"Bild am Sonntag": Herr Scholz, Axt-Attacke, Amoklauf, Machetenmord, Selbstmordattentat vier Anschläge in gut einer Woche. Wird der Ausnahmezustand zum Normalfall?
Olaf Scholz: Die Sorge ist verständlich, aber ich halte sie für unbegründet. Die vier Vorfälle der vergangenen Tage hatten, so schrecklich sie waren, sehr unterschiedliche Hintergründe. Allesamt haben sie aber gezeigt, wie gut unsere Polizei vorbereitet ist.
"Bild am Sonntag": Viele Menschen fühlen sich nicht mehr sicher. Was muss der Staat tun?
Olaf Scholz: Der Staat sollte besonnen reagieren und das tut er. Wir müssen prüfen, ob wir Gesetzeslücken schließen müssen, etwa im Waffenrecht. Es muss noch schwerer werden, Waffen zu erwerben. Und der illegale Waffenhandel muss so weit wie möglich unterbunden werden.
"Bild am Sonntag": Die CSU will die Bundeswehr auch im Inneren einsetzen. Sinnvoll?
Olaf Scholz: Die Polizei ist gut aufgestellt. In München und Ansbach haben sie gezeigt: Die können das. Der Ruf nach der Bundeswehr ist deshalb respektlos gegenüber der Polizei.
"Bild am Sonntag": Wie gefährlich sind Angst um die eigene Sicherheit, Wut auf die Politiker und das Gefühl, der Staat kriegt nichts hin, für die Demokratie?
Olaf Scholz: US-Präsident Franklin Roosevelt sagte einmal so schön: Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst. Wir sollten das mulmige Gefühl, was mancher vielleicht verspürt, medial nicht noch fördern. Unser Land ist stark und wir sind gut vorbereitet. Wenn einige jetzt ein Gefühl der Verunsicherung verspüren, müssen zumindest die Verantwortlichen die Nerven behalten.
"Bild am Sonntag": Im Januar soll nach zehn Jahren Bauzeit die Elbphilharmonie eröffnet werden. Urteil vieler Bürger: zu groß, zu spät, zu teuer. Können Sie den Frust verstehen?
Olaf Scholz: Unbedingt. Eigentlich hätte den damaligen Entscheidern von Beginn an klar sein müssen, dass es ein solches Gebäude nicht für unter 500 Millionen Euro geben wird. Als ich 2011 Bürgermeister wurde, habe ich mit der Baufirma verhandelt, damit das Gebäude überhaupt fertig gebaut wird. Für die Zukunft habe ich durchgesetzt, dass Bauprojekte seriöser durchgerechnet werden müssen, indem Preissteigerung, mögliche Verzögerungen und andere Schwierigkeiten von vornherein miteinkalkuliert werden. Ich finde, das sollte bei öffentlichen Projekten überall in Deutschland der Fall werden.
"Bild am Sonntag": Dann würden sie doch niemals gebaut werden
Olaf Scholz: Kann sein, dass es dann anfangs schwieriger wird, teure Bauvorhaben politisch durchzusetzen, weil die Bürgerinnen und Bürger heimlich die bisher üblichen Kostensteigerungen draufrechnen. Wenn Kostenrahmen und Zeitplan aber bei zwei, drei Großprojekten eingehalten werden, wird das Vertrauen zurückkehren.
"Bild am Sonntag": Am Ende kostet die Elbphilharmonie 789 Millionen Euro. Wird sie ein Mahnmal für den Steuerzahlerbund?
Olaf Scholz: Die Elbphilharmonie wird ein Wahrzeichen für Hamburg und Deutschland und ein Magnet für Touristen aus aller Welt. Und sie wird ein Wahrzeichen für die Musik.
"Bild am Sonntag": Was hat die normale Bevölkerung eigentlich von dem Luxus-Hochhaus mit klassischen Konzerten, 5-Sterne-Hotel und unbezahlbaren Apartments?
Olaf Scholz: Hamburg erhält ein neues Wahrzeichen, das bald alle besichtigen können: Es gibt auf 37 Meter Höhe eine Plaza mit großartiger Aussicht auf den Hafen und die Stadt. Mein Ziel ist es auch, dass jedes Kind aus Hamburg im Laufe seiner Schulzeit mindestens einmal hier ein Konzert besuchen kann. Die Kartenpreise im großen Saal beginnen bei 10 Euro und die Akustik wird auf allen 2100 Plätzen gleich fantastisch sein.
"Bild am Sonntag": Herr Scholz, Sie sind auch stellvertretender SPD-Chef. Ihre Partei bewegt sich gerade nach links. Der richtige Kurs?
Olaf Scholz: Kursdebatten sind müßig. Die SPD muss immer für das Soziale und eine starke Wirtschaft gleichermaßen da sein.
"Bild am Sonntag": SPD-Chef Sigmar Gabriel rückt als Wirtschaftsminister vom Freihandelsabkommen TTIP ab.
Olaf Scholz: Die Verhandlungen über TTIP sind in einer schwierigen Phase. Es ist sehr fraglich, ob es in der verbleibenden Amtszeit von Präsident Obama noch zu einem Abschluss kommt, da bleiben ja nur wenige Monate. Sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton sind große Skeptiker von TTIP. Deshalb darf man als seriöser Politiker Zweifel haben, dass das Freihandelsabkommen überhaupt kommt.
"Bild am Sonntag": Auch gegen CETA gibt es in der SPD massive Vorbehalte
Olaf Scholz: Ich glaube wie Sigmar Gabriel auch , dass das Freihandelsabkommen mit Kanada sehr gut verhandelt ist und eine Blaupause für weitere Verträge sein sollte. Wir sitzen hier mit Blick auf den Hafen. Er zeigt, wie wichtig der Freihandel für Deutschland ist. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich die SPD beim Parteikonvent für CETA ausspricht.
"Bild am Sonntag": Muss Gabriel zurücktreten, wenn es schiefgeht?
Olaf Scholz: Sigmar Gabriel ist ein guter Vorsitzender und er macht weiter. Ich wünsche mir, dass ihm die Parteimitglieder beim Konvent folgen.
"Bild am Sonntag": Ihr Motto heißt gutes Regieren.
Olaf Scholz: Sehr richtig.
"Bild am Sonntag": Laut dem Scholzschen Motto würden die Leute dann auch wieder SPD wählen. Was hat eigentlich der Wirtschaftsminister Gabriel, zuständig für steigende Energiekosten, Waffenexporte, TTIP und CETA, mit seiner Regierungsarbeit der SPD gebracht?
Olaf Scholz: Ich teile die Skepsis nicht, die in Ihrer Frage mitschwingt. Gabriel hat die Aufgabe als Bundesminister, Deutschland voranzubringen. Das hat er gut gemacht. Bei der Energiewende hat er ein Ergebnis erreicht, dass den vielen, sich teils widersprechenden Interessen gerecht wird das ist eine große Leistung.
"Bild am Sonntag": Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat Gabriel jetzt auch noch Geheimverhandlungen und Befangenheit vorgeworfen, seine Ministererlaubnis für die Edeka/Tengelmann-Fusion gekippt.
Olaf Scholz: Ich finde, wir sollten das Urteil im Hauptverfahren abwarten. Ich halte die Ministererlaubnis für richtig. Es ist ein gutes Argument, sich für Arbeitsplätze einzusetzen. Ich kann nur hoffen, dass jetzt nicht Tausende Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, weil es zu Verzögerungen kommt. Die meisten SPD-Spitzenpolitiker reagieren auf Fragen zum maladen Zustand ihrer Partei leicht genervt. Scholz bleibt freundlich. Er wird seit Monaten immer mal wieder als Kanzlerkandidat und SPD-Chef gehandelt.
"Bild am Sonntag": Schleswig-Holsteins Regierungschef Torsten Albig sagt, dass es 2017 für die SPD gar nicht ums Kanzleramt geht, sondern nur um die Regierungsbeteiligung mit der Union. Hat er recht?
Olaf Scholz: Nein, die SPD hat Chancen aufs Kanzleramt. Der Abstand zwischen Union und SPD ist kleiner geworden. Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger einen Sozialdemokraten als Kanzler vorstellen können, haben wir schnell zehn Prozentpunkte mehr.
"Bild am Sonntag": Der Spiegel hat gerade geschrieben, dass Sie für eine Kanzlerkandidatur 2017 bereit stünden. Stimmts?
Olaf Scholz: Wenn ich alles kommentieren würde, was irgendjemand über mich schreibt, hätte ich nichts anderes zu tun. Der SPD-Vorsitzende wird Anfang nächsten Jahres einen Vorschlag machen.
"Bild am Sonntag": Und wenn er Ihren Namen nennt?
Olaf Scholz: Ich glaube, wir spielen hier gerade Topfschlagen
"Bild am Sonntag": oder Wie-weiche-ich-einer-Antwort-aus
Olaf Scholz: Sie haben mich nach dem Warmlaufen für eine Kanzlerkandidatur gefragt? Ich laufe mich nie warm, nicht mal vor dem Joggen. Wir haben mit Sigmar Gabriel einen Vorsitzenden, dem man zu Recht das Kanzleramt zutraut.
"Bild am Sonntag": Und Sie persönlich sind die Nach-Merkel-Hoffnung der SPD?
Olaf Scholz: Es ist sehr nett, was Sie mir alles zutrauen. Wir brauchen jetzt eine Bundesregierung, die einen Plan hat. Da ist die SPD deutlich besser als Frau Merkel. Das Ziel meiner Partei muss es sein, stärkste Kraft zu werden. Dann kann die SPD die Regierung führen.
Das Interview führten Roman Eichinger und Angelika Hellmann.