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01.01.2017

Interview mit der "Welt am Sonntag"

 

"Welt am Sonntag": Herr Bürgermeister, ist der Ruf nach mehr Video-Überwachung nicht Nonsense? Er suggeriert, es gäbe keine oder zu wenig. In manchen Bundesländern haben wir viel Videoüberwachung, in anderen kaum eine. Was wir sehen, ist eher Wirrwarr. Was schlagen Sie vor: Brauchen wir mehr Videoüberwachung oder einfach eine neue Kompetenzregelung?

 

Olaf Scholz: Grundsätzlich halte ich die Videoüberwachung neuralgischer Plätze für sinnvoll, denn sie schreckt Straftäter ab und hilft den Behörden nach einem Anschlag oder einer schweren Straftat, die Täter rascher zu identifizieren. Damit lassen sich Folgetaten verhindern.

 

"Welt am Sonntag": Nach dem Anschlag in Berlin: Wie soll künftig mit Gefährdern umgegangen werden? Sollen Sie künftig Fußfesseln tragen?

 

Olaf Scholz: Es muss möglich sein, Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt wurde, in Abschiebehaft zu nehmen und aus der Haft abzuschieben. Effektive und verfassungskonforme Gesetzesinitiativen sind Sache des Bundesinnenministers. Den stellt übrigens seit Jahren die Union.

 

"Welt am Sonntag": Dänemark hat die gesetzliche Vorschrift erlassen, das Alter von Jugendlichen im Notfall zwangsfeststellen zu lassen. Wäre das auch ein Weg für Deutschland?

 

Olaf Scholz: Das geht in Deutschland schon. In Hamburg sind grundsätzlich die Ausweispapiere ausschlaggebend, deren Echtheit bei Zweifeln überprüft wird. Wenn keine Papiere vorliegen, schätzen Sozialpädagogen das Alter. Wer nach diesem Prozess als volljährig gilt, muss nachweisen, dass er minderjährig ist.

 

"Welt am Sonntag": Wie soll künftig mit abgelehnten Asylbewerbern umgegangen werden? Sind Sie für Sammelrückführungen?

 

Olaf Scholz: Deutschland ist nur in der Lage, Hunderttausende Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen und Sicherheit zu bieten, wenn die, die nach unseren Regeln nicht schutzbedürftig sind, das Land auch wieder verlassen. Deshalb müssen wir besser werden sowohl was freiwillige Rückkehrer betrifft als auch bei Abschiebung; daher sind Sammelrückführungen sinnvoll.

 

"Welt am Sonntag": Als vor Weihnachten 34 Afghanen zurückgeführt wurden, gab es öffentlichen Protest.

 

Olaf Scholz: Eine Gesellschaft, die bereit ist, im Notfall viele Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen, muss sich auf die konzentrieren, die unseren Schutz brauchen. Wer nicht schutzbedürftig im Sinne des Grundgesetzes und der von uns unterschriebenen internationalen Verträge ist, muss im Regelfall das Land wieder verlassen. So lauten unsere Regeln, und an diese Regeln sollten wir uns halten. Das gilt auch für Afghanen, die bei uns keinen Schutzstatus erhalten haben. Es ist natürlich Sache der Bundesregierung, die Sicherheitslage in Afghanistan immer wieder neu zu bewerten.

 

"Welt am Sonntag": Was halten Sie von der Unionsforderung, Transitzentren einzurichten, in denen innerhalb von acht Wochen über das Asylverfahren entschieden werden soll?

 

Olaf Scholz: Ach, über Transitzentren haben wir im Herbst 2015 schon diskutiert, und am Ende fand niemand diese Idee praktikabel. Die schiere Größe solcher Zentren hat uns damals erschreckt. Außerdem war uns allen klar, dass in einem Transitzentrum wie beim Transitbereich im Flughafen nur verbleiben kann, wer noch nicht eingereist ist. Wenn sich Flüchtlinge, wie es meistens der Fall ist, das erste Mal in Berlin, in Hamburg, in Köln, in Frankfurt oder einem anderen Ort in Deutschland melden, ist es rechtlich sehr schwierig, die Fiktion aufrecht zu erhalten, dass sie noch nicht eingereist seien. Schließlich haben wir uns verständigt, in Bamberg und Manching zwei besondere Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern z.B. und eigens dafür die Gesetze geändert. Flüchtlinge, die in dem Gesetz aufgeführt sind, können vom Bundesinnenminister jederzeit dahin verteilt werden.

 

"Welt am Sonntag": Müssen wir nach Berlin nicht auch noch einmal grundsätzlich über den Schutz der Außengrenzen nachdenken?

 

Olaf Scholz: Ich halte das Konzept der Freizügigkeit für die knapp 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU für eine der größten Errungenschaften Europas. Eine Grundbedingung für die Freizügigkeit im Innern sind sichere und bewachte Außengrenzen.


"Welt am Sonntag": Das heißt aber auch, dass man Menschen, die nicht berechtigt sind, zurückweist.

 

Olaf Scholz: Ja, auch das. Aber diese Erkenntnis ist letztlich banal. Selbstverständlich ist, dass diese Grenzen keine Bollwerke sind, sondern überschritten werden können von Touristen, Geschäftsreisenden, Wissenschaftlern, aber auch von Flüchtlingen. Dafür benötigen wir aber gemeinsame Regeln.

 

"Welt am Sonntag": Sie wollen also ein wirkliches europäisches Grenzregime errichten? Das fehlt ja im Moment noch.

 

Olaf Scholz: Wir brauchen eine geschützte Außengrenze, aber auch eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik.

 

"Welt am Sonntag": Hm, das wird schwierig. Vor allem wenn wir an die Gespräche denken, die Ihre Partei gegenwärtig in Berlin mit möglichen Koalitionspartnern führt. Beunruhigt Sie, was Teile Ihrer Partei in Berlin derzeit treiben?

 

Olaf Scholz: Nein, sollte es?

 

"Welt am Sonntag": Weil die SPD immer häufiger Gespräche mit der Linkspartei führt. Soll Rot-Rot-Grün tatsächlich eine Option für den Bund sein? Bei dieser Linkspartei?

 

Olaf Scholz: Es ist doch eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass Abgeordnete unterschiedlicher Parteien miteinander sprechen.

 

"Welt am Sonntag": Kommt darauf an worüber.

 

Olaf Scholz: Es gibt genügend politische Themen. Um im wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Land Europas zu regieren, gehört für mich beispielsweise ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union und zur Nato dazu. Das sehen nicht alle Parteien so. Darüber kann doch mal kontrovers geredet werden.

 

"Welt am Sonntag": Aber diese Grundvoraussetzungen müsste man doch im Vorfeld einfordern.

 

Olaf Scholz: Sie sollten die Bedeutung dieser Gespräche nicht aufplustern. Da unterhalten sich Abgeordnete miteinander, sie führen aber keine Koalitionsverhandlungen. Jeder weiß doch: Die SPD wird an den beiden genannten Grundsätzen nicht rütteln.

 

"Welt am Sonntag": Sehen Sie irgendein Zeichen dafür, dass die Linkspartei in die gewünschte Richtung gehen wird?

 

Olaf Scholz: Bei der Partei Die Linke sehe ich eine klare Distanz zu Europa. Was Frau Wagenknecht zu Europa zu sagen hat, könnte auch von Frau Petry stammen. Mit Blick auf die geografische und politische Lage Deutschlands ist diese Position unverantwortlich. Wir tragen große Verantwortung für Europa und sind ihm auch sehr zu Dank verpflichtet. Ohne die Europäische Union hätte es die deutsche Wiedervereinigung nicht gegeben.

 

"Welt am Sonntag": Sie betonen immer wieder, die SPD sei eine Volkspartei. Aber stimmt das noch angesichts der miserablen Umfrageergebnissen?

 

Olaf Scholz: Volkspartei zu sein ist ein Anspruch, der sich nicht allein vom Wahlergebnis ableitet, sondern vom Politikansatz. In den 1950er-Jahren entschied sich die SPD ganz bewusst, sich neben dem klassischen Arbeitermilieu auch für andere Wählerschichten zu öffnen. Das war ein politischer Schritt hin zur Volkspartei, ergänzt um eine eindeutige Hinwendung zur Westbindung aus Überzeugung. Es war das Ziel, für mehr Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu sein, ohne die sozialdemokratischen Überzeugungen aufzugeben. Das Bekenntnis, eine linke, aber breit aufgestellte Partei zu sein, die den Anspruch hat, die Regierung zu stellen das macht die Volkspartei SPD aus. Diese Volkspartei wird auch wieder bessere Ergebnisse erzielen.

 

"Welt am Sonntag": Liegt die Schwäche der SPD auch an dem Umstand, dass es zur Zeit mehrere sozialdemokratische Parteien in diesem Land gibt von den Grünen über die Linkspartei bis zu Teilen der CDU?

 

Olaf Scholz: Sie wiederholen eine Legende, die man am rechten und linken Rand des politischen Spektrums gern verbreitet. Das befördert die Politikverdrossenheit. Es gibt sichtbare Unterschiede zwischen den Parteien. Immer dann, wenn es darum geht, für Gerechtigkeit einzustehen, werden diese Unterschiede auch sehr schnell deutlich: Die SPD ist die einzige sozialdemokratische Partei in Deutschland.

 

"Welt am Sonntag": Trotzdem bleibt die Frage, wie Sie sich die schlechten Wahlergebnisse und Umfragewerte erklären.

 

Olaf Scholz: Na, hier lohnt ein genauerer Blick: Die SPD stellt neun Ministerpräsidenten, die CDU gerade einmal vier. Auf Landesebene sieht es ganz gut aus, ich beschwere mich jedenfalls nicht, dass meine Hamburger SPD in Umfragen derzeit bei 48 Prozent liegt.

 

"Welt am Sonntag": Wir spielten auf die Bundesebene an.

 

Olaf Scholz: Es wäre gut für unser Land, wenn jetzt wieder die Sozialdemokraten Deutschland regierten. Sobald man merkt, dass wir die richtige Kanzlerpartei sind, werden wir schnell zulegen.

 

"Welt am Sonntag": Ein frommer Wunsch, den Sie schon häufiger geäußert haben. Allerdings sagen Sie nie genau, wie sie diese 30 Prozent-Marke erreichen wollen.

 

Olaf Scholz: Die Bürger und Bürgerinnen müssen sich einen anderen Kanzler wünschen.

 

"Welt am Sonntag": Bisher war es aber so, dass wer von der SPD gegen Angela Merkel antrat, sich eher um die Vizekanzlerschaft bewarb.

 

Olaf Scholz: Frau Merkel ist schlagbar. Ihr Ansehen und ihre Zustimmungswerte sind zurückgegangen. Die Union entfremdet sich zusehends von der Kanzlerin. Frau Merkel hat ihre Ankündigung, erneut zu kandidieren, nicht mit einem politischen Plan für Deutschland und Europa verbunden. Haben Sie irgendeine Antwort der Kanzlerin auf die Herausforderungen gehört, vor denen wir in Europa stehen? Was hat Frau Merkel dazu gesagt, wie sie Gerechtigkeit in der globalisierten Welt herstellen will? Sie glaubt tatsächlich, dass es den Wählern noch immer reicht zu wissen, woran man bei ihr ist. Das ist aber ein fataler Irrtum.

 

"Welt am Sonntag": Vielleicht liegt der Ansehensverlust der Kanzlerin auch daran, dass man nach mehr als zwei Legislaturperioden ein neues Gesicht sehen will.

 

Olaf Scholz: Ich halte wenig von solchen Erklärungen. Jeder spürt, dass die Kanzlerin keinen Plan mehr hat.

 

"Welt am Sonntag": Sollte man die Amtszeit des Bundeskanzler nicht grundsätzlich auf zwei Legislaturperioden beschränken?

 

Olaf Scholz: Nein, so etwas macht vielleicht in präsidentiellen Systemen Sinn. In einer repräsentativen Demokratie, in der der Regierungschef eine Mehrheit im Parlament benötigt und sie jederzeit verlieren kann, braucht man eine solche Begrenzung nicht. Die Geschichte zeigt, dass es niemand geschafft hat, seine Amtszeit auf ewig zu verlängern. Auch Adenauer und Kohl sind daran gescheitert.

 

"Welt am Sonntag": Das waren andere Zeiten. Wenn es immer mehr Fraktionen im Bundestag gibt, dann hat die Kanzlerin immer mehr Möglichkeiten, Koalitionen zu schließen, um im Amt zu bleiben.

 

Olaf Scholz: Das gilt auch für andere, um in das Amt zu kommen. Ich halte nichts von einer Politik mit dem Rechenschieber. Es geht nicht nur um Macht, sondern um die Inhalte der Politik. Deshalb finde ich es richtig, dass die Unionsparteien vor der Wahl keine Koalitionsaussage machen wollen und wir auch nicht.

 

"Welt am Sonntag": Sie setzen also nicht auf die Fortsetzung der bisherigen Koalition?

 

Olaf Scholz: Niemand kann das Wahlergebnis voraussagen und damit auch nicht die nötigen Konsequenzen. Wenn vier, fünf oder sechs Parteien in den Bundestag einziehen, gelten andere Praktiken, als in dem westdeutschen Drei-Parteien-System der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. Die SPD hat das klare Ziel, im Bundestagswahlkampf so stark zu werden, dass sie den Auftrag bekommt, die Regierung zu führen.

 

"Welt am Sonntag": Im vorigen Sommer sagten Sie bei uns im Gespräch, wenn die SPD einen Kandidaten aufstelle, den die Bürger als Kanzler wollen, wirkt sich das bei Wahlen aus, das gibt schnell zehn Prozentpunkte oben drauf. Gehört Sigmar Gabriel in die Reihe dieser Kandidaten?

 

Olaf Scholz: Netter Versuch. Aber Sie wissen doch, dass wir uns wohlüberlegt entschieden haben, unseren Kanzlerkandidaten im Januar zu benennen. Dabei bleibt es. Und damit das klar ist: auch Sigmar Gabriel wäre natürlich ein guter Kanzlerkandidat der SPD.

 

"Welt am Sonntag": Warum sind Gabriels Umfragewerte eigentlich so miserabel?

 

Olaf Scholz: Darüber lohnt es nicht zu spekulieren. Ich traue Sigmar Gabriel auf jeden Fall zu, dass er es schaffte, als etwaiger Kanzlerkandidat seine persönlichen Umfragewerte und die der SPD zu verbessern.

 

"Welt am Sonntag": Was sind Gabriels größte Stärken, was seine Schwächen?

 

Olaf Scholz: Er kann sehr viele Menschen begeistern und aufrütteln. Das ist eine Stärke.

 

"Welt am Sonntag": Über die Schwächen wollen Sie nicht reden.

 

Olaf Scholz: Nö.

 

"Welt am Sonntag": Muss man nicht von einem Parteivorsitzenden auch verlangen können, dass er irgendwann wirklich entschieden ist, Kanzler werden zu wollen?

 

Olaf Scholz: Irgendwann ja. Ein Parteivorsitzender muss immer fähig sein, Kanzlerkandidat zu sein.

 

"Welt am Sonntag": Wenn einer Kanzlerkandidat werden will, muss er dann auch den Parteivorsitz innehaben?

 

Olaf Scholz: Es gibt einen gewissen Zusammenhang zwischen den beiden Funktionen, den man aber auch nicht als Regel überstrapazieren sollte. Schmidt und Schröder waren nicht Parteivorsitzende als sie Kanzler wurden; Steinmeier und Steinbrück waren es nicht als Kandidaten.

 

"Welt am Sonntag": Ist das Kernproblem der SPD mit Blick auf die nächsten Wahlen nicht, dass sie heute Teil der gegenwärtigen Regierung ist? So kann sie die CDU nicht wirklich kritisieren.

 

Olaf Scholz: Die Bürger und Bürgerinnen schätzen diese plumpen Rollenspielchen immer weniger. Es nimmt doch keiner mehr einer Oppositionspartei ab, dass sie wirklich alles an der jeweiligen Regierung für kritikwürdig hält. Genauso wenig wie jemand glaubt, wenn eine Partei sagt, alles, was sie als Regierungspartei entschieden habe, sei großartig gewesen. Die zentralen Reformen dieser Legislaturperiode sind das Ergebnis des Wirkens der sozialdemokratischen Regierungsmitglieder. Es wäre doch absurd, sich nun von diesen Erfolgen zu distanzieren. Gleichzeitig kann die SPD aber sagen: Im Gegensatz zur gegenwärtigen Kanzlerin haben wir auch noch einen Plan für die Zukunft.

 

"Welt am Sonntag": Müsste der Kanzlerkandidat, wenn er Mitglied der gegenwärtigen Regierung ist, vor der Wahl sein Amt zur Verfügung stellen?

 

Olaf Scholz: Warum sollte er? Willy Brandt blieb Minister der Großen Koalition und ist Kanzler geworden.

 

"Welt am Sonntag": Sie sagen es bereits: Ende Januar will die SPD Ihren Kanzlerkandidaten vorstellen. Warum hat sich die Sozialdemokratie eigentlich von der Idee der Urwahl verabschiedet?

 

Olaf Scholz: Sie steht immer noch in unserer Satzung. Wenn wir mal eine Urwahl abhalten wollen, könnten wir.

 

"Welt am Sonntag": Das klang 1993 bei der Wahl Rudolf Scharpings noch anders.

 

Olaf Scholz: Die Urwahl haben wir nur ein einziges Mal abgehalten, das ist fast ein Vierteljahrhundert her. Sie ist nur eine Option und ergibt nur Sinn, wenn man mehrere Kandidaten hat, die für sehr unterschiedliche politische Positionen stehen. Als permanentes System der Kandidatenfindung finde ich sie eher problematisch, wie sich gerade in Amerika beobachten lässt...

 

"Welt am Sonntag": Aber in Frankreich hat die Urwahl bei den Konservativen durchaus zu einer Aufbruchsstimmung bei den Wählern geführt. Diese Chance sehen Sie für die SPD nicht?

 

Olaf Scholz: Bei den französischen Konservativen war die Urwahl wohl mehr das Vehikel, eine erneute Kandidatur des ehemaligen Präsidenten Sarkozy zu verhindern.

 

"Welt am Sonntag": Was ist das Wahlziel der SPD, von dem Wunsch abgesehen, stärkste Kraft zu werden?

 

Olaf Scholz: Es gibt drei zentrale Herausforderungen: Wie entwickeln wir Europa weiter? Womit gelingt es uns, Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung zu erreichen? Und was antworten wir auf die Flüchtlingsfrage? Beim ersten Thema geht es nicht um die Frage, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen. Sondern darum, wie wir die EU dort effizienter gestalten, wo ihre Handlungsfähigkeit gefragt ist: etwa beim Schutz der gemeinsamen Außengrenzen oder der Durchsetzung wirksamer Regeln gegen internationale Steueroasen.

 

"Welt am Sonntag": Sie betonen immer wieder das sozial-liberale Erbe der FDP. Wünschen Sie sich die Liberalen zurück in den Bundestag?

 

Olaf Scholz: Sozialliberal sind wir Sozialdemokraten selber. Lassen Sie uns einfach abwarten, wie das Wahlergebnis aussieht. Selbstverständlich hätten wir eine Idee, was wir machen könnten, wenn die FDP in den Bundestag käme.

 

"Welt am Sonntag": Die AfD liegt in Hamburg bei vier Prozent. Wie lautet ihr Rezept, die AfD zu bekämpfen?

 

Olaf Scholz: Die AfD ist eine ziemlich rechte Partei. Es gibt auch Mitglieder, die radikale Positionen vertreten, aber man sollte die Partei nicht per se als rechtsradikal bezeichnen. Wir sollten uns auch nicht zu lange mit solchen Labels für die AfD aufhalten, sondern die Partei in die inhaltliche Auseinandersetzung zwingen da fällt dann schnell auf, dass die außer schlechter Laune nichts zu bieten haben. Der größte Fehler ist es, über die AfD als solche zu reden. Man muss auch nicht über jedes Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält, und auf jede ihrer Provokationen reagieren. Und natürlich müssen wir als Regierende gute Arbeit machen und Probleme lösen. Das gilt immer.

 

"Welt am Sonntag": Ihr Jahr war sehr erfolgreich, etwa wenn man an die Reform des Länderfinanzausgleichs denkt. Mit welchen Argumenten haben die Länder dem Finanzminister derart viel abringen können?

 

Olaf Scholz: Die jährlich knapp zehn Milliarden Euro, die vom Steueraufkommen in den Zwanzigerjahren jetzt als Finanzspielraum zusätzlich bei den Ländern verbleiben, sind angesichts eines Bundesetats von dann sicher mehr als 350 Milliarden Euro keine weltbewegende Verschiebung. Uns ist es gelungen, ein Konzept zu entwickeln, das die Solidarität zwischen den starken und den schwächeren Ländern, zwischen Bund und Ländern so organisiert, dass der Föderalismus auch in Zukunft funktioniert. Es war ein langer Weg bis zur Einigung und daher freut es mich umso mehr, dass sie am Ende zustande gekommen ist.

 

"Welt am Sonntag": Trotzdem gibt es Kritiker, die sagen, einige Länder hätten gegen Geld den Föderalismus verkauft. Was entgegnen Sie ihnen?

 

Olaf Scholz: Die Beweisführung dieser Kritiker ist ziemlich dünn. Es gibt keine strukturellen Verschiebungen im Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern. Zu den wenigen Veränderungen gehört, dass wir eine Bundesautobahngesellschaft bekommen werden. Für die Eisenbahn und die Wasserstraßen gibt es die Bundesverantwortung längst, das ist also keine qualitative Veränderung des Föderalismus. Darüber hinaus haben wir dem Bund neu die Möglichkeit verschafft, dass er finanzielle Mittel für die Schulbauten bereitstellt, die ja unter kommunaler Verantwortung stehen. Da geht es aktuell um drei Milliarden Euro. Das verdient die ganze Aufregung nicht. Der Föderalismus ist völlig intakt geblieben. Nach der Neuordnung werden die Länder besser in der Lage sein, ihre Aufgabe wahrzunehmen.

 

"Welt am Sonntag": Ihr Jahr war erfolgreich: der Durchbruch bei der Reform des Länderfinanzausgleichs, die Eröffnung der Elbphilharmonie, die guten Umfragen. Was nehmen Sie sich für das Jahr 2017 vor?

 

Olaf Scholz: Lassen Sie uns doch erst einmal die Elbphilharmonie eröffnen. Dann schauen wir weiter.

 

Das Interview führten Stefan Aust und Jacques Schuster.