taz: Herr Scholz, haben Sie sich schon bei den Grünen bedankt? Die Neuwahlen in Hamburg bescheren Ihnen einen Auftakt nach Wunsch im Jahr 2011.
Olaf Scholz: Nein. Schwarz-Grün war nach dem Rücktritt des Finanzsenators am Ende. Die Aufkündigung der Koalition durch die GAL war da nur konsequent.
Wie freundschaftlich ist Ihr Verhältnis zu den Grünen?
Die meisten führenden Grünen kenne ich schon lange. Wir sind uns immer freundschaftlich verbunden geblieben. Das muss gehen in der Politik - und das geht auch.
Bei anderen Sozialdemokraten hört man fast in jedem öffentlichen Statement eine Spitze gegen die Grünen. Eine bewusst andere Strategie?
Ich empfehle der SPD und den Grünen einen entspannten Umgang miteinander. Trotz verschiedener politischer Konzepte sind es die Parteien in Deutschland mit den größten Schnittmengen.
2001 sind SPD und Grüne in Hamburg im Streit auseinandergegangen. Was wollen Sie besser machen?
Die SPD hat aus fast zehn Jahren Opposition gelernt. Ich sehe keine problemfreie Welt. Aber es ist möglich, gut miteinander Politik zu machen.
Mit einem Protestpapier der Seeheimer kam gerade eine Strategiediskussion auf. Können Sie sich jetzt um diese drücken?
Wir haben seit der letzten Bundestagswahl mit dem für uns schlechten Ergebnis eine Langstrecke zu bewältigen. Wir stehen besser da als die Regierung. Rot-Grün hat mehr Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern als Schwarz-Gelb. Vertrauen für die SPD kann aber nur langsam wachsen. Und wir werden jetzt nicht hektisch bis nachts um zwei Papiere verfassen, um sie am nächsten Morgen verkünden zu können. Wie setzen auf eine sorgfältige Entwicklung belastbarer Konzepte.
Ist für Sie die aktuelle Situation keine Krise?
Gemessen an dem, was nach der Bundestagswahl hätte passieren können, steht die SPD gut da. Sollen wir uns jetzt den Blick dafür verbauen, nur weil wir in den Umfragen noch nicht so gut stehen, wie wir uns wünschen?
Die SPD steht in vielen Themen zwischen den Positionen von CDU und Grünen - Stuttgart 21, Integration. Müssen Sie jetzt nicht klare Kante zeigen?
Nein. Unsere Vorschläge müssen visionär sein, sie müssen aber vor allem funktionieren. Wenn links und rechts von uns Parteien Dinge vorschlagen, die nicht funktionieren, müssen wir darüber nicht besorgt sein.
In einer streitlustigen Partei wie der SPD haben Sie kaum Feinde. Was ist eigentlich das Geheimnis von Olaf Scholz?
Ich lästere nicht. Auch nicht, wenn kein Mikrofon angeschaltet ist. Vielleicht liegt es daran.
Holen Sie eine Migrantin oder einen Migranten ins Kabinett?
Ich habe seit Jahrzehnten Migrantinnen und Migranten in der SPD gefördert. Aber ich werde kein Schattenkabinett aufstellen. Das ist eine Marotte, die es in vielen anderen Ländern gar nicht gibt. Wenn ich einen Regierungsauftrag habe, werde ich eine Regierung bilden - mit den besten Leuten. Es wird sicher auch Überraschungen geben.
Was hat die SPD bei dem Thema Migration verschlafen?
Wir sind in dem Thema engagiert. Ich wünsche mir, dass das sichtbarer wird. Und wir dürfen uns in Fragen der Integration nicht ausruhen.
Es ist Ihnen richtig ernst?
Ja, das Thema liegt mir am Herzen. Ich habe vor Jahren die heutige Hamburger Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz in die Politik geholt. Sie ist ein Talent. Es ist wichtig, dass möglichst viele Migranten die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und sich in die Politik einmischen.
Ist es für die SPD Zeit, einen Migranten zum Minister zu machen?
Ja, die Zeit dazu ist längst gekommen. In allen Bundesländern. Auch in Hamburg.
Herr Scholz, warum wollen Sie nach der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2011 nicht mit der Linken koalieren?
Um eine solche Koalition geht es in Hamburg ja gar nicht. Es ist nach allen Umfragen sehr wahrscheinlich, dass die SPD mit den Grünen in Hamburg eine Koalition bilden kann. Warum sollte ich eine abstrakte Debatte über andere Konstellationen zulassen?
Falls es für Rot-Grün nicht reicht.
Ach, das ist was für Leute, die sich immer absichern wollen. Ich habe lieber den letzten Strohhalm, an den eine in größten Schwierigkeiten steckende CDU sich zu klammern suchte, weggezogen.
Alles nur taktisch motiviert?
Nein, in der Sache ist es ja auch eine richtige Ansage: Zu Rot-Rot-Grün wird es in Hamburg nicht kommen.
Würden Sie lieber mit einer bürgerlichen Protestpartei von Schulreform-Gegner Walter Scheuerl regieren als mit der Linken?
Wir reden über einen Parteibildungsprozess, der noch gar nicht stattgefunden hat. Und wenn man genau hinschaut, wartet ja im Augenblick niemand auf eine solche neue Partei.
Könnte am Ende Rot-Rot-Grün ohne Olaf Scholz regieren?
Nein. Das will ich nicht und das will die SPD auch nicht. Sowas fällt nur Leuten ein, die in dunklen Zimmern ohne Licht über Politik nachdenken. In der SPD gibt es die nicht.
Fraktionschef Michael Neumann hat parlamentarische Arbeit und Personal der Linken im taz salon über den grünen Klee gelobt ...
Faire Äußerungen können Sie auch von mir nachlesen. Nur weil die Fraktion der Partei "Die Linke" in der Bürgerschaft ordentliche Arbeit macht, heißt das ja nicht, dass man mit ihnen koalieren kann und muss.
Mathias Petersen, der auch einmal Ambitionen auf das Amt des Ersten Bürgermeisters hatte, warnt sogar vor "Panikmache" - droht darüber Streit in der SPD?
Alle stehen hinter mir.
Auch Petersen?
Alle.
Aber wer ordentliche Arbeit macht - mit dem muss man doch koalieren können.
Meine Perspektive ist Rot-Grün, das sage ich seit über einem Jahr in jedem Interview. Mich ärgert, dass statt über die Frage "Wie viele wählen SPD?" darüber diskutiert wird, wer noch zur Mehrheit gebraucht wird.
Warum sollten denn Hamburger SPD wählen, die ein gerechteres Schulsystem wollen?
Hamburg hat eine sehr moderne Schullandschaft: eine vierjährige Grundschule - auf Drängen der SPD mit sehr kleinen Klassen, höchstens 23 Schüler, in Gebieten mit schwierigem Bildungshintergrund hat keine Klasse mehr als 19 Schüler. Wir haben nur noch zwei weiterführende Schulformen: das Gymnasium und die Stadtteilschule. Und wir haben dafür gesorgt, dass die Eltern über die weitere Schullaufbahn nach Klasse vier entscheiden.
Birgt das nicht gerade das Risiko einer verschärften Abstimmung mit den Füßen: Wer irgend kann, flieht aufs Gymnasium, die Stadtteilschule wird zur neuen Restschule?
Die Stadtteilschulen müssen sehr gute Schulen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Eltern guten Gewissens auch Kinder dorthin schicken können, die das Gymnasium locker schaffen können. Die SPD hat durchgesetzt, dass jede Stadtteilschule eine Oberstufe bekommt, so dass jeder Achtklässler jemanden in der Elften sieht und denkt: Das kann ich auch. Es wäre verheerend gewesen, wenn die Mehrheit der Stadtteilschulen mit der zehnten Klasse geendet hätte.
Und wer das nicht schafft?
Über das System der Berufsbildung wollen wir langfristig sicherstellen, dass jeder und jede entweder das Abitur oder einen Berufsabschluss erreicht. Da kommen wir nur hin, wenn noch vor der Schule ein gutes Kita-Angebot besteht. Wir brauchen ein flächendeckendes Betreuungsangebot und wir werden die Grundversorgung von fünf Stunden beitragsfrei stellen.
Sie nehmen die schwarz-grüne Erhöhung der Elternbeiträge zurück?
Ja, aber das ist erst der Anfang.
Wie finanzieren Sie solche Wohltaten, wenn Sie gleichzeitig den Haushalt konsolidieren wollen?
Ich möchte mich an Bill Clintons erfolgreichem Prinzip "pay as you go" orientieren. Das heißt: Jedes Gesetz, das zu Mehrausgaben führt, muss bereits Einsparungen in entsprechender Höhe beinhalten.
Und wo sparen Sie die Mehrkosten im Kita-Bereich ein?
Wir werden das Geld im Haushalt suchen und finden.
Die Linke will noch vor der Wahl die von der CDU eingeführten Studiengebühren wieder abschaffen. Warum machen Sie nicht mit?
Studiengebühren gehören zu den Bildungsgebühren, die auf Dauer nicht bestehen bleiben können. Dass die Studiengebühren junge Leute aus nicht begütertem Hause vom Studieren abhalten, halte ich für eine Tatsache. Aber auch das müssen wir seriös finanzieren. Jetzt im Parlament Klamauk zu machen, ist nicht gut.
Hat das grüne Lieblingsprojekt einer neuen Stadtbahn noch eine Chance?
Wir müssen genau sehen, ob wir uns das Gesamtprojekt leisten können.
Es regt sich auch Widerstand. Kann die Stadtbahn Hamburgs Stuttgart 21 werden?
Solche Großvorhaben setzen voraus, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt ist.
Kann der städtische Wohnungskonzern SAGA-GWG seine Gewinne künftig in den Wohnungsbau investieren, statt sie an den Haushalt abzuführen?
Das ist zumindest eine Variante. Fest steht: Wir brauchen in Hamburg jedes Jahr 6.000 neue Wohnungen, davon ein Drittel Sozialwohnungen.
Das Interview führten J. KAHLCKE / G. REPINSKI. Sie finden das Interview auch auf der Homepage der taz und der taz hamburg.