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28.10.2016

Interview mit dem "General Anzeiger"

 
General Anzeiger:Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit wird wieder lauter. Die Konfliktlinien verlaufen zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Neuankömmlingen und Alteingesessenen. Ist der gesellschaftliche Zusammenhalt in Gefahr?

 

Olaf Scholz: Der gesellschaftliche Zusammenhalt muss jeden Tag neu erkämpft werden. Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, ihn zu bewahren. Dazu gehört auch, dass wir um die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger für unsere Politik werben.

 

General Anzeiger:Beim Wohnungsbau entstehen viele teure Wohnungen und zu wenig preiswerte. Stimmen die Verhältnisse noch?

 

Olaf Scholz: Große Städte üben nach wie vor eine besondere Anziehung aus. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkung auf den Wohnungsmarkt. Wenn es zu wenige Wohnungen gibt, steigen die Preise. Das ist vor allem für Bürger mit normalem oder geringem Einkommen ein großes Problem. Deshalb sorgen wir dafür, dass genügend bezahlbare Wohnungen entstehen. In Hamburg gilt zum Beispiel: Bei allen größeren Bauvorhaben muss immer ein Drittel geförderte Wohnungen dabei sein. Trotzdem müssen wir an Tempo zulegen, in den attraktiven und großen Städten und in vielen kleineren Orten, in denen es auch viel Zuzug gibt.

 

General Anzeiger: In Ihrer Stadt haben wohlhabende Nachbarn Front gegen Flüchtlingsunterkünfte in ihren Vierteln gemacht. Wird diese Aufgabe von oben nach unten abgewälzt?

 

Olaf Scholz: Für den sozialen Zusammenhalt ist es wichtig, dass jeder Ort und jeder Stadtteil seinen Beitrag für die Unterbringung von Flüchtlingen leistet. Bei uns findet diese Haltung eine breite Zustimmung. Und es ist etwas Besonderes, dass eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge über das ganze Land und innerhalb von Städten angestrebt wird. In vielen anderen Staaten der Welt ist das keineswegs üblich.

 

General Anzeiger: Die Konzentration der Privatvermögen hat in der Vergangenheit zugenommen. Inwiefern muss Politik hier gegensteuern?

 

Olaf Scholz: Es fällt auf, dass Vermögen und Einkommen am oberen Ende der Skala gestiegen sind. Die Ungleichheit hat zugenommen, in fast allen Industriestaaten. Bei der Mittelschicht stagnieren die Einkommen, im unteren Bereich gibt es sogar Rückgänge. Das bewegt die Bürgerinnen und Bürger sehr, und man kann etwa den amerikanischen Wahlkampf oder das Brexit-Votum nicht verstehen, ohne dieses Phänomen in den Blick zu nehmen. Wir brauchen deshalb einen robusten Sozialstaat, starke Sozialpartnerschaften und faire Tarifverträge. Mit dem Mindestlohn haben wir eine wichtige Weichenstellung vorgenommen.

 

General Anzeiger: Künftigen Rentenzahlern bürdet die große Koalition hohe Lasten auf. Ist das gerecht?

 

Olaf Scholz: Die Reformen der letzten Jahrzehnte haben dazu beigetragen, dass das Vertrauen in die Stabilität der Alterssicherung wieder größer geworden ist. Es ist gleichwohl ganz normal, dass das Verhältnis von Beiträgen und Gegenleistung immer wieder neu austariert und alle zehn Jahre neu bewertet wird. Ich empfehle einen gelassenen Umgang mit der Debatte.

 

General Anzeiger: Freihandelsabkommen wie Ceta und TTIP erfahren starken Gegenwind, Europa steckt in der Krise und die AfD bekommt Zulauf. Macht Ihnen all das Sorgen?

 

Olaf Scholz: Kaum eine Volkswirtschaft dürfte so mit anderen verflochten sein wie die deutsche, wir gehören zu den größten Importeuren und Exporteuren der Welt. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zum Freihandel wird davon abhängen, ob es uns gelingt, ihnen zu garantieren, dass wir in einer global vernetzten Ökonomie die Auswirkungen auf unser Leben und unsere Volkswirtschaft im Griff haben. Das Handelsabkommen mit Kanada ist genau betrachtet ein Beweis dafür, dass das geht. Um im guten Sinne Einfluss darauf zu nehmen, wie der Handel in der Welt stattfindet, brauchen wir die Europäische Union.

 

General Anzeiger: Beantworten Sie noch Fragen zur Kanzlerkandidatur bei der SPD?

 

Olaf Scholz: Wir haben dazu eine ganze Reihe von Antworten, die Sie sich gerne zusammenstellen können, und die sind in jeder neuen Zusammensetzung auch immer wieder richtig. Unsere Ansage lautet: Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wird Anfang des nächsten Jahres einen Vorschlag machen, und wir werden dann eine Entscheidung treffen.

 

General Anzeiger: NRW will sich möglicherweise für Olympia 2028 bewerben. Was kann das Land von der gescheiterten Hamburger Bewerbung lernen?

 

Olaf Scholz: Hamburger sind nicht eitel genug, um zu erwarten, dass andere etwas von uns lernen können.

 

 

Das Interview führten Andreas Dyck & Helge Matthiesen vom Bonner General Anzeiger am Rande einer Veranstaltung der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (Bapp).