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04.12.2008

Interview mit der Stuttgarter Zeitung

Sie waren eben bei einer Betriebsversammlung bei Daimler. Wie steht es um die Automobilindustrie?


Die Lage ist ernst. Das zeigen die rückläufigen Zahlen bei den Auftragseingängen. Ich fand es aber ermutigend, dass in diesem konkreten Fall das Bemühen spürbar war, die Belegschaft im Betrieb zu halten. Das entspricht der Botschaft, die wir ausgesendet haben: Entlasst die Leute nicht, ihr braucht sie noch, und wir helfen euch dabei, indem wir das Kurzarbeitergeld statt sechs Monate 18 Monate zahlen. Zusätzlich haben wir die Möglichkeit geschaffen, die Beschäftigten in dieser Zeit zu qualifizieren. Trotzdem wird die Krise Folgen haben. Das spüren im Moment schon diejenigen, die befristet beschäftigt waren oder als Leiharbeiter in den Unternehmen gewesen sind.

Sie werben gemeinsam mit dem Vizekanzler für einen Rettungsschirm für Arbeitsplätze. Kann die Politik Massenentlassungen vermeiden?

Der Staat kann nicht alle Risiken absichern. Wichtig ist, dass wir wieder Vertrauen in die Zukunft herstellen. Deshalb haben wir viel unternommen, um diejenigen zu belohnen, die an ihren Investitionsentscheidungen festhalten. Wir tun das mit den von uns beschlossenen Sonderabschreibungsmöglichkeiten, mit der Förderung der energetischen und ökologischen Sanierung des Gebäudebestandes, mit der Finanzierung baureifer Infrastrukturprojekte. Ich weiß, das hilft nicht gegen alles, aber es hilft.

Wie schätzen Sie die Situation auf dem Arbeitsmarkt im kommenden Jahr ein?

Wir stehen im Moment gut da, aber zur Wahrheit gehört auch: wir stehen vor schlechten Zeiten. Für diese Zeiten müssen wir uns rüsten. Was da genau auf uns zukommt, weiß keiner. Die Prognosen, die wir aktuell haben, besagen, dass wir zwar mit einer schwierigeren Entwicklung als in diesem Jahr zu rechnen haben, dramatische Folgen auf dem Arbeitsmarkt werden aber noch nicht vorhergesagt. Trotzdem haben alle ein mulmiges Gefühl. Ich auch.

Waren die Beschäftigten bei Daimler zufrieden mit dem, was die Koalition beschlossen hat? Oder sollen Sie noch drauflegen?

In dieser Situation ist Besonnenheit gefragt. Die meisten verstehen das. Sie wissen, dass wir das Geld, das wir für eine schwere Zeit benötigen, nicht dreimal ausgeben können. Wir prüfen genau, ob wir über das Beschlossene hinaus noch weitere Schritte unternehmen müssen. Aber zugleich muss klar sein, dass es keinen Sinn macht, für ein paar Tage gute Berichterstattung, Milliarden auszugeben, die zwei Monate später für echte Problemlösungen benötigt werden.

Nicht nur Sachverständigenrat und OECD kritisieren das Konjunkturpaket, sondern auch Arbeitgeber und Gewerkschaften. Schmerzt Sie Kritik der Arbeitnehmer?


Nein. Es ist völlig in Ordnung, dass sich jetzt alle Gedanken machen, weil die Lage besorgniserregend ist. Interessant ist aber schon, wie bei den Arbeitgebern jetzt frühere Staatsverächter zur Staatsverschuldung aufrufen, um Konjunkturpakete zu finanzieren. Manche haben nicht einmal eine Sekunde des Schams benötigt, um das Gegenteil von dem zu sagen, was sie in den vergangenen Jahrzehnten für das Allerheiligste gehalten haben. Die Regierung ist zu außergewöhnlichen Maßnahmen bereit, wie sich am Schutzschirm für die Finanzmärkte gezeigt hat. Ich bin dennoch dafür, dass wir mit Augenmaß handeln.

Sie reden wie die Kanzlerin...

Ich rede wie der Kanzlerkandidat der SPD, der den Schutzschirm für Arbeitsplätze angestoßen hat.

Angela Merkel bremst zwar, sagt aber zugleich, sie halte sich alle Optionen offen. Was wäre mit der SPD nicht zu machen?

Für uns käme ein reines Steuergeschenk an Spitzenverdiener sicherlich nicht in Betracht. Interessant ist übrigens, dass kaum jemand die Frage beantwortet, wie die Wünsche bezahlt werden sollen.

Wären Konsumgutscheine vernünftig? In Ihrer Partei wird das heftig diskutiert.

Ich mahne zur Besonnenheit. Wir haben eben erst ein Paket beschlossen, dass mehrere Milliarden an Investitionen bewegt. Und wir werden nicht zögern, mehr zu tun, wenn es nötig und sinnvoll ist. Nun müssen all diese Dinge aber erst mal wirken. Wir werden, das ist mir persönlich wichtig, jenen besonders helfen, die entlassen werden. Deshalb wird die Zahl derer, die sich um die Vermittlung Arbeitsloser kümmern, massiv ausgebaut. Bei der Bundesagentur werden wir sofort die Job-to-Job-Vermittlung um 1000 Kräfte aufstocken. Bei den Arbeitsgemeinschaften kommen innerhalb der nächsten Jahre knapp 7000 zusätzliche Vermittler hinzu. Und darüber hinaus werden wir in den nächsten drei Jahren aus fast 10.000 Stellen von Mitarbeitern der Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften unbefristete Stellen machen.

Es ist noch immer nicht klar, wie die Jobcenter zur Betreuung Langzeitarbeitsloser organisiert sein sollen. Bund und Länder streiten noch. Ist das in diesen ungewissen Zeiten nicht eine Belastung?


Wir brauchen jetzt Klarheit über die künftige Struktur. Schon jetzt lässt sich sagen, was passiert, wenn wir keine Einigung hinbekommen. Dann werden Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen die Betreuung der Empfänger von Arbeitslosengeld II getrennt wahrnehmen. Ich strebe das gewiss nicht an. Nach einjährigen Verhandlungen sind wir einer Einigung recht nahe. Nun beschäftigen sich manche Ministerpräsidenten zum ersten Mal mit der Sache. Ich hoffe, die Diskussion beginnt jetzt nicht von vorn.

Die Bundesagentur für Arbeit hat angekündigt, dass sie sich ganz aus den gemeinsamen Jobcentern zurückziehen könnte, wenn es bis zum Jahresende keine Lösung gibt. Kommt es zur Eskalation?

Nein. Wir wollen eine rasche Entscheidung noch in diesem Jahr. Es ist bedauerlich, dass alles so lange dauert. Aber: es wäre falsch, wenn wir nicht alle Möglichkeiten zum gemeinsamen Vorgehen ausloten würden.

Die Rentenversicherung hat die Finanzkrise bisher gut überstanden. Mit welcher Rentenerhöhung können die älteren Menschen im nächsten Jahr rechnen?

Ich will keine konkrete Vorhersage machen. Aber alles spricht dafür, dass wir eine deutlichere Rentenerhöhung bekommen werden als in diesem Jahr. Es wird einen ordentlichen Aufschlag geben, der auch gerechtfertigt ist. Dies ist ein Zeichen der Stabilität in einer schwierigen Situation.

Müssten Sie die Milliardenreserven der Rentenkasse nicht nutzen, um die Beiträge auch dort zu senken?


Das SPD-Konzept beruht darauf, die Beiträge mit Hilfe von Steuereinnahmen zu senken, wenn wir über entsprechende Steuereinnahmen verfügen. Wir wollen aber nicht die Einnahmebasis der Sozialversicherungen schmälern. Das gilt besonders für die Rentenversicherung. Nach schwierigen Phasen haben wir die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung wiederhergestellt. Deshalb können wir uns ja auch im kommenden Jahr eine kräftige Rentenerhöhung leisten, deshalb verfügen wir zudem noch über stabile Reserven. Es wäre ein Stich in das Herz der Rentner, wenn wir mit Beitragssenkungen die Rücklagen für die Rente angreifen würden. Das ist deshalb mit mir nicht zu machen.

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Stuttgarter Nachrichten.