Sehr geehrter Herr Dogan,
sehr geehrter Herr Deylan,
lieber Ali Şimşek,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die freundliche Einladung zu Ihrem Kulturfest, das Sie anlässlich des fünfjährigen Jubiläums der Alevitischen Gemeinde Bergedorf feiern.
Es ist mir eine große Freude, dass ich heute hier zu Ihnen sprechen kann, denn ich bin der Alevitischen Gemeinde in Hamburg schon seit vielen Jahren verbunden.
Erlauben Sie mir, zu Anfang einen Ihrer größten Heiligen und Mystiker und bekanntesten Gelehrten der islamischen Welt zu zitieren, Hacı Bektaş Veli. Von ihm ist folgender Satz aus dem 13. Jahrhundert überliefert:
Respektiere alle Kulturen, Religionen und Völker.
Der im Alevitentum tief verwurzelte Gedanke, alle Individuen in ihren Unterschieden zu akzeptieren und sie gleich zu behandeln, ist angesichts der jüngsten Terroranschläge wichtiger denn je für unseren gesellschaftlichen Frieden.
Ich spreche nicht nur von den entsetzlichen Attentaten in Paris.
Ich spreche von radikalen Fanatikern, die weltweit, besonders im Irak, in Syrien oder Nigeria, eine ganze Religion in Verruf bringen.
Ich spreche von islamfeindlichen Vorfällen und Bewegungen, von tendenziöser Berichterstattung und Propaganda, die keinen Unterschied machen will zwischen Muslimen und fanatischen Gewalttätern.
Und ich spreche von zunehmendem Antisemitismus.
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von Extremisten egal welcher Couleur auseinandergerissen wird.
Vor nicht allzu langer Zeit hat Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, einen bemerkenswerten Satz gesagt.
Er sagte: Ich bin Jude, wenn Synagogen brennen. Ich bin Christ, wenn Christen verfolgt werden. Und ich bin Moslem, wenn eine Moschee beschädigt wird.
Wenige Monate später nun, nach dem Angriff auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris, müssen wir diesen Satz erweitern:
Ich bin Charlie, wenn unsere Zivilisation angegriffen wird. Ich bin Charlie, wenn unsere Werte und unsere weltoffene und tolerante Gesellschaft attackiert werden. Und wenn die Freiheit der Religion, der Presse, Meinung und Künste zur Zielscheibe wird. Egal, ob ich Jude, Christ oder Muslim bin.
Meine Damen und Herren,
die gesamte freie Welt ist Charlie und beschwört mit dieser Formel einen mächtigen Geist den eines neuen Wir-Gefühls. Überall steht man zusammen, gleich welcher Hautfarbe und Religion, und verteidigen unsere Werte gegen all jene, die sie aushebeln wollen. Dabei setzen sie nicht nur ein starkes Zeichen gegen den Terror, sondern sie zeigen in Paris, Berlin und überall, wie Vielfalt zur Stärke wird. Auch in Hamburg!
Wir dürfen nicht zulassen, dass der Terror zur weiteren Ausgrenzung führt. Bei uns darf kein Platz sein für Antisemitismus und Islamphobie. Denn wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der wir die eigene Religion und Kultur gemeinsam, frei und öffentlich leben können, in der das Miteinander verschiedener Religionen und Kulturen als Bereicherung empfunden wird und nicht als etwas Trennendes.
Wer versteht das besser als Sie, meine Damen und Herren!
Schon aus eigener Erfahrung lehnen die Aleviten jede Form kultureller Abschottung ab und bekennen sich zur pluralistischen Gesellschaft.
Durch Ihre Geschichte sind Sie sich der Möglichkeiten und Freiheiten, die unsere Gesellschaft bietet, in besonderer Weise bewusst, und deshalb sind Sie, meine Damen und Herren, für uns ein unverzichtbarer Dialogpartner geworden, wenn es um Fragen der Zukunft unserer Stadt und des Zusammenlebens untereinander geht.
Sie setzen sich mit Engagement für unsere Demokratie ein, für Gerechtigkeit, Freiheit, Integration und Toleranz, und Sie sind auf diese Weise beispielgebend für ein gutes Miteinander der Kulturen und Religionen.
Bei uns in Hamburg leben Schätzungen zufolge rund 130.000 Muslime und etwa 50.000 Aleviten.
Als traditionell weltoffene Stadt sind wir seit Jahrhunderten auch eine Stadt der religiösen Toleranz und des Neben- und Miteinanders von Bürgern unterschiedlicher Glaubensrichtungen.
Daran ändern auch diejenigen nichts, die mit dumpfen islamfeindlichen Parolen, Fremdenhass und Intoleranz die Gesellschaft spalten wollen oder jene, die die Religion benutzen, um uns mit ihrem Hass ihre barbarische Weltsicht aufzudrücken.
Wir sind und bleiben eine bunte, vielfältige, weltoffene und tolerante Gesellschaft!
Mit unserem Integrationskonzept Teilhabe, Interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt wollen wir diese Vielfalt, unsere Gemeinsamkeit und Weltoffenheit bekräftigen und die Willkommenskultur in unserer Stadt weiter stärken.
Wir wollen Teilhabe für alle ermöglichen, die Potenziale aller Stadtbewohner besser erkennen, anerkennen und erschließen, einschließlich die der vielen Flüchtlinge, die bei uns Schutz vor Krieg und Vertreibung suchen.
Und wir werben dafür Ali Şimşek wird es bestätigen , dass alle Einwohnerinnen und Einwohner, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion, Hamburgerinnen bzw. Hamburger sind. Ein Wir prägt unsere Stadt und das ist nun auch amtlich: Denn erst im vergangenen Monat wurde eine Bevölkerungsumfrage im Auftrag der Sozialbehörde zum Zusammenleben in Hamburg veröffentlicht.
Die Ergebnisse sind erfreulich, weil sie belegen, dass die Integration von Zuwanderern gut zu gelingen scheint und dass das Bedürfnis nach engerem Zusammenleben von fast allen Bürgerinnen und Bürgern geteilt wird.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass sich 99 Prozent der Deutschen und 98 Prozent der Hamburger mit Migrationshintergrund in ihrer Stadt wohlfühlen. Jeweils mehr als 90 Prozent der Deutschen und der Zuwanderer geben an, gute Erfahrungen miteinander gemacht zu haben. 94 Prozent der deutschstämmigen Hamburger waren sogar der Meinung, es sei positiv, wenn Zuwanderer und Deutsche im selben Stadtteil zusammenlebten.
Das ist auch vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Zahl neu Ankommender ein ermutigendes Signal für die Willkommenskultur in Hamburg.
Wie genau diese aussehen kann, zeigen Tag für Tag Tausende von engagierten Bürgern, bei denen die vielen Flüchtlinge eine beispiellose Welle der Solidarität ausgelöst haben.
Überall in der Stadt schließen sich derzeit Gruppen zusammen, um ihnen zu helfen: Sie bieten Deutschkurse an, begleiten die Flüchtlinge bei Behördengängen, zeigen ihnen die Stadt, initiieren Kinderspielgruppen und spenden Kleidung. Ich bin stolz darauf, dass wir nicht nur für eine Willkommenskultur werben, sondern sie über alle Kulturen, Sprachen, Generationen und Institutionen hinweg mit Leben erfüllt wird.
Die Einbürgerung ist neben der Art, wie man aufgenommen wird, eine Hauptvoraussetzung für einen gelingenden Integrationsprozess. Deshalb werde ich in einer bundesweit beispiellosen Einbürgerungsoffensive bis Ende März alle 155.000 infrage kommenden Hamburgerinnen und Hamburger angeschrieben haben mit der Einladung, ihre Heimatstadt mitzugestalten gleichberechtigt und vollständig. Diese Initiative stößt auf ein riesiges Echo: Hamburg hat inzwischen die höchste Einbürgerungsquote in Deutschland.
Darüber hinaus war Hamburg das erste Bundesland, das ein Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht hat, damit im Ausland erworbene Berufsabschlüsse auch in Deutschland gelten.
Wir haben dafür gesorgt, dass Kinder von Eltern mit unsicherem Aufenthaltstitel durch einen Schulabschluss eine gesicherte Perspektive in Deutschland bekommen können und hier geborene Jugendliche ausländischer Eltern sich nicht mehr zwischen unserer Staatsbürgerschaft und der ihrer Eltern entscheiden müssen.
Und wir haben Pionierarbeit bei der Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde geleistet, als wir vor gut zwei Jahren den Vertrag mit ihren Vertretern unterschrieben haben.
Meine Damen und Herren,
Ihre Gemeinde ist ein eindrucksvoller Beleg für die Aussage, die wir in der Präambel des Vertrages formuliert haben, nämlich, dass die Bürgerinnen und Bürger alevitischen Glaubens nach einer mehr als 50-jährigen Migrationsgeschichte zu einem festen Bestandteil unserer Gesellschaft geworden sind.
Und dabei ist es sicher noch einmal eine besondere Herausforderung, nicht nur zu einem festen Bestandteil der Hamburger, sondern auch der Bergedorfer Gesellschaft zu werden, also dieses sehr speziellen Bezirks, der sich selbst mit dem schönen, geradezu orientalischen Motto beschreibt: Wo in Hamburg die Sonne aufgeht.
Die Alevitische Gemeinde Bergedorf, wenngleich noch jung, ist längst über den Kreis der eigenen Mitglieder hinaus im Stadtteil aktiv und überaus anerkannt. Ich freue mich schon auf das heutige Kulturprogramm, das uns einen anschaulichen Eindruck davon vermitteln wird.
Vielen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.