ABENDBLATT: Herr Scholz, wie verstehen Sie Ihre Rolle als Generalsekretär der SPD - als Sekretär des Kanzlers oder als General und Antreiber der Partei?
SCHOLZ: Der Generalsekretär wird vom Bundeskanzler und Parteivorsitzenden vorgeschlagen. Zwischen diesen beiden muss Vertrauen und Solidarität existieren. Das ist die Grundlage der Arbeit. Ansonsten muss ich mich darum kümmern, dass die Partei gut funktioniert.
Wie soll sie denn funktionieren - als Kanzlerwahlverein oder als Programmpartei?
Die SPD bezieht ihre Kraft aus ihrer Eigenständigkeit. Wir sind jetzt zum zweiten Mal hintereinander und zum dritten Mal überhaupt stärkste Fraktion im Bundestag geworden. Die Union fürchtet, dass sie die strukturelle Mehrheit im Lande verliert. Wir werden dafür sorgen, dass dieser Schrecken aller Unions-Mitglieder wahr wird und die SPD auf Dauer vorne bleibt. Das setzt voraus, dass es in der Sozialdemokratie interessant zugeht und dort alle wichtigen politischen Diskussionen geführt werden.
Sie wollen als Generalsekretär der Bundes-SPD den Landesvorsitz in Hamburg beibehalten. Streben Sie die Spitzenkandidatur bei der nächsten Bürgerschaftswahl und den Posten des Ersten Bürgermeisters an?
Man soll Dinge dann entscheiden, wenn sie so weit sind. Die nächste Bürgerschaftswahl ist 2005. Der Beust-Senat wird versuchen, sich bis dahin durchzuhangeln, obwohl er politisch eigentlich am Ende ist. Ich werde SPD-Chef in Hamburg bleiben und habe mir nicht nur in dieser Hinsicht meinen Vorgänger Franz Müntefering zum Vorbild genommen. Der hat neben seinem Amt als Generalsekretär lange Zeit den Landesverband Nordrhein-
Westfalen geführt, dabei große innerparteiliche Reformen zu Stande gebracht und alle Landtagswahlen gewonnen.
Helfen Ihnen Ihre Hamburger Erfahrungen für Ihr neues Amt in Berlin?
Mir hilft, dass ich schon viele Wahlkämpfe geführt habe und genau weiß, wie die SPD funktioniert und tickt. Das muss man mitbringen, wenn man das Amt des Generalsekretärs ausüben will.
Vor der Wahl hat der Bundeskanzler Steuererhöhungen ausgeschlossen. Gilt das Kanzlerwort noch?
Aus der Diskussion über die Flutkatastrophe weiß jeder, dass wir immer ehrlich geblieben sind. Wir haben gesagt, das kostet viel Geld. Deshalb haben wir auch die für 2003 geplante Stufe der Steuerreform um ein Jahr verschoben. Im Verborgenen haben wir keine Pläne gehabt. Dass jetzt alle aufgeregt über Steuererhöhungen reden, ist deshalb völlig unangemessen. Wir wollen keine Steuererhöhungen.
Können Sie ausschließen, dass die Ökosteuer 2003 letztmalig erhöht wird?
Die SPD hat gesagt, dass 2003 die letzte Stufe der Ökosteuer kommt. Mit dieser Position gehen wir in die Koalitionsverhandlungen.
Halten Sie es wie die Gewerkschaften für nötig, eine Gerechtigkeitslücke" zu schließen und Reiche über Erbschaft- und Vermögensteuer stärker zu belasten?
Das sind Steuern, die den Ländern zugute kommen. Deshalb kommen die Vorschläge ja nicht zufällig von Ministerpräsidenten. Aber sie brauchen dafür eine Mehrheit im Bundesrat. Ich nehme an, die verhandeln schon heftig.
Rechnen Sie mit einem Blockadekurs der Opposition im Bundesrat?
Wenn die Union ihre Wunden geleckt hat, wird sie sich nicht vollständig auf einen destruktiven Kurs im Bundesrat festlegen. Das würden die Wähler auch nicht goutieren. Deshalb bin ich da ganz optimistisch.
Nicht nur die Union, auch die Wirtschaftsverbände laufen Sturm gegen Steuererhöhungspläne. Hat das Bündnis für Arbeit vor diesem Hintergrund noch eine Chance?
Die Wirtschaftsverbände müssen lernen, dass sie nicht von der CDU bezahlt werden, sondern die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen zu vertreten haben. Wir haben keine Vorbehalte. Wer mit uns sprechen will, wird keine Schwierigkeiten haben.
Muss die SPD nicht trotzdem jetzt mit dem Makel der Lüge leben, weil sie das Ausmaß der Finanz-Katastrophe vor der Wahl verschleiert hat?
Die Finanzsituation haben wir nicht falsch dargestellt. Wir haben eine schwierige Konjunktur. Je länger die anhält, desto größer sind die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Das haben wir nie anders gesagt.
Müssen sich die Deutschen auf ein Sparpaket mit harten Einschnitten und Wohlstandseinbußen einstellen?
Niemand muss sich auf eine Reduzierung seines Wohlstandes einstellen. Wir werden ein vernünftiges Reformpaket schnüren und dafür sorgen, dass unsere Wähler ihre Wahlentscheidung auch im Nachhinein nicht bereuen. Die Details dürfen nicht öffentlich ausgetragen, sondern müssen in den Koalitionsverhandlungen geklärt werden.
Die PDS ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Will die SPD jetzt Mitgliedern der PDS eine neue Heimat bieten?
Die SPD ist offen für alle, die sich als Sozialdemokraten fühlen. Dass einer vorübergehend ein falsches Parteibuch hatte, steht einer Mitgliedschaft nicht entgegen.
Wird die SPD offensiv für den Übertritt von PDS-Mitgliedern werben?
Wir müssen keine Anzeigen schalten. Viele Menschen haben verstanden, dass die SPD die Interessen der Menschen in Ostdeutschland am besten vertritt.
Die SPD ist überaltert und hat sehr viele Mitglieder verloren. Richten Sie sich auf einen weiteren Schrumpfungsprozess ein?
Die SPD ist nach wie vor eine der größten demokratischen Parteien. Trotzdem haben wir weniger Mitglieder als früher und vor allem zu wenig junge Mitglieder. Deshalb werde ich es zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit machen, viele Menschen zusätzlich zum Eintritt in die SPD zu bewegen. Dabei gilt es, den Schwung der Bundestagswahl zu nutzen.
Die Regierungspolitik der letzten Jahre hat auf dem linken Flügel der SPD und auch in den Gewerkschaften manche Enttäuschung ausgelöst. Bei der Wahl wurden viele Stimmen im Arbeitnehmerlager verloren. Wird die SPD wieder stärker nach links rücken?
Die SPD ist stärkste Partei geworden. Das wäre sie nicht geworden, wenn nicht auch viele Arbeitnehmer uns gewählt hätten. Unsere Politik hat sich ausgezahlt. So wird zum Beispiel die Rentenreform mittlerweile überall als Erfolg der Regierung beschrieben. Es hat sich bewiesen, dass der Mut zu Reformen belohnt wird, beispielsweise mit einer Wiederwahl.
Das Interview führte Andreas Thewalt.