menschen und Ideen an. Die Stadt schafft zum Beispiel die Möglichkeit, Firmen in neuen Branchen zu gründen. In Hamburg waren das zuletzt Unternehmen, die sich auf Windenergie oder auf die Entwicklung von Computerspielen spezialisiert haben. In der Stadt existiert Kreativität. 
 
stern: Es zieht auch Familien zurück in die Stadt. Warum ist das so?
Scholz: Für Familien ist es wichtig, dass das Angebot auf dem Arbeitsmarkt breit und groß ist. Wenn Frau und Mann gleichzeitig berufstätig sein wollen, ist die Stadt ideal. Sie können sogar den Arbeitgeber wechseln, ohne dass einer von beiden die Stadt verlassen muss. 
 
stern: Es heißt, wer bei Olaf Scholz arbeitet, muss mindestens ein Buch gelesen haben: Triumph of the City des Harvard-Ökonomen Edward Glaeser. Stimmt das?
Scholz: Wer sich mit der Frage aus-einandersetzen will, wie es mit den großen Städten in Deutschland wei-tergeht, sollte dieses Buch gelesen haben. Glaeser beschreibt die Vorteile, die aus diesem dichten Beieinander in einer Stadt entstehen. Die Möglichkeiten für ein individuelles und ein selbstständiges, unabhängiges Leben sind groß. Das ist attraktiv. 
 
stern: Im Zeitalter von Facebook, Xing und Skype können wir doch von jedem Ort der Welt miteinander in Echtzeit kommunizieren. Warum zieht es so viele in die volle Stadt?
Scholz: Es ist eine große Illusion zu Anfang des Internetzeitalters gewesen, zu glauben, dass der eine im Harz sitzt und sich mit dem anderen auf Sylt übers Internet verbindet und ein Unternehmen gründet. Das kann schon vorkommen. Allerdings ist es viel realistischer, dass ein paar Leute in der Kneipe beim Bier zusammensitzen und eine Geschäftsidee entwickeln, aus der dann ganz neue Branchen erwachsen. 
 
stern: Glaeser schreibt: Die Gassen und Wege von Florenz waren die Wiege der Renaissance, und in den Straßen von Birmingham entfaltete sich die industrielle Revolution...
Scholz: So ist es. Aber die großen Städte wären nicht erfolgreich, wenn sie sich auf die kreative Klasse beschränken würden. Es gehören auch die Stadtreiniger, die Leute, die sich um die Parks kümmern, und diejenigen, die die industrielle Struktur aufrechterhalten, dazu. Alle miteinander müssen einen Platz zum Leben finden. Und die Stadt muss Raum bieten, in dem sich Kreativität entwickeln kann, ohne sie von oben zu verordnen. 
 
stern: Früher hat man einen Gewerbepark im Grünen ausgewiesen. Sind diese Zeiten vorbei?
Scholz: Definitiv. So kann man heute keine neuen Arbeitsplätze zustande bringen. Das Miteinander führt dazu, dass Stadtteile sich entwickeln und neue entdeckt werden. 
 
stern: Wer gehört zu dieser Avantgarde, die bestimmte Stadtteile neu entdeckt? 
Scholz: Da gibt es keine identifi-zierbare Gruppe und auch kein bestimmtes soziales Milieu der creative class. Das ist breiter. Und deshalb müssen sich die großen Städte ganz bewusst als Ankunftsstädte verstehen für die, die neu dazukommen. Das gilt auch für Neubürger aus anderen Ländern. Ausländer, die hier schon lange leben, müssen die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben können. Ich schreibe jetzt alle 137.000 Bürger mit Einwanderungshin-tergrund an, die solange hier leben, dass sie sich einbürgern lassen könnten und lade sie dazu ein. Das stößt auf eine große Begeisterung. Viele haben geradezu auf diese Einladung gewartet.
 
stern: Wenn Sie Hamburgs Partnerstadt Shanghai besuchen, sehen Sie, wie rasant sich eine Metropole entwickeln kann: Morgens wird geplant, mittags gebaut und abends eingezogen. Sind sie neidisch, wie schnell es woanders gehen kann?
Scholz: Nein, aber ich wünschte mir mehr Enthusiasmus für den Fortschritt. Die Freude daran ist dem einen oder anderen bei uns schon abhanden gekommen. Ich glaube, uns würde es beseelen, wieder mehr davon abzubekommen. Aber bei uns geht es nicht um 100.000 neue Wohnungen pro Jahr, es geht um 6.000. Die werden wir auch schaffen. 
 
stern: In deutschen Großstädten gibt es gegen nahezu jedes Großprojekt sofort ein Bürgerbegehren. Nervt Sie das?
Scholz: Im Großen und Ganzen bin ich optimistisch. Wir haben einen großen Konsens in der Stadt, dass wir mehr Wohnungen brauchen. Wir haben mit allen Bezirken einen Vertrag geschlossen, wie viel dort neu gebaut werden muss. Wir prüfen jeden Monat, ob die Zahl der Baugenehmigungen stimmt und wir als Stadt müssen es schaffen, dass genügend Flächen zur Verfügung stehen. Vor Bürgerprotesten fürchte ich mich nicht.
 
stern: Aber der Wohnraum muss auch bezahlbar bleiben. In Hamburg kostet eine 100-Quadratmeter-Wohnung in einem der begehrten Stadtteile inzwischen mindestens 1.200 Euro Miete. Wer kann sich das leisten? 
Scholz: Es gibt ein Problem mit steigenden Preisen, weil in den letzten zehn Jahren zu wenig gebaut wurde. Wir haben uns für die Zukunft vorgenommen, 6.000 Wohnungen jedes Jahr zu schaffen. Wir hoffen, damit den Preisanstieg zu bremsen, obwohl Hamburg im nationalen Vergleich noch lange nicht über die höchsten Mietpreise verfügt. Halbwegs rechtzeitig haben wir das Wohnungsbauprogramm auf den Weg gebracht. Die Wahrheit ist aber auch, dass wir mit dem Wohnungsbau nie wieder aufhören dürfen. 6.000 pro Jahr ist keine Maßgabe für diese Legislaturperiode, sondern für die nächsten Jahrzehnte. Das ist für Deutschland vielleicht das derzeitig größte Wohnungsbauprogramm. Aber es ist wenig im Vergleich dazu, was in den 50er und 60er Jahren gebaut wurde. Da waren es zum Teil deutlich über 20.000 Wohneinheiten pro Jahr.
 
stern: In guten Lagen liegen die Kaufpreise bei 4.000 bis 6.000 Euro pro Quadratmeter. Das ist doch verrückt?
Scholz: Das ist sehr viel. Wir können das nur ändern, indem wir genug bauen und davon ausreichend geförderten Wohnraum zur Verfügung stellen. Wir haben festgelegt, dass ein Drittel immer gefördert sein muss, ein Teil davon im mittleren Preissegment. 
 
stern: Was ist mit den jungen Familien, wo bleiben die? Die haben noch keine hohen Einkommen, brauchen aber Platz?
Scholz: Anders als bei RamaCity* lässt sich eine Stadt leider nur nach und nach neu bauen. Wir müssen einfach auf hohe Investitionen setzen und hoffen, dass der Druck auf die Preise dann nachlässt. Zusätzlich denken wir ganzheitlich: Familien bekommen bei uns ein flächende-ckendes Betreuungsangebot für ihre Kinder. Das alles gehört zu den Aufgaben einer Stadt und zur Unterstützung berufstätiger Eltern. Hamburg soll eine Stadt werden, in der berufstätige Eltern die besten Bedingungen für sich und ihre Kinder vorfinden können. Das ist mein Ehrgeiz.
 
stern: Ein schöner Plan. Haben Sie denn das Geld dafür?
Scholz: Auch wir müssen die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen: 2020 wird Hamburg keine neuen Schulden mehr machen. Das schreiben wir jetzt auch in die Hamburger Verfassung. Und um das zu erreichen, haben wir festgelegt, dass bis dahin die Ausgaben um nicht mehr als ein Prozent pro Jahr steigen dürfen. Wir müssen schon sorgfältig mit unserem Geld umgehen. Heißt, wir können nicht alle Investitionen tätigen, die wir wollen, aber für Eltern und ihre Kinder zu sorgen, hat oberste Priorität für mich.
 
stern:  Lassen Sie uns das Thema Stadtentwickung an einem Beispiel besprechen. Die Große Bergstraße in Hamburg Altona...
Scholz: Dort wohne ich gleich um die Ecke. Die Straße ist die historische Einkaufsstraße der einstmals selbst-ständigen Stadt Altona gewesen. Da sind früher die feinen Leute zum Einkaufen hingefahren. In den 60er Jahren wurde sie die erste große Fußgängerzone in Deutschland.
 
stern: Und verkam dann zur Ramschmeile. In einem Jahr will dort Ikea sein erstes Möbelkaufhaus mitten in der Stadt eröffnen. Schon jetzt steigen rechts und links die Ladenmieten. Eine Biokette ist schon da. Apple-Computer werden verkauft. Und die Mieten und Wohnungspreise steigen und steigen. Ist das der einzige Weg, ein Viertel neu zu beleben?
Scholz: Es hat einen Bürgerentscheid für die Ansiedlung von Ikea gegeben. 
 
stern: Waren Sie dafür? 
Scholz: Als Altonaer habe ich dafür gestimmt. Um den Stadtteil wieder zu beleben, können wir nicht auf die Rückkehr der alten Textilkaufhäuser hoffen, sondern brauchen Stores mit überregionaler Attraktivität. 
 
stern: Darf denn städtebaulicher Erfolg von Großinvestoren wie einem Möbelhändler abhängen?
Scholz: Wir leben in einer Markt-wirtschaft. Über Geschäftseröffnungen beschließt ja nicht die Parteiführung der Hamburger SPD. 
 
stern: Sie könnten die Ladenmieten regulieren?
Scholz: Nein. 
 
stern: Je mehr gebaut wird, desto stärker nehmen Verkehr und damit der Lärm zur. Was tun Sie dagegen?
Scholz: Wir sind geradezu darauf versessen, die Elektromobilität vo-ranzutreiben. Die Städte profitieren am meisten vom Durchbruch dieser Technologie. Zum Ende dieses Jahrzehnts wollen wir möglichst nur noch emissionsfreie Busse anschaffen, die wahrscheinlich mit Wasserstoff betrieben werden. Schon heute haben wir eine große umweltfreundliche Busflotte. In diesem Jahr werden wir knapp 30 Busse mit alternativen Antrieben im Liniendienst einsetzen und damit diesen Weg konsequent weiter gehen.
 
stern: Sie glauben wirklich an die Elektromobilität?
Scholz: Meine Vision ist  eine Stadt, in der Verkehrslärm und die übrigen Emissionen des Verkehrs fast verschwunden sind. Dann wird auch wieder die ganze Stadt bewohnbar, die Balkone können wieder zu den Straßen ausgerichtet werden und nicht von ihnen weg. 
 
stern: Weil es überall nur noch elektrisch surrt...
Scholz:...ja, man hört nur noch ssssssss. 
 
 
Interview: Norbert Höfler, Elke Schulz
 *Ein Computerspiel der Firma BigPoint aus Hamburg.