arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

15.10.2002

Interview mit DeutschlandRadio-Online zu den Koalitionsverhandlungen

 

Deutschlandfunk: Es ist geschafft, zumindest fürs erste. SPD und Grüne haben sich gestern in ihren Verhandlungskommissionen auf die Einzelheiten der Einsparungen im Bundeshaushalt geeinigt und auf neue Weichenstellungen in der Umwelt- und Verkehrspolitik. Es geht um unzählige Schnitte, um Maßnahmen, die, wenn ich sie jetzt hier alle nennen würde, locker die Zeit bis zu den Nachrichten um 7:30 Uhr füllen würden. Deshalb nur ein paar: Eigenheimzulage bekommt künftig nur, wer Kinder hat und kein Spitzenverdiener ist. Dafür bleibt das Ehegatten-Splitting unangetastet. Kapitalgesellschaften sollen nicht mehr alle ihre Verluste von der Steuer absetzen können und das produzierende Gewerbe wird nicht mehr ganz so preiswert bei der Stromsteuer wegkommen wie bisher. Wer bei der Aktienspekulation gewinnt soll darauf Steuern zahlen. Aber das und vieles andere hat nicht gereicht, die Finanzierungslücke aufzufüllen. Die Bundesregierung wird im nächsten Jahr 2,5 Milliarden € neue Schulden machen müssen. - Am Telefon begrüße ich den SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Guten Morgen!

 

Scholz: Guten Morgen.

 

 

Herr Scholz, warum haben Sie nicht das gesamte Milliardenloch gestopft?

 

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Haushaltskonsolidierungspolitik fortzusetzen. Das ist auch gelungen. Es wird weiter abwärts gehen mit der Neuverschuldung, aber nicht so schnell, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das fanden wir aber im Hinblick auf die weltwirtschaftliche Lage angemessen. Letztendlich ist es doch eine ganz große Operation, die wir vorgenommen haben. Wir haben Sparmaßnahmen durchgeführt und wir haben Subventionen und Steuerschlupflöcher gestrichen. Ich glaube, dass das ein sehr gutes Gesamtergebnis ist.

 

 

Aber fehlte am Ende nicht ein bisschen der Wille zum Subventionsabbau, so richtig zum Sparen, dass man wirklich das Loch zumacht?

 

Es sind elf Milliarden, die wir zugemacht haben. Das ist doch eine ganz gewaltige Maßnahme. Ich glaube, dass an den vielen Diskussionen, die wir in der nächsten Zeit haben werden, festzustellen sein wird, wie mutig wir waren, denn jeder einzelne, der sein persönliches Steuerschlupfloch und seine Subventionen für unverzichtbar hält, egal wie es dem Land geht, wird sich lautstark zu Wort melden.

 

 

Da haben Sie sicher Recht, aber wenn man das zum Maßstab nimmt, dann darf man wahrscheinlich nie anfangen. Sie haben ja mit den Grünen zusammen an vielen Stellen einiges, manchmal ein bisschen geschnitten, aber diesen großen Schnitt, mit dem viele Menschen ja gerechnet haben, den hat es nicht gegeben. Noch mal nachgefragt: Warum haben Sie sich nicht getraut?

 

Ich glaube wir haben uns getraut und wir haben vernünftig agiert. Es geht ja nicht darum, dass wir eine Politik machen, die nicht einsehbar ist, sondern es geht darum, dass man in einer schwierigen Lage mit großem Ernst vernünftige Konsequenzen zieht. Das ist gelungen. Ich glaube, dass das auch sehr klug ist, was wir gemacht haben, denn ich wiederhole: die Reduzierung der Steuern bleibt erhalten. Es wird im Jahre 2004 und 2005 die Steuersenkung geben. Das ist sehr mutig, das auch fortzusetzen. Wir werden weiterhin eine konsolidierte Haushaltspolitik betreiben. Es geht weiter abwärts mit der Netto-Neuverschuldung, ganz anders als in den früheren Jahren, nur nicht ganz so schnell, aber wir wollen trotzdem im Jahre 2006 einen Haushalt vorlegen, bei dem dann keine neuen Schulden mehr gemacht werden, was in Deutschland seit vielen Jahrzehnten nicht mehr der Fall gewesen ist. Ich glaube, dass wir natürlich auch Einschnitte vorgenommen haben, die dazu führen werden, dass staatliche Leistungen zurückgeführt werden, was auch notwendig ist.

 

 

Bei allem Bemühen, eben ganz mit dieser Neuverschuldung bis 2006 aufzuhören, dieses Jahr könnte es sein, dass die Zahlen für die Steuerschätzung noch schlechter ausfallen als bisher schon angenommen. Da mehren sich die Anzeichen. Haben Sie noch so ein paar Sachen im Petto, die im Zweifel dann noch greifen könnten, um dort aufkommende Löcher zu stopfen?

 

Man kann natürlich vieles unternehmen, aber dieses Jahr ist sicherlich eines, das in diesem Haushaltsjahr bewältigt werden muss. Was wir vorgelegt haben ist die Planung für die Jahre 2003 und folgende und ich glaube das Jahr 2002 muss in diesem Jahr bewältigt werden. Man muss doch keine Zauberei erwarten, sondern vernünftige, absehbare und nachvollziehbare Politik. Das ist uns gelungen. Wir haben immer gesagt, dass dies eine schwierige Situation wird, dass ein Haushaltsloch von etwa zehn Milliarden € eine große Herausforderung darstellt, aber eben auch keine, die man nicht bewältigen kann, und genau das haben wir gezeigt.

 

 

Herr Scholz, Sie sagten eingangs, Sie haben an vielen Stellen geschnitten, Subventionen abgebaut, wo es einzelnen Menschen weh tun wird. Wie stark war denn während der Verhandlungen der Druck der Lobbys?

 

Die haben sich immer alle gemeldet. Jeder in solchen Verhandlungen ist, kriegt einen vermehrten Briefverkehr, in dem einem jeder im einzelnen erläutert, was alles nicht sein kann. Deshalb kommt es auf Ausgewogenheit an und wenn man all das, was man vorher in den Zeitungen hat lesen können, besichtigt, was wir angeblich beschlossen und diskutiert haben, dann sieht man schon, dass wir sehr zielgerichtet vorgegangen sind. Uns lag vor allem im Sinn, diejenigen, die sehr leistungsfähig sind, die sehr große Steuerkraft haben, nicht weiter über große Tricks gewissermaßen vom Steuerzahlen freizuhalten, während andere, die normal verdienen, es schwerer haben.

 

 

Aber gerade bei den hohen Einkommen fällt ja häufig auch das Wort Ehegatten-Splitting. Wieso sind Sie da nicht bis zu einer niedrigeren Grenze gegangen und haben das Ehegatten-Splitting für die höheren Einkommen beschränkt?

 

Das Ehegatten-Splitting ist weitgehend durch die Verfassung vorgegeben und durch die Auslegung der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht. Wenn man das zu Grunde legt und wenn man sagt, Familien mit Kindern sollen aus unserer Sicht nicht von einer Neuregelung betroffen sein, diejenigen, die einmal erzogen haben und sich verlassen haben auf die Konstruktion, sollen auch nicht betroffen sein, dann kommt man am Ende auf eine Summe, die gerade mal 100 Millionen € erreicht für ein Gesetz, das mit Sicherheit nicht mal die Mehrheit im deutschen Bundesrat fände. Das heißt es war für uns sehr klar, dass die ganze aufgeregte Diskussion der letzten Tage in keinem Verhältnis zu dem möglichen Ertrag einer Gesetzesänderung steht. Deshalb haben wir gesagt, dann ist ein kluger Gesetzgeber gut beraten, wenn er es dann lässt wie es ist.

 

 

Herr Scholz, einer der schwierigsten Punkte in den Verhandlungen, soweit man das von außen sagen konnte, war anscheinend ja die Restlaufzeit für das Kernkraftwerk Obrigheim. Jetzt hat man sich auf rund zwei Jahre mehr geeinigt. Bei den Grünen, die Obrigheim Ende des Jahres vom Netz nehmen lassen wollten, könnte es an der Basis und kurz vor dem Parteitag am Wochenende viel Ärger geben. Beim Ehegatten-Splitting konnten sich die Grünen ja auch nicht durchsetzen. Wenn der Partner beschädigt aus den Koalitionsverhandlungen herausgeht, schadet das nicht auch der SPD?

 

Wir haben uns bemüht, alle als erfolgreich aus den Koalitionsverhandlungen hervorzugehen. Wir regieren nun schon vier Jahre miteinander. Beide Parteien haben unterschiedliche Ansatzpunkte und Gesichtspunkte, aber niemand hatte das Ziel, den anderen über den Tisch zu ziehen. Ich glaube das kann man, wenn man das Gesamtergebnis bewertet, auch nicht sagen.

 

 

Gibt es da vielleicht heute ein kleines Kompensationsgeschäft in der Richtung, dass die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien vom Wirtschaftsministerium in den Bereich des Umweltministers Trittin wechselt?

 

Der Bundeskanzler hat mit den Ministern, die vorgesehen sind, und natürlich auch mit den Parteien über solche Fragen gesprochen, aber es bleibt seine Entscheidung, die heute zu Ende gebracht wird was die Frage der Zusammensetzung der Regierung betrifft und die Struktur der einzelnen Ressorts. Ein Organisationserlass ist eine Aufgabe des Bundeskanzlers und die wird nach der Wahl des Bundeskanzlers dann vollzogen.

 

 

Herr Scholz, Sie als Generalsekretär der Sozialdemokraten haben ja den Einblick darin, wie stark der Osten Deutschlands Anteil hatte am Wahlsieg Ihrer Partei. Werden Sie sich für mehr ostdeutsche Minister oder Ministerinnen im Kabinett stark machen?

 

Alle sind dafür!

 

 

Und wird das auch einen fühlbaren oder sichtbaren Ausschlag haben? Sicher!

Von wie vielen reden Sie derzeit?

 

Das ist etwas, was der Gesamtkunst des Kanzlers unterliegt.

 

 

Ja, aber man darf von mindestens einem ausgehen?

 

Das ist jetzt immer sehr interessant, das alles hin- und herzudiskutieren, aber der Osten Deutschlands wird in der Sache sowieso vertreten sein, aber natürlich auch personell.

 

 

Herr Scholz, Sie sprachen es an: heute geht es um den Zuschnitt der Ressorts und um Ministerposten. Eines scheint ja klar zu sein: Arbeit und Wirtschaft sollen wie auch immer zusammengelegt werden, Ressortchef Wolfgang Clement. Sind Sie persönlich denn auch für ein Gesundheitsministerium mit Zuständigkeit in der Rente, zum Beispiel unter Ulla Schmidt?

 

Es gibt viele gute Lösungen, die jetzt diskutiert werden. Ich habe auch eine im Kopf, aber die sage ich jetzt nicht hier.

 

 

Noch mal eine Frage zu der Geschichte mit der Bahn. Die Koalition hat sich darauf geeinigt, dass der Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent auf 7 Prozent gesenkt wird. Das wird Bahn-Tickets deutlich billiger machen. Das ist ein Signal für die Schiene. Warum kommt das erst 2005?

 

Das ist ja auch ein ganz gewaltiger Batzen Geld, der da bewegt wird. Im übrigen haben wir gesagt, wir wollen das dann auch in den Preisen insbesondere für Familien wiedersehen. Das heißt eine Steuersenkung, die nur dazu führt, dass ein Unternehmen, das große Umsätze hat, mehr Gewinne macht, die wollen wir nicht durchführen, sondern wir wollen eine Steuersenkung in diesem Bereich dann durchführen, wenn die Bahnkunden sie am nächsten Tag auch als reduzierte Preise verspüren.

 

 

Das heißt Sie wollen erst mal ein bisschen Vorleistung von der Bahn sehen?

 

Ja!

 

 

Jetzt haben Sie eine Reihe von Themen abgearbeitet in diesen zwei Wochen, aber wenn man natürlich ein bisschen bohrt, findet man immer etwas und Fragen wie die Zukunft der Bundeswehr oder wie geht es jetzt konkret weiter mit der Ökosteuer - das soll ja erst später geklärt werden -, das sind Fragen, die Sie vertagt haben. Hätten diese Themen die Koalition gesprengt?

 

Hätten sie nicht, aber es ist ja sinnvoll, dass man Sachen, die sich ständig in neuer Diskussion befinden, auch da hineinpackt. Für uns war wichtig, dass wir gesagt haben, die Ökosteuer ist jetzt erst mal zu Ende mit dem, was die nächste Stufe ausmacht. Wir werden dafür sorgen, dass ein paar Ausnahmen, die bisher existiert haben, aufgehoben werden, weil sie keine gewünschte Lenkungswirkung gehabt haben. Da werden gewissermaßen Subventionen und Schlupflöcher, die in der Ökosteuer lagen, wieder geschlossen. Dann diskutiert man später mal weiter im Lichte von allem, was in der Welt passiert, übrigens auch unserer wirtschaftlichen Lage, der Belastung der Arbeitnehmer und natürlich auch den Fragen, die sich aus der Umwelt ergeben. Was dabei herauskommt, das kann man jetzt gar nicht vorhersehen. Jetzt ist das erst einmal etwas, das ein Ende gefunden hat. Bei der Bundeswehr werden wir wahrscheinlich bei den nächsten Regierungsvereinbarungen jedes Mal eine Formulierung sehen, wo wir sagen, dass sie weiter diskutiert werden muss. Das ergibt sich aus einer veränderten Anforderung der Welt.

 

 

Das war Olaf Scholz, der SPD-Generalsekretär, zu dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen. - Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Das Interview führte Doris Simon