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01.10.2002

Interview mit der WELT

 

DIE WELT: Haben Sie lange überlegen müssen, als der Kanzler Sie fragte, ob Sie Generalsekretär werden wollen?

 

Olaf Scholz: Nein. Ich weiß, dass das eine große Herausforderung ist. Und die SPD ist etwas, das mich seit meinem 17. Lebensjahr nicht mehr losgelassen hat.

 

 

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Kanzler beschreiben?

 

Wir können uns aufeinander verlassen. Dass man Vertrauen zueinander hat, ist die Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit.

 

 

Und Loyalität?

 

Sie ist unverzichtbar.

 

 

Sie werden stellvertretend für Gerhard Schröder die Partei führen. Bringen Sie als "Kettenhund" des Kanzlers die Partei auf Linie?

 

Die SPD ist eine große demokratische Organisation. Sie lebt davon, dass die Mitglieder an der Diskussion beteiligt werden, dass sie Einfluss darauf nehmen, was wir politisch machen. Es ist Aufgabe des Generalsekretärs, der Basis das zu ermöglichen.

 

 

Was ist, wenn die Partei eine andere Auffassung hat als die Regierung?

 

Ich habe den Gegensatz zwischen Partei und Regierung immer für künstlich gehalten. Gute Konzepte einer Partei sind nur dann vernünftig, wenn sie auch als Regierungspolitik taugen. Gute Regierungspolitik wiederum setzt voraus, dass man sie auch unterstützenswert findet. Im Zentrum müssen die Fragen stehen, die Menschen bewegen.

 

 

Das klingt nett, aber auch utopisch. Werden Sie mit leisen Tönen oder mit Machtworten für Ordnung sorgen?

 

Machtworte sind langweilig, wenn man sie immer wieder ankündigt. Es geht darum, dass wir alle gut zusammenarbeiten.

 

 

Welche Reformen muss die Regierung als Erstes anpacken?

 

Sicher die Beschlüsse der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktpolitik. Auf der Tagesordnung stehen aber auch die Gesundheitspolitik und eine Bildungsreform. Zudem müssen wir darauf achten, dass der Haushalt solide finanziert bleibt.

 

 

Kritiker der Hartz-Kommission bemängeln, dass die Vorschläge darauf hinauslaufen, den Druck auf die Schwächeren in der Gesellschaft zu erhöhen. Was erwidern Sie den Kritikern?

 

Eine Arbeitsmarktreform, die allein den Druck auf die Arbeitslosen erhöht, wird es nicht geben. Allerdings muss die Vermittlung von Arbeitslosen effizienter und schneller werden. Und hier werden sich auch die Betroffenen bewegen müssen. Die geplanten Personalserviceagenturen sind wichtig, weil diese sich insbesondere der Lage der Langzeitarbeitslosen annehmen werden.

 

 

Was muss getan werden, dass die Beiträge zur Krankenversicherung nicht weiter steigen?

 

Das Geld, das eingenommen wird, muss vernünftig ausgegeben werden. Das wird der Kern unserer Vorschläge sein. Es geht nicht um strukturelle Änderungen, die dazu führen, dass Kranke nicht mehr die für sie nötige medizinische Behandlung bekommen. Eine Zwei-Klassen-Medizin lassen wir nicht zu.

 

 

Werden Sie die Zuzahlungen der Patienten für Medikamente erhöhen?

 

Nein.

 

 

Sie haben früher einmal für mehr Eigenverantwortung in der Gesellschaft plädiert…

 

…in dem Sinne, dass die Menschen das Wort Eigenverantwortung als Chance und nicht als Bedrohung begreifen. Viele Politiker meinen aber etwas anderes. Sie wollen den Menschen nicht mehr das gewähren, was sie bisher bekommen haben. Bei uns geht es um mehr Freiheit und nicht um weniger Geld. Das ist die Sache der FDP.

 

 

Sie sagten einmal, Ihre Politikergeneration sei die "säkularisierte Sozialdemokratie". Was meinen Sie damit?

 

Wir betreiben Politik aus einer anderen Haltung heraus als die SPD, die im 19. Jahrhundert gegründet worden ist. Die gemeinsame Weltanschauung der Menschen beeinflusste damals weite Teile ihres Lebens. Heute haben wir mehr praktische Reformprobleme. Das führt dazu, dass wir weniger weltanschaulich und gleichzeitig pragmatischer sind. Erhalten bleiben uns die zentralen Anliegen der SPD: Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit und Verhinderung von Krieg. Allerdings ist die SPD heute sicher weniger ideologisch, als sie es früher war.

 

 

Immer weniger junge Menschen wollen sich binden, schon gar nicht an Parteien.

 

Sicher haben wir zu wenig junge Mitglieder. Wir werden Formen der offenen Ansprache finden müssen, wo man nicht gleich in die SPD eintreten muss, wenn man an der Diskussion teilnehmen will.

 

 

In Hamburg haben Sie die Reform des Landesverbandes vorangebracht und dabei jüngeren Politikern Freiraum für undogmatische Ideen gegeben. Können Sie das auf die Bundespartei übertragen?

 

Wir müssen verstärkt den Potenzialen unserer Partei zur Entfaltung verhelfen. Alle Mitglieder müssen die Chance haben, sich an der Diskussion über aktuelle Themen zu beteiligen. Mitgliedschaft in der SPD darf nicht langweilig sein, so nach dem Motto "In der Zeitung erfährt man mehr".

 

 

Wo muss sich die Partei verändern?

 

Wir werden die guten Traditionen bewahren, und dazu zählt der Ortsverein. Das ist ein Ort, an dem sich Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Bildung treffen. Solche übergreifende Zusammenkünfte gibt es in unserer Gesellschaft nur noch selten. Zugleich wollen wir eine offene Partei sein, an die man auch herankommt, wenn man sich nicht über traditionelle Strukturen bewegen will.

 

 

Das Interview führte Oliver Schirg.