Herr Scholz, stehen uns in der Krise Massenentlassungen bevor?
Die schweren Zeiten sind noch nicht überstanden. Aber ich habe die Hoffnung, dass weniger Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren, als viele erwartet haben. Die massiven Konjunkturprogramme und die Kurzarbeit haben bisher dafür gesorgt, dass die Arbeitslosigkeit bei weitem nicht so stark gestiegen ist, wie die Wirtschaft eingebrochen ist. Wenn ein Unternehmen Kurzarbeit anmeldet, steckt dahinter ja auch ein Kalkül: Diese Betriebe setzen darauf, dass sie ihre Mitarbeiter nach der Krise wieder brauchen. Ich gehe davon aus, dass die meisten sich nicht verrechnet haben.
Ist die Rezession denn schon gestoppt?
Ich bin vorsichtig mit Vorhersagen. Es gibt aber unverkennbar Zeichen der Besserung. Und bislang sind die Horrorszenarien nicht eingetreten, die einige heraufbeschworen haben.
In der Krise wollen Sie die Altersteilzeit um fünf Jahre verlängern. Warum?
Die Altersteilzeit ermöglicht Arbeitnehmern, die unter schweren Arbeitsbedingungen ins Berufsleben gestartet sind, einmal halblang zu machen. Viele wünschen sich einen solchen flexiblen Übergang in die Rente.
Bestärken Sie Firmen nicht, ältere Mitarbeiter in den Vorruhestand zu drängen?
Nein. Die Altersteilzeitregelung hat die früheren Vorruhestandsmodelle abgelöst. Wer Altersteilzeit macht, bleibt bis zur Rente Arbeitnehmer. Ältere können nicht mehr aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt werden. Ich möchte die Förderung außerdem an eine Bedingung knüpfen: Für jeden Mitarbeiter, der in Altersteilzeit geht, soll ein Auszubildender übernommen werden. Das ist eine echte Beschäftigungsbrücke. In der Krise haben es vor allem die jungen Leute schwer, einen Arbeitsplatz zu finden.
Der Chef des Sachverständigenrats, Wolfgang Franz, fordert, befristet die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I zu verlängern. Was halten Sie davon?
Viel wichtiger finde ich, dass in der jetzigen Situation die Gelder für Arbeitsmarktpolitik uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Daher bin ich froh, dass wir beschlossen haben, der Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr notfalls ein Darlehen zu gewähren. Außerdem ist es gut, dass wir die Arbeitsvermittlung stärken. Wir haben bereits viele tausend zusätzliche Stellen in der Arbeitsverwaltung geschaffen. Nicht zuletzt möchte ich dafür sorgen, dass die private Altersvorsorge nicht der Krise zum Opfer fällt.
Wie das?
Wir müssen diejenigen besser schützen, die fürs Alter vorsorgen. Alle Ersparnisse, die zu einer unwiderruflichen Zusatzrente bei Rentenbeginn führen, sollen deshalb zum Schonvermögen gehören. Das wird auch dann nicht angetastet, wenn jemand für längere Zeit seinen Arbeitsplatz verliert und auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist.
Union und Opposition werfen Ihnen vor, dies sei nur ein Wahlkampfmanöver. Warum machen Sie erst jetzt diesen Vorschlag?
Als ich Arbeitsminister wurde, habe ich sofort begonnen, mich mit dieser Materie zu befassen. Im Wahlkampf sagen nun alle Parteien, dass sie für eine Ausweitung des Schonvermögens sind. Ich will konkrete Ergebnisse, nicht nur Lippenbekenntnisse. Deshalb habe ich einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, den ich in dieser Woche an meine Kabinettskollegen schicke. Wenn alle sofort einschlagen, können wir das noch vor den Bundestagswahlen gemeinsam hinbekommen.
Das Kabinett beruft an diesem Mittwoch die Kommission, die Mindestlöhne in Branchen mit besonders geringer Tarifbindung und geringen Löhnen vorschlagen soll. Wie schnell wird es neue Mindestlöhne geben?
Die Kommission, in der Vertreter der Arbeitgeber, des DGB und von der Bundesregierung benannte Experten sitzen, kann sofort mit ihrer Arbeit loslegen. Es wird auch höchste Zeit, denn dieses Gremium ist seit 1952 unbesetzt geblieben.
In welchen Branchen sehen Sie die Notwendigkeit, Mindestlöhne einzuführen?
Beim Mindestarbeitsbedingungengesetz geht es um Branchen mit geringer Tarifbindung; vielleicht die Fleischindustrie. Daneben ist schon jetzt die Zahl der Arbeitnehmer, die durch einen Mindestlohn geschützt werden können, durch die Ausweitung des Entsendegesetzes gewaltig gestiegen. Noch sind nicht alle beantragten Mindestlöhne erstreckt. Das geschieht in den nächsten Wochen und Monaten. Übrigens: Ich bin mir sicher, dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung stoppen würde, was wir auf den Weg gebracht haben. Wie ich höre, hat Kollege Guttenberg die Pläne dazu ja schon in der Schublade. Für ein paar 100 000 Menschen würde das bedeuten, dass sich ihre Lohnsituation nicht verbessert.
Das Interview führte Cordula Eubel.
Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite des Tagesspiegel.