Frankfurter Rundschau: Herr Scholz, erklären Sie uns doch bitte den grundlegenden Unterschied zwischen Hamburg weiter vorn und Hamburg gibt die Richtung vor.
Olaf Scholz: Hamburg hat sich in den vergangenen vier Jahren gut entwickelt, und der von mir geführte Senat hat sich an alle Zusagen und Versprechen gehalten, die wir vor der Wahl gegeben hatten. Es geht also darum, an diese gute Arbeit anzuknüpfen und dafür zu sorgen, dass Hamburg sich weiter gut entwickelt. Wir haben ambitionierte, ehrgeizige und glaubhafte Ziele formuliert, die wir erreichen können. Das haben wir vor vier Jahren gemacht, und das machen wir auch für die nächsten fünf Jahre. Das meinen wir mit Hamburg weiter vorn.
Frankfurter Rundschau: Der andere Slogan stammt von der FDP. Und da er Ihrem doch ziemlich ähnelt
Olaf Scholz: unterschätzen Sie die Hamburgerinnen und Hamburger nicht. Die haben klare Vorstellungen, was gemeint ist. Sie wussten auch 2011 genau, was wir meinten, als wir Klarheit, Vernunft und Verantwortung versprochen haben. Das war nämlich das, was sie an der Regierung aus Union und Grünen vermisst hatten. Sie wollten, dass das ordentliche Regieren Einzug hält, und das ist passiert.
Frankfurter Rundschau: Was haben Sie anders gemacht?
Olaf Scholz: Drei Punkte sind hervorzuheben. Erstens haben wir viel dafür getan, dass sich die Stadt auch wirtschaftlich und bei den Arbeitsplätzen positiv entwickelt. Man hört das auch von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Der Chef des Industrieverbands wünscht der SPD sogar weiter eine absolute Mehrheit. Das ist doch was.
Frankfurter Rundschau: Zweitens?
Olaf Scholz: Wir haben den vorher vernachlässigten Wohnungsbau wieder angekurbelt. Am Ende der vorigen Legislaturperiode fehlten fast 40.000 Wohnungen. Wir haben in vier Jahren mehr als 36.000 Baugenehmigungen erteilt, und in den letzten beiden Jahren haben wir das Ziel erreicht, mehr als 6000 Wohnungen pro Jahr zu bauen. Darunter waren allein 2014 übrigens 2000 Sozialwohnungen und 1000 bei der städtischen Wohnungsgesellschaft SAGA GWG, die jahrelang kaum gebaut hatte.
Frankfurter Rundschau: Teile der Opposition kritisieren, dass die Zahl der Sozialwohnungen trotz allem sinke, weil ja bei einem Teil des Bestandes jeweils die Sozialbindung ausläuft.
Olaf Scholz: Die einseitige Darstellung der Partei Die Linke, die Sie eben wiedergegeben haben, versucht den größten sozialpolitischen Erfolg einer Landesregierung im Wohnungsbau zu diskreditieren. Weder die städtische Wohnungsgesellschaft noch die Genossenschaften erhöhen die Mieten nach dem Auslaufen der Förderung über das Maß hinaus. Die Miete einer Sozialwohnung in einer Großsiedlung der 60er Jahre bleibt auch nach Wegfall der Bindung niedrig. Der Preisdruck liegt doch heute in den Szenequartieren. Dort bauen wir jetzt auch Sozialwohnungen. Wir subventionieren das mit jährlich 100 Millionen Euro, Tendenz steigend.
Frankfurter Rundschau: Es stimmt also, dass die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, aber
Olaf Scholz: Die Zahlen gehen runter, weil Bestände in den Großwohnsiedlungen aus der Bindung fallen. Aber wir bauen in der ganzen Stadt, obwohl es sehr teuer ist. Letztes Jahr haben wir mehr Bindungen geschaffen als weggefallen sind. Hamburg fördert pro Kopf rund zehn Mal so viele Wohnungen, wie im Bundesdurchschnitt. Trotz der vielen Zuzüge nach Hamburg gibt es bei uns im Bestand eine Durchschnittsmiete von rund 7,50 Euro pro Quadratmeter, bei den Genossenschaften und unserer städtischen Wohnungsgesellschaft mit jeweils rund 130.000 Wohnungen sogar darunter. Bei der SAGA lag die Durchschnittsmiete im frei finanzierten Bestand 2013 bei 6,25 Euro, also auf dem Niveau neuer Sozialwohnungen. Zusätzlich haben wir die Zahl der Sozialen Erhaltungsverordnungen von einer auf sieben ausgeweitet und die Möglichkeiten der Mieterhöhung begrenzt. Die beschlossene Einführung der Mietpreisbremse und des Bestellerprinzips bei der Einschaltung von Maklern helfen den Mietern.
Frankfurter Rundschau: Fehlt noch Punkt drei.
Olaf Scholz: Wir haben dafür Sorge getragen, dass es ein flächendeckendes Angebot an Krippen, Kitas und Ganztagsschulen gibt. Die fünfstündige Betreuung in der Kita haben wir gebührenfrei gemacht, während die vorherige Regierung die Gebühren noch erhöht hat. Wir haben flächendeckende Ganztagsbetreuung. An beiden weiterführenden Schulen in Hamburg kann man das Abitur machen und danach studieren, ohne Studiengebühren zahlen zu müssen. Denn auch die haben wir gestrichen. Und wir haben etwas ganz Neues auf den Weg gebracht, nämlich die Jugendberufsagentur. Sie sorgt dafür, dass der Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung klappt. Dieses Modell ist mittlerweile bundesweit Vorbild. Das zu Ihrer Frage, was wir anders machen. Eine Menge, wie ich finde.
Frankfurter Rundschau: An welcher Stelle haben Sie nicht erreicht, was Sie sich vorgenommen hatten?
Olaf Scholz: Wir haben eine ganze Reihe von Baustellen übernommen, mit denen sich die Stadt noch lange beschäftigen wird. Eine davon, die Elbphilharmonie, wird jetzt fertiggestellt. Die Probleme bei der HSH Nordbank, Folgen der Großmannssucht unserer Vorgänger, werden uns noch lange beschäftigen, auch wenn wir die Sache jetzt auf einen guten Kurs gebracht haben. Und selbstverständlich hätten wir gehofft, dass bei der Fahrrinnenanpassung der Elbe auch das gerichtliche Verfahren schon beendet sein würde.
Frankfurter Rundschau: Grüne, Linke und Umweltverbände werfen Ihnen vor, es gehe vorrangig um die Interessen der Wirtschaft und nicht um den Erhalt der Umwelt.
Olaf Scholz: Ich mache eine Politik, die gut ist für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Und selbstverständlich ist auch die Fahrrinnenanpassung oder Elbvertiefung, wenn Sie wollen ökologisch vertretbar. Im Gerichtsverfahren spielt die Frage nach dem Ob keine Rolle mehr.
Frankfurter Rundschau: Anfang des vergangenen Jahres wurden in mehreren Stadtteilen Gefahrengebiete ausgewiesen. Hier fordern Teile der Opposition, diese Möglichkeit aus dem Polizeirecht zu entfernen.
Olaf Scholz: Kleine Teile der Opposition, um genau zu sein. Diese Regeln sind nichts besonderes, es gibt sie nicht nur in Hamburg. Es ist notwendig, dass es die Möglichkeit gibt, verdachtsunabhängige Kontrollen in speziellen Gebieten und in bestimmten Situationen vorzunehmen. Übrigens interessiert sich außer Journalisten, die nicht in Hamburg wohnen, kaum mehr jemand für das Thema. Das von einer Volksinitiative in Hamburg angestrebte zur Aufhebung des Instruments hat nicht einmal die erste von drei erforderlichen Hürden genommen.
Frankfurter Rundschau: In Hamburg wird viel über die Aufnahme von Flüchtlingen diskutiert, aber solche Aufwallungen wie in Dresden gibt es nicht. Warum?
Olaf Scholz: Hamburg ist eine weltoffene Stadt, in der seit Jahrhunderten nicht nur Güter ausgetauscht wurden. Es geht auch um kulturellen Austausch, um Gedanken und Ideen, die nicht an Grenzen haltmachen. Das hat unsere Mentalität sehr geprägt und auch die Stadt selbst. Das positive Zusammenleben betrifft auch Weltanschauungen oder religiöse Bekenntnisse. Wir haben einen Vertrag mit den muslimischen Verbänden geschlossen wie zuvor mit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde. Unsere Einbürgerungsinitiative hat zur höchsten Einbürgerungsquote der Bundesländer geführt. Im vergangenen Jahr haben wir für die Unterbringung von Flüchtlingen etwa 300 Millionen Euro ausgegeben. Es haben sich sehr viele Bürgerinnen und Bürger gefunden, um in den Unterkünften zu helfen. Das finde ich großartig.
Frankfurter Rundschau: Im Zusammenhang mit einer Gruppe von Flüchtlingen, die seit bald zwei Jahren unter dem Motto Lampedusa in Hamburg ein Bleiberecht fordern, ist Ihnen Herzlosigkeit vorgeworfen worden. Warum gewähren Sie dieser Gruppe kein Bleiberecht?
Olaf Scholz: Weil es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt und weil für alle Flüchtlinge das Gleiche gelten muss: Man muss sagen, wer man ist, warum man Schutz braucht und warum man bleiben möchte. Es ist niemandem vermittelbar, dass eine bestimmte Gruppe von Männern anders behandelt werden soll, als die vielen übrigen Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen.
Frankfurter Rundschau: Für den Fall, dass Sie anders als bisher einen Koalitionspartner brauchen, haben Sie immer gesagt: Dann fragen wir die Grünen. Was aber, wenn die FDP es ins Parlament schafft? Schließen Sie aus, es mal wieder sozialliberal zu versuchen?
Olaf Scholz: Wir sind selber sozialliberal, und im Übrigen glaube ich nicht, dass die FDP in die Bürgerschaft einziehen wird. Ich bleibe bei dem, was ich schon vor vier Jahren gesagt habe: Wir streben ein starkes Mandat für die SPD an, und falls wir einen Partner brauchen, fragen wir die Grünen. Bei der letzten Wahl haben die Wählerinnen und Wähler der SPD daraufhin ein starkes Mandat erteilt.
Das Interview führte Stephan Hebel