Welt am Sonntag: Herr Scholz, Sie haben den Hamburgern gutes Regieren und Klarheit versprochen. Haben Sie dieses Versprechen eingelöst?
Olaf Scholz: Ich denke, ja. Wir haben alle politischen Vorhaben, die wir vor der Wahl angekündigt haben, mittlerweile in ein Arbeitsprogramm des Senats gegossen. Die einzelnen Punkte setzen wir jetzt Stück für Stück um, und man sieht bereits deutlich, wie die Dinge in Fahrt kommen.
Welt am Sonntag: Vieles haben Sie zu Beginn politisch abgeräumt. Die Stadtbahn kommt nicht, es soll weder Citymaut noch Umweltzone geben, die Kita-Gebührenerhöhung wurde zurückgenommen. Aber braucht ein neuer Senat nicht auch eigene Projekte, ein eigenes Leitbild?
Olaf Scholz: Ja, und beides haben wir. Wir schaffen das moderne Hamburg. Ein Stadtstaat wie Hamburg kann, weil wir gleichzeitig Kommune und Bundesland sind, wie ein Labor für innovative gesellschaftliche Entwicklungen und eine moderne Politik wirken. Für uns war zunächst einmal wichtig, dass wir ganz klar machen: Was wir versprochen haben, machen wir auch. Wir haben gesagt, dass wir die Stadtbahn nicht bauen - und wir bauen sie nicht. Wir haben gesagt, dass es Citymaut und Umweltzone nicht geben wird. Das gilt. Und wir haben versprochen, die Kita-Gebühren wieder zu senken und langfristig für das fünfstündige Grundangebot abzuschaffen. Schon im August werden die Gebühren gesenkt.
Welt am Sonntag: Vorgängersenate haben mit Großprojekten wie der Elbphilharmonie, Plänen zum Uni-Umzug in den Hafen oder einer Stadtbahn eigene Marksteine versucht zu setzen. Haben Sie diese Ambitionen nicht?
Olaf Scholz: Wir werden das Geld der Stadt jedenfalls nicht für symbolträchtige Einzelobjekte verschwenden. Ambitionen haben wir trotzdem. Wir haben ganz zentrale, wichtige Dinge vor. Hamburg soll die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands werden. Wir haben diesen Weg mit der Senkung der Kita-Gebühren bereits beschritten. Wir wollen deutlich mehr Wohnungen bauen, um den Anstieg der Mieten zu bremsen. Das sind zwei unserer Leuchtturmprojekte. Und ich will erreichen, dass jeder junge Mann und jede junge Frau in Hamburg entweder einen Berufsabschluss oder das Abitur hat und studieren kann. Das ist ein großes Projekt. Eine besondere Herausforderung ist die Sanierung der öffentlichen Finanzen. Daran arbeiten wir sehr konsequent. Außerdem: Die ständige Aufgabe, gute Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen, zum Beispiel durch die Bereitstellung der dafür notwendigen Infrastruktur.
Welt am Sonntag: Ein Berufsabschluss für jeden, das ist ein hehres Ziel. Wie soll das konkret erreicht werden?
Olaf Scholz: Wir werden dafür sorgen, dass alle Jugendlichen, die eine Schule verlassen, so lange von uns begleitet werden, bis sie eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Denn wer ohne Abschluss und Ausbildung ins Leben geht, der hat auch später kaum Chancen. Wirklich jedem Hamburger einen Berufsabschluss zu ermöglich, das ist doch ein gutes Projekt, finden Sie nicht?
Welt am Sonntag: Doch. Versprochen haben das allerdings schon viele. Wann werden Sie ein konkretes Konzept vorlegen?
Olaf Scholz: Die zuständigen Behörden arbeiten bereits daran, ich denke, wir können es noch in diesem Jahr vorstellen.
Welt am Sonntag: Im Sinne Ihres Haushaltsprinzips "Pay as you go": Wie teuer wird das Vorhaben, und was streichen Sie dafür an anderer Stelle?
Olaf Scholz: Das lässt sich mit den vorhandenen Mitteln bewerkstelligen. Es geht um klare und effiziente Strukturen.
Welt am Sonntag: Anders als für Kitas und Ausbildung scheint Ihr Senat sich für die Hochschulen nicht so zu interessieren.
Olaf Scholz: Wie kommen Sie darauf? Die Ausgaben für die Hamburger Hochschulen steigen Jahr für Jahr. Wir nehmen die Sanierung der Universität in Angriff. Die Bauten der Uni sind in schlechtem Zustand, weil man sich jahrelang nicht gekümmert und weil man nicht genügend investiert hat. Wir wollen den Wissenschaftsstandort stärken und prüfen derzeit, welche Investitionen, in neue Gebäude zum Beispiel, nötig sind.
Welt am Sonntag: Ihr Senat hat nicht nur die schwarz-grünen Sparbeschlüsse beibehalten, sondern den Hochschulen noch eine globale Minderausgabe von angeblich 13 Millionen Euro aufgebrummt. Der Uni-Präsident warnt vor schweren Schäden für den Wissenschaftsstandort. Und Wissenschaftssenatorin Stapelfeldt hat erklärt, dass sie sich ihren Start anders gewünscht hätte. Da passen Ihre Versprechungen, Wissenschaft zu stärken offenbar nicht mit Ihren Entscheidungen zusammen.
Olaf Scholz: Noch mal: Jeder, der Zahlen lesen kann, weiß, dass die Hochschulen Jahr für Jahr mehr Geld bekommen. Das steht fest. Es gibt offenbar welche, die öffentlich mit falschen Zahlen rechnen. Und es wird anscheinend versucht, über das Nötige hinaus an zusätzliches Steuergeld zu kommen. Das wäre in einem Haushalt mit einem Defizit von einer Milliarde Euro nur möglich auf Kosten anderer öffentlicher Aufgaben, die auch wahrgenommen werden müssen. Wer die Fakten kennt, der weiß: Das geht nicht.
Welt am Sonntag: Viele verstehen nicht, wie Sie die Studiengebühren abschaffen können, wenn das Geld an den Hochschulen sowieso schon knapp ist.
Olaf Scholz: Studiengebühren sind ungerecht. Und aus diesem einfachen und schlichten Motiv werden wir sie abschaffen. Sie führen dazu, dass vor allem Kinder von Eltern, die selbst nicht studiert haben, sich vom Studieren abhalten lassen. Das habe ich in vielen Gesprächen mit Schulabgängern in Hamburg feststellen können. Wir haben die Abschaffung der Studiengebühren aber mit einem klaren Versprechen verbunden: Wir werden den Hochschulen die Einnahmeausfälle aus dem Haushalt voll ersetzen.
Welt am Sonntag: Zu einem modernen Hamburg, das Sie schaffen wollen, gehört auch ein modernes Verkehrssystem. Zuletzt gab es vor allem Staus in der Stadt. Zudem liegt Hamburg über EU-Grenzwerten für Stickstoffdioxide. Was wollen Sie unternehmen?
Olaf Scholz: Wir werden den Nahverkehr weiter ausbauen und modernisieren. Dazu gehört es, dass wir eines der modernsten Bussysteme Europas schaffen wollen - mit zusätzlichen Busspuren, optimierten Ampelschaltungen und höheren Taktfrequenzen. Wir werden die U4 verlängern und die S4 bauen. Das entlastet den Verkehr und den Hauptbahnhof. Außerdem werden wir die Elektromobilität ausbauen und den Fahrradverkehr stärken. Und es werden zahlreiche U-Bahnstationen barrierefrei ausgebaut.
Welt am Sonntag: Teile der CDU sind mittlerweile wieder für eine Stadtbahn.
Olaf Scholz: Wenn ich mir den Investitionshaushalt der Stadt für die nächsten zehn Jahre ansehe und dazu den Investitionsstau etwa bei der Uni-Sanierung, dann steht eines fest: Wir können uns die Stadtbahn nicht leisten. Und wir konnten sie uns in der Vergangenheit auch nie leisten.
Welt am Sonntag: Womit wir beim Geld wären. Wann legen Sie Ihren Haushalt vor?
Olaf Scholz: Unser erster eigener Haushalt wird der Doppelhaushalt 2013/14 sein. Jetzt zum Sommer werden wir den von Schwarz-Grün entworfenen Haushalt vorlegen, den wir an einigen Stellen modifiziert haben. Etwa an den Stellen, an denen der frühere Sozialsenator Wersich unzulässigerweise gesetzliche Leistungen nicht ordentlich veranschlagt hat.
Welt am Sonntag: Wersich sagt, diese seien sehr wohl im Haushalt eingestellt gewesen.
Olaf Scholz: Das ist Trickserei in der Haushaltspolitik. Da planen Behörden dort zu wenig Geld ein, wo es um gesetzliche Leistungen geht - weil sie wissen, dass sie das Geld am Ende nachbewilligt bekommen müssen. Mit diesem unseriösen Prinzip räumen wir endgültig auf. Es geht um einen Betrag von weit mehr als 200 Millionen Euro im laufenden Doppelhaushalt, der hier falsch veranschlagt worden ist. Das ist jetzt korrigiert.
Welt am Sonntag: Können Sie Ihr Versprechen halten, den Haushalt um maximal ein Prozent jährlich auszuweiten?
Olaf Scholz: Es ist ein ehrgeiziges Ziel. Aber wir werden das schaffen. Wir werden von 2020 an keine Schulden mehr aufnehmen. Andere Bundesländer müssen dafür weitaus stärker sparen. Insofern ist das, was vor uns liegt, zwar anstrengend, aber machbar.
Welt am Sonntag: Noch ein Wort zur EHEC-Krise: Tut Hamburg genug, um endlich die Quelle der Epidemie zu finden?
Olaf Scholz: Seit Bekanntwerden der ersten Fälle sind Lebensmittelkontrolleure und Mitarbeiter des Hygieneinstituts unentwegt mit Probeentnahmen und Analysen beschäftigt. Mitarbeiter von Robert-Koch-Institut und Öffentlichem Gesundheitsdienst befragen Patienten. Durch diese Arbeit wurden bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen, die uns bei der Bekämpfung der Epidemie helfen.
Welt am Sonntag: Herr Scholz, Sie sind erst seit November 2009 wieder Landesvorsitzender der Hamburger SPD. Damals machte die SPD in der Opposition nach allerlei Skandalen einen zerstrittenen Eindruck. Heute, nur anderthalb Jahre später, wirkt die Partei selten einig und regiert mit absoluter Mehrheit. Verraten Sie uns Ihr Führungsrezept?
Olaf Scholz: Es hat geklappt, weil alle den Weg mitgegangen sind und zusammengehalten haben. Wenn die Sache eine Einzelkämpferveranstaltung geblieben wäre, hätte das nicht funktionieren können. Ich habe vor meiner Wahl von allen ein klares Votum erbeten: Wer mich zum Vorsitzenden wählt, muss auch mitziehen. Und das haben dann auch alle getan.
Welt am Sonntag: Was sind die Instrumente zur Disziplinierung einer Partei?
Olaf Scholz: Es geht um eine gute Mischung. Wer Politik nur von oben herab macht, der wird scheitern. Wer Politik ohne Führungswillen macht, auch.
Welt am Sonntag: In zehn Tagen endet die 100-Tage-Schonfrist für Sie und Ihren Senat. Wie ist bisher Ihre eigene Bilanz der ersten Regierungsmonate?
Olaf Scholz: Es ist immer schwierig, sich selbst zu beurteilen. Aber ich höre von vielen, dass wir das ganz ordentlich hinbekommen haben. Das ist auf Hamburgisch ein ziemliches Lob, finde ich.