Hamburger Abendblatt: Herr Scholz, was sagen Sie Hamburgern, die jetzt Angst vor Terroranschlägen haben?
Olaf Scholz: Dass Menschen sich Sorgen machen, ist berechtigt. Die Anschläge bei uns machen leider deutlich, dass man sich nicht vollständig schützen kann, weil wir nicht wissen, was in verwirrten Köpfen vor sich geht. Gleichzeitig haben wir bei dem Amoklauf in München erlebt, dass die deutschen Sicherheitsbehörden gut vorbereitet waren und gut reagiert haben.
Hamburger Abendblatt: In Teilen der Bevölkerung ist auch mit Blick auf die Flüchtlingszuwanderung die Stimmung verbreitet, die Regierenden haben die Kontrolle verloren. Wie gefährlich ist die Angst vor dem Kontrollverlust?
Olaf Scholz: Natürlich muss der Staat die Kontrolle behalten. Deshalb darf sich die Situation aus dem vergangenen Jahr, als die hohen Flüchtlingszahlen die Behörden in Deutschland und die Politik vor Probleme stellten, nicht wiederholen. Wir haben darauf reagiert, Gesetze wurden angepasst. Es gibt jetzt einen Datenabgleich innerhalb Deutschlands und Europas.
Hamburger Abendblatt: Wie gefährlich für die Demokratie ist ein Vertrauensverlust der Bürger in die regierenden Parteien?
Olaf Scholz: Die Bürger unseres Landes haben sehr besonnen auf die jüngsten Ereignisse reagiert. Unsere Aufgabe als verantwortliche Politiker besteht darin, durch unser Handeln die Bevölkerung in ihrem Vertrauen in den Staat zu stärken. Das ist der beste Weg, dass Populisten keine Chance erhalten, gehört zu werden.
Hamburger Abendblatt: Viele Menschen haben dieses Vertrauen in den Staat aber nicht mehr.
Olaf Scholz: Die meisten schon. Der Hamburger Verwaltung kann man vertrauen. Die leisten gute Arbeit. Und wir in Hamburg zeigen nicht mit dem Finger auf andere, wenn große Herausforderungen auf unser ganzes Land zukommen und manches nicht gleich klappt.
Hamburger Abendblatt: Verstehen Sie den Dauerstreit in der Union um die Flüchtlingspolitik?
Olaf Scholz: Der Streit zwischen den Unionsparteien ist in der Tat nicht besonders förderlich. Das nimmt teilweise groteske Züge an. Dabei herrscht doch in der Sache Konsens vor. In Bundestag und Bundesrat haben alle Parteien viele gesetzliche Maßnahmen beschlossen, die uns helfen, mit solchen Herausforderungen wie der aus dem vergangenen Jahr besser umzugehen.
Hamburger Abendblatt: Hält die Bundesregierung bis zur nächsten Bundestagswahl im September 2017 durch?
Olaf Scholz: Ja, ganz sicher.
Hamburger Abendblatt: Wird die Einigung von Rot-Grün mit der Volksinitiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge zu einer dauerhaften Befriedung der Lage führen?
Olaf Scholz: Ja, das ist meine Überzeugung. Wir folgen einem in der Vergangenheit erfolgreichem Muster: Wir treffen Vereinbarungen. Das führt zu Rationalität auf beiden Seiten. Im konkreten Fall geht es darum, die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gemeinsam zu organisieren. Die Vereinbarungen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir dieser Aufgabe gerecht werden können. Und sie versetzen uns in die Lage, flexibel zu reagieren, ganz gleich, ob weniger oder mehr Flüchtlinge kommen als bisher.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie Verständnis dafür, dass sich Stadtteile, für die keine Bürgerverträge abgeschlossen wurden, benachteiligt fühlen?
Olaf Scholz: Sie müssen sich nicht benachteiligt fühlen, weil wir nach wie vor das Ziel verfolgen, die Unterkünfte gleichmäßig über die Stadt zu verteilen. Eine Erkenntnis der Verhandlungen ist doch, dass wir noch eine Vielzahl kleinerer Folgeunterkünfte benötigen. Übrigens geht es jetzt auch anders zu als bei der Zuwanderung in den 90er-Jahren. Jetzt gelingt uns die Integration der Flüchtlinge in Schulen und Kitas rasch, und zwar ohne eine Verschlechterung der Qualität der Betreuung insgesamt. Zudem legen wir großen Wert auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Die hilft dabei, dass die Flüchtlinge zügig ihren eigenen Unterhalt verdienen, die deutsche Sprache lernen, den deutschen Rechtsstaat akzeptieren und unser Arbeitsethos verinnerlichen.
Hamburger Abendblatt: Die Soko Castle feiert bei der Bekämpfung des Einbruchdiebstahls erste Erfolge. Wie gefährlich ist der Kriminalitätsanstieg in diesem Bereich?
Olaf Scholz: Wir tun alles, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Wir haben von Anfang an bei der Polizei den Personalabbau gestoppt und stellen neue Polizisten ein, wir haben keine Wachen geschlossen, die Ausrüstung und die soziale Absicherung der Polizisten verbessert. Was die Einbruchskriminalität angeht, so setzt die Hamburger Polizei modernste Methoden ein und ist insbesondere beim Vorgehen gegen Serientäter erfolgreich, denen die meisten dieser Delikte zugerechnet werden. Die Polizei macht einen guten Job.
Hamburger Abendblatt: Ist Hamburg wieder auf dem Weg zur Hauptstadt der Kriminalität?
Olaf Scholz: Nein.
Hamburger Abendblatt: Die Tendenz zeigt aber nach oben.
Olaf Scholz: Mit einer angemessenen Polizeipräsenz und einer effizient aufgestellten Polizei leisten wir einen Beitrag für die Sicherheit der Stadt. Darauf können sich die Bürger verlassen. Auf neue Ereignisse werden wir rasch und flexibel reagieren.
Hamburger Abendblatt: Wie genervt sind Sie eigentlich von Umweltsenator Jens Kerstan von den Grünen, der immer mal wieder aufmuckt?
Olaf Scholz: Ich bin jetzt schon 58, und da ist es schwer, mich zu nerven.
Hamburger Abendblatt: Aber erfreut waren Sie sicherlich nicht, als Kerstan wieder einmal mit dem Fahrverbot in der Innenstadt und der blauen Plakette um die Ecke kam, obwohl die SPD auch Sie persönlich das immer wieder ausgeschlossen hat.
Olaf Scholz: Ich bin nicht ganz sicher, ob der Umweltsenator richtig verstanden worden ist. Aber jedenfalls ist ganz klar: Es wird keine Fahrverbote geben, auch nicht für Dieselautos. Das haben wir bei der Regierungsbildung miteinander besprochen. In Hamburg sind mehr als 750.000 Pkw zugelassen, jeden Tag kommen ein paar Hunderttausend Pendler in die Stadt, nicht wenige davon mit dem Auto. Viele haben sich ein Dieselfahrzeug gekauft, und die meisten haben nicht genug Geld für ein nagelneues Auto. Mit Blick auf diesen Aspekt sind Fahrverbote nicht sozial.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie dem Umweltsenator die Gelbe Karte gezeigt?
Olaf Scholz: Spielen wir Fußball?
Hamburger Abendblatt: Nein, aber nehmen Sie das mal im übertragenen Sinn.
Olaf Scholz: Wir sind uns einig darin, dass wir das tun, worüber wir uns verständigt haben. Fahrverbote zählen nicht dazu.
Hamburger Abendblatt: Warum tut sich der Senat so schwer mit der Verbesserung der Luftqualität? Die EU-Normen bei Stickoxiden werden seit Langem nicht eingehalten.
Olaf Scholz: Warum tut sich das Hamburger Abendblatt so schwer, darüber zu berichten, dass etwa 400 Regionen in Europa, darunter fast alle großen Städte in Deutschland, auch solche mit grünen Bürgermeistern, diese Probleme haben? Im Vergleich mit anderen sind wir Hamburger wahrscheinlich unter den Ersten, die die Probleme lösen werden. Unser natürlicher Vorteil: Hier gibt es recht viel Wind, und die Stadt ist nicht sehr dicht bebaut. Aber wir haben auch langfristige Entscheidungen zum massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs getroffen wie den kompletten Neubau der S 4 nach Ahrensburg und der Linie U 5 im Norden Hamburgs. Wir wollen ab 2020 emissionsfreie Busse anschaffen. Wir fördern die Elektromobilität, schaffen für den öffentlichen Fuhrpark Elektroautos an und unterstützen Carsharing-Angebote. Und wir bauen das Radwegenetz aus. Das alles wird dazu beitragen, dass wir die Grenzwerte sehr bald einhalten.
Hamburger Abendblatt: Sind die Grenzwerte zu niedrig?
Olaf Scholz: Wir kommen aus einem Dilemma nicht heraus: Die EU hat relativ großzügige Emissionsvorschriften für Fahrzeuge erlassen, aber gleichzeitig damit nicht übereinstimmende, weil strenge Immissionsvorschriften für die Städte und Regionen.
Hamburger Abendblatt: Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass die EU keine Autos in der Innenstadt will.
Olaf Scholz: Wenn man die fragt, die heute die EU repräsentieren, dann sagen die, dass das nicht ihre Absicht ist. (lacht)
Hamburger Abendblatt: Sollten eher die Emissionswerte der Autos stärker reduziert oder die Stickoxid-Grenzwerte für die Luft heraufgesetzt werden?
Olaf Scholz: Die Vorschriften für die Autos werden gerade nach den Abgasskandalen der jüngsten Zeit noch einmal verschärft. Vor allem geht es darum, dass die realen Werte näher an die Testwerte herankommen. Ich habe mir in meiner Fantasie nicht vorstellen können, dass es legal ist, dass die Abgasreinigung bei einer bestimmten Außentemperatur abgeschaltet wird. Wir sollten uns aber nichts vormachen: Bis der ganze Fahrzeugbestand durchgetauscht ist, weil es neue umweltfreundlichere Modelle gibt, vergehen schnell 20 Jahre. Wir müssen natürlich vorher zum Erfolg kommen. Was die Luftreinhaltewerte angeht, halte ich die Frage, ob man sie ändern soll, für fruchtlos. Wir geben uns alle Mühe, sie so schnell wie möglich einzuhalten.
Hamburger Abendblatt: Eines Ihrer wichtigsten Themen ist der Wohnungsbau. Sollten die Umweltstandards bei Neubauten gesenkt werden, damit das Bauen billiger wird?
Olaf Scholz: Das ist eine gute Frage, die aber der Bund beantworten muss, weil es sich überwiegend um bundesweite Regelungen handelt. Wir konzentrieren uns auf das, was wir in der Stadt hinbekommen können. Ich verstehe den Wohnungsbau auch als soziale Frage. Wer ein geringes oder durchschnittliches Einkommen hat, soll sich eine bezahlbare Wohnung leisten, vielleicht sogar einmal kaufen können. Das ist mein Ehrgeiz. Bevor ich 2011 Bürgermeister wurde, habe ich gesagt, dass wir 6000 Wohnungen pro Jahr bauen wollen. Das haben wir geschafft. Wir sind jetzt bei Genehmigungszahlen von 10.000 und das wollen wir auch dauerhaft durchhalten.
Hamburger Abendblatt: Wie kann das Bauen billiger werden?
Olaf Scholz: Wir haben mit der Wohnungswirtschaft und den Architekten diskutiert. Eine Idee ist, Wohnungen, die besonders vorbildlich entwickelt sind, mehrfach über die Stadt verteilt zu bauen und so erhebliche Kosteneinsparungen zu erzielen. Dabei geht es gerade nicht um Plattenbau wie in den 50er-, 60er-Jahren. Das können Häuser mit Vollklinker sein, Vollholzparkett und bodentiefen Fenstern. Diese Idee ist mittlerweile Konsens.
Hamburger Abendblatt: Über welche Kosten reden wir denn?
Olaf Scholz: Wir geben pro Jahr rund 150 Millionen Euro für die Subventionierung des Wohnungsbaus aus. Unser Ziel sind 3000 öffentlich geförderte Wohnungen pro Jahr. Frei finanziert und ohne dass jemand spekuliert, liegen die Kosten für die Miete jetzt bei zwölf Euro netto kalt pro Quadratmeter. Wir subventionieren auf gut sechs Euro. Das ist ein enormer finanzieller Aufwand. Mehr als acht Euro können Normalverdiener meiner Ansicht nach nicht bezahlen. Und da müssen wir hinkommen. Das Ziel muss sein, in Richtung 1800 Euro reine Baukosten pro Quadratmeter ohne Grundstück zu kommen.
Hamburger Abendblatt: Die SAGA sagt, dass sie diese Höchstkosten von 1800 Euro nur bei Senkung der Umweltstandards erreichen kann.
Olaf Scholz: Ich habe nichts dagegen, dass wir uns die Standards ansehen. Aber ich kann den Wohnungsbau in Hamburg nicht solange ruhen lassen, bis die Bundesrichtlinien geändert wurden. Vieles scheint mir noch nicht zu Ende gedacht. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Gebäude mit technischen Vorrichtungen zum Luftaustausch wirklich eine gute Idee sind. Ich gebe zu, dass ich Fensteröffnen unverändert für eine ganz praktische Methode halte. (lacht)
Hamburger Abendblatt: Um den Hafen steht es schlecht: Umschlagseinbruch, Verschlickung und der Dauerbrenner Elbvertiefung. Wie groß sind Ihre Sorgen um die weitere Entwicklung?
Olaf Scholz: Der Hafen ist für die Zukunft Hamburgs unverändert von allergrößter Bedeutung. Deswegen investieren wir in seine Modernisierung. Die Welthafenkonferenz hier hat gezeigt, dass Hamburg beim Thema Smart Port ganz vorn dabei ist. Weltweit erstklassig ist die Hinterlandanbindung. Im neuen Bundesverkehrswegeplan sind milliardenschwere Investitionen in das Straßen- und Schienennetz vorgesehen, die die Hinterlandanbindung noch weiter verbessern werden. Aber wir müssen ständig mit den natürlichen Gegebenheiten kämpfen. Dazu gehört die Verschlickung. Dagegen wird mit 85 Millionen Euro pro Jahr angebaggert, und das Abkommen mit Schleswig-Holstein gibt uns für sehr lange Zeit Sicherheit, den Schlick ablagern zu können.
Hamburger Abendblatt: Und die Elbvertiefung?
Olaf Scholz: Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist nun wohl an seinem Ziel. Wir haben die Termine für die Verhandlungen im Dezember. Danach wird es hoffentlich bald eine Entscheidung in der Sache geben.
Hamburger Abendblatt: Der Hafen droht bei den Umschlagszahlen den Anschluss an die Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen zu verlieren.
Olaf Scholz: Das glaube ich nicht. Von den großen europäischen Häfen hat Hamburg einen Marktanteil von 40 Prozent beim Containerumschlag mit China. Die chinesische Wirtschaft ist im Augenblick nicht so stark, dazu kommen die Sanktionen gegen Russland. Was wir nicht ändern können, ist das Auf und Ab der Weltkonjunktur und damit verbunden das Auf und Ab der Güterumschläge im Hafen. Das war übrigens in der Geschichte Hamburgs nie anders, und das wird wohl auch nicht anders werden.
Hamburger Abendblatt: Bleibt es bei Ihrer Ankündigung, bei der Bürgerschaftswahl 2020 zur Wiederwahl anzutreten?
Olaf Scholz: Ja, das ist mein Plan.
Hamburger Abendblatt: Hält Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister und SPD-Chef durch?
Olaf Scholz: Ja.
Hamburger Abendblatt: Was passiert in der SPD, falls Gabriel zurücktritt?
Olaf Scholz: Warum sollte er?
Hamburger Abendblatt: Es gibt ein paar Ereignisse, die ihm das Leben schwer machen Stichwort Edeka/Tengelmann-Fusion. Und es gibt in der SPD eine Diskussion darüber, wie man sich für den Fall eines Rücktritts rüstet.
Olaf Scholz: Der Parteivorsitzende der SPD hat in den letzten Jahren eine verdienstvolle Arbeit geleistet, und der Wirtschaftsminister und Vizekanzler macht einen guten Job in der Bundesregierung. Deswegen beschäftige ich mich mit solch einem Szenario nicht.
Hamburger Abendblatt: Stehen Sie für einen solchen Notfall als Kanzlerkandidat 2017 bereit?
Olaf Scholz: Ich habe beinahe gewettet, dass diese Frage kommt. Zu meinem Plan habe ich ja eben schon geantwortet. Wir haben in der SPD ein gutes Verfahren: Der Vorsitzende wird Anfang nächsten Jahres einen Vorschlag machen, den wir dann diskutieren. Und vermutlich im Mai werden wir auf dem Parteitag wählen. Es ist auch klar, dass ein SPD-Vorsitzender immer ein guter Kanzlerkandidat ist. Im Übrigen schadet es der Demokratie nicht, dass man das vielen Männern und Frauen zutraut.
Das Interview führten Peter-Ulrich Meyer, Oliver Schirg und Stephan Steinlein
http://www.abendblatt.de/hamburg/article208012027/Unsozial-Olaf-Scholz-schliesst-Fahrverbote-in-Hamburg-aus.html