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28.04.2010

Interview mit der WELT


DIE WELT: Herr Scholz, wie oft haben Sie Ursula von der Leyen (CDU) als Ihre Nachfolgerin an der Spitze des Arbeitsministeriums schon gratuliert?

Olaf Scholz: Ich wünsche ihr allzeit für unser Land viel Glück.

WELT: Frau von der Leyen ist die Jobcenter-Reform gelungen, sie holte die SPD dafür ins Boot. Sie weitet den Mindestlohn aus. Sie verlängert das Kurzarbeiter-Geld. Mancher sagt, von der Leyen agiere sozialdemokratischer als einstmals Olaf Scholz.

Scholz: Diese Aussage ist mir neu. Es ist doch ganz simpel: Unsere Politik der vergangenen Jahre war derart vernünftig, dass jeder, der davon abwiche, heftig kritisiert würde. Das weiß sicher auch Frau von der Leyen. Wir haben gegen den Widerstand der CDU/CSU Mindestlöhne durchgesetzt. Das war richtig und ich prophezeie Ihnen: In nicht zu ferner Zukunft wird es einen allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland geben. Danach wird vermutlich gar die FDP behaupten, sie sei schon immer dafür gewesen.

WELT: Betreiben die schwarz-gelbe Koalition und Ministerin von der Leyen eine neoliberale Politik, wie in Ihrer Partei immer wieder zu hören ist?

Scholz: Mal so, mal so. Die geplante Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse ist nicht in Ordnung. Aber uns Sozialdemokraten gelingt es zuweilen, die momentane Regierung auf den richtigen Weg zu führen. Bei der Reform der Jobcenter haben wir durchgesetzt, dass die arbeitsmarktpolitischen Programme nicht gekürzt werden. Dank unserer Initiative wird die Zahl der Arbeitsvermittler gesetzlich fixiert. Die Jobcenter werden nicht zerschlagen und sogar in der Verfassung verankert. Das sind große Erfolg der SPD errungen gegen die Regierung, gegen den Koalitionsvertrag.

WELT: Sie haben als Gegenleistung eingewilligt, die Zahl der Optionskommunen auszuweiten.


Scholz: An uns und dieser Frage ist die Jobcenter-Reform im vorigen Jahr nicht gescheitert, ebenso wenig wie an den 16 Ministerpräsidenten übrigens. Nur die Unionsfraktion sabotierte den damaligen Kompromiss. Die Optionskommunen bleiben auch weiter die Ausnahme.

WELT: Unter Ihrer Federführung hat die SPD ein Arbeitsmarktpapier verfasst. Wieso soll demnach ein arbeitsloser Besitzer mehrerer Häuser oder eines Schlosses künftig Hartz IV beziehen können?

Scholz: Ein wichtiger Aspekt unseres Konzepts besteht darin, die Zahl der Arbeitsvermittler auszuweiten. Und wir wollen das Normalarbeitsverhältnis stärken. Bei der Heranziehung des Vermögens für die Grundsicherung existieren schon jetzt sehr viele Ausnahmen. Wir wollen diese bürokratische Hürde beseitigen. Wer indes mehrere Häuser besitzt, hat keinen Anspruch auf Grundsicherung schließlich werden Einkünfte immer herangezogen.

WELT: Wie verhält es sich, wenn jemand negatives Einkommen aufweist?


Scholz: Bei leidglich 0,2 Prozent der Antragsteller wurde bislang wegen des Vermögens ncht geleistet. Nach den neuen Ausnahmen der Bundesregierung wird dieser Anteil weiter sinken. Eine riesige Bürokratie für einige wenige schwarze Schafe in Gang zu setzen, ist sinnlos. Für solche Fälle genügt die von uns vorgeschlagene Missbrauchsklausel.

WELT: Ihre Parteifreundin Hannelore Kraft sprach von jenen Menschen, denen eine Arbeitsvermittlung nicht mehr hilft. Für wie groß halten Sie diese Gruppe?


Scholz: Schwer zu sagen. Fest steht, das für Viele der öffentliche Arbeitsmarkt hilfreich ist.

WELT: Wie steht die SPD zur Rente mit 67?

Scholz: Das klären wir nach unserer derzeitigen Diskussion über die Alterssicherung bis zu unserem Parteitag im September. Unsere Position wird natürlich auch in der Kontinuität der bisherigen Politik stehen müssen. Aber es gibt nichts, was man nicht neu wenden kann. Auch in dieser Frage nicht.

WELT: Sie sind als Fraktionsvize zuständig für Inneres und Justiz. Wie lautet Ihr Rezept gegen die zunehmende Kriminalität in Hamburg und Berlin?

Scholz: Wer diese Gewalteskalation auf schwierige soziale Lagen reduziert, macht es sich zu einfach. Dieses Fehlverhalten muss klassisch bekämpft werden. Wir müssen die Taten aufklären und die Täter dingfest machen, das ist die beste Prävention von weiterer Gewalt. Die nicht aufgeklärten Anschläge auf in der Öffentlichkeit stehende Personen, eine Polizeiwache und Autos in meiner Heimatstadt Hamburg bedrücken mich. In Hamburg arbeiten zu wenig Polizisten an den Polizeikommissariaten. Das erschwert die Ermittlungen, was Polizei und Bevölkerung zu Recht beklagen.

WELT: Strebt die SPD ein neues NPD-Verbotsverfahren an?

Scholz: Wir wollen, dass die NPD verboten wird. Da sind wir uns einig mit ein paar von der CDU mitregierten Ländern und dem Freistaat Bayern. Es ist jetzt so weit, einen Weg für ein solches Verbotsverfahren zu finden.

WELT: Am 9. Mai wählt Nordrhein-Westfalen. Fürchtet die SPD dort Hamburger Verhältnisse, also Schwarz-Grün?


Scholz: Nein, wir setzen auf Rot-Grün und eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Die meisten Bürger wollen Rot-Grün.

WELT: Wäre Schwarz-Grün ein Desaster für die SPD?


Scholz: Dazu kommt es wohl nicht. Im Grundsatz gilt selbstverständlich: Was wir dürfen, dürfen andere auch. Übrigens knirscht es bei Schwarz-Grün in Hamburg ziemlich. Auch in den Meinungsumfragen verliert der schwarz-grüne Senat an Zustimmung.

WELT: Treten Sie als Spitzenkandidat der SPD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang 2012 an?

Scholz: Wir befinden uns im Jahre 2010 und werden im kommenden Jahr über den Spitzenkandidaten befinden. Ich wurde im November 2009 zum Landesvorsitzenden gewählt und freue mich sehr, dass SPD nun in Umfragen vor der Union liegt. Wir wollen auch bei der kommenden Bürgerschaftswahl stärkste Partei werden. Das ist nun offensichtlich sehr realistisch und ein rot-grüner Senat auch.

WELT: Rechnen Sie damit, dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wieder antritt?


Scholz: Das weiß ich nicht, und das ist auch nicht wichtig. Der Bürgermeister steht nicht mehr an der Spitze der Beliebtheitsskala.

Hier finden Sie das interview auf der Internetseite der WELT.